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Siebtes Kapitel.

Ein Ausflug nach Jena. – Das Elend in Hessen. – Aufrührerische Regenten und aufrührerische Broschürenschreiber. – Jena. – Ein Abend auf dem Fürstenkeller. – Studentische Gastfreiheit. – Der Ton in Jena und an anderen Hochschulen. – Studentenfreitische. – Wüste Auftritte in Gießen. – Meine Beteiligung an den Händeln. – Der Auszug nach Gleiberg. – Eine neue Hochschule und eine neue Fakultät.– »Professor Zotologiae«.– »Die Generalstallung« und »das wüste Gesicht«. – Studententheater in Gießen.

Lange hatte ich den Wunsch genährt, die ihres Komments wegen hochberühmte Universität zu Jena kennen zu lernen. Diesen Wunsch befriedigte ich im Herbst 1776. Ich machte mich auf, nachdem ich meinen Wechsel schon in der ersten Frankfurter Meßwoche erhalten hatte, und wanderte ganz allein zu Fuße dahin. Meinen Weg nahm ich über Grünberg, Alsfeld, Hersfeld, Eisenach, Gotha, Erfurt und Weimar. Ich wählte mit Fleiß diesen Weg, um einige Städte mit zu besehen, die mir schon aus Beschreibungen bekannt waren.

Auf dieser Fahrt hatte ich nun so recht Gelegenheit, die niedere Klasse der Einwohner dieser Länder kennen zu lernen, eine Klasse, welche ich immer so gern kennen lernte. Im Hessen-Kasselschen hatte ich hierzu vorzüglich Gelegenheit. Ich merkte es gar zu genau, daß ich in ein Land kam, wo ziemlich überspannte Grundsätze herrschten. Die Bauern waren durchaus arme Leute, und eben damals hatte der Landgraf seine Untertanen nach Amerika verhandelt. Da liefen einem die halbnackten Kinder nach und klagten, daß ihre Väter nach Amerika geschickt wären, und daß ihre armen verlassenen Mütter und ihre alten abgelebten Großväter das Land bauen müßten. Das war ein trauriger Anblick. Dergleichen empört tausendmal mehr, als alle sogenannten aufrührerischen Schriften; jenes ergreift und erschüttert das Herz, diese beschäftigen meist bloß den Kopf. Aber von diesen will man nichts wissen, um sein Treiben desto ungestörter fortsetzen zu können – wie wenn es nicht weit aufrührerischer wäre, aufrührerisch zu regieren, als aufrührerisch zu schreiben, zumal da dieses größtenteils eine Folge von jenem ist. Ist das konsequent? Ist es im ganzen klug, den Turmhütern und Nachtwächtern das Lärmmachen über Brand und Einbruch zu verbieten? Heißt das für das öffentliche Wohl besorgt sein? Einsichtige, väterliche Regenten denken hierbei weit vernünftiger; man überdenke die Regierung Friedrichs des Einzigen.

Ich gab soviel von meiner Barschaft her, als ich entbehren konnte. Ich sprach in allen hessischen Schenken ein und hörte da nichts als Klagen und Verwünschungen. Ich stehe dafür, wenn ein Fürst zu Fuße und unbekannt eine Reise durch seine Länder machte, es würde manches geändert werden. Aber so sitzen die guten Herren in Schlössern und in Zirkeln, wo Not und Armut fremde Namen sind, und da lernen sie die Beulen und Wunden nicht kennen, an denen ihre armen Untertanen krank liegen.

Ganz anders sieht es im Gothaischen und Weimarschen aus, ganz besonders aber im Erfurtschen. Zu Erfurt selbst lernte ich einige Studenten kennen, welche aber meinem damaligen Geschmack weit weniger entsprachen als die Marburger.

In Jena kam ich am Abend an und trat im »Halben Mond« ab. Da ich hier gar keine Bursche antraf, ließ ich mich nach dem Abendessen auf den »Fürstenkeller« führen, wovon ich schon vieles gehört hatte. Ich fand da einen ganzen Haufen Studenten, welche mir alle unbekannt waren. Ich forderte Bier und rauchte meine Pfeife an. Ein Student trat zu mir und fragte: »Der Herr ist gewiß Bursch?«

Ich: Natürlich.

Er: Woher? Von Halle?

Ich: Nein, von Gießen.

Er: Das ist brav. Wie ist's denn in Gießen, alles noch flüchtig?

Ich: Oh ja, fidel!

Er: Recht so! Wollen Sie hier bleiben?

Ich: Nein, ich will mich hier nur besehen.

Er: Schön! – Hier können Sie den Komment recht lernen. Sapperment! Sie werden die Reise nicht bereuen!

Ich: Das glaub ich auch; habe immer viel vom jenaischen Komment gehalten.

Er (nimmt seinen Krug): A bonne!

Ich (gleichfalls mit dem Krug): Schmollis! Ich empfehle mich deiner Freundschaft, heiß Laukhard und bin aus der Pfalz.

Er: Gleichfalls: heiße Kröber und bin aus der Pfalz. So macht man die akademische Brüderschaft. L.
Uebrigens war in Jena und einigen benachbarten Hochschulen bis vor 40-45 Jahren ohne weiteres Duzkomment unter allen Studenten. P.
Also Landsleute! Pardieu! das ist ja exzellent! Komm, Bruder, setz dich hier her!

Nun hatte ich schon einen Bruder in Jena, aber noch ehe ich den Fürstenkeller verließ, zählte ich deren über zwanzig. Die Bursche wetteiferten, mir nach ihrer Art Höflichkeiten zu bezeugen.

Man muß es den jenaischen Studenten lassen, daß sie alle sehr freundlich gegen Fremde sind und die Gastfreiheit in einem hohen Grade ausüben. Das findet in Halle und Erlangen wenig und in Göttingen gar nicht statt. In Mainz, Heidelberg, Straßburg, Fulda und Würzburg ist auch nicht ein Schatten von akademischer Gastfreiheit. Die Gießener kommen den Jenensern hierin am nächsten. Vielleicht trägt die Wohlfeilheit des Unterhaltes zu Jena und Gießen viel dazu bei. Doch scheint mir der Hauptgrund in den Gelagen zu liegen, welche auf den gedachten Universitäten mehr oder weniger im Gange sind. Gelage machen herzliche Freundschaften, wenigstens auf einige Zeit, und herzliche Freundschaft erzeugt Gastfreiheit.

Als die jenaischen Studenten hörten, daß ich im »Halben Mond« logierte, untersagten sie mir, länger dort zu bleiben, und einer von ihnen bot sich sogleich an, mich in seiner Wohnung so lange aufzunehmen, als ich in Jena verweilen würde. Ich nahm dies an, und wohnte jetzt in der Leutrastraße bei einem Bäcker, aber so schrecklich hoch, daß mir allemal die Beine weh taten, wenn ich die Treppen steigen mußte.

Der Ton der Jenenser behagte mir sehr; er war bloß durch mehrere Roheit von dem der Gießener unterschieden. Der Jenenser kannte – wenigstens damals – keine Komplimente; feine Sitten hießen Petimäterei, und ein derber Ton gehörte zum rechten Komment. Dabei war der Jenenser nicht beleidigend grob oder impertinent; vielmehr zeigte sich viel Trauliches und Dienstfertiges in seinem Betragen. Ich habe hernach den viel feineren Ton in Göttingen und den superfeinen Leipziger kennen gelernt; da lobe ich mir denn doch meinen jenischen. Vielleicht war mein Geschmack verdorben und zu sehr an gröbere Speisen gewöhnt, aber bei alledem scheint es doch der Sache angemessen zu sein, daß der Student auf der Universität sich, soviel er kann, von allem verzärtelten und verfeinerten Wesen abhalte. Dieses hat sichtbar böse Folgen, wie es bei anderer Gelegenheit erhellen wird, nämlich da, wo ich das glänzende Elend der Studenten zu Leipzig beschreiben werde.

Man hatte mir schon gesagt, daß Schlägereien in Jena häufig vorfielen, und in der Tat fand ich, daß es gar leicht war, in Händel zu geraten. Sie wurden zwar mit dem Degen ausgemacht; da aber immer für gute Sekundanten gesorgt wurde, so waren die Balgereien selten gefährlich. Doch ist noch vor ungefähr zwölf Jahren ein gewisser Baron von Herstall auf der Rasenmühle erstochen worden.

Meine Freunde suchten mir meinen Aufenthalt so angenehm zu machen als sie vermochten. Die Dörfer Ammerbach, Lichtenhain, Löbstädt, Ziegenhain, wie auch die Mühlen, hab' ich in ihrer Gesellschaft fleißig besucht, auch in der Oelmühle bei einer Bataille mit den Knoten derbe Kopfnüsse davongetragen. Auf der Schneidemühle und in Wenigenjena habe ich einige unsaubere Nymphen angetroffen, welche den Beutel, die Gesundheit und die Sitten der Jünglinge so schändlich verwüsten. Damals war eine gewisse Hanne in Wenigenjena, der ein Student die Ehe durch einen schriftlichen Aufsatz versprochen hatte. Seine Kameraden mochten seine Reue darüber wissen, und um ihn zu beruhigen, stürmten sie nach seinem Abzuge das Haus der Dirne und zwangen sie, den Aufsatz heraus zu geben. So war also das Mädchen geprellt!

Des Gießener Universitätskanzlers Koch Hannchen habe ich damals in Jena zwar nicht gesehen, wohl aber viel von ihr gehört; sie fing um diese Zeit schon an, gemeinnützig zu werden.

Den Orden der Amizisten fand ich auch in Jena im besten Flor: er behauptete damals den Vorrang auf der ganzen Universität und bestand vorzüglich aus Mosellanern. Die Ordensbrüder hielten sich aber jetzt stille, weil kurz vor meiner Ankunft eine Untersuchung wider sie ergangen war. Die Mosellaner waren zu der Zeit die angesehensten Bursche, wenigstens die fidelsten, welche das meiste Bier soffen und am wenigsten ins Konvikt gingen. Dieses ist ein herrschaftlicher Freitisch, welchen aber auch solche benutzen, die den Freitisch nicht haben und doch einen wohlfeilen Tisch suchen müssen. Es ist sonderbar, daß der Jenenser die Studenten, welche das Konvikt besuchen, nicht für voll ansieht. Der Student an allen Orten verachtet zwar keinen wegen seiner Armut, aber so recht leiden kann er es doch nicht, daß ein Armer, um wohlfeil durchzukommen, die Mittel benützt, welche auf den Universitäten für Unbemittelte dazu da sind. So gilt einer, der in Jena das Konvikt, in Halle das Waisenhaus, in Heidelberg die Sapienz besucht, schon darum etwas weniger. Lieber verzeiht man's, daß einer Schulden mache und die Philister prelle. Ich glaube, dies rührt von dem Kontrast her, den man nach einem gewissen Würdigungsgefühl der Studenten zwischen einer liberalen Jovialität und der Scheinheiligkeit oder dem sonderbar abgeschmackten Wesen antrifft, dessen sich die Benefiziaten befleißigen müssen, um zu dergleichen, freilich ohnehin sehr kümmerlichen, Anstalten nur Zutritt zu haben. Der größte Teil dieser Dürftigen sind armer Prediger oder Schullehrer Söhne, deren gerader offener Sinn durch den Druck der Dürftigkeit zu Hause verstimmt, oft gar zur Unempfindlichkeit gegen herabwürdigende Behandlung, oder zu allerhand Tücken, Schleichwegen und Niederträchtigkeiten verwöhnt, und deren Ehrgefühl eben darum größtenteils abgestumpft oder gar erstickt ist. Und doch sind gerade diese diejenigen, denen man die Erziehung und Bildung der künftigen Generationen in Kirchen, Schulen und anderwärts anvertraut! Aber unsere Zeiten sind finanziös, und das Wohlfeilste hält man fürs Beste.

Außer der Mosellaner Landsmannschaft spielten die Livländer und Mecklenburger eine ansehnliche Rolle. Die Landeskinder waren, wie überall, wo sehr viel Fremde sind und das Land klein ist, am wenigsten geachtet. Die Nähe oder Aufsicht der Eltern hält sie etwas knapp: sie können also nicht so recht mitmachen, und dadurch sinkt ihr Ansehen. Auch wirkt hier das Vorurteil, nach welcher man von extensiver Größe auf intensive schließt – von Menge auf Wert.

Noch etwas von jenischer Polizei! Es war den Schenken verboten, nach zehn Uhr in der Stadt Bier und dergleichen herzugeben. Wenn nun die Bursche beisammen saßen und nach zehn Uhr bleiben wollten – und das wollten sie immer –, so ließ sich ein jeder so viel Bier geben, als er zu trinken gedachte, zwei, drei oder mehr Stübchen; hernach konnte ihn doch niemand zwingen, eher wegzugehen, als bis er sein Bier ausgeleert hatte; und so saß er dann bis nach Mitternacht. Fürs Hineinkommen in sein Quartier durfte er nicht sorgen, die Häuser standen meistens die ganze Nacht über auf. Die Aufwärterinnen sind eben darum in Jena mehr geplackt, als auf irgend einer anderen Universität. In Göttingen sind sie es am wenigsten. – Ein Maßstab der Kultur im kleinen!

Nachdem ich ungefähr drei Wochen in Jena zugebracht hatte, trat ich den Rückweg an. Zu Weimar sprach ich Wieland, oder vielmehr ich sah ihn nur; denn kaum hatte ich und ein Livländer Platz genommen, als ein Fremder sich anmelden ließ, welcher allein den Diskurs fortführte. Es war einer von denen, die so sehr von sich eingenommen sind, daß sie niemanden als sich selbst gerne reden hören. Ich war aber doch froh, daß ich nun den herrlichen Wieland in Person kannte. – Groß und berühmt zu sein, ist indes doch etwas Lästiges: jeder will davon partizipieren auf diese oder jene Art, und so ist ein solcher Mann selten ganz Herr von sich und den Seinen, am wenigsten von dem ungestörten Gebrauch seiner Zeit. Jeden Eingriff in dieselbe, ohne vollgültigen Ersatz, sollte man aber billig für eine Sünde wider den heiligen Geist halten!

Ich ging nicht wieder über Hersfeld, sondern über Fulda, wo auch ein Stück von Universität ist. Ich fand einige Studenten in einer Schenke vor der Stadt, die man die »Moschee« hieß aber die Leutchen waren zu sehr mit ihrem Kegeln beschäftigt, als daß sie mich hätten unterhalten sollen. Ich schloß, sie müßten wenig Komment verstehen. Wohl ihnen!

 

In den Ferien des Jahres 1777 kam ein gewisser Wittenberg nach Gießen. Er war ein Genie – focht unverbesserlich auf Hieb und Stich, und spielte die Geige und den Baß meisterhaft, war aber dabei der liederlichste Kerl, den man sich vorstellen kann. Durch diesen Menschen, der sich zu den Amizisten gesellte, entstand allerlei Unruhe und mancherlei Schlägerei. Die Amizisten bekamen daher eine Menge Gegner und Feinde, und die Gärung wurde allgemein. Endlich trafen einmal einige vor der Stadt am Wasser zusammen und behandelten sich wie besoffene Bauern; sie schossen sogar auf einander, und ein gewisser Lange aus dem Elsaß wurde durch einen Schuß so gefährlich verwundet, daß man an seinem Leben lange zweifelte. – Er mußte über fünf Monat die Stube hüten. Einer, namens Conradi, hieb einen anderen dergestalt zusammen, daß man mehr als zwölf Wunden vorfand. Dieser Auftritt endigte den Spektakel noch nicht, und so klein die Universität war, fielen doch innerhalb acht Tagen mehr als dreißig Schlägereien vor. Die Antagonisten der Orden wollten die Ordensbrüder herunter haben, und diese suchten ihren Vorzug, den sie sich einmal angemaßt hatten, zu behaupten.

Endlich, nachdem die Händel schon sehr lange gedauert hatten, fing der Prorektor an, zu inquirieren. Einige wurden relegiert, z.B. Wittenberg: andere mußten aufs Karzer, und einen gewissen Breithaupt führte man nach Pirmasens In Pirmasens residierte damals der Landgraf von Darmstadt, Ludwig IX., der große Soldatenspieler, genannt der »Trommler von Pirmasens«. P. ab und steckte ihn daselbst unter die Soldaten. Aber durch diese Prozeduren ward der Raufereien noch kein Ende; täglich hörte man von neuem Skandal und neuen Strafen.

Ich war bei der Sache nicht ruhig geblieben; der Senior meines Ordens war weggejagt, und der Senior von unserer Landsmannschaft war auch bestraft worden.

Ich ermahnte daher die guten Freunde zur Standhaftigkeit und legte selbst Hand an, soviel ich konnte. Der Prorektor schickte mir einmal den Pedell Möser; da er mir aber grob zusprach, warf ich ihn zur Tür hinaus und maulschellierte ihn zur Treppe hinunter. Nun brannte alles gegen mich. Ich wurde abermals zitiert, erschien aber nicht; endlich beschloß man, mich zu relegieren oder vielmehr mir das Consilium abeundi zu geben.

Man hatte damals gewiß Ursache, mich fortzuschicken, das kann ich nicht leugnen. Wohl würde die Relegation mir als Ausländer wenig geschadet haben, ich wünschte aber in Gießen zu bleiben. Als ich nun hörte, daß man mich relegieren wollte und einer meiner Freunde schon wirklich relegiert sei, ging ich zum Rektor und gab gute Worte. Dieser gab mir zu verstehen, daß ich eine kleine Bittschrift an ihn aufsetzen möchte; er würde dieselbe schon empfehlen. Ich tat dieses, und meine Relegation wurde aufgehoben, ich aber doch auf vier Wochen ins Karzer gesetzt. Auf dem Karzer studierte ich fleißig; während ich aber dort saß, entstand ein gefährlicher Aufstand. Der Rektor wollte nämlich die überall schädlichen Geldstrafen einführen, welche mehr eine Strafe für die Eltern, als für ihre studierenden Söhne sind, und die bisher in Gießen unerhört waren. Darüber kam nun alles in Harnisch; die Feindseligen Gesellschaften und Studenteninnungen versöhnten sich miteinander, machten gemeinschaftliche Sache, lärmten, tobten und zogen aus, genau wie im vorigen Jahre.

Sie zogen wieder auf darmstädtische Dörfer, bis sie merkten, daß man Miene machte, sie von da nach einigen Tagen wegzuholen und mit Gewalt nach Gießen zurück zu schleppen. Jetzt begaben sie sich ins Weilburgsche, wo die meisten in Atzbach und Gleiberg den ganzen Sommer über zubrachten. Die Universität sah sehr traurig aus, und mehrere Professoren mußten ihre Vorlesungen aussetzen. In Gleiberg lagen sie in den Scheunen und Bauernstuben auf Stroh und sahen aus wie die Hottentotten. Wie viel Unordnungen und Skandale da vorgegangen sind, kann man denken.

Dem Kanzler und Rektor war es bei der Sache nicht wohl zumute; sie befürchteten, wenn dergleichen Possen vor den Landesherrn kämen, so möchte man sie zur Rede stellen; denn sie waren es doch, die durch eine unzeitige Einführung ganz neuer Strafen die erste Gelegenheit zu den Händeln gegeben hatten. Sie suchten um eine Kommission nach, und der Kurator erschien selbst in Gießen, inquirierte und hob die Geldstrafen auf. Einige schon in die Taschen der Herren gefallene Gelder wurden auch wieder zurück gegeben. Aber damit war der Tumult nicht gestillt und die Universität nicht beruhigt. Die meisten Bursche blieben auf den Dörfern bis zum Herbst, wo sie entweder abgingen oder andere Universitäten bezogen; einige brachten den Winter in Gleiberg zu.

Die Frankfurter Zeitungen meldeten sehr oft Neuigkeiten vom Gießener Kriege, und die Universität geriet dadurch in gewaltigen Mißkredit. Unter anderem las man folgenden Artikel darin:

» Gleiberg, den 4. August. Die Universität ist von Gießen hierher verlegt worden. Wir haben unsern Rektor, Kanzler und Professoren. Zu den vier Fakultäten ist noch eine fünfte hinzugekommen, nämlich die zotologische, worin sich die Lehrer ganz besonders verdient machen. Alle Gemeinschaft mit Gießen ist abgeschnitten; die dasigen Herren mögen den Schülern vom Pihjo Kollegien lesen.« Pihjo – so heißt das Pädagogium in Gießen.

Professor Zotarium, wie Rezensent es genannt hat, oder richtiger: Zotologiae, war – ich! In Gleiberg ließ ich mich nämlich zum Professor dieser edlen Kunst ernennen und las über ein von mir selbst geschriebenes Kompendium, dem ich den Titel: » Elementa Zotologiae sive Aeschrologiae tam theoreticae quam practicae« gegeben hatte und das damals häufig abgeschrieben wurde.

Die Universität suchte auch in Weilburg darum an, daß man die Gießener Studenten von den Dörfern entfernen möge; aber das geschah nicht – vielleicht dachte man in Weilburg: haben die Gießener Herren den Karren in den Kot geschoben, so mögen sie selbst sehen, wie sie ihn wieder herausziehen.

Bei allem diesem Lärmen vergaßen wir indes den Eulerkapper in Gießen nicht: es wurden von Zeit zu Zeit Deputierte nach der Stadt geschickt, die den armen Mann perieren und Pasquille auf ihn anschlagen mußten. Um der Verfolgung zu entgehen, veränderte er seine Wohnung: aber es blieb beim alten.

Nach den Michaelisferien wurde es zwar ruhiger, aber die arme Universität hatte eine ansehnliche Zahl Studenten verloren und mußte obendrein denen, die geblieben waren, nun mehr Freiheit verstatten als vorhin, um sie nicht auch zu verscheuchen. Aus der Bereitwilligkeit dazu haben wir hernach geschlossen, daß die Herren einen derben Verweis aus Pirmasens möchten erhalten haben. Auch der Komment hatte sehr gelitten. Die besten Schläger waren fort, und die wenigen, welche etwa noch geblieben waren, scheuten die Strafen, welche nun freilich nicht mehr in Geld bestanden, aber doch in Relegation und Karzer. Und im Karzer sitzt sich's im Winter nicht gut, besonders in dem zu Gießen nicht, wo der Ofen ganz mörderisch zu rauchen pflegte.

Zu den groben Unanständigkeiten, welche um diese Zeit in Gießen Mode wurden, gehört die Generalstallung und das wüste Gesicht. Jene wurden so veranstaltet, daß zwanzig, dreißig Studenten, nachdem sie in einem Bierhause ihren Bauch weidlich voll Bier geschlagen hatten, sich vor ein vornehmes Haus, worin Frauenzimmer waren, hinstellten und nach ordentlichem Kommando und unter einem Gepfeife, wie's bei Pferden gebräuchlich ist, sich auch viehmäßig, ich meine, ohne alle Rücksicht auf Wohlstand, erleichterten. Das garstige oder wüste Gesicht war eine Larve von scheußlichem Ansehen, welche an einem Bündel zusammengerollter Lappen auf einer hohen Stange befestigt ward. Diese Larve nahm ein Student – ich selbst habe eine dergleichen gehabt –, trat des Abends spät vor ein Haus, wo die Leute, wie's in Gießen sehr gewöhnlich ist, wegen der Feuchtigkeit im zweiten Stock logierten, und klingelte oder klopfte. Kam nun jemand ans Fenster, um zu sehen, wer da wäre, so hielt man ihm das wüste Gesicht vor, worüber dann die guten Leute zu Tode erschraken. Wir gaudierten uns aber baß darüber. Schusterjungen sind heutzutage delikater und gesetzter.

Ich geriet diesen letzten Winter in starke Schulden, ob ich gleich nicht sehr fidel lebte. Es ging aber ganz natürlich zu. Ich hatte in den Herbstferien eine Reise nach Oppenheim gemacht, wo meines Vaters Bruder Prediger war, der mich noch einmal vor seinem Tode zu sehen wünschte. Auf dieser Reise empfing ich mein Geld in Frankfurt und brachte besonders in Mainz, wo ich den Komment einführte, eine ziemliche Summe durch. Dieser letzte Winter in Gießen ging also, wie gesagt, ziemlich ruhig vorüber, das heißt, ich wurde nicht mehr zitiert, schlug mich nicht, kam nicht ins Karzer und betrank mich nur höchst selten. Aber ich spielte Komödie.

Ein Marionettenspieler, Josef Wieland, brachte mich und zwei Freunde auf diesen Gedanken. Aber wo und durch welche Mittel? Das war die Frage. Ich besprach alles mit dem Herrn Professor Schmid. Er erbot sich gleich, die Direktion zu übernehmen, und riet mir, einen Aufsatz zirkulieren zu lassen und Beiträge von Geld bei den Honoratioren einzusammeln. Geraten, getan! Tambour Hofmann und Karzerknecht Cordanus mußten kontrollieren, und in einigen Tagen hatten wir soviel Geld, als nötig war, ein Theater zu bauen und Kulissen nebst anderen Bedürfnissen anzuschaffen. Zum Theater schlug Herr Schmid das theologische Auditorium vor, denn das große juristische war zu Disputationen und Promotionen bestimmt. Ich hielt beim Dekan darum an: aber der alte D. Benner hielt dies für Entheiligung und schlug das Gesuch ab. Also mußte das philosophische Auditorium dazu herhalten. Dieses war seit langer Zeit der Heustall der Pedellen gewesen!! Wir ließen es reinigen und bauten ein Theater für achtzig Gulden. Kulissen, Vorhang, Lichter zur ersten Vorstellung und dergleichen kosteten beinahe ebensoviel. So waren wir denn imstande, unsere Kunst zu zeigen; ich war Rollenmeister.

Das erste Stück, das wir gaben, war: »Trau, schau, wem!« Unsere Aktricen waren anfangs hübsche milchbärtige Studenten, nachher aber spielten auch wirkliche Frauenzimmer mit. So wurde noch die Zeit über, die ich in Gießen war, Lessings »Junger Gelehrter«, »Der Zerstreute« aus dem Komischen Theater der Franzosen, Stephanis »Deserteur aus Kindesliebe«, »Der Bramarbas« von Holberg, »Der Postzug« u.a. aufgeführt. Herr Schmid ließ jedesmal in der »Darmstädter Zeitung« ein großes Wesen von unserer Aktion machen. Anfangs spielte ich selbst mit, z.B. den Grafen von Werlingen in »Trau, schau, wem!« und Magister Stifelius im »Bramarbas«. Aber da ich bald merkte, daß ich zum Theater verdorben war, so gab ich das Mitspielen auf, behielt aber mein Amt als Rollenmeister bis zu meinem Abzug aus Gießen.

Dieses Komödienspielen hat wenig Gutes gestiftet. Unsere Bursche fanden einen so starken Geschmack am Spektakel, daß alles ernsthaftere Studieren darüber vernachlässigt wurde und jeder nur Komödien las. Die mitspielenden Personen konnten vollends gar nicht studieren. Nach meinem Abschied hat der Landgraf die Komödie verbieten lassen: man hatte ihm vorgestellt, daß sie die ganze Universität zerrütten würde. Nichts aber hat durch das Schauspiel mehr gelitten als der Komment und die Orden. Denn die Verbindungen der Spielenden waren nun viel fester, als die der Orden, und über den Komment wurde gelacht. Eulerkapper hatte auch mehr Ruhe. Der Ton war Frivolität.


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