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Achtzehntes Kapitel

Aufnahme im Elternhaus. – Warum ich nicht in der Pfalz bleiben wollte. – Rückreise nach Halle. – Oesterreichische, preußische und dänische Werber. – Fehltritte infolge meiner Neigung zum Trunk. – Der Patriotenspektakel in Holland. – Stilleben in Halle – Die Kirchenparade. – Mein Freund Bispink. – Leiden eines ehrlichen Mönchs. – Neue Hinterlist meines Bruders. – Eine seltsame Studentenschlittenfahrt. – Quacksalber. – Der Doktor und sein Hanswurst. – Tod meines Vaters.

Mein Vater machte mir ganz und gar keine Vorwürfe: geschehene Sachen, meinte er, wären einmal nicht zu ändern, und da müßte man auch nicht weiter davon reden. – Ein nur halb wahrer Grundsatz! Man muß allerdings davon reden, wenn man Klugheitsregeln daraus für sich und andere nehmen kann. Allein mein Vater hatte so sein System, und nach demselben war mehr das Schicksal als ich selbst schuld an meinen Unfällen. Meine Mutter bedauerte hauptsächlich das hübsche Geld, das ich gekostet hatte, und das nun nach ihrem Ausdruck in 'n Dreck geworfen war; aber der Alte bat sie, zu schweigen und uns keine trüben Stunden zu machen. Da schwieg sie dann. Meine alte Tante war vollends außer sich, da sie mich wiedersah, und konnte ihrer Fragerei gar kein Ende finden.

Ich mußte mit meinem Vater allein auf sein Stübchen kommen; da erklärte er mir, daß mein Soldatenwesen die üblen Gespräche von mir stark vermehrt und alle alten Geschichtchen wieder ins frische Andenken gebracht hätte. Man hatte nämlich mein Soldatwerden in einige Zeitungen eingerückt – als wenn es eine so große Sache wäre, wenn ein Magister Soldat wird! Daher, fuhr mein Vater fort, müßte ich, wenn ich da bleiben wollte, lange, lange Zeit einen sehr eingeschränkten Lebenswandel führen, damit das hundertmäulige Ungeheuer, die pfälzische Fraubaserei, sonst Fama genannt, endlich schweigen oder bessere Nachrichten von mir verbreiten müßte. – Ob mein Vater hier für sein System konsequent gesprochen habe, will ich nicht untersuchen; ich erklärte nur kurz, daß ich nicht bleiben würde, ich ginge nach Verlauf meines Urlaubs wieder zum Regiment. Und dazu hatte ich meine guten Gründe, die ich hier angeben muß, weil man sich in Halle und anderwärts sehr gewundert hat, daß ich zurückgekommen bin.

Einmal war ich in der ganzen Pfalz verschrien als ein Mensch ohne Sitten und ohne Religion, und dieses böse Gerücht gründete sich auf unwiderlegliche Tatsachen. Die Nachrichten aus Halle und anderen Orten hatten es nur noch verstärkt, und so hatte ein jeder Mosje Firlefanz Gelegenheit, mir zu schaden, sobald seine Firlefanzerei, seine Rachsucht oder sein Interesse es erforderten.

Zum anderen konnte ich gleich in den ersten Tagen mein Maul nicht bezwingen. Ich räsonnierte schon in Alzey – von Frankfurt am Main, wo ich mit den Leuten im Wirtshause über Christi Geburt sprach, will ich nichts sagen – im Beisein mehrerer Katholiken und Protestanten sehr frei über die heiligen Dogmen, sprach von Pfaffen übel und lachte über alles, was dort überm Rhein heilige Ware ist. Da hieß es nun allgemein: Laukhard ist noch der alte Spötter; ein alter Wolf läßt seine Nuppen nicht.

Und endlich drittens traute ich mir selbst nicht viel Gutes zu. Ich konnte mich nicht so weit einschränken, daß ich mein Trinken gemäßigt und ordentlich gelebt hätte. Ich fühlte das sehr gut und beschloß also, nicht da zu bleiben; es fielen auch gleich in den ersten Tagen einige Exzesse vor und machten neues gehässiges Aufsehen.

Meinen Bruder sah ich in den ersten Tagen nicht; er war Vikarius in Dalheim, einem zur kaiserlichen Grafschaft Falkenstein gehörigen Dorfe. Er wußte zwar, daß ich da war, allein er übereilte sich nicht; unsere Freundschaft hatte längst aufgehört, und so waren wir eben nicht versessen, uns zu sehen. Endlich kam er doch, empfing mich aber kalt, und ich bewillkommte ihn noch kälter. Er bat mich, ihn zu besuchen; das habe ich auch einmal getan, aber nur ungefähr auf vier Stunden. Seine Unterhaltung gefiel mir nicht, und die meinige mußte ihm lästig sein.

Thereschen hätte ich sehen und sprechen können, aber ich fürchtete mich vor dem Eindruck, den sie auf mich machen würde, und so wollte ich sie lieber gar nicht sehen. Sie war noch ledig. Ein gewisser Herr Huber, auch Latus genannt, hatte um sie angehalten, aber den Korb bekommen. Ich ärgerte mich häßlich über den Latus, daß er mein Mädchen hatte haben wollen, und war froh, daß sie ihn abgewiesen hatte. Was man aber ein Tor ist! Man mißgönnt anderen ein Gut, woran man keinen Teil haben kann und keinen haben will.

Alles, was ich sah und hörte, machte den Entschluß immer fester in mir, nach Halle zurückzukehren, ja oft wünschte ich mich schon wirklich wieder da. Die Gesellschaften auf dem »Keller« bei der Jungfer Fleischern zu Halle, so abgeschmackt diese sonst sein mögen, erschienen mir doch lange so abgeschmackt nicht, als die Versammlungen der Pfälzer Herren und Damen.

Endlich kam die Zeit herbei, daß ich abfahren sollte. Mein Urlaub ging zu Ende, und ich forderte von meinem Vater soviel Geld, als ich zur Reise nötig hatte. Er gab es mir gern; und wenn ich den Schmerz abrechne, den mir die Trennung von meinen Eltern machte, so verließ ich die Pfalz ohne Betrübnis. Nichts bedauerte ich, als den guten Wein, den ich nun nicht mehr trinken sollte.

Auf der Rückreise fiel nichts von Belang vor; in einem Dorf bei Erfurt hatte ich ein Gespräch mit einem kaiserlichen Werber, das mir Spaß machte. Ich hatte dort übernachtet; früh kam der Werber, namens Messer, ins Wirtshaus, denn er hätte gehört, wie er sagte, daß ein Fremder da wäre, der Dienst suchte.

Ich: Da irren Sie sich gewaltig, mein guter Herr!

Messer: Warum denn? Dienen Sie halter dem Kaiser; ist ja der größte Herr in der Welt!

Ich: Hab gar nichts wider des Kaisers Großherrschaft; aber dienen kann ich ihm nicht, mag's auch nicht.

Messer: Geb Sie halter vierundzwanzig Gulden Handgeld und Kapitulation auf sechs Jahre. Ist halter ein gar guter Dienst; kriegen alle Tag drei Kreuzer und zwei Pfund Brot.

Ich: Lieber Freund, kommen Sie her und trinken mal! Ihr Soldat werd ich nicht; ich diene dem König von Preußen; sehen Sie hier meinen Paß.

Messer: Nun, wenn's halter nicht sein kann, muß ich's lassen; hab wenigstens meine Schuldigkeit getan. Will Ihnen Bescheid tun; sollen leben!

Messer setzte sich hierauf ganz traulich zu mir hin, trank meinen Schnaps und hernach mein Bier, und rauchte meinen Tabak, ganz gegen die Natur des Betragens der Werber. Ueberhaupt ist ein mächtiger Unterschied zwischen einem kaiserlichen und einem preußischen oder dänischen Werber. Ersterer läßt alles gehen und ist zufrieden, wenn er seinen Mann gefragt hat, ob er dienen will oder nicht. Und bevor er keine Gewißheit hat, mag er auch keinen Heller spendieren oder sich, wie man sagt, in Unkosten setzen. Dergleichen Unkosten werden ihm nämlich nicht ersetzt. Allein die preußischen und dänischen Werber bedienten sich vorzeiten aller Finessen, sogar solcher, wobei es nicht allemal nach den Gesetzen der Billigkeit herging; wozu sonst das neuere menschlichere Werbereglement von unserem König? Er ließ sich kein Geld dauern, welches ihm sein Offizier nachher ersetzen mußte, und unternahm manchmal Touren, wobei er große Gefahr lief. Daher sind die Beispiele von ausgeprügelten preußischen Werbern in jenen Gegenden gar nichts Seltenes. Die Oesterreicher sind dagegen immer friedlich, und was sie nicht gutwillig haben können, nehmen sie nicht mit Gewalt. Die Genauigkeit jedoch, womit sie die Kapitulationen halten, macht, daß es ihnen an Leuten niemals fehlt.

 

Der Major von Müffling freute sich sehr über meine Zurückkunft, die er, wie er sagte, immer erwartet hätte, obgleich alle anderen daran immer gezweifelt hätten. Er ermahnte mich, besonders nun, da ich gleichsam wieder von neuem anfinge, in Halle zu leben, die verführerischen Gelage und den Trunk zu meiden, welche Dinge allemal die schädlichsten Folgen haben müßten. Freilich hatte der gute Mann recht; denn nichts hat mir mehr geschadet, als der Trunk; der hat mich sogar zu Vergehungen verleitet, die ich mich zu bekennen schäme, doch aber bekennen muß: Ich habe, wenn ich in Saufgelagen war und das Geld fehlte, einigemal Dinge, die nicht mein waren, veräußert, um nur Geld zu bekommen und der einmal rege gemachten Begierde, zu trinken und mit anderen lustig zu leben, genug zu tun. Freilich geschah dies allemal in der Absicht, das z.B. versetzte Buch wieder bei Gelegenheit einzulösen und es dem Eigentümer zuzustellen. Es ist auch größtenteils geschehen. Alle die, welche ich auf solche Art beleidigt habe, können meiner Reue nebst der Scham darüber versichert sein, und so vergeben sie mir herzlich gern, was ich tat.

Im Sommer 1787 mußten die Füsiliere nach Holland marschieren, um den dortigen Patriotenspektakel beizulegen. Sie kamen schon zu Anfang des folgenden Jahres zurück und hatten fast alle eine Sackuhr u. dgl. erobert, aber nur einen einzigen Mann durch das feindliche Geschütz eingebüßt. Durch Desertion gingen freilich viele ab; aber das ist nun einmal bei den Soldaten nicht anders.

Für meinen Teil lebte ich ziemlich ruhig, und da ich immer Stadturlaub hatte, kam ich weiter nicht zur Kompanie, als zu Zeiten der sogenannten Kirchenparade. Diese Parade, welche Sonn- und Feiertags früh gehalten wird, hat allerdings ihren mannigfaltigen Vorteil. Sie macht, da man dabei besonders auf guten Anzug sieht, daß der Soldat nicht vergißt, sich reinlich und proper anzuziehen. Das sollte aber auch billig das Einzige sein, was man dabei beabsichtigte. Wer sonst in die Kirche gehen will – und das wollen allemal viele, da viele Soldaten noch große Verehrer des Kirchengehens sind –, der gehe ohne allen Zwang hinein, und wer nicht hinein will, den sollte man durchaus nicht hineinzwingen. Es ist ja selbst nach den orthodoxesten christlichen Begriffen ein toller Gedanke, jemanden zum »Gottesdienst«, wie das Predigthören, Nachtmahlkaufen u. dgl. mißbräuchlich genannt wird, zu zwingen und die Versäumnis desselben zu bestrafen! Da ich nun einen unbezwinglichen Widerwillen gegen alle und jede Pfafferei in mir fühlte, so glaubte ich mir keine bessere Genugtuung gegen diesen Zwang verschaffen zu können, als wenn ich meine Kirchzeit mit Bücherlesen hinbrachte; und gerade wählte ich zu diesem Behufe Bücher, die ich zu Hause gewiß nie gelesen hätte. Um keinen zu ärgern, mag ich sie nicht einmal nennen, genug, sie waren höchst profan und schändlich. Auch habe ich bemerkt, daß dieser verbitterte Zustand meines Innern mich die letzte Zeit, wo ich oft monatelang meine Neigung zum Trunk glücklich bezwungen hatte, gerade an diesem Tage hinriß, meinen geärgerten Mut durch ein Getränke noch mehr zu erhitzen, wodurch ich ihn zu kühlen dachte.

 

Im Jahre 1787 kam ich in nähere Bekanntschaft mit einem Mann, der hernach mein bester Freund und wahrer Wohltäter geworden ist. Dieser Mann ist Herr Verlagsbuchhändler Bispink. Er war vorzeiten Franziskaner, aber das Mönchswesen war für seinen Kopf ebenso wenig wie für sein Herz. Durch Hilfe des Selbstgrübelns und des emsigen Lesens in den Werken der Kirchenväter hatte er sich allmählich der Gewissensfesseln so weit entledigt, daß er nach und nach anfing, auch protestantische Schriften ohne Skrupel zu Rate zu ziehen und die Unfehlbarkeit der Kirche zu bezweifeln. Da war es wohl unvermeidlich, nicht hier und da durch freimütigere Aeußerungen im Sprechen und Handeln den Verdacht und Haß seiner Ordens- und Glaubensgenossen sich zuzuziehen. Dies geschah vorzüglich die vier Jahre hindurch, die er als Professor der Philosophie im Franziskanerkloster zu Wahrendorf dozierte. Der Erfolg davon war, daß man ihn bei den Franziskanern zu Rittberg Gemeint ist das westfälische Städtchen Rietberg, Kreis Wiedenbrück, Regierungsbezirk Minden. P. so lange gefänglich verwahrte, bis man ihn im dritten Jahre für tot erfroren seiner Gefangenschaft entließ. Drei Vierteljahre gingen hin, ehe er sich von den Folgen dieses Zustandes erholte. Kaum war er aber seiner Glieder wieder mächtig, so sann er auf Mittel, sich den geistlichen Kannibalen samt allem, was Gewissens- und Kirchenzwang heißt, auch auf Kosten seines Lebens zu entziehen und auf Gottes weiter Welt als freier Mann zu bestehen. Er entwarf lange und vorsichtig, und es gelang ihm, 1783 aus dem Franziskanerkloster zu Hardenberg nach Schwelm in der Grafschaft Mark glücklich zu entwischen. Hier begab er sich unter preußischen Schutz, trat zum protestantischen Glauben über und kam im Jahr darauf nach Halle. Und diesen Mann der Leiden – wer sollte es glauben! – hielten ansehnliche Hallenser eine Zeitlang für einen Krypto-Katholiken.

Die Freundschaft dieses Mannes blieb nicht bloß beim Moralischen stehen; er kannte meine Lage genau, und, ohne meine Bitten abzuwarten, kam er meinen Bedürfnissen sehr oft zuvor. Und dieser seiner Unterstützung verdanke ich es, daß ich anfing, weit gemächlicher, aber auch mit mehr Besinnung zu leben, als meine Lage vorher es zuließ. Bald unterstützte er mich mit Geld, bald gab er mir etwas zu übersetzen oder auszuziehen; über dieses wurde gemeinschaftlich gesprochen, dies oder jenes gerügt oder verbessert, auch über allerlei philosophische Materien sowohl deutsch als lateinisch disputiert; zur anderen Zeit machte er mich auf neuere Bücher aufmerksam und hatte überhaupt die Güte, mir zu jeder Zeit freien Zutritt zu ihm und freien Gebrauch von seiner Bibliothek zu erlauben. Hierdurch ward ich allmählich an bestimmte Arbeiten und Lektüre gewöhnt, fand sogar endlich Geschmack daran und entzog mich, um diesen zu befriedigen, meinen ehemaligen schlechten Zusammenkünften, übernahm mich seltener im Trunk, kurz ich fing allmählich an, mich zu bessern.

Um Weihnachten dieses Jahres (1787) kam der Weinhändler Dietsch, der mir den Urlaub bewirkt hatte, wieder nach Halle. Er ließ mich kommen, und ich mußte ihm die Gründe meiner Rückkehr anzeigen, womit er sich auch vollkommen begnügte. Er streckte mir einen Louisdor vor, auf Rechnung meines Vaters. Er gab mir viele Nachrichten von meinen Verwandten, worüber ich zum Teil lachte, zum Teil aber mich gewaltig ärgerte. Von letzterer Art war folgende: Herr Leveaux hatte für mich Kaution gemacht und würde sie fortgesetzt haben, wenn mein Vater nicht hieher geschrieben hätte, daß sie aufgehoben sein sollte. Ich konnte mir dies von seiten meines Vaters nicht erklären, denn er sowohl wie meine Mutter hatten mir heilig versprochen, die Kaution für mich stehen zu lassen. Ich schrieb freilich an meinen Vater, aber seine Antwort war so allgemein, daß ich selbst nicht klug daraus werden konnte. Nun aber erfuhr ich, daß mein Bruder meinem Vater vorgestellt hatte, ich könnte ja, wenn die Kaution stehen bliebe, im Lande herumstreichen, allerlei Possen ausüben und meiner Familie noch mehr Schimpf und Schande bringen. Mein Vater hatte den Vorstellungen des teuren Herrn Sohnes Gehör gegeben und meine Kaution aufgehoben. Dadurch verlor ich meinen Torpaß und mußte mit dem Bezirk in den hallischen Ringmauern fürlieb nehmen. Aber trotz den Anstalten meines sauberen Herrn Bruders hab' ich doch durch mein Betragen und meine Diensttreue mich zum »vertrauten Mann« gemacht!

 

Im Winter 1788 hielten die Studenten eine maskierte Schlittenfahrt, dergleichen ich noch nie gesehen hatte. Die Gießener Schlittenfahrten en masque waren zwar grell genug, hatten aber weiter nichts als Fratzen, Schlotfeger, Juden, Hanswürste, Bauern, Menscher und dergleichen. Allein die hallische enthielt Masken, welche zu allerlei Auslegungen Gelegenheit gaben, und als persönliche Anspielungen von verschiedenen gedeutet wurden. So fuhr zum Beispiel ein Schwarzrock mit einer Ente im Arm herum, welche er liebkoste und küßte; und das sollte auf einen gewissen Herrn nebst Appendix zielen. Eine andere Maske persiflierte die Lehre vom Teufel usw. Der Prorektor schickte den Pedell zwar hin und ließ die Fortsetzung der Schlittenfahrt verbieten, allein die Stunde war herum, und die hallische Welt hatte neuen Stoff zur Erschütterung des Zwerchfells und zur Medisance.

In eben diesem Winter kam ein gewisser Augenarzt nach Halle, einer von jenen hundertneunundneunzig Halunken, welche in Deutschland herumziehen, sich großer Geheimnisse rühmen, den Leuten die Beutel fegen, und sie, wenn sie ihnen trauen, um Gesundheit und Leben bringen. Ein Straßenräuber verdient die Verachtung kaum, die ein solcher Schuft verdient, daher wird man mir meine derbe Sprache in Absicht solcher Menschenschinder zugute halten. Solche Afterärzte, die alle Krankheiten kennen und heilen wollen, und doch nur arme Sünder in dem Abc der Arzneikunde sind, ziehen mit Privilegien im Lande herum und haben sich für ihr gestohlenes Geld das Recht erkauft, durch Betrügereien ferner zu stehlen. Das ist abscheulich, und Obrigkeiten, denen das Leben ihrer Untertanen teuer ist, sollten allen solchen Schuften eine Stelle im Zuchthaus oder auch nach Befinden am Galgen anweisen. Denn wenn ja jemand Zuchthaus und Galgen verdient, so ist es gewiß ein solcher Doktor Theriak.

Der, von dem ich jetzt rede, schlug seine Bude mitten auf dem Markte auf. Seine Begleiter waren eine alte Matrone, welche seine Frau hieß, aber nach dem Bericht seines Hanswurstes eine verloffene Kaufmannsfrau war, die den Mosjeh instand gesetzt hatte, Arzneien und andere Hanswurstiaden anzuschaffen; sodann ein junges Mädchen, das in Mannskleidern auf dem Seil tanzte, endlich ein Herr Hanswurst, ohne welchen kein Doktor von dieser Art subsistieren kann. Der hallische Pöbel von verschiedenen Ständen lief da zusammen, gaffte den Wundermann an und freute sich gewaltig, wenn er seine unglaublichen Kuren mit aller nur erdenkbaren Unverschämtheit perorierte. Die medizinische Rede des Kerls schien aber doch nicht hinlänglich, es mußte auch noch der Hanswurst auftreten und mit allerlei Zoten und Schnurren das hallische Grob in Bewegung setzen. Hier zur Probe ein Gespräch:

Herr: Höre du mein lieber Bigaz, wo bist du denn gestern abend gewesen?

Hanswurst: In einer recht vornehmen Gesellschaft.

Herr: Du kämst in vornehme Gesellschaften? Sag, wer waren denn alle da?

Hanswurst: Da waren lauter Leinweber, Schornsteinfeger, Bruchschneider, wie auch die hochlöbliche Innung der Besenbinder und Privetputzer (starkes Gelächter von seiten der Zuschauer). Sie haben auch von Euch geredet, Herr Doktor.

Herr: Was sagten sie denn von mir?

Hanswurst: Ja, das darf ich nicht sagen.

Herr: Sag's doch, lieber Bigaz!

Hanswurst: Ja, wenn Ihr mich nicht schlagen wollt.

Herr: Nein, es mag sein, was es will: sag's gerade heraus, ich will dir auf Ehre nichts tun.

Hanswurst: Sie sagten. Ihr wäret ein E.. E.. (die Zuschauer sperrten die Mäuler auf).

Herr: Ein E.. E.., was soll das sein?

Hanswurst: Ja, ein E.. E.., sagten sie, wärt Ihr.

Herr: Sie sagten vielleicht, ich sei ein ehrlicher Mann?

Hanswurst: Warum nicht gar, ein ehrlicher Mann! Ein E.. E.., sagten sie, wärt Ihr.

Herr: Vielleicht sagten sie, ich sei ein Ehemann.

Hanswurst: Prost die Mahlzeit! Ein E.. E.., sagten sie (die Mäuler der Zuschauer gingen noch weiter auf).

Herr: Nun, was mag denn das sein, ein E.. E..? So sag's doch, lieber Bigaz!

Hanswurst: Je nun, weil Ihr's mit Gewalt wissen wollt (dem Herrn in die Ohren, aber aus allen Kräften schreiend): Sie sagten, Ihr wärt ein – Esel! (Allmächtiges Gelächter und unsinniges Händeklatschen des Pöbels.)

An solchen Possen und kindischem Geschwätz konnte sich der Pöbel von der niedrigsten Klasse wohl noch vergnügen; aber ich habe da auch Leute stehen und sich gaudieren sehen, welche Erziehung und Sitten haben wollen. Das war unverzeihlich.

Das Mädchen, welches auf dem Seile tanzte, war eben nicht häßlich und hatte auch schon deswegen, daß sie auf dem Seile tanzte, einiges Ansehen. Eben darum zogen auch die Studenten fleißig nach dem »Blauen Hecht«, wo die noble Gesellschaft logierte, machten dem Mädchen ihre Kur, und verjubelten ihr Geld mit ihr. Eifersüchtig war der Herr Doktor keineswegs, und der Wirt noch weniger. Ich war auch einmal dort und hörte den Quacksalber bramarbasieren. Ich war so lange still, bis der Kerl endlich anfing, sich über alle Aerzte hinwegzusetzen und unsern Meckel, Reill Zwei der bedeutendsten damaligen hallischen Mediziner. Meckel (Phil. Fried. Theod.), ein Mitglied der bekannten Gelehrtenfamilie, war Anatom und Chirurg, Reill einer der hervorragendsten Kliniker seiner Zeit, der 1813, nach der Schlacht bei Leipzig, als Opfer seines Berufes dem Hospitaltyphus erlag. P. und andere Männer als Leute zu beschreiben, die weit unter ihm ständen. Das verdroß mich häßlich, und ich sagte ihm derbe die Wahrheit, so daß es beinahe Händel gegeben hätte.

Der Wirt, Meister Frenzel, verwies mir meine Heftigkeit.

»Ei was,« sagte ich, »darf so ein Spitzbube außer seinen Betrügereien denn auch noch würdige Männer verkleinern und von ihnen schlecht sprechen? Hol' ihn der Teufel, den Halunken!«

»Ja,« erwiderte Meister Frenzel, »weder Meckel noch Reill trinken ein Glas Branntwein bei mir oder auch nur eine Bouteille Bier; aber der Doktor und seine Leute verzehren hier ihr Geld.«

Das war freilich ein ökonomisches Argument, worauf ich nichts antworten konnte.

 

Im Frühling 1789 starb mein ehrlicher Vater. Er war nur sieben Stunden krank gewesen und war so ruhig, so schmerzenlos ad aetherum patrem – wie er sich immer ausdrückte – hinübergeschwunden, als er es jederzeit gewünscht hatte. Er starb bei sehr heiterer Seele und sprach bis auf den letzten Augenblick. Er hatte mich meinem Bruder dringend empfohlen, wie dieser mir selbst geschrieben hat; er versprach auch meinem Vater und mir, hat aber nichts gehalten.

Ich bin versichert, daß mein guter Vater keine Gewissensbisse wegen seines Lebens empfunden hat; und wegen seines Glaubens und der Zukunft konnte er seinem philosophischen System zufolge keine Unruhe fühlen.

Ich darf meinen Lesern wohl nicht sagen, daß ich den Tod meines biederen Vaters sehr tief gefühlt und ihm viele Tränen geschenkt habe. Noch jetzt schmerzt mich sein Verlust. – O über mich!


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