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Sechzehntes Kapitel.

Was die Hallenser sagten. – »Laukhard hin, Laukhard her«. – Mein erster Ausgang als Soldat. – Handgeld. – Mein Wirt Zutzel. – Eine Unteroffiziersseele. – Erstes Exerzieren. – Soldatenfreundschaften. – Soldatenehen. – Nebenverdienst. – Brief von meinem Vater. – Meine erste Revue. – Friedrich der Große.

Man sollte denken, daß ich früh die Sachen anders als den vorigen Abend angesehen und mich derb über meinen unbesonnenen Schritt werde gekränkt haben. Das war aber nicht so; meine Stimmung hatte sich nicht geändert, und als ich erwachte, freute ich mich noch immer über das, was ich getan hatte. Das Grundgefühl von Rache, die Sehnsucht nach Ruhe, nebst der täuschenden Erwartung der Dinge, die jetzt alle kommen würden, unterhielten die Spannung meiner Seele und versetzten mich zu sehr außer mir, als daß ich meinen damaligen Zustand hätte nach der Wahrheit prüfen und wertigen können. Ich sprach mit dem Hauptmann so unbefangen, als wenn ich schon zehn Jahre bei den Soldaten gewesen wäre. Herr von Müffling freute sich über dies mein aufgeräumtes Wesen, und wiederholte mir sein Versprechen, daß ich es gut bei ihm haben sollte.

Ich hatte schon am vorigen Abend auf Begehren des Hauptmanns einen Zettel an den Prorektor geschrieben und ihm berichtet, daß ich aus gewissen Gründen Soldat geworden wäre. Das war nun freilich unnötig, denn der Prorektor hat in solchen Dingen nichts zu verfügen. Der Hauptmann fragte mich, ob ich noch haben wollte, daß er den Zettel an Herrn Schulze abschicken sollte: ich bejahte es. und Zutzel, der Unteroffizier, mußte ihn hintragen. Herr Schulze ließ dem Hauptmann wieder sagen, daß er ihm zu mir gratuliere. Auf meine Frage, was Schulze für eine Miene gemacht habe, antwortete Zutzel, er habe gelacht und seiner Frau die Sache mit Lachen erzählt. Das ärgerte mich. Der Unbefangene findet aber freilich manches nicht so wichtig, als der Befangene – im Taumel. Wohl dem, der hierdurch allmählich ein Körnchen vom Salz der Weisheit einsammelt, um nichts wichtiger zu finden, als es – ist.

Ich wurde noch auf der Hauptwache eingekleidet, und kam zu dem Unteroffizier Zutzel ins Quartier; das war am dritten Weihnachtstage 1783.

Aber nun kam der Lärmen in der ganzen Stadt herum, und alle Straßen, alle Kirchen, alle vornehmen Zirkel und alle Puffkeller ertönten von der einzigen Nachricht:

»Magister Laukhard ist Soldat geworden!«

Man schrieb es gar weit und breit herum. Wer die Hallenser kennt, der weiß, daß das rechtes Wasser auf ihre Mühle war. Also war auch ich damals die Märe des Tages: viele Philister, Menscher und ander Grobzeug kamen vor das Haus, wo ich logierte, mich zu sehen und zu schauen, wie mir die Montur wohl stehen möchte. Ich ging diesen Tag einige Male aus, und jedesmal begleitete mich ein Haufen Jungen, Menscher, Studenten und Philister.

Die Kinder sangen sogar:

Laukhard hin, Laukhard her,
Laukhard ist ein Zottelbär.

Andere: Laukhard hin, Laukhard her,
Laukhard ist kein Magister mehr.

Und das alles sah und hörte Laukhard mit vieler Gleichmütigkeit. Wohl ihm, daß er Fassung und Selbstgewalt genug hatte, als ein isolierter Diogenes bei dem allen kalt zu bleiben!

Gegen Mittag schickte mir Herr Schulze zwei Studenten und ließ mir sagen, wenn ich wieder los sein wollte und Mittel dazu angeben könnte, so wäre er bereit, alles für mich zu tun. Ich schrieb ihm einen lateinischen Brief, dankte ihm und bezeugte, daß das wohl nicht mehr gehen würde; wenn er aber mich befreien könnte, hätte ich nichts dawider. Ich wußte aber schon, daß dieses nicht mehr möglich war.

Meine Bekannten und Freunde unter den Studenten, besonders einige meiner Landsleute, kamen häufig und mit Tränen in den Augen zu mir und baten mich, doch Himmel und Erde für meine Befreiung zu bewegen. Sie liefen mehrmals zum Hauptmann, und als dieser sich nicht so erklärte, wie sie wünschten, bombardierten sie den damaligen General des Regiments, den Fürsten Adolf von Anhalt-Bernburg. Dieser versprach den Studenten, um sich von ihnen loszumachen, daß er mich selbst vernehmen und dann resolvieren wolle, was rechtens wäre. Als ich diese Nachricht hörte, hatte ich genug und erklärte den Studenten, daß alle ihre Mühe verloren wäre; es würde bleiben, wie es wäre.

Nachmittags schrieb mir auch Herr D. Semler einen großen lateinischen Brief, worin das edle Herz des guten Mannes auf eine sehr sichtbare Weise erschien. Ich hätte, schrieb er, dergleichen nicht unternehmen können, wenn ich nicht allen Glauben an die göttliche Vorsehung verloren hätte; dieser Glaube sei das höchste Gut des Menschen; man müsse ihn beibehalten, gesetzt auch, er wäre Vorurteil. Hätte ich mich in meinen üblen Umständen, die ihm nun recht gut bekannt wären, an ihn gewandt, so würde er wohl Wege zu meiner Beruhigung entweder selbst eingeschlagen oder mir doch gewiesen haben. Indessen sei das nun einmal nicht mehr zu ändern: auf ihn sollte ich mich immer verlassen, er würde mir immer Freund und Beistand sein. Am Ende ermahnte er mich, ja fleißig zu studieren, die Studien wären wahrer Balsam für Unglückliche. Semlers Brief rührte mich im Innern meiner Seele: ich kannte den Mann und wußte, daß seine Worte Realitäten bezeichneten.

Den folgenden Tag – es war ein Sonnabend – war ich viel ruhiger: ich konnte über alles gehörig nachdenken, und wenn ich nun so meine vorige Lage mit der gegenwärtigen verglich, fand ich diese eben nicht sehr schlimm. Mein natürlicher Leichtsinn kam mir hier zustatten: ich legte alles auf die leichte Achsel. Es wird schon alles noch gut werden, dacht' ich, und wenn's nicht gut werden will, je nun, am Ende bleibt dir doch das Mittel übrig, welches keinem Menschen entsteht, das Pistol oder der Strick. Auch in dieser Vorstellung lag damals Beruhigung und etwas Angenehmes für mich. Die stoische Philosophie ist wahrlich kein dummes System: und der Mensch, welcher sich mit ihren Grundsätzen vertraut macht, kann unmöglich verzweifeln. Denn was die Moralisten, besonders die Pfaffen, sagen: Selbstmord sei allemal Verzweiflung, ist mit der gnädigen Erlaubnis dieser Herren so wenig wahr, als er allemal Kleinmut oder Verbrechen ist. Doch was hilft hier Disputieren! Wem es wohlgeht, der erschießt oder erhängt sich nicht; und wem es so übel geht, daß er's tut, dem ist's zu verzeihen: er geht mehr mechanisch als moralisch zu Werke. Und darum hob Friedrich der Große die schändlichen Strafen dafür auch auf.

Sonntags früh wurde ich zum Fürsten von Anhalt geführt: er bewies mir in Form Rechtens, daß ich mich wirklich hatte anwerben lassen und folglich Soldat bleiben müsse. Er sprach mir noch allerhand Trost zu, der aber bei mir nicht anschlug: man legte mir ohne weitere Komplimente den Soldateneid vor, und ich schwor ihn. Und so war mein Herr Soldat völlig fertig.

Mein Handgeld wollte mir der Hauptmann zwar übergeben, doch stellte er mir vor, daß ich besser täte, wenn ich's in seinen Händen ließe; ich würde sonst darum geprellt werden. Er hatte recht: auf der Revue 1787 hatte ich noch einen Rest davon. Freilich mußte ich jedesmal, wenn ich etwas haben wollte, mein eigen Geld gleichsam herausbetteln, wenigstens genau angeben, wozu ich es haben wollte: allein da dieses Benehmen des Herrn von Müffling zu meinem Nutzen abzweckte, so hat es mich niemals verdrossen, so empfindlich es mir sonst ist, wenn man mir unrecht tut.

Der Hauptmann wollte mich zu Cheminon ins Quartier legen: allein da Zutzel mir anfänglich nicht übel gefallen hatte und ich bei Cheminon nicht gern sein wollte, weil immer Studenten hinkamen, so bat ich Herrn von Müffling, mich bei Zutzeln zu belassen. In der hallischen Garnison liegen gemeiniglich zwei unverheiratete Soldaten bei einem Verheirateten, der ihnen Holz, Licht und Bette geben muß, dafür aber den königlichen Servis, d. i. die Miete, zieht. Es steht den Verheirateten frei, sich nach Gefallen einzumieten, und da diesen das Wohlfeilste das Beste ist und sie folglich sehr schlechte Wohnungen mieten, so ergibt sich von selbst, daß manche Inkonvenienz bei diesen Quartieren vorfällt. In Magdeburg ist die Einquartierung besser; der ledige Soldat liegt da bloß beim Bürger.

Ich schaffte mir nun alles an, was der Soldat so an Kleinigkeiten haben muß. Bürsten, Haarwachs, Kreide, Ton, Puder und andere Kleinigkeiten, welche zur sogenannten Propretät erfordert werden. Meine Gewehrssachen habe ich immer von andern rein machen lassen, wenn ich nämlich nicht für gut fand, es selbst zu tun.

Mein Wirt, der Unteroffizier Zutzel, war ein äußerst schnurriger Mensch, von hämischem Charakter, der sich so recht freute, wenn er jemandem einen Stein stoßen konnte. Ich muß ihn etwas näher beschreiben, vorher aber anmerken, daß die meisten Unteroffiziere, die ich habe kennen lernen, preußische sowohl als andere, eine große Aehnlichkeit mit den Verschnittenen haben, welche die Weiber im Orient bewachen müssen. Da sie, wie diese, ihren Vorgesetzten auf eine ganz vorzügliche Art, und noch unendlich mehr, als der gemeine Bursche, unterworfen und gehorsam sein müssen, auch sehr oft mißhandelt und belastet werden, so suchen sie ihren Unmut und ihre beleidigte Eigenliebe an den Soldaten auszuüben, wie jene an den Weibern; werden aber auch nicht selten von den pfiffigen Burschen angeführt, wie die schwarzen Kastraten von ihrem intriganten Frauenzimmer. Dies nebenher. Zutzel mit seiner Eheliebsten war sehr fromm, das heißt, er las alle Tage in einer alten dicken Postille und ging alle Sonntage regelmäßig zur Kirche. Vom lieben allmächtigen Gott wußte Zutzel sehr viel zu reden, wie auch vom frommen Könige und Propheten David, vom lieben Gebet und andern dergleichen Dingen. Bei jeder Gelegenheit kam so was Gesalbtes vor, aber man denke ja nicht, daß dieser Mensch nicht auch geflucht habe. Es gibt wohl keinen Bootsknecht bei der ostindischen Kompanie, der besser fluchen und schwüren konnte, als Freund Zutzel; Beten und Fluchen war bei ihm in einem Odem. Bei diesen Tugenden besaß er, wie manche seinesgleichen, eine große Fertigkeit im Branntweinsaufen, den er sich jedesmal selbst holte und mit seiner Eheliebsten – welche ein ganzes Nößel doch immer noch ein Tröpfchen nannte – in bona pace verzehrte. Nichts war possierlicher anzusehen, als wenn Freund Zutzel da saß mit dem Seitengewehr und einen blauen Mantel um hatte, eine schwarze Pudelmütze auf dem Kopf, die Brille auf der Nase, die Schnapspulle vor sich, und so Strümpfe stopfte oder strickte, welches beides er aus dem Fundament verstand.

Die Madame Zutzel war ordentlich gemacht, einen Mann unter die Erde zu bringen, wenn er weniger unempfindlich gewesen wäre, als der ihrige. Einer war ihr schon davon gelaufen: darauf war sie geschieden worden, und so hatte sie Freund Zutzel genommen. Den ganzen langen Tag nörgelte sie, besonders wenn sie besoffen war, zankte mit ihrem Mann und ihren Soldaten, und wenn sie nichts zu zanken hatte, so schlug sie ihren Hund Perl oder ihre Katze Minette. In diesem Quartier lag ich nun!

Ich fing gleich, wie es sich von selbst versteht, an zu exerzieren, und zwar in Zutzels Stube. Freilich lernte ich nicht schnell: teils war ich des Dinges nicht gewohnt, teils dachte ich, Zeit genug zu haben, diese große Kunst zu erlernen, welche hauptsächlich in der gleichmäßigen Fertigkeit und Akkuratesse besteht und vom dümmsten Bauernjungen begriffen wird. Daß ich nun nicht flugs lernte, ärgerte meinen Zutzel, und er klagte mich beim Hauptmann als einen Menschen an, der viel zu dumm und zu tückisch zum Exerzieren sei. Herr von Müffling verschwieg mir das nicht, und ich konnte mich nicht besser rechtfertigen, als wenn ich fleißiger und aufmerksamer ward. Das wurde ich, und Zutzels Klagen von dieser Seite fielen weg.

Freund Zutzel war gewohnt, mit den Rekruten, die er übte, umsonst zu frühstücken. Einige Zeit über ließ ich mir das gefallen: allein da er gar anfing, zu fordern, wies ich ihn ab und trank meinen Schnaps für mich allein. Das verdroß ihn häßlich. Da er nun sah, daß ich oft mit anderen Kameraden zur Frau Buchin oder auf die Bäckerherberge ging, so beschrieb er mich dem Hauptmann als einen Trunkenbold, der täglich in den Kneipen säße, sich voll söffe und sich von anderen prellen ließe. Der Hauptmann ließ dieses Vorgeben durch den Feldwebel untersuchen, und, da er keine Exzesse fand, schwieg er.

Mit meinen Kameraden lebte ich in gutem Vernehmen, und gleich wie ich ehedem mir den Burschenkomment bald eigen machte, so lernte ich auch in kurzer Zeit jetzt den Soldatenkomment, der aber freilich, weil manches dahin Gehörige versteckt ausgeführt werden muß, weit schwerer in seiner Theorie und Praxis ist, als der der Burschen.

Meine Leser kennen mich schon so viel, daß sie mir ohne Mühe glauben werden, wenn ich ihnen sage, daß ich die Soldatenkneipen fleißig besucht habe, namentlich die »Preußische Krone«, die »Kutsche«, die Frau Buchin – ja auch manches Mal die »Knochenkammer« und Meister Philipp Schauffert. Wo soll der Soldat auch sonst hingehen?

Daß mir diese Gesellschaften baß behagten, ist keinem Zweifel unterworfen. Sie hatten die meiste Aehnlichkeit mit dem Gießener Burschenkomment, an den ich einmal gewöhnt gewesen war. Zudem hatten meine Kameraden von der ganzen Garnison alle mich gern um sich und begegneten mir mit einer gewissen Distinktion. Wer ist aber nicht gerne bei seinesgleichen, wenn er mit einiger Auszeichnung behandelt wird! Jeder Soldat, den ich »du« hieß, rechnete es sich zur Ehre, der Duzbruder eines gewesenen Magisters zu sein. Außerdem ist auch die Lebensart unserer Soldaten bei weitem so rüde und roh nicht, als sich mancher wohl vorstellt, der sie weniger genau kennt. Freilich werden die Soldatengesellschaften ekelhaft und fatal, wenn die »Exerzierzeit« Diese Exerzierzeit dauerte jährlich nur etwa zwei Monate. L. ist und die Landbeurlaubten sich in der Garnison einfinden. Diese sind meistens Bauern, Bergleute oder Tagelöhner, und haben neben ihrer angeerbten Grobheit und Ungeschliffenheit auch noch einen hohen Grad von dummem Stolz und Impertinenz, wodurch ihr Umgang höchst abgeschmackt ausfällt.

In Rücksicht der Liebschaften ahmen unsere Soldaten den jenischen Studenten nach: denn gleich wie diese alle ihre Scharmanten haben, so haben unsere Leute, die Ledigen, auch fast alle ihre Liebchen. Was das aber auch immer für welche sind, läßt sich leicht denken. Herr von Müffling moralisierte einst über diese Kreaturen und schloß seine Rede mit folgendem Urteil, welches sich durchaus auf Erfahrung gründet und sehr wahr ist:

So geht's aber, wenn die Beester das halbe Land ausgehurt haben, dünken sie sich doch noch für einen Soldaten gut genug und mehr als zu gut zu sein. Einen Achtgroschenmann, denken sie, kriegen wir noch immer.« Wenn ein Soldat heiratete und sich also eigenen Haushalt einrichtete, bekam er keine Naturalien, sondern täglich 8 g. Gr. Geld; daher der Name »Achtgroschenmann«. Eine ähnliche Bezeichnung hat sich noch jetzt in Berlin erhalten: Die Kriminalpolizei bezahlt für Auskünfte über gesuchte Verbrecher, Denunziationen u. dgl. jedesmal eine Reichsmark (nach altem Berliner Sprachgebrauch »acht Jute«). Die Ueberbringer solcher Nachrichten, meistens Zuhälter und ähnliches Gesindel, heißen in ihren Kreisen daher »Achtgroschenjungen«. P.

Die Mädchen, welche von den Soldaten karessiert werden, sind größtenteils aus der niedrigsten Klasse und von der schlechtesten Lebensführung – Soldatentöchter gemeiniglich, die da denken, sie müßten in der Freundschaft bleiben. Ihre Liebschaften spinnen sie meistens auf der Straße oder in den Kneipen an. In den Soldatenkneipen nämlich wird fast täglich musiziert, freilich höchst elend, aber es kann doch danach getanzt werden, oder mit anderen Worten, man kann doch nach dem Takt Bocksprünge machen, und das ist für den Geschmack der besagten Nymphen genug. Was für Folgen von daher auf die Gesundheit der Soldaten entstehen, kann man daraus abnehmen, daß die Herren Feldscherer zuweilen eine gewisse Besichtigung vornehmen müssen, die von den Soldaten Schw–visitation genannt wird.

Dennoch ist der Soldat oft froh, wenn er mit so einer Kreatur zusammen kommen kann: sie sorgt nicht nur für seine tierischen Bedürfnisse, sondern nährt ihn oft noch obendrein; denn der Soldat läßt sich für seine Aufwartung belohnen, und das Mädchen muß losziehen, wenn es will, daß ihr Galan Stich halte. Daher kommt es auch, daß viele Menschen ihre Kleider im Fall der Not versaufen oder versetzen und ihren Burschen, oft auch einem Herrn Offizier, aushelfen; besonders ist das bei alten verschabten, abgenutzten Dirnen der Fall. Reich fließt diesen freilich ihr Verdienst nicht zu: vor acht Jahren hörte ich gar einen Professor seinem Bedienten auftragen, daß er ihm ein Mädchen schaffen solle; aber ja nicht höher als 18 Pfennig. – Für dieses aes parvum, das der geizige Mann jedoch öfters ausgab, hat er endlich seine Gesundheit ruiniert, sich überall Körbe zubereitet u. dgl. Aber so geht's!

Aber was wird denn nun endlich aus dergleichen Kommers der Soldaten und ihrer Liebchen? Je nun, wie's kömmt! Sehr oft werden die Leutchen getraut und leben hernach, so gut sie können, wie Mann und Frau. Daß die meisten dieser Ehen sehr unglücklich, größtenteils kinderlos und selbst dann, wenn Kinder daher kommen, für den Staat wegen der notwendig schlechten Kinderzucht von gar geringem Nutzen sind, läßt sich ohne große Untersuchung abnehmen. Der Soldat, welcher so heiratet, tut doch für sich eben nicht unrecht. Soll er denn ewig im Quartier bei anderen liegen, wo er gleichsam wie im Gefängnis sitzen muß? Lieber nimmt er sich eine Frau, wie er sie kriegen kann, und dann ist er doch gewissermaßen sein eigener Herr; auch gibt es ja einige, obgleich seltenere Ausnahmen, und es gerät wohl einer an ein ehrliches Mädchen.

In solchen Kommerschen, wo getanzt und lustig gelebt wurde, befand ich mich öfters und war allemal froh, wenn ich mich da mit einigen unterhalten konnte, die nach meinem Geschmack waren. Man kann wirklich mehr nach Geschmack seine Kameraden bei den Soldaten wählen, als bei den Studenten; wer mir dort nicht gefällt, den lasse ich gehen, aber bei den Studenten geht dies gewisser Verhältnisse wegen nicht allemal an, vorzüglich, wenn man mit Landsleuten oder Ordensbrüdern umgeben ist. Ich hatte besonders mit einigen Franzosen, die ihre Sprache gut redeten, Umgang, und da ich seit sehr langer Zeit nicht mehr französisch zu sprechen Gelegenheit gehabt hatte, so war es mir lieb, mir bei ihnen die verlorene Fertigkeit im Reden wieder zu verschaffen.

Daß ich auch bei den Soldaten ein Fuchs war und als Fuchs geprellt worden bin, läßt sich leicht abnehmen. Oft mußte ich für meine Mitkonsorten die Zeche bezahlen, bald ihnen Geld borgen, das ich niemals wieder bekam, bald mich sonst anführen lassen. Allein das ist einmal nicht anders; Füchse müssen geprellt sein, und unter dem Militär gibt es ebenso Pfiffige, ja noch viel Pfiffigere, als unter den Studenten.

Das deutsche Sprichwort »Jung gewöhnt, alt getan« ist sehr gegründet. Ich war von Jugend auf ans Trinken gewöhnt und hatte hernach diese schöne Gewohnheit so fortgesetzt, daß ich zwar dann und wann einige Pausen, selbst recht lange Pausen, machte, aber doch immer wieder zur alten Unart zurückkehrte. Als ich Soldat ward, faßte ich den festen Vorsatz, nur nach Notdurft zu trinken und dem Saufen gänzlich zu entsagen. Ich blieb diesem Vorsatz auch eine Zeitlang getreu, und konnte wenigstens schon Monate zählen, daß ich nicht betrunken war. Allein was nutzen alle guten Vorsätze, wenn die Neigung aus Gewohnheit uns schon verdorben und verhunzt hat!

Ich ging, wenn mich einer aufforderte, schließlich doch mit; denn wohin folgte ich nicht gern, wenn mich ein Trinkbruder einlud? Und Ehrgefühl, – du lieber Gott! Gießen und Ehrgefühl, – überhaupt Universität und Delikatesse! So kam ich denn wieder in berüchtigte Kneipen, z. B. in die »Halle«, wo damals ein scheußlicher, jetzt ausgestorbener Puff war, und in andere Oerter der schmutzigen Freude, wie »Brunos Warte«, in Halle die »Braune Schwarte« genannt. Ich blieb dabei über Urlaub aus, bekam auch Händel, und wurde mehrere Male mit Arrest bestraft, einmal sogar zwölf Stunden lang krumm geschlossen.

Trotzdem war und blieb mein Hauptmann, Herr von Müffling, gut zu mir: er vertraute mir, bald nach meiner Aufnahme bei seiner Kompanie, den Unterricht seines ältesten Sohnes in der französischen Sprache an. Er wußte, daß ich schon damals auf wohlfeilerem Fuß als die gewöhnlichen Sprachmeister unterrichtete, und gab mir doch, so sehr ich auch widersprach, ebensoviel, als einem ordentlichen privilegierten Universitätssprachmeister und Lektor gegeben wird. Die Frau von Müffling, eine Dame, die alle Ehrfurcht verdient und die die Menschenliebe und Leutseligkeit selbst ist, behandelte mich besonders gütig. Sehr ungerecht würde ich sein, wenn ich überhaupt es nicht öffentlich rühmen wollte, daß auch die übrigen Häupter der Kompanie mich jederzeit gut und gewissermaßen mit Distinktion behandelt haben. Freilich mußte ich die Exerzitien lernen: allein da dies auf sehr verschiedene Art geschehen kann, so war es ein Glück für mich, daß man viel Geduld mit mir hatte. Damals lebte der große König noch, und der Grundsatz, daß derbe Hiebe gute Exerziermeister wären, war ein Lieblingsgrundsatz des damaligen Inspektors der Magdeburger Brigade, des Generalleutnants von Saldern, bei dessen Namen unsere alten Krieger noch zittern. Aber dieser Grundsatz wurde bei mir nicht angewandt, und kein Offizier hat mir jemals Hiebe angeboten, viel weniger gegeben oder geben lassen. Das verdient meinen Dank!

Mein Vater lag mir, wie billig, gleich vom Anfang meiner neuen Lebensart, stark im Sinne. Was wird der ehrliche Alte empfinden und sagen, wenn er erfährt, daß nun alles an dir auf einmal, ohne alle Hoffnung, verloren ist? Dieser Gedanke fuhr mir immer durch Kopf und Herz und vergällte mir jeden Augenblick. Um dieser Qual los zu werden, bat ich den D. Semler schriftlich – denn persönlich wollte ich den ehrwürdigen Mann in meiner Soldatenuniform nicht angehen –, er möchte suchen, meinem Vater meinen Schritt zum Soldatenstande auf die glimpflichste Art beizubringen. Der gute Mann antwortete mir, das sei schon geschehen: er hoffe, mein Vater würde mich mehr bedauern, als über mich zürnen. Der Hauptmann hatte auch schon geschrieben, allein lange erschien keine Antwort. Endlich kam ein Brief an Herrn von Müffling in sehr gemäßigtem und gesetztem Ton: Er kenne, schrieb er, das menschliche Herz, und mein Schritt käme ihm, da er meine Sitten, meine Denkungsart und meinen Leichtsinn auch kenne, gar nicht fremd vor. Er vergäbe mir von Herzen meine Verirrungen, sogar den letzten desperaten Schritt, so sehr er ihn sonst schmerzte. »Ich wünschte,« fuhr er fort, »einen recht langen Brief von meinem Sohn zu lesen, und bitte Ew. Hochwohlgeboren, ihn denselben in Ihrer Gegenwart oder in Gegenwart eines anderen braven Mannes schreiben zu lassen, damit er gerade so schreibe, wie es ihm ums Herz ist, ohne lange herumsinnen und künsteln zu können: ich möchte gern aus dem Briefe sehen, wie er jetzt wohl denkt.« – Ich schrieb diesem gemäß in der Stube des Herrn von Müffling an meinen Vater, und dieser Brief besänftigte ihn so, daß alle seine folgenden Briefe an mich, an den Hauptmann und an den D. Semler auch nicht die geringste Spur von Vorwürfen oder Unwillen enthielten.

Meinem Bruder schrieb ich auch, jedoch in galligbitterem Ton: er antwortete mir nicht.

Die erste Exerzierzeit Die Exerzierzeit ist die Zeit, wo das vollständige Regiment wöchentlich fünfmal auf dem Felde exerziert wird. Unter Friedrichs II. Regierung dauerte sie gewöhnlich zwei Monate; König Friedrich Wilhelm II. hat sie abgekürzt. L. ist mir, wie jedem Soldaten, beschwerlich gefallen: allein ich überstand sie, und die folgenden Exerzierzeiten sind mir immer leichter geworden. Es fiel mir oft der Gedanke dabei ein, ob die Verdammten in der Hölle, welche doch nach der erbaulichen Lehre der orthodoxen Buchstabenkirche ewig gepeinigt werden sollen, nicht allen Sinn für Qual und Not und Angst verlieren und alle Feuer- und Schwefelpfühle, alle Haken des Satans und dergleichen nicht für Kleinigkeiten halten werden? Die Gewohnheit vermag doch gewaltig viel.

Im Mai 1784 machte ich meine erste Revue bei Magdeburg und sah da den großen König zum erstenmal. Sein Anblick erschütterte mich durch und durch: ich hatte nur Auge und Sinn bloß für Ihn! Auf Ihn war ich und alles konzentriert! viele tausend Persönlichkeiten in eine einzige umgeschmolzen! Ein Heer, eine Handlung! – Mit seinen Taten war ich schon bekannt durch Bücher und Erzählungen. Es ist wahrlich etwas Göttliches, einen so großen Mann zu sehen. Der Gedanke, daß man zu Ihm mit gehöre, erhebt zum Olymp hinauf!


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