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Dreizehntes Kapitel

Kleine Reiseerlebnisse. – Ankunft in Halle. – D. Semler. – Ich werde Lehrer am Waisenhaus. – Die hallischen Studenten. – Burschensprache. – Das Singen bei der Prorektorwahl. – Die Bierdörfer. – Lauchstädt. – Meßfahrten nach Leipzig. – Die Philister in den Universitätsstädten. – Das hallische Bier. – Sittlichkeitsverhältnisse. – Die Heiligkeit der hallischen Studenten. – Die Leipziger Studenten, – Der feine Ton. – Der bildende Umgang mit dem Frauenzimmer. – Gespräch auf einer Studentenstube.

Mein Vater begleitete mich bis Frankfurt und sprach unterwegs ziemlich ernsthaft, ob er gleich, wie er hinzufügte, seinen Worten und Vermahnungen wenig Wirkung zutraute, wenn ich nämlich nicht selbst klug würde, wozu ich doch wohl Erfahrung genug haben möchte. Würde ich aber wirklich mich bessern, so würde er mir den Vater so zeigen, wie ich es nur selbst wünschen und hoffen könnte. In Frankfurt gab er mir vierzehn Karolins nebst fünf Dukaten Reisegeld und bezahlte im »Darmstädter Hof« die Post bis Frankfurt.

Ich hatte außer meinen Kleidern und Wäsche nichts mitgenommen, als die »Idyllen« des Theokrit und den Horaz. Diese beiden lieblichen Dichter sollten mich unterhalten, wenn ich in Gasthöfen auf den Fortgang der Post würde warten müssen. In Friedberg war dies schon der Fall. Während ich aber las, forderte mich ein Tabulettkrämer zum Lottowurf gegen drei Batzen Einsatz auf und ließ nicht eher nach, als bis ich sie endlich, wiewohl ungern, hinwarf, und auf den ersten Wurf die schönste schildkröterne Tabaksdose, die der Kerl in seinem Kram hatte, gewann. Er erboste und bot mir gleich vier, hernach sechs Gulden, nebst noch vier freien Würfen. Ich erklärte ihm aber gerade heraus, daß ich die Dose auf jeden Fall behalten würde, doch wollte ich noch einige Male werfen. Ich fuhr fort und gewann immer. Der Kerl stutzte und gab vor, daß ihm seine Würfel untreu geworden wären. Er langte andere hervor; der Postsekretär winkte mir, ich verstand ihn und hörte nun auf. Nach einiger Zeit kamen andere Fremde, warfen und verloren ansehnliche Summen. Ich habe mich oft gewundert, daß man dergleichen Spitzbuben – denn weiter sind sie nichts! – noch duldet und ihnen sogar von Obrigkeits wegen erlaubt, herumzuziehen und gewinnsüchtige dumme Leute um ihr Geld zu bringen. Alle Glücksbuden dieser Art sollten durchaus nicht gestattet werden. Was nützt es wohl, für die Erlaubnis, die solchen Schuften erteilt wird, einige Taler einzunehmen, und die Untertanen, zu denen die dummen Leute ebensowohl gehören als die klugen, ruinieren zu lassen?

Auf der Post riet mir jemand, vier Groschen zu geben, damit mein Koffer nicht visitiert und mir nicht alles durcheinander geschmissen würde. Das sollte so die Mode der meisten Visitatoren sein: wer ihnen blecht, sagte man, der wird nicht visitiert, gesetzt auch, er habe noch so viel Konterbande bei sich; wer ihnen aber nicht blecht und sich auf seine gerechte Sache verläßt, der muß nicht nur lange warten und allerlei Impertinenzien einstecken, sondern seine Sachen auch herumhudeln lassen, als wenn's gestohlenes Gut wäre.

 

Am andern Tag begab ich mich zu Herrn D. Semler. Gustav Freytag teilt in seinen »Bildern aus der deutschen Vergangenheit« einiges über diesen »Vater der modernen Theologie« mit und gibt auch einen menschlich interessanten Abschnitt aus dessen Selbstbiographie. D. Johann Salomo Semlers Lebensbeschreibung, von ihm selbst abgefaßt, 2 Teile, erschien im Jahre 1781. P. Ich hatte mir schon längst eine große Idee von diesem wichtigen Mann gemacht, und diese Idee wurde immer größer, je genauer ich ihn kennen lernte: und ich kann mich wohl rühmen, den Mann genau gekannt zu haben. Er empfing mich nach seiner Art, d.h. beim ersten Anblick kalt und befremdet: kaum hatte er aber meinen Namen gehört, so rief er:

»Aha, nun weiß ich's. Sie sind der Sohn des guten Laukhard, den ich vor langer Zeit recht gut gekannt habe. Was macht denn Ihr Vater?«

Ich gab alle Auskunft, und Semler freute sich, daß »der alte Metaphysikus« noch recht gesund wäre.

»Er hatte seine Wolffsche Metaphysik, das war sein Steckenpferd. Gebe Gott, daß es ihm gelungen ist, die einzige Wahrheit zu finden: daß alles, was uns bessert und beruhigt, für uns nützlich und folglich wahr ist. Aber wenn ich nach Briefen schließen soll, die er mir zuweilen schrieb, so muß ich denken, er hat fortgegrübelt und sich ein System erbaut, das nicht fern ist vom kalten Spinozismus, der das Herz so leer läßt und schwache Seelen leicht zu Misanthropen machen kann. Ich vermute aber, daß das letztere bei Ihrem alten Vater der Fall nicht ist: er war dazu immer zu human und zu liberal.«

Ich fand dieses Urteil über meinen Vater sehr gegründet und mußte ihm Beifall geben. Semler sprach endlich lateinisch mit mir, um, wie er sagte, zu sehen, ob ich fleißig in dieser Sprache gelesen hätte. Er war mit mir zufrieden.

Dann erkundigte er sich nach meiner Barschaft und riet mir, nachdem ich ihm eine genaue Berechnung meines Geldes abgelegt hatte, zur Sparsamkeit, einer Tugend, die niemals die meine war: denn dazu war ich schon in der früheren Jugend verdorben worden.

Ich stellte mich nun auch auf dem Waisenhause und bei einigen Professoren vor, und richtete mich in Halle ein. Meine Lebensart war um diese Zeit sehr ordentlich: ich hörte mehrere Kollegia und gab auf der Schule des Waisenhauses lateinischen, griechischen und hebräischen Unterricht zur Zufriedenheit. Ich fand gar bald die seligen Folgen eines ordentlichen Lebens: mein Körper war gesund und munter, und meine Seele erhielt eine Heiterkeit, welche von burschikoser Lustigkeit weit entfernt war. Fast täglich, wenigstens viermal die Woche, besuchte ich den trefflichen Semler und begleitete ihn zuweilen auf seinen Spaziergängen, die er alle Tage anstellte.

Die Herren Gießener, Jenaer, Göttinger, Heidelberger, Straßburger und andere, deren Komment ich in meiner Biographie bisher beschrieben habe, möchten böse werden, wenn ich ganz von dem Wesen der Hallenser schwiege, und dazu hätten sie auch recht.

Die Sprache der hallischen Studenten war damals viel rüder, als sie jetzt ist. Die Studenten haben bekanntlich überhaupt ihre ganz eigene Sprache, die man außerhalb der Burschenwelt nicht wohl versteht. Sie ist ein Aggregat von den schnurrigsten Ausdrücken dieser oder jener Provinz, Stadt, Schule, Universität und oft eines einzelnen lustigen Kopfs. Je fideler aber der Komment irgendwo ist, desto reicher ist die Burschensprache, und umgekehrt. In Jena könnte ein großes Wörterbuch mit diesem Dialekt angefüllt werden. Den hallischen hat der bekannte Magister Kindleben in ein Lexikon gefaßt und bei Hendeln herausgegeben. Wer hört aber dergleichen heutzutage noch! Alles ist jetzt edler. Die Waisenhäuser haben indes noch eine ganz besondere Mundart. So heißt z. B. »Schießen« in der gemeinen Burschensprache soviel als »heimlich entwenden«, bei den Herren Waisenhäusern aber »aufpassen«. Daher »Schießhund« ein Aufpasser. Ich habe es mir ehedem sehr angelegen sein lassen, die Burschensprache in ihrer ganzen Ausdehnung zu erlernen, und daher kommt es, daß ich jetzt bei jeder Gelegenheit dergleichen unwillkürlich anbringe. Die Leser mögen mir das verzeihen und derlei Kleinigkeiten nicht als große Sünden anrechnen.

Einen Gebrauch habe ich bei den hallischen Studenten – denn hier heißen sie nicht Bursche – bemerkt, den ich noch nirgends gefunden hatte. Das war das Singen bei der Prorektorwahl. Diese wird in Halle auf den 12. Julius, als den Stiftungstag der Universität, bekannt gemacht. An diesem Tage zogen die Studenten sonst scharenweise, zu sechs, acht und mehr Hunderten durch alle Straßen und gröhlten Burschenlieder, auch die allerschändlichsten. Das Wesen ging schon gegen fünf Uhr an und dauerte bis in die späte Nacht. Keine Straße wurde vergessen; die Herren durchbrüllten auch die Winkel der Stadt. Man denke, welches Fest das für den Pöbel, oder wie's in Halle heißt, für das grobe Zeug gewesen sei, und wie sich der Janhagel müsse gefreut und angeschlossen haben.

Daß bei dieser schönen Expedition manche Exzesse vorfielen, ohne gerade allemal von Studenten herzurühren, läßt sich vermuten. So sehr aber dieses spektakulöse Singen ehedem allgemein beliebt war, so allgemein verhaßt und verächtlich ist es nach und nach geworden. Der edlere Teil der Studenten fand es unter seiner Würde, bacchantenmäßig auf der Straße herumzugröhlen und sich zum skurrilischen Pöbelsänger herabzusetzen, und unterließ es. Der kleine obskure Teil, der sein Gassensingen recht behaupten zu müssen wähnte, ward des Schreiens endlich auch müde, und so kam es dahin, daß im Jahr 1789, als Herr Semler Prorektor ward, die Kinderei aufhörte und seitdem nicht wieder gehört worden ist. Das Besuchen der Dörfer ist in Halle ebensosehr Mode, als immer in Gießen und Jena. Der Student liebt überall Natur und Zerstreuung. Auf den Dörfern um Halle findet sich freilich eben nichts Besonderes, nicht einmal eine gute Kegelbahn. Aber der hallische Student muß einmal Dörfer besuchen, und wenns auch nur wäre, ungekünstelte Gesichter zu begaffen, Merseburger Bier zu trinken, mit dieser oder jener Schneiderstochter, Stiefelwichserin oder Perückenmacherdirne zu tanzen, oder des Sommers irgend einer Kornnymphe nachzuwittern.

Da die von den Hallensern besuchten Dörfer meist sächsische sind, so wird viel Geld außer Landes geschleppt. Schlettau, Passendorf und Reideburg sind daher wahre Blutigel für die Beutel der Studenten. Auch Lauchstädt ist des Sommers ein wahres Verderben für die hallische Universität, ja selbst für die Bürgerschaft. Die Tugenden des Bades und der gewöhnlichen Badegäste sind sehr zweifelhaft; dies kümmert aber den Studenten nicht. Genug, wenn er nur seine Tour nach Lauchstädt machen kann. Und warum denn wohl? Welches Vergnügen kann der Herr Student in Lauchstädt erwarten? Die Gesellschaften der Badegäste stehen ihm nicht offen; keine Dame, kein Herr von Stande würdigt ihn eines Anblicks, er sei denn von Adel, und zwar von bekanntem Adel. Der Ton ist die Badezeit über so steif, als er es nur da sein kann, wo Stiftsadel den Ton angibt. Was sucht er also da? Er, der sonst Ehrgefühl zu haben prätendiert? Je nun, er geht dahin, weil's zum hallischen Komment gehört. Da sitzen sie beisammen, die Herren, gehen herum, vigilieren und machen sich selbst Gesellschaft, spielen miteinander, besuchen die Komödie und helfen das Geld unter die Leute bringen. Viele ruinieren gleich den ersten Sommer ihre Kasse durch das Rennen nach Lauchstädt dergestalt, daß sie die Zeit ihres Studierens über nicht wieder zu Kräften kommen können und immer große Schulden haben.

Durch nichts aber setzen sich die Hallenser mehr zurück, als durch ihre ewigen Touren auf Leipzig zur Meßzeit. Es ist nichts Seltenes, daß einige ihren ganzen Wechsel da sitzen lassen. Und unter diesen lustigen Brüdern gibt's leider manchen armen Schlucker, dessen Eltern es blutsauer wird, ihn nur halbwegs zu unterhalten, oder die sich seinetwegen in Schulden stecken oder gar kümmerlich zu Hause behelfen müssen. Aber wer denkt an diesen Hochverrat der kindlichen Liebe eher, als bis alles verjubelt, nichts gelernt, und oft Ehre und Gesundheit zum größten Kummer der Eltern zugrunde gerichtet ist!

Die Bürger in Halle machen's den Studenten treulich nach, und laufen ebenso wie diese auf die Dörfer, nach Lauchstädt und Leipzig, auch um sich zu verlustieren und ihr Geld an den Mann zu bringen. Ueberhaupt wird man finden, daß da, wo Universitäten sind, die Bürger größtenteils studentenmäßig leben und den Ton derselben nachäffen. Man gehe z.B. nach Berlin Wo damals keine Universität war. P. oder nach Frankfurt am Main, auch nur nach Mainz oder Straßburg, als wo die Universität von gar keiner Bedeutung ist und daher keinen Einfluß auf den allgemeinen Ton hat – und sehe, ob da die Bürger in den Wein-, Bier- und Schnapshäusern ihre Zeit verschleudern. Da findet man arbeitsame, haushälterische Leute; hingegen in Jena, Gießen, Halle und an anderen Orten, wo Burschenkomment herrschender Ton geworden ist, sieht es anders aus. In Halle zum Exempel sind alle Kneipen täglich voll; man gehe, zu welcher Stunde man will, auf den Ratskeller, in die Bierhäuser und Branntweinschenken, und man wird nicht eine finden, wo nicht mehrere Schneider, Schuster, Perückenmacher u.a.m. anzutreffen wären. Die Leute haben guten Verdienst, aber ihre studentische Lebensart bringt sie um dessen Früchte. In Jena ist das noch viel ärger; da glaubt der Philister, es bringe ihm Schande, wenn er von seinem Verdienste des einen Tages mehr auf den anderen spare, als er gerade noch früh zu seinem Schnaps braucht. Leicht verdienen können, macht also nicht haushälterisch.

Saufen und Besaufen ist der hallischen Studenten Fehler nicht: das ist in Jena und Gießen Mode, in Halle herrscht, in Absicht des Trinkens, viel Dezenz. Das Bier ist hier nicht stark, und wer sich darin benebeln wollte, müßte eine gewaltige Portion zu sich nehmen. Branntwein wird noch weniger oder vielmehr gar nicht getrunken. Wenn daher schon dieser und jener sich nun dann und wann den Kopf schwer macht durchs kleine Glas, oder durch Wein und Punsch, so kommt dergleichen doch nicht auf die Rechnung der ganzen Studentenschaft.

Ich wünschte, daß ich unsere Studenten in Absicht der übrigen jugendlichen Ausschweifungen ebenso rühmen könnte. Allein ich muß, um die Aufrichtigkeit nicht zu beleidigen, mit welcher ich meine und meiner Bekannten Händel erzählen will, gestehen, daß hier manches pekkiert wird. Es gibt zwar keine Bordelle öffentlich in Halle, aber es gibt doch Löcher, worin der Auswurf des weiblichen Geschlechts dem tierischen Wollüstling mit ihrer halbfaulen Fleischmasse für ein geringes Geld zu Gebot steht. Doch muß ich gleich auch bekennen, daß die Zahl dieser Löcher sich seit einiger Zeit sehr vermindert hat. Ich berichte also denen, welche früher in Halle gewesen sind und den »Puffkeller«, die »Tiefe Demut«, das »Rote Läppchen«, den »Korb« und dergleichen scheußliche Löcher gekannt haben, daß diese nicht mehr sind. Es ist hier der Ort nicht, zu untersuchen, ob man überhaupt Bordelle dulden solle; aber dergleichen Löcher, wie die hallischen, sollten durchaus nicht gestattet werden.

Außerdem geht es den Hallensern wie den Göttingern, Gießenern, Jenensern und anderen Universitäten: sie müssen oft wegen anomalischer Beiträge zur Bevölkerung starke Summen auszahlen.

Vor Zeiten hatten die Studenten in Halle den Ruf, daß sie übertrieben heilig wären. Man sieht dies aus dem ersten jener Verse, die man ehedem zur Charakterisierung einiger Universitäten geschmiedet hat. Ich will sie hersetzen:

(Halle:) Ach Gott, wie ist die Welt so blind!
(Leipzig:) Ich lobe mir ein schönes Kind!
(Jena:) Wer mir noch spricht ein Wort, den soll der Teufel fressen!
(Gießen:) A bonne amitié, so spricht der Bursch in Hessen.

Daß die Hallenser, von der Stiftung der Universität an bis ungefähr auf die Zeiten des Siebenjährigen Krieges, Frömmlinge gewesen sind, ist allerdings wahr, und daß der bösartige Einfluß dieses frömmlichen Wesens sich von da aus weit und breit ausgedehnt hat, ist auch wahr. Aber wer noch jetzt über Hyperdulie der Hallenser klagen wollte, würde ihnen wahrlich zu viel tun. Seitdem ich die Studenten in Halle kenne, waren sie zwar keine Atheisten, aber auch keine pietistischen Kopfhänger. Die Kopfhängerei von ehedem hat ihren Ursprung zu Leipzig in den frommen Zusammenkünften einiger superfrommer Magister gehabt und wuchs hernach auf dem hallischen Waisenhause zu einer solchen Größe heran, daß man alle für Satanskinder ausschrie, die den Kopf gerade trugen und ihre freie unbefangene Miene jedermann hinzeigten. Lustigkeit und aufgewecktes Wesen hießen grobe Sünden, und nur der war Gott, oder, was gleich viel galt, den Vorstehern der heiligen Waisenanstalten angenehm, welcher aussah wie ein Büßender. Kirchenversäumen war Hochverrat, und nicht alle Jahre vier- oder achtmal zum Nachtmahl gehen, hieß den Heiland verleugnen. Die meisten theologischen Studenten, wenn sie auch die Waisenhäuser-Benefizien nicht genossen, ahmten diesem frömmelnden Wesen nach und lernten sehr bald die Kunst, wie so mancher übertünchte Pietist, in der Welt ohne Kopf, ohne Herz, ohne Kenntnisse und ohne reelle Sitten sein Glück zu erheucheln. So wurden nun die meisten Studenten Frömmlinge und seufzten: »Ach Gott, wie ist die Welt so blind!«

Aber Dank sei es dem besseren Genius der Musensitze, unter Friedrichs des Großen Regierung fiel diese Frömmelei in die verdiente Mißachtung. Die Singereien, die Stuben-Betstunden und andere sogenannte Andachtsübungen wurden als Fratzen und Possen angesehen, woran nur ein Schwindelkopf oder ein Heuchler Gefallen finden konnte. Studenten können auch keine Heilige sein.

An Fleiß lassen es die Hallenser nicht fehlen – im allgemeinen, versteht sich: denn es gibt auch träge und nachlässige Studenten hier, wie überall. In Gießen und Jena sind freilich die Bursche auch nicht faul; aber den Hallensern kommen sie im Eifer, zu studieren, nicht gleich.

 

In Leipzig war ich auch: Herr Kaufmann Rummel zahlte mir da mein Geld aus. Gleich das erstemal, als ich da war, spielte ich auf einem Kaffeehause und gewann eine ansehnliche Summe. Ich weiß nicht, da ich allemal im Spiel glücklich gewesen bin, daß ich doch so selten gespielt und das liebe Spiel niemals geliebt habe!

Die Studenten in Leipzig haben mir durchaus nicht gefallen: ihr Wesen ist weder burschikos noch fein, und an Fleiß lassen sie's auch nicht wenig fehlen. Sie haben der Zerstreuungen zu viel, vorzüglich des Sommers und zur Meßzeit. Ich hatte in Leipzig einen Bekannten, einen gewissen Lischke, der einmal auf einer Reise nach der Pfalz durch Gießen gekommen war. In Halle hatte er mich schon bald nach meiner Ankunft aufgesucht und mir da viel von Leipzig vorgerühmt, Halle aber dagegen herabgesetzt. In Leipzig suchte ich ihn auf und bat ihn, mich in Studentengesellschaften einzuführen. Aber, siehe da, es gab dergleichen nicht. Die Studenten verlieren sich unter Kaufmannsdienern und Knoten, und machen nirgends eine Gesellschaft für sich aus; auch nicht ein einziges Leipziger Kaffeehaus oder Billard ist den Studenten eigen, nicht einmal ein Traiteurhaus. Sie sitzen, je nachdem sie Geld haben, in den Gasthäusern zerstreut; einige kommen auch wohl dann und wann auf Richters Kaffeehaus oder auf die Hotels de Bavière und de Saxe, jedoch selten. Man findet aber auch Studenten in den allerniedrigsten Kneipen, in Kneipen, wohin kein Hallenser gehen würde. Der Student spielt zu Leipzig überhaupt keine Figur. Freilich, wer dort viel Geld hat, der kann es zur Not einem Ladenschwengel gleich tun, aber das können wenige – und so hat der Scheren- und Ellenmajor in genere große Vorzüge vor den Studenten.

Meine guten Leser glauben vielleicht, daß ich die Sache übertreibe; aber ich versichere, daß sich das Ding so verhält, ob ich gleich mehrere Ausnahmen gern zugebe.

Lischke hat mich auch auf einige Stuben zu seinen Bekannten geführt. Da fand ich steife Menschenkinder, welche das Unbefangene und Ungezwungene nicht an sich hatten, das man sonst an Studenten gewohnt ist. Die Leutchen machen Komplimente und schneiden Reverenzen bis an die Erde: alles geht da per Sie, das trauliche, dem Studenten so angemessene Du ist verbannt: da werfen sie mit »Gehorsamster Diener«, mit »ich empfehle mich« – »haben Sie doch die Güte« – »oh, ich bitte ganz gehorsamst!« und ähnlichen Floskeln um sich, daß es einem ganz schlimm wird. Das heißt denn guter Ton! Darin besteht das feine Wesen, das die Mosjehs zu Leipzig von allen anderen so vorteilhaft unterscheiden soll! Oh weh, dacht' ich, als ich auf eine andere Stube kam und fünf bis sechs solcher Herren vom edlen Ton beäugelte, oh weh, das ist schofele Petimäterei. Ich hatte zwar damals keine Anhänglichkeit mehr an den eigentlichen Komment, allein ich fing doch mit einigen folgendes Gespräch an:

Meine Herren, sagte ich, Ihre Universität ist wohl stark?

Herr A.: O ja, über 1400.

Herr B.: Bitte gehorsamst, mein Bester; es sind über 1600 Studenten hier.

Ich: Darf man nichts von der Summe abziehen?

Herr B.: Nein, noch eher hinzusetzen, wenn Sie gütigst erlauben wollen.

Ich: Ja ja, ich weiß es schon, man macht Fremden immer weis, die Universität sei so oder so stark, wenn's schon übertrieben ist. – Aber Leipzig ist immer noch stark genug, besonders wenn man die Ladenstudenten mit hineinrechnet. Aber der Ton hier – wie ist der?

Herr A.: Unverbesserlich, mein Teuerster!

Ich: So? Und worin besteht die Unverbesserlichkeit?

Herr A.: Je, mein Himmel! Bester, es fällt doch in die Augen, daß der Leipziger Student zehnmal artiger und höflicher ist, als der rüde Jenaer!

Ich (ärgerlich): Ja ja, ich weiß schon: es sind mehrenteils Jungfernknechte, welche mit den Ladendienern und Knoten um die Wette hinter den Mädchen herrennen und nach dem hohen Glück schnappen, ein Pfötchen zu lecken oder ein Mäulchen zu ganfen. Stehlen. L.

Herr B.: Ei, da beschreiben Sie uns ja recht hübsch. Verzeihen Sie aber gütigst, daß ich einiges erinnere. Sie wissen doch, daß ein junger Mensch in Gesellschaft der Frauenzimmer feiner –

Ich (einfallend): Ich versteh's schon. Aber hol' mich der Teufel, ich kann nicht begreifen, wie ein Student in Gesellschaften von Frauenzimmern kommen will, worin er profitieren könnte. Frauenzimmer, welche dem Burschen Zugang verstatten, taugen samt und sonders nichts; das sind meist luftige, habsüchtige oder verbuhlte Dingerchen, an denen selten etwas gelegen ist. So mag's auch in Leipzig sein.

Lischke: Du hast nicht unrecht, Bruderherz, unsere hiesigen Studenten machen Küchenmädchen, Aufwärterinnen und Bürgerdirnen den Hof, und führen sich sogar mit Menschern aus den Parduzlöchern, mit Etceteras So heißen die Huren bei den Leipziger Studenten. L. auf den Straßen und Promenaden herum. Das sind so die Frauenzimmer, womit unsere Herren Umgang haben.

Ich: Und bei denen kann man seine Sitten doch beim Teufel nicht polieren! In solchem Umgang wird man zum Firlefanz. Aber, um von was anderem zu reden: wie steht's denn mit den Schlägereien?

Herr A.: Je nun, wenn's an uns gebracht wird, so machen wir unsere Sachen aus, wie's honetten Männern ziemt.

Lischke: Ja, mit dem Schuhpfriemen! Wann fallen denn hier Schlägereien vor? Die Kerls lassen sich ausmaulschellieren und mucksen nicht; oder wenn sie sich ja schlagen, so geschieht es à la mode der Gassenjungen mit Stöcken und Fäusten. –

Ich war dieses Gespräches müde und brach es ab. Ueberall fand ich bei den Herren Leipzigern große Armseligkeit und glänzendes Elend. Sie tragen zwar seidene Strümpfe beim tiefsten Dreck, gehn wie die Tanzmeister parisisch, schleichen hundertmal des Tags vor dem Fenster vorbei, wo sie ein hübsches Gesicht wittern, und werden in den dritten Himmel entzückt, wenn ihnen ein solches Gesicht freundlich zulächelt: ist das aber männliches Wesen, das den Hallenser so kenntlich auszeichnet? Sonst ist das L'Hombre-Spiel unter den Leipzigern sehr gewöhnlich. Zur Zeit der Messe müssen die meisten auf dem Boden unterm Dache oder hinten neben dem Abtritt wohnen, weil zu dieser Zeit ihre Stuben von Fremden bezogen werden. Wenn die Hallenser nach Leipzig kommen, so machen sie da doch Figur, und jedermann sieht nach ihnen; wenn aber Leipziger sich zu Halle einfinden, so werden sie gar nicht bemerkt, wenigstens nicht für Studenten angesehen. Uebrigens sind die Herren gut zu Fuße und können täglich fünf, sechs, acht Meilen laufen.

Doch genug von diesem Artikel.


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