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An den Leser

Der verstorbene Doktor Semler, dessen Asche ich nie genug verehren kann, gab mir im Jahr 1784 den Rat, meine Begebenheiten in lateinischer Sprache herauszugeben. Ich hatte dem vortrefflichen Mann mehrere davon erzählt, und da glaubte er, die Bekanntmachung derselben würde in mancher Hinsicht nützlich werden. Ich fing wirklich an zu arbeiten und schrieb ungefähr acht Bogen, welche ich ihm vorwies. Er billigte sie und riet mir, den Herrn Professor Eberhard um die Zensur zu bitten. Ich tat dies schriftlich, denn damals scheute ich mich, weil ich kurz zuvor Soldat geworden war, es mündlich zu tun. Auch Eberhard lobte mein Unternehmen: nur riet er mir, um der mehrern Leser willen, deutsch zu schreiben. Ich folgte ihm und zeigte mein Vorhaben öffentlich an. Aber weil damals mein Vater noch lebte, so mußte ich, um ihn nicht zu beleidigen oder ihm gar in der hyperorthodoxen Pfalz und bei den dortigen Bonzen nicht zu schaden, vieles weglassen, was doch zum Faden meiner Geschichte gehörte. Daher war jener Aufsatz mangelhaft und unvollständig. Mein Vater erfuhr indessen durch die Briefe des Herrn Majors von Müffling, daß ich mein Leben schriebe, und befürchtete, ich möchte Dinge erzählen, die ihm Verdruß bringen könnten. Er schrieb mir daher und befahl mir, von meinen Lebensumständen ja nichts eher, als bis nach seinem Tode drucken zu lassen. Der Brief meines guten Vaters war voll derber Ausdrücke: er stellte mir das Uebel, das für ihn daraus folgen könne, so lebhaft vor, daß ich mein Manuskript ins Feuer warf.

Einige Jahre hernach starb mein Vater, und ich konnte nun freimütig zu Werke gehen; aber der Feldzug im Jahre 1790 und andere Geschäfte, welche ich ums liebe Brot unternehmen mußte, hinderten mich, meinen längst gefaßten Vorsatz eher ins Werk zu richten. Nachdem ich aber mehr Muße und tätige Unterstützung redlich gesinnter Männer erhielt, so ging ich neuerdings ans Geschäft, und so entstand die gegenwärtige Schrift.

Jeder Leser wird ohne mein Erinnern gleich schließen, daß das, was der Dichter von seinen Versen sagt:

– – paupertas impulit audax
Ut versus facerem –
»Armut trieb mich an zum Verseschmieden.« L.

auch von meinem Buche gelte; und ich würde sehr zur unrechten Zeit wollen diskret sein, wenn ich's nicht bekennte. Ich bin ein Mann, welcher keine Hilfe hat, kein Vermögen besitzt und keinen Speichellecker machen kann: folglich würde ich sehr kümmerlich leben müssen, wenn ich mir keinen Nebenverdienst machen wollte. Und wer kann mir das verdenken?

Allein, obgleich der erste Grund der Erscheinung gegenwärtigen Buches im Magen liegt, so ist er doch nicht der einzige.

Ich war ein junger Mensch von guten Fähigkeiten und von gutem Herzen. Falschheit war nie mein Laster; und Verstellung habe ich erst späterhin gelernt und geübt, nachdem ich vieles schon getan und getrieben hatte, dessen ich mich schämen mußte. Mein Vater hatte mir guten Unterricht verschafft, und ich erlangte verschiedene recht gute Kenntnisse, welche ich meiner immer fortwährenden Neigung zu den Wissenschaften verdanke. Meine Figur war auch nicht häßlich. Da war es denn doch schade, daß ich verdorben und unglücklich ward. Aber ich wurde es und fiel aus einem dummen Streich in den anderen, trieb Dinge, worunter auch wirkliche gröbere Vergehungen sind, bis ich endlich aus Not und Verzweiflung an allem Erdenglück die blaue Uniform anzog.

Wenn nun ein Erzieher, ein Vater oder auch ein Jüngling meine Begebenheiten liest, muß er da nicht manche Regel für sich oder für seinen Zögling abstrahieren? Meine Unglücksfälle sind nicht aus der Luft gegriffen, wie man sie in Romanen liest: sie haben sich in der wirklichen Welt zugetragen, haben alle ihre wirklichen Ursachen gehabt und lehren, daß es jedem ebenso gehen kann, der es so treibt – wie ich.

Ich glaube daher mit Recht, daß mein Buch einen nicht unebenen Beitrag zur praktischen Pädagogik darbietet, und daß niemand ohne reellen Nutzen dasselbe durchlesen wird: und das ist doch nach meiner Meinung sehr viel. Auf diese Art werde ich, der ich durch meine Handlungen mein ganzes Glück verdorben habe, doch durch Erzählung derselben gemeinnützig, und das sei denn eine Art Entschädigung für mich.

Außerdem hoffe ich auch, daß die Erzählungen selbst niemandem Langeweile machen werden, daß also meine Schrift auch zu denen gehören wird, welche eine angenehme Lektüre darbieten. Und so hätte ich, wenn ich mich nicht überall irre, einen dreifachen recht guten Zweck erreicht.

Nun habe ich viele angesehene Männer eben nicht im vorteilhaftesten Lichte aufgestellt – von unwürdigen Menschenkindern, einem Kammerrat Schad, einem Mosjeh Brandenburger und dergleichen mehr, ist hier die Rede nicht: die haben die Brandmarkung verdient! –, warum habe ich das getan? – Deswegen, weil ich glaube und für unumstößlich gewiß halte, daß die Bekanntmachung der Fehler angesehener Männer sehr nützlich ist. Die Herren müssen nicht denken, daß ihr Ansehen, ihr Reichtum, ihre Titel, selbst ihre Gelehrsamkeit und Verdienste ihre Mängel bedecken oder gar rechtfertigen können. Diese Männer, von welchen ich erzähle, haben teils mit mir im Verhältnis gestanden und haben mir nach ihrem Vermögen zu schaden gesucht und auch wirklich geschadet: teils aber schadeten sie der guten Sache, den Rechten der Menschheit, besonders jenem unumstößlichen ewigen Recht, über alle intellektuellen Dinge völlig frei zu urteilen und seine Gedanken darüber zu entdecken. Wenn ich also die Professoren zu Mainz, Heidelberg und sonstige Meister als intolerante Leute beschreibe, welche gern Inquisitoren werden und den heiligen Bonifatius oder jenen abscheulichen Menschen, den Abschaum aller Bösewichter, den Erfinder der Inquisition und Hexenprozesse, ich meine den Papst Innocentius III., nachmachen möchten – tu' ich dann unrecht, da die Sache sich durch Taten bestätigt? Vielleicht schämen sich andere und werden toleranter, und wäre das nicht herrlich? Hatte ich da nicht mehr Gutes gestiftet, als mancher Verfasser dicker Bände von Predigten und anderem theologischen, philosophischen oder juristischen Unsinn? Ferner: darf ich den nicht beschreiben, der mir wehe tat? Rache, schreien zwar die Moralisten – in ihren Theorien! – sei überhaupt ein schändliches Laster, dem kein Weiser nachgeben müsse: ja ich sage irgendwo selbst, daß sie größtenteils unter der Würde der Menschheit sei. Allein, ich gestehe es, daß ich ihr Gebot nicht ganz einsehe: ich bin ein Mensch, so gut wie der Papst und der Fürst: ich hab auch meine Galle, und es kränkt mich auch, wenn man mir unrecht tut und mich armen ohnmächtigen Menschen drückt und seine Freude daran hat. Ich suche mich nun zu rächen, wie ich kann, und das kann ich auf keine andere erlaubte Weise, als daß ich die Leute von der Art nenne und ihren Charakter bekannt mache. Ich brenne mich nirgends weiß und erdenke an mir keine Gesinnungen, die ich nicht habe. Daher gestehe ich's, daß die Großmut, welche alle Neckereien übersieht und sich ungeahndet hudeln läßt, meine Tugend nicht ist. Wer besser in diesem Stück ist, nicht der, welcher bloß besser spricht, verdamme mich: ich habe nichts dawider. Und wer übeln Nachreden entgehen will, der tue nichts Uebles. Schwachheiten abgerechnet, ist Publizität für Torheit und Laster ein weit zuträglicheres Heilmittel als das Mäntelchen der christlichen Liebe – das freilich gerade von denen am eifrigsten empfohlen wird, die es am meisten bedürfen.

 

So Laukhard selbst in dem Vorwort zu »Leben und Schicksale«.


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