Kurd Laßwitz
Sternentau
Kurd Laßwitz

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Schluss

Nicht lange Zeit nach dem glänzend verlaufenen Waldfeste der Erholungsgesellschaft war Sigi eines Tages unerwartet vor den Vater getreten und hatte ihn mit einem Geständnis überrascht. Unter Küssen und Tränen erklärte sie ihm, daß sie und Konrad Tielen sich liebten und daß sie sich unbedingt heiraten würden. Vergeblich setzte ihr Kern auseinander, warum das nicht anginge; daran könnten sie vor vielen Jahren nicht denken, denn der Leutnant hatte nichts, und er selbst sei durchaus nicht in der Lage, das nötige Vermögen herzugeben. Sigi blieb bei ihrem Vorsatz. Dann würden sie eben warten. Und außerdem, behauptete sie in ihrer entschiedenen Weise, hätte der Vater neulich selbst erklärt, daß er bei dem Aufschwung, den die Hellbornwerke infolge der Resinitfabrikation nähmen, voraussichtlich in drei Jahren ein reicher Mann sein werde. Das müsse man abwarten, meinte der Vater.

Nun gab es lange Familienkonferenzen mit Harda und der Tante, zu denen auch Hardas Bräutigam zugezogen wurde. Diese führten wieder dazu, daß zwischen Kern und Minna vertrauliche Aussprachen stattfanden.

Seit der definitiven Erledigung der Breslauer Angelegenheit, die zeitlich mit Hardas Verlobung zusammenfiel, war in Minnas Gesundheitszustand eine erfreuliche Besserung eingetreten. Sie war ruhiger und gleichmäßiger geworden, ihre natürliche Liebenswürdigkeit wurde nicht mehr durch plötzliche Verstimmung unterbrochen, ihr ganzes Wesen verjüngte sich. Harda stand jetzt ausgezeichnet mit ihr, zumal seit festgesetzt war, daß Hardas Vermählung mit Eynitz im Herbst schon stattfinden solle. Es hatte sich durch Kerns und Solves' Verbindungen Gelegenheit geboten, daß Eynitz in der Hauptstadt der Provinz, die zugleich Universitätsstadt war, eine sehr günstige Stellung übernehmen konnte.

Schließlich kam es zu einem wohlüberlegten Entschlusse, der für alle Beteiligten eine glückliche Lösung versprach. Kern und Minna einigten sich endgültig, ihre Verbindung zu vollziehen. Wenn die Töchter nicht mehr im Hause waren, so fielen alle die übrigen Rücksichten fort, die Kern bisher in dieser Beziehung zurückgehalten hatten.

Sigi und Tielen sahen ein, daß es berechtigt war, wenn der Vater von den jungen Leuten noch eine Probezeit für ihre Liebe verlangte, ehe ihre Verlobung öffentlich anerkannt wurde. Zunächst verließ Sigi mit Minna zusammen das Haus und begleitete die Tante in ein Bad, wo diese bis zum Herbst lediglich ihrer Erholung lebte. Im September reiste dann, nachdem alle Vorbereitungen getroffen waren, Kern von Harda begleitet nach dem Aufenthaltsorte Minnas, und seine Vermählung mit ihr wurde in aller Stille vollzogen. Hierauf kehrte Harda mit Sigi nach Hause zurück, und nach einer Woche etwa wollten die Eltern nachkommen, um Hardas Hochzeit in Wiesberg zu feiern, wozu in der Fabrik schon die eifrigsten Vorbereitungen stattfanden.

* * *

Leichte Herbstnebel liegen über Park und Wald. Vom Gebirge sind sie herabgesunken, immer tiefer und tiefer ins Tal. Der Waldrand schimmert zwischen den dunkeln Fichten in bunten Farben der Laubbäume, noch ruht ein geheimnisvoller Schleier darüber. Aber mehr und mehr hellt er sich auf, wie die steigende Sonne die Nebel über der Wiese verzehrt. Dort, vor dem Walde, flammt ein noch vollbelaubter Ahorn mit seiner gelben Krone wie leuchtendes Gold, ein Freudenfeuer der Siegerin Sonne.

Da rollt der Wagen in rascher Fahrt vom Bahnhofe durchs Gartentor auf die Villa Kern zu. Das Fräulein und die Köchin stehen vor der Tür und winken mit Tüchern, der alte Gelimer grinst vergnüglich und verbirgt seine Flasche sorgfältig in der Tasche. In Freudensprüngen umkreist Diana den Wagen, aus dem Harda und Sigi herabspringen. Mit dem Frühzug waren sie in Wiesberg angelangt.

Am Nachmittag stieg Harda den Weg zur Buche am Riesengrab empor. Sie setzte sich auf die Bank. Heute brauchte sie keine Störung durch die Idonen zu fürchten. Freilich, auch keiner mehr vermittelte ihr die Rede des Efeus.

Ob er wohl nun blühen mochte?

Da oben hinauf in die Krone der Buche reichen ihre Blicke nicht.

Aber der Wald spricht jetzt noch ganz anders zu ihr als vor der Ankunft der Elfen. Harda kann ihnen nicht zürnen, daß sie feindlich gewesen waren, hatten sie sich doch nur selbst verteidigt. Ja, sie waren holde Wesen, die Boten einer lichten Welt, wo die Freiheit wohnt. Diese Freiheit hatte sie nun auch selbst gefunden mitten im hastenden Treiben der Menschheit, die sich ihr verlorenes Erbe in rüstiger Arbeit erkämpft, die wieder mitfühlen will mit der heiligen Mutter Natur, wieder mitleben in ihrer großen Einheit. Überall begegnet ihr der Gruß der Genossen, die sich in immer höheren und reiferen Formen heraufringen zum gleichen Verständnis. Und leise sagt sie sich die Worte des Dichters:

»Du führst die Reihe der Lebendigen
Vor mir vorbei und lehrst mich meine Brüder
Im stillen Busch, in Luft und Wasser kennen.«

Hoch oben aber im Buchengipfel rührt der Efeu zärtlich an die Zweige und flüstert in seiner Sprache:

»Schattende, ich blühe, blühe!«

Es waren nicht mehr die breiten, fünflappigen, tief ausgebuchteten Blätter, sondern eine längliche Eiform hatten die Blätter des Lichttriebs angenommen, die sich hier zum freien Lichte streckten. Zwischen ihnen sproßten in Dolden grüne Sternchen hervor, die Blüten des Efeus. Und eine Wespe flog eilig im Sonnenschein und trug die Boten der Liebe von Blüte zu Blüte.

»Schattende, ich blühe, und die Wespe fliegt! Wie ein seliges Heil wächst es in mir. Ich bin bei dir, ich bin mit euch allen, ich bin im Walde! Aber ich ganz allein bin noch einmal für mich, für mich selbst. Ich bin die Welt, darin der Gott erwacht ist; jetzt weiß ich es, denn ich blühe.«

Unten am Stamme der Buche erhebt sich Harda. Ein Leuchten des Glückes verklärt ihr Auge. Sie löst eine Ranke des Sternentaus vom Efeu und schlingt sie in ihr Haar.


 << zurück