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Viertes Kapitel

Die Gießener Studenten. – Ihre Lebensart. – Gießener Kneipen und Kommerse. – »Wer ist ein rechter Bursch?« – Studentenkleidung. – Schlägereien. – Unsittlichkeit. – Erste Bekanntschaft mit dem Komment. – Dreißig Duzbrüder auf einmal. – Eine Herausforderung. – Mein erster Waffengang. – Das Schnapsen. – »Kreuzzüge«.– Ein Ausflug nach Mannheim, um Theresen zu sehen. – Spiel auf dem Kaffeehaus. – Der Hanswurst in Frankenthal. – Briefliche Strafpredigt meines Vaters. – Wie ich ihn wieder versöhnte.

Zu meinen Zeiten waren ungefähr 250 Studenten in Gießen, obwohl in allen Zeitungen herumstand, es wären über 500 da. Aber man darf von dergleichen nur die Hälfte glauben. Im Durchschnitt trifft das so bei allen Universitäten ein, z.B. gegenwärtig sollen in Halle 1600, in Jena 1000, in Göttingen 1200 Studenten sein, wenigstens sagen die so, welche von so einer Universität herkommen. Untersucht man aber das Ding genauer, so muß man die Summe merklich vermindern.

Die Gießener Studenten waren meistens Landeskinder; doch befanden sich auch viele Pfälzer, Zweibrücker und andere daselbst. Der Ton der Studenten oder Bursche war ganz nach dem Jenaischen eingerichtet: die vielen relegierten Jenenser, die dahin kamen, um auszustudieren, machten damals das fidele Leben der Brüder Studio von Jena in Gießen zur Mode. Zudem ist Gießen auch so recht der Ort, wo man auf gut mosellanisch hausen kann. Die Maß Bier, eine volle rheinische, kostet zwei Kreuzer oder sechs Pfennige sächsisch. Freilich ist es jämmerliches Bier, aber es füllt doch den Bauch und macht endlich – übermäßig getrunken – den Kopf heroisch. Wer leugnen wollte, daß der Hauptkomment in Jena im Biersaufen bestehe, wenigstens vor kurzem darin bestanden habe, der ist in Jena nicht gewesen.

Zu Gießen borgen die Hauswirte nicht, oder sie geben, studentisch gesprochen, keinen Pump, höchstens bekommt auf die Art der Student nur die Milch zum Kaffee. Alles andere muß er sich selbst holen lassen, auch selbst für sein Bier sich im Wirtshaus Pump verschaffen. Auf den Stuben wird daher selten gejubelt; vielmehr setzt man sich zusammen ins Bierhaus und zecht auf Rechnung. Das ist auch die Ursache, warum alle Kneipen oder Bierschenken, wo sonst Bursche hingehen, zu allen Zeiten voll Studenten sind. In meinen Zeiten besuchte man besonders den »Rappen«, den »Stern«, die »Reiberei«, die beiden Burschereien, das Schießhaus, den Stangenwirt Balthasar und einige andere. Weinhäuser besuchte man seltener. Wer nun ein honoriger Bursche heißen wollte, ging des Abends wenigstens in eine dieser Bierkneipen, zechte bis zehn oder elf Uhr und schob hernach ab.

Da man es für Pedanterie hielt, von gelehrten Sachen zu sprechen, so wurde von Burschenaffären diskutiert, und größtenteils wurden Zoten gerissen. Ja, ich weiß noch recht gut, daß man in Eberhards Busch-Kneipe ordentliche Vorlesungen über die Zotologie hielt, worüber ein Kompendium im Manuskript da war.

In Gießen sind die Kommerse erlaubt; wir haben mehrmals auf der Straße kommersiert und das » Ecce quam bonum« zur großen Freude der Gießener Nymphen hingebrüllt. Man stellt sich also leicht vor, daß die Kommerse bei den täglichen Saufgelagen der Studenten sehr frequent werden mußten: und so war es auch wirklich. Ich habe oft vierzehn Tage nacheinander alle Tage einem Hospiz oder kommersierenden Saufgelage beigewohnt.

Die Hauptbestandteile eines damaligen Gießener Burschen oder Renommisten findet man in einer Beschreibung, welche man der poetischen Laune des Herrn Hild in Saarbrücken zu verdanken hat. Die Verse sind zwar elend, aber man kann doch hinlänglich daraus ersehen, was für Eigenschaften man an einem honorigen Gießener Burschen gefordert hat. Man höre nur:

Wer ist ein rechter Bursch? Der, so am Tage schmauset,
Des Nachts herumschwärmt, wetzt D. i.: Mit dem Degen auf das Pflaster haut, daß die Funken daraus sprühen. L. – –
Der die Philister schwänzt, Nicht bezahlt, anführt. L. die Professores prellt,
Der stets im Karzer sitzt, einhertritt wie ein Schwein,
Der überall besaut, nur von Blamagen rein,
Und den man mit der Zeit, wenn er gnug renommieret,
Zu seiner höchsten Ehr aus Gießen relegieret –
Das ist ein firmer Bursch: und wer's nicht also macht,
Nicht in den Tag 'nein lebt, nur seinen Zweck betracht,
Ins Saufhaus niemals kommt, nur ins Kollegium,
Was ist das für ein Kerl? – Das ist ein Drastikum! Ein damals bekannter Schimpfname, womit man Bursche belegte, die anderwärts » Teekessel« genannt werden. L.

Was meinen die Leser zu diesem Ideal? Ich kann sie aber auf Ehre versichern, daß alle unsere sogenannten honorigen Bursche demselben so ähnlich waren, wie ein Ei dem anderen: nur das Philisterschwänzen und Professoresprellen wollte nicht immer so recht gelingen: die meisten Studenten waren sehr nahe zu Hause, und folglich hielt es nicht schwer, sie nach ihrem Abzuge zum Bezahlen gerichtlich anzuhalten.

Wer den Gießener Studenten Petimäterei Von petit-maître = Stutzer. P. schuld gibt, tut ihnen wahrlich unrecht. Die meisten traten einher – nach dem Liedchen – wie die Schweine. Ein gewisser Röllner aus dem Elsaß hatte keine Lust, das Burschikose mitzumachen; er kam also selten in die Gelage und ließ sich auch ein gutes Kleid machen. Das war Losung genug, ihn nicht schlecht zu verfolgen: in allen Kollegien wurde ihm Musik gemacht und auf der Straße nachgeschrien. Das wurde so lange getrieben, bis er endlich abzog und nach Göttingen ging; hier konnte er nun freilich, ohne Gefahr, ausgepfiffen zu werden, in seinem roten Kleide mit dem seidenen Futter spanisch einhertreten.

Zu Kleidern vertut der Bursche in Gießen daher blutwenig: ein Flausch ist sein Kleid am Sonntag und am Werktag; selten hat einer neben dem Flausch noch einen Rock. Dann trägt er lederne Beinkleider und Stiefeln: weil aber die Hosen selten gewaschen werden, so sehen sie gemeiniglich aus wie die der Fleischer.

Nur wenig Studenten in Gießen machen Knöpfe, Knopfmachen heißt dem Frauenzimmer aufwarten; daher Knopfmacher. i L. das wird überhaupt daselbst für petimätrisch und unburschikos gehalten. Vielmehr gibt es oder gab es doch zu meiner Zeit einige, die das gute Frauenzimmer bei jeder Gelegenheit prostituierten. So zogen sie z.B. auf dem Walle, wenn sie spazieren gingen, hinter ihnen her und wiederholten laut ein Kapitel aus der Zotologie. Herr Handwerk, Oekonom der Universität, hatte eine ganz hübsche Tochter, Minchen, welche was ehrliches geneckt wurde. Die Studenten kamen des Abends vor ihr Haus und schrien: »Minche, as de ham giehst, as de die Schwernuth kriest!« Minchen, willst du nach Hause gehen oder du sollst die Schwerenot kriegen! L. Mit diesen Worten hatte sie ihr Vater einmal nach Hause geholt.

Noch eins! Die Tochter des Regierungsrats Reuß hatte sich mit einem Musensohn zu weit eingelassen. Zum Unglück erfuhren die Studenten, daß die Hebamme zu ihr gerufen sei; flugs zogen sie vor das Haus und machten eine Katzenmusik, wobei die schändlichsten Lieder gesungen wurden. Der Rat beschwerte sich bei dem Rektor; aber der freute sich selbst über den schnurrigen Einfall seiner Bursche und ließ es gut sein.

Schlägereien sind in Gießen gar nicht selten. So klein die Universität ist, so viel Balgereien fallen vor; manchmal haben sie einen gefährlichen Ausgang. Zu meiner Zeit war es gewöhnlich, sich auf der öffentlichen Straße zu schlagen, und dies alsdann, wenn man zum voraus gewiß war, daß es würde verraten werden. In diesem Fall ging der Herausforderer vor das Fenster seines Gegners, nahm seinen Hieber, Der Stößer diente zu geheimen Schlägereien. L. hieb damit einigemal ins Pflaster und schrie: »Pereat N. N., der Hundsfott, der Schweinekerl! tief! pereat! pereat!« Nun erschien der Herausgeforderte: die Schlägerei ging vor sich, endlich kam der Pedell, gab Inhibition, und die Raufer kamen aufs Karzer; und so hatte der Spaß ein Ende.

Bordelle gibt es in Gießen nicht: aber doch unzüchtige Menscher und folglich auch – wie leider jetzt auf jeder Universität – venerische Krankheiten. Sein irriges Ehrgefühl hält manchen ab, sich einem geschickten Arzt zu entdecken, und er fällt Pfuschern in die Hände. Sonderbar ist es, daß der größte Teil der infizierten Studenten gerade Theologen, Schullehrer- und Predigersöhne, gewesene Waisenhäusler Zöglinge der bekannten Anstalt in Halle. L. oder überhaupt solche sein sollen, die man zu Hause oder auf Pädagogien oder anderen eingeschränkten Schulanstalten zur Universität vorbereitet hat. Noch sonderbarer ist es, infizierte Stipendiaten, sobald sie entdeckt werden, des Stipendiums verlustig zu erklären. Zur Scham, sich einem geschickten Arzt anzuvertrauen, kommt hier ja noch Furcht vor Verlust hinzu, und das erschwert die Kur noch mehr. Er mag nun wollen oder nicht, er fällt Pfuschern in die Hände und verpflanzt als Halbgeheilter, über kurz oder lang, sein Gift weiter, ja er bringt es nach Gegenden, wo es vorhin vielleicht noch nicht bekannt war, und macht auf diese Art seine wirkliche Sünde zur Erbsünde, wider die weder Taufe noch Exorzismus etwas vermögen. Wer kann hier genug warnen! Mehr als hundertmal habe ich es erlebt, daß unwissende Quacksalber oder voreilige Blödlinge aus einem kleinen Uebel von der Art ein recht fürchterliches, ja unheilbares, gemacht haben.

Die fieberhafte Hitze, brav Hefte nachzuschmieren, plagt die Gießener Studenten nicht, wenigstens zu meiner Zeit nicht, wenn man die Pandektenschüler des Kanzlers Koch ausnimmt. Dieser hielt keinen Schüler für fleißig, der nicht die vorgetragene Weisheit schriftlich eintrug oder doch wenigstens einige Bemerkungen darüber nachschrieb. Auf anderen Universitäten habe ich immer rüstige Heftenschreiber gefunden, nirgends aber ärger als in Halle. Hier füllen die Studenten viele Quartbände mit akademischer Kollegienweisheit an und schreiben oft Dinge nach, welche in den Kompendien weit besser stehen, oder gar nicht zur Sache gehören. Das macht aber in Gießen, daß die Professoren alle über gedruckte Bücher lesen und durchaus nicht diktieren und dadurch das Heftesudeln verhindern. Das Hallische Unwesen hat auch vorige Herbstmesse eine sehr üble Folge für einen dortigen Professor gehabt. Ein Student hatte nämlich die Jüdische Geschichte, so wie sie Herr D. Knapp vortrug, nachgeschmiert und sie hernach in Leipzig drucken lassen. In Gießen möchte der Abdruck der Hefte nicht zu fürchten sein, wenn auch alles nachgeschrieben würde: denn welcher Verleger würde wohl dergleichen Zeug annehmen?

Ich fand zu Gießen einige Landsleute, welche mich zustutzten und mit dem Komment, so wie ich ihn hier beschrieben habe, vertraut machten. Ich sah die Bursche, ich bewunderte sie, und machte so recht affenartig alles nach, was mir an ihnen als heroisch auffiel. Da ich bemerkte, daß die meisten den Hut quer trugen, so trug ich den meinen auch so, und gefiel! Zum Unglück war gleich nach der Abreise meines Vaters in Wieseck ein Kommers; ich wohnte demselben bei, mußte über zehn Maß Bier zur Strafe ausleeren, weil ich die Kommerslieder nicht auswendig wußte, und erwarb über dreißig Duzbrüder! Wer war froher als ich! Dreißig honorige Bursche, die ich von dem Augenblick an du heißen durfte! Calvin mag sich kaum so gefreut haben über die Qualen des braven Servets in den Flammen, als ich mich freute, da ich den Degen am Balken betrachtete, woran die Hüte und mit ihnen die Brüderschaften angespießt waren. Ich sah mich nun mit ganz anderen Augen an als zuvor, und ward um so eifriger in dem edlen Vorsatz, ein recht honoriger Bursche zu werden. Hierzu zeigte sich auch bald Gelegenheit. Es studierte ein gewisser von Avemann in Gießen, ein Erzrenommist und Schläger, vor dem man gewissen Respekt äußerte, ob er gleich an Liederlichkeit seinesgleichen nicht mehr hatte. Es schien ihm sogar der gesunde Menschenverstand zu fehlen. Dieser Avemann nannte oder schalt mich einst auf dem Schießhaus »Fuchs«. Ich nahm das Wort häßlich auf, denn meine Kameraden hatten mir aufgebunden, mich durchaus nicht »Fuchs«, »krassen Kerl« usw. nennen zu lassen. Also trat ich zu ihm und verbat mir den Ehrentitel. Avemann lachte mir ins Gesicht, worüber ich so erboste, daß ich ihn einen dummen Jungen nannte. Hierauf hob er die Hand auf, um mich zu maulschellieren. Meine Freunde hielten ihn zurück und erklärten dem Großsprecher, daß er » desavantage« D. h.: Avemann war der Beleidigte und durfte daher nicht wieder beleidigen, denn das wäre »Nachtusch« gewesen, der unter Bedauern abgebeten werden muß. Dieser sehr vernünftige Brauch ist auch jetzt immer noch in Kraft – vernünftig, weil sonst des Schimpfens, besonders unter Bezechten, kein Ende wäre und oft Tätlichkeiten folgen würden. Man »kontrahiert« oder fordert, und die Sache ist vorläufig erledigt. Uebrigens sind gegenwärtig Anrempelungen zum Zweck des Kontrahierens, wenigstens auf den kleinen Hochschulen, verhältnismäßig selten geworden. Die Einrichtung der Bestimmungsmensuren bietet dem Tatendrang der Jugend mehr als reichliche Gelegenheit, sich mit dem Schläger in der Hand auszutoben, ohne daß die jungen Herren dabei »rauhbeinig« zu werden brauchen. Den Gesichtern schadet's ja meistens nichts. P. sei und daher von mir Satisfaktion fordern müßte. Avemann ergrimmte schrecklich: denn nichts konnte ihm empfindlicher sein, als daß er, ein Erzrenommist, von einem Fuchs Genugtuung fordern sollte. Aber es mußte nun einmal so sein. Der übermorgige Tag wurde also zur Balgerei festgesetzt. Ich hatte mich zwar schon vorher etwas im Fechten geübt, jetzt aber gaben sich meine Freunde alle Mühe, mich ein wenig mehr einzuschustern in diese edle Kunst, um doch nicht ganz als Naturalist aufzutreten.

Wir schlugen uns nun wirklich. Avemann verletzte mir ein klein wenig den Arm, ich aber ihm derber sein Kollett – und der Skandal hatte ein Ende. Nachdem wir Frieden gemacht hatten, sahen alle Anwesenden mich mit Augen an, die vor Freude und Beifall funkelten: da war Bruder Laukhard hinten und Bruder Laukhard vorne! Jeder würdigte mich seiner besonderen Freundschaft – und ich Tor war über den Ausgang dieses Handels so begeistert, wie kein General es sein kann, wenn er eine Menschenschlacht gewonnen hat.

Nach meiner ritterlichen Tat wurde ich in eine geheime Gießener Studentenschaft aufgenommen, die nun glaubte, ein sehr respektables Mitglied in meiner Person zu akquirieren.

Ich hatte in meinem Vaterland zwar lernen derb Wein trinken; aber Schnaps war nie in meinen Mund gekommen. Das Branntweintrinken wird überhaupt in der Pfalz gleichsam für schändlich gehalten. Ein günstiges Vorurteil! Es fördert den Absatz und Anbau des Weins und beugt dort dem Kornmangel vor, der aus stark betriebener Branntweinbrennerei entstehen würde. Die Trunkenheit hält man nicht für schändlich, nur das Vehikel, wodurch sie entsteht. Ich hatte zwar einen ganz artigen Wechsel, aber der würde nicht zugereicht haben, wenn ich hätte täglich Wein trinken wollen. Also, da doch manchmal eine Schnurre passieren sollte, so ahmte ich meinen honorigen Brüdern nach und trank – Schnaps.

Der Gießener Schnaps ist, wie das Bier, sehr elend: er hat einen Geschmack, wie wenn er mit Rauch von Nußlaub geräuchert wäre. Dabei ist er sehr wohlfeil: wer für sechs Kreuzer oder achtzehn Pfennige trinkt, ohne ganz berauscht zu werden, muß ein kapitaler Säufer sein.

Nicht lange nach meiner Ankunft in Gießen wohnte ich auch einem Kreuzzuge bei. Das Ding war so: Sechs derbe Burschen bewaffneten sich mit Flinten und dem Zugehör und marschierten gegen Abend auf ein Dorf, etwa zwei Stunden von der Stadt. In diesem Dorf wurde derb gezecht und dann ging der Zug auf ein anderes. In jedem Dorf wurden die Bauern periert, Perieren – Pereatrufe bringen. P. die Flinten losgeschossen, dem Nachtwächter das Korn genommen, wild darauf geblasen, kurz ein Spektakel verführt, daß alle Bauern in Harnisch gerieten. Wagten sie es dann, sich uns zu widersetzen, so wurde ihnen gedroht, daß, sobald sie sich weiter mokierten, wir scharf auf sie feuern würden, ohne die Ankunft unserer übrigen Kameraden abzuwarten; wir wären wer weiß wie stark! Würden sie aber Frieden machen, so wollten wir abziehen. In einigen Dörfern wurde wirklich auf diese Art Friede gemacht, aber in Busek, wohin wir gegen Tagesanbruch kamen, wollten die Bauern von Kapitulieren so wenig wissen, daß sie uns, nachdem wir eine blinde Salve auf sie gegeben, dergestalt verkeilten, daß es uns verging, den Kreuzzug fortzusetzen. Freilich hätte mich dies witzigen sollen, dergleichen Kreuzzügen nicht wieder beizuwohnen: gefährlich waren sie immer und sehr tief unter der Würde eines Universitäters; aber – wie man ist! Mein Leichtsinn, mein studentischer Heroismus verleiteten mich noch dreimal dazu.

 

In dem wilden Leben vergaß ich ganz meines Thereschens oder besser gesagt, die Burschenphrenesie bemächtigte sich aller meiner Sinne so sehr, daß ich an sie nicht denken konnte. Freilich fiel sie mir mehrmals ein, allein der stärkere Gedanke, daß ich Bursch wäre und nun als Bursch leben müßte, verscheuchte sogleich das Bild des guten Kindes und jagte mich zum Balzer oder Eberhard Busch.

An einem Sonntag – es war Exaudi 1775 – wollte ich eben mit meinem Freund Diefenbach nach seinem Heimatsort Reiskirchen gehen, als mir der Postbote zwei Briefe übergab: der eine war von meinem Vater, der andere schien mir der Aufschrift nach von meinem Onkel, dem Pfarrer in Oppenheim, zu sein. In meinem Schlafzimmer in Reiskirchen öffnete ich meine Briefe und las den meines Vaters zuerst: er war lateinisch, mit vielen griechischen Versen aus Homer, Theokrit u.a. nach seiner Gewohnheit ausgeschmückt. Nachher öffnete ich den meines Onkels; aber Himmel, wie ward mir, als ich mich getäuscht fand, als ich meines Thereschens Hand erkannte! Sie meldete mir, daß sie sich in Mannheim bei ihrer Frau Base aufhalte, und machte mir über mein Stillschweigen Vorwürfe. Wenn's übrigens nicht gar zu weit wäre, fügte sie hinzu, so würde sie mich bitten, sie in Mannheim zu besuchen.

Dieser Brief, den ich in der schlaflosen Nacht wohl hundertmal durchgelesen hatte, wurde am anderen Morgen von meinen Gastfreunden gefunden und gelesen. Diefenbach neckte mich mit meiner Liebsten und zeigte mir, als ich mich erstaunt stellte und alles ableugnete, ihren Brief. Dann kam seine Schwester, ein liebenswürdiges frisches Landmädchen, in den Garten und fing nun an, mich ebenfalls aufzuziehen; als sie aber sah – und so was sehen die Frauenzimmer eher als der feinste Kritiker einen Schnitzer – daß sie mich tief kränkte, änderte sie ihren Ton und teilte meine Empfindungen. Nichts ist labender für einen Verliebten, als ein schönes Frauenzimmer, das in seine Gefühle einstimmt. Ich schwamm in Seligkeit und geriet über dem Lob meines Mädchens so in Enthusiasmus, daß ich vergaß, daß das Lob des einen Frauenzimmers beinahe allemal die Eitelkeit des anderen beleidigt.

Mamsell Diefenbach bestärkte mich in meinem Vorhaben, nach Mannheim zu reisen, um Theresen zu besuchen. Ich blieb noch einige Tage in Reiskirchen, dann aber konnt' ich's nicht mehr aushalten vor lauter Sturm und Drang, wie Meister Klinger spricht; ich ging nach Gießen, rüstete mich, gab vor, ich wollte meine Bekannten in Weilburg besuchen, und begab mich auf die Wanderschaft der Liebe.

Ich machte in einem Tage die Strecke von Gießen nach Frankfurt, und das zu Fuße. Nun, meine Herren Psychologen, will ich Ihnen was sagen, das Ihnen vielleicht nicht so leicht zu erklären sein möchte als die Ideenformen: Ich war doch voll von Theresens Bild, war ihr von ganzer Seele wieder ergeben; rege Sehnsucht trieb mich zu ihr hin, kein Gedanke stand in mir auf, an dem die Idee meines Mädchens sich nicht sogleich angekettet hätte; und doch besuchte ich den Abend, als ich zu Frankfurt angekommen war, die berüchtigte Madame Agricola. Wie ging das zu?

Den folgenden Tag fuhr ich mit dem Marktschiff nach Mainz, am dritten setzte ich mich in eine Retourchaise, war schon um elf Uhr in Worms und kam des Abends noch vor Dunkel in Mannheim an. Ich logierte im »Goldenen Stern«, wo ich den Wirt kannte, der sich nicht wenig wunderte, mich zu sehen.

Ich ließ mich früh à la mode de Mannheim frisieren, bürstete meinen Rock fein aus und marschierte mit tausend Herzklopfen nach dem Hause, wo Therese sich zum Besuch aufhielt. Sie empfing mich an der Haustür, gab mir einen Wink, machte mir ein gleichgültiges Kompliment auf französisch und sagte sodann: »Je vous donnerai une lettre; ouvrez-la quand vous serez hors d'ici.« Die alte Base empfing mich sehr höflich und lud mich zum Frühstück ein; während des Kaffeetrinkens gab mir Therese den Brief, den ich ihrem Vater überreichen sollte, ich merkte aber wohl, daß er für mich war. Endlich kam ein Schneider, der Theresen Maß nehmen wollte; sie ging mit ihm ins Nebenzimmer, und da nahm mich nun die Base ins Verhör. Ich hatte mir einen falschen Namen beigelegt und mich für den Sohn eines katholischen Oberförsters ausgegeben. Sie erkundigte sich, ob ich auch den jungen Laukhard kenne. Ich bejahte, und nun ging es über den her! Die alte Dame nahm kein Blatt vor den Mund, und ich war froh, als Therese wiederkam und unser Gespräch ein Ende hatte. Zwar hatte ich nun meine Ehrentitel gehört, sah aber doch auch, daß noch Hoffnung für mich übrig war. Ich eilte darauf weg, um zu sehen, was Therese geschrieben hätte.

Ehe ich in mein Quartier kam, begegnete mir ein Bekannter, Herr Emons, und nötigte mich, mit ihm auf ein Kaffeehaus zu gehen. Wir spielten eine Partie Billard: ich entfernte mich aber auf einige Augenblicke, um den Brief meines Mädchens zu lesen. Der war sehr kurz: sie gab mir Stelldichein auf vier Uhr jenseits des Neckars. Das war viel Trost für mich.

Auf dem Kaffeehaus wurde once-et-demi gespielt; ich wollte einige Gulden wagen, die ich entbehren konnte – ich hatte von Gießen über vier Louisdor mitgenommen –, war aber glücklich und gewann dreißig Gulden. Gegen Mittag hörte das Spiel auf. Ich bin niemals ein Freund vom Spiel gewesen, aber wenn ich spielte, hatte ich meistens Glück.

Um vier Uhr war ich schon lange am roten Häuschen jenseits des Neckars: endlich kam Therese und führte mich hinter die Bäume, wo wir ungestört kosen konnten. Das Gespräch bestand aus Vorwürfen, Entschuldigungen, Nachrichten, Beteuerungen ewiger Liebe und dergleichen. Der Leser wird's schon wissen. Zuletzt offenbarte ich Therese das Gespräch ihrer Base. Sie war sehr froh darüber und sagte mir, daß ich am folgenden Tage unter meinem eigenen Namen in ihrer Wohnung erscheinen solle. »Die Base soll doch sehen, daß der Laukhard kein Schuft ist: kommen Sie, wir wollen nach der Stadt gehen.« Ich begleitete mein Mädchen bis an ihre Wohnung.

Ein Hanswurst hatte einige Tage vorher in Mannheim durch seine sieben Künste die Beutel der Müßiggänger, der Domherren und des übrigen heiligen und unheiligen Pöbels in Kontribution gesetzt und hielt sich jetzt in Frankenthal auf, um seine Possen auch da zu benutzen. Eine große Menge Mannheimer – so erbaulich ist auch da der Geschmack! – fuhren, ritten und gingen nach Frankenthal, und auch ich ließ mich von Herrn Emons bereden, ihn in einer Kalesche dahin zu begleiten. Der Hanswurst balancierte auf dem Draht, ließ Marionetten spielen usf., wobei das Zuschauervolk sein Zwerchfell mächtig voltigieren ließ. Wir speisten den Abend im Wirtshaus; aber wie fuhr ich zusammen, als ich den Kupferschmied Keßler von Alzey gewahr ward und er mich gar anredete. Doch fragte er nicht weiter nach. Am anderen Morgen bei der Base wurde das Gespräch sehr ernsthaft, so ernsthaft, daß Thereschen sich wegbegab. Es wurde, damit ich's kurz mache, der Entschluß gefaßt, daß ich zwar für jetzt in Gießen bleiben, aber in den Herbstferien meine Eltern besuchen sollte. Inzwischen würde sich schon ein Mittel zeigen, unseren großen Zweck auszuführen. Das war die ganze Abrede.

Ich blieb noch zwei Tage in Mannheim, sah alle Tage mein liebes Mädchen und reiste dann mit schwerem Herzen wieder ab. Meinen Rückweg nahm ich durch die Bergstraße und kam dann nach einer Abwesenheit von ungefähr zwölf oder dreizehn Tagen in Gießen wieder an. Meine Kameraden ließen sich leicht bereden, daß ich in Weilburg gewesen wäre, und waren fidel, daß sie mich wiedersahen. Ich war ziemlich fleißig, schwänzte nie und ließ es an guter Repetition nur selten fehlen.

Es mochten wohl vier Wochen seit meiner Reise nach Mannheim verflossen sein, als ein Brief von meinem Vater ankam. Das war ein Brief! Schrecklicher als er darin auf mich loszog, kann ein Musketierkapitän nicht auf einen Soldaten losziehen, der die Parade verschlafen hat. Er hatte von dem Alzeyer Keßler meine Donquichotes-Reise erfahren, und die Ursache davon konnte er sich leicht hinzudenken. Er wußte, daß Therese in Mannheim war, und konnte also auch schließen, daß ich sie da gesehen und gesprochen hatte. Er drohte mir, mich von Gießen wegzunehmen und nach Kopenhagen auf die Universität zu schicken; da sollte es mir wohl vergehen, nach Mannheim zu reisen. Er wollte mit aller Gewalt meine unwürdige Liebschaft stören; da müßte doch der Henker dreinsitzen usw. Sofort sollte ich antworten und den Verlauf meiner Reise richtig und ohne Umschweife erzählen: er wisse doch schon alles, und wenn ich nicht aufrichtig wäre, so würde er selbst nach Gießen kommen und mich nach Kopenhagen hinführen – in eigener Person!

Diese Drohung schlug mich gewaltig nieder: denn ich fürchtete nichts so sehr, als nach Dänemark geschickt zu werden. Um also diesem Uebel vorzubeugen, antwortete ich, daß ich zwar in Mannheim gewesen, aber bloß mit einem guten Freunde dahin gereist sei, der im Elsaß zu Hause wäre und in Gießen studiert hätte. Ich leugnete geradezu, Theresen gesehen zu haben; ich müßte ja nicht einmal, daß sie in Mannheim sich aufhielte. Uebrigens räumte ich ein, einen erzdummen Streich gemacht zu haben, versprach aber, mich zu bessern, und bat um Verzeihung. Ich hatte meinen Brief lateinisch geschrieben und brav mit griechischen Stellen ausstaffiert, welches meinem Vater denn dergestalt behagte, daß er mir verzieh und mich nur noch zum Gehorsam anwies.

Nun war ich wieder getröstet! Aber der angelobte Gehorsam blieb aus; ich wechselte von der Zeit an beständig mit Mamsell Theresen Briefe und schrieb auch von Zeit zu Zeit an den Pastor Neuner.


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