Kurd Laßwitz
Sternentau
Kurd Laßwitz

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Sternentau

Die beiden Botaniker schritten durch den Wirtschaftsgarten nach den Anlagen, wo hohe Buchen wohltuenden Schatten verbreiteten. Öfter blieb Eynitz stehen, wenn seine Demonstrationen eifriger wurden. Er holte einige Zeichnungen aus der Tasche und erläuterte daran, was er berichtete. »Zunächst also,« wiederholte er, »hat sich meine Annahme vollständig bestätigt, daß es sich bei den Pflänzchen des Sternentaus um Sporenbildung auf ungeschlechtlichem Wege handelt. Die glänzenden kleinen Erhebungen unter den silbernen – richtiger seidenartig schimmernden – Fädchen, wonach Sie der Pflanze den bezeichnenden Namen Sternentau gaben, erzeugen in sich Sporen. Die wuchsen in der Tat wie bei manchen Kryptogamen sogleich in der Kapsel weiter aus, wobei die Fäden eine selbständige Rolle spielten – es war mir das ganz neu. Es wuchs nämlich jede der Sporen mit mehreren Fäden zusammen. Hierbei zeigte sich nun, daß die bisher überall in den Zellen vorhandenen Doppelkerne sich trennten. Die neu entstandenen Gebilde enthielten nur Zellen mit einem Kern. Diese Reduktion der Kerne beweist, daß hier eine ganz andere Generation im Entstehen begriffen ist. Entschuldigen Sie, aber ich muß da etwas ausführlicher sein –«

»Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen, Herr Doktor, ich bin auf akademische Vorträge vorbereitet,« sagte Harda lächelnd. »Habe ich Ihnen nicht mitgeteilt, daß ich das Reifezeugnis eines Realgymnasiums besitze?«

»Sie haben – ach, gnädiges Fräulein – Sie sprachen allerdings von dem Wunsche, Botanik zu studieren – ich habe das nicht so formell verstanden –«

»Es ist ganz ernstlich gemeint. Vater konnte mich nur bis jetzt nicht entbehren. Aber bitte, fahren Sie fort. Sie wollen jedenfalls sagen, daß eine Trennung der Geschlechter auftritt, männliche und weibliche Sporen.«

»Ganz richtig. Nur paßt eben die Bezeichnung Sporen nicht mehr, man müßte da neue Fachausdrücke einführen. Es bilden sich nämlich nicht etwa gleich Keimzellen, die ausschwärmen und dann durch ihre Vereinigung den neuen Pflanzenkeim erzeugen, sondern die Sache verläuft viel komplizierter. Und – um es gleich zu sagen – ich habe sie bisher leider nicht bis zu Ende verfolgen können. Aus den Sporenbechern erhebt sich ein verwickelter eigenartiger Organismus, zu dem die Fäden sich vereinigen, und zwar zeigt dieses Wachstum in den hellblauen und den dunkelblauen Bechern etwas verschiedene Formen, woraus ich auf einen Geschlechtsunterschied der beiden Bildungen schließe. Nun ist aber dabei noch etwas ganz Unerklärliches.«

Eynitz machte eine Pause. Harda ging schweigend neben ihm in ungeduldiger Spannung. Aber sie wagte keine Frage zu stellen. Endlich begann Eynitz wieder:

»Es wird Ihnen vielleicht sehr gleichgültig sein und nebensächlich vorkommen, aber als Biologe muß ich Ihnen sagen, wenn ich es nicht durch wiederholte Prüfungen festgestellt hätte, würde ich es nicht glauben. Leider konnte ich keine Photographien ausführen, jedoch hier sind die Zeichnungen. Die neuen Bildungen zeigten Formen, wie sie bei Pflanzen bisher überhaupt niemals beobachtet worden sind – die Zeichnungen werden Ihnen ja nichts sagen – die Sache ist die, daß sich der ganze Charakter des neuen Organismus verändert hat, auch chemisch, soweit ich dies feststellen konnte. Wenn man eine entsprechende Bildung in der Natur sucht, so kann man sie nur im Tierreich finden, in den Zellen der nervösen Substanz, im Gehirn des Menschen. Und nun, als ich so weit war, daß über diese vollkommen neue Tatsache kein Zweifel mehr bestehen konnte, da wurde jede weitere Untersuchung unmöglich. Die Präparate verschwanden einfach unter dem Mikroskop, das heißt, es gelang durch kein Mittel, irgend eine Einzelheit sichtbar zu machen.«

»Sie mußten die Versuche aufgeben?«

»Sagen wir, vorläufig abbrechen. Denn es kommt noch etwas ganz Seltsames. Denken Sie sich, in dieser Nacht –«

»In dieser Nacht –« stieß Harda unwillkürlich hervor und blieb stehen.

»Ja,« fuhr Eynitz fort, »ich wurde gerufen zu den armen Sands – Sie wissen – Bei meiner Wiederkehr blickte ich, gewissermaßen zufällig oder spielerisch, während das Zimmer vollständig dunkel war, in das Mikroskop, und was sehe ich? Die bei Beleuchtung unsichtbaren Zellen zeigten sich jetzt in einem matten Eigenlichte, das bei Belichtung wieder verschwand.«

»War das Licht der Substanz so – so phosphoreszenzartig?« fragte Harda mit erregter Stimme.

»Ja. Ich muß noch etwas ergänzen. Sie können sich denken, daß die Exemplare, die ich bisher untersucht hatte, durch meine Eingriffe in ihrer Entwicklung gestört wurden. Ich sah nun zum ersten Mal den, wie es scheint, letzten Prozeß der sichtbaren Entfaltung, der außerordentlich rasch vor sich geht. Als ich das letzte Präparat entnahm, waren zwei der Sporenbecher in diesem höchsten Stadium, die Fäden bildeten eine stark hervorgequollene Wölbung. Als ich nach meiner Rückkehr danach sah, war der ganze Inhalt vollständig verschwunden – es war nichts mehr zu entdecken als die vertrockneten Kapseln, und weder in diesen noch irgend in der Umgebung konnte ich Spuren von zerstreuter oder zerstörter Substanz auffinden. Die ganze Masse muß direkt unsichtbar geworden sein.«

»Oder davongeflogen,« sagte Harda leise.

»Wie?« fragte Eynitz.

Harda schüttelte nur den Kopf.

Sie waren bis nahe zur Grenze des Parkes gekommen. Vor einer Bank stand ein Naturtisch. Hinter einem Geländer blickte man durch Baumwipfel in die Schlucht, auf deren andrer Seite das Riesengrab anstieg. Unten rauschte die Helle.

Harda setzte sich. Sie mußte erst versuchen, sich klar zu machen, was das alles bedeute. Sollte sie von ihrer Beobachtung erzählen? Wenn er sie bloß für einen Traum hielt?

»Es ist nun eine sehr wichtige Frage,« hub Eynitz wieder an, »wie Sie, gnädiges Fräulein, sich zu meiner Entdeckung stellen. Freilich ist das Ganze für eine Veröffentlichung noch nicht reif, darüber kann noch längere Zeit vergehen, man muß vorsichtig sein. Auf der andern Seite liegen aber hier Probleme, über deren Konsequenzen ich mich gar nicht recht auszusprechen wage – die jedenfalls von der Wissenschaft verfolgt werden müssen und denen ich allein nicht gewachsen bin – weder nach Zeit noch nach Mitteln der Untersuchung.«

»Aber was soll dabei auf mich ankommen?« fragte Harda.

»Sie haben die Pflanze zuerst gefunden und gezogen, Sie haben mich auf den Zusammenhang mit dem Efeu aufmerksam gemacht, Sie waren auch so gütig, mir die Veröffentlichung zu gestatten. Nun hat sich aber etwas ergeben, das ganz über alle Erwartung hinausgeht. Es handelt sich voraussichtlich um einen Generationswechsel zwischen organischen Formen, von denen man noch gar nichts weiß. Ich kann das Wunderbare nicht besser verdeutlichen als mit dem Bilde, das ich schon einmal gebraucht habe, von dem Strauche, der Hühnchen und Hähnchen trägt, aus deren Eiern erst wieder der Strauch wächst – nur daß wir die Hühnchen und Hähnchen noch nicht selbst gesehen haben – hm, ja – wie dem auch sein mag – Eines ist unbedingt nötig: Das Material der Untersuchung muß der Wissenschaft zugänglich gemacht werden. In meinen Augen sind Sie die einzige Herrin –«

Harda sah ihn mit einem leichten Lächeln an. Er gefiel ihr doch wirklich sehr in seinem Eifer, die Augen glänzten ihm entschlossen und er war so ganz bei der Sache, er hatte gewiß gar nicht den Doppelsinn seiner Worte gemerkt. Und doch stockte er bei Hardas Blick momentan.

»Ich meine, Sie haben über das Material zu verfügen – wenn ich Mitarbeiter in der gelehrten Welt finde, wird die Sache Aufsehen erregen, und dann kann ich doch Näheres über die Auffindung, wohl auch Ihren Namen nicht verschweigen. Der Platz wird aufgesucht werden, es handelt sich nicht mehr um eine Spezialität für Liebhaber, sondern um einen Typus, der auf ganz neue Anschauungen führen kann – und gegen Ihren Wunsch tue ich selbstverständlich nichts.«

Eynitz hatte seinen Hut auf den Tisch gestellt neben Hardas Blumen. Sie sah vor sich nieder und spielte mit ihrem Schirm. Dann sagte sie nachdenklich:

»Halten Sie mich nicht für unbescheiden oder neugierig –«

Eynitz machte eine Bewegung des Entsetzens, als hätte er die größte Lästerung vernommen.

»Ich habe einen ganz bestimmten Grund zu fragen. An was dachten Sie wohl, als Sie von Konsequenzen sprachen, über die Sie sich nicht äußern wollten? Darf ich davon nichts hören? Bitte, setzen Sie sich doch.«

»O, Fräulein Kern, Ihnen gegenüber darf ich vielleicht etwas sagen, was mir vor meinem wissenschaftlichen Gewissen selbst noch zu phantastisch scheint. Aber der Gedanke beschäftigt mich. Man muß sich doch sagen: Wenngleich die Individuen der neuen Generation unsern bisherigen Forschungsmitteln vorläufig entschwunden sind, es muß immerhin etwas aus ihnen geworden sein. Wo sind die Fädengespinste hingekommen? Mögen sie auch für unsre Sinne unsichtbar geworden sein, irgendwo und wie müssen sie noch existieren, denn sonst könnte sich der Sternentau nicht durch Sporen fortpflanzen, also auch nicht hier so unvermittelt aufgetreten sein. Es muß sein Keim irgendwoher gekommen sein, und dieser Keim muß einer solchen Generation entstammen, wie sie unsern Augen entschwunden ist. Und das letzte, was ich von dieser gesehen habe, das waren keine pflanzlichen Gebilde, es war etwas nach unserm bisherigen Wissen auf Erden überhaupt Neues wie der Sternentau selbst. Nun – was soll man da denken? Ich kann mir nicht helfen! Bestehen jene unbekannten Organismen aus Zellen nicht bloß tierischen, sondern geradezu nervösen Gefüges, so – man möchte meinen – sind es bewußte, vielleicht intelligente Wesen, deren Körper uns unsichtbar sind.«

Er drückte die Hand an seine Stirn.

»Fräulein Kern, halten Sie mich für keinen Phantasten, ich weiß nur nicht –«

Er sah ganz verzweifelt aus. Harda mußte ihn anblicken. Sie verstand ihn. So steht ein ernster, gewissenhafter Forscher vor dem Naturgeheimnis – fast durchsichtig war der Schleier geworden, der ihn davon trennte, aber er traute seinen Augen nicht. Denn er wußte, er befand sich an einer Grenze, jenseits deren seine Mittel keine Macht mehr hatten. Und sie, sie hatte Teil daran, sie wußte noch mehr – –

»Aber vielleicht irre ich mich,« sagte er tonlos.

»Sie irren sich nicht!« rief Harda. Sie erschrak fast über das Wort, aber sie hatte es gesagt.

Er sah sie erstaunt an, freudig erstaunt.

»Ich darf es Ihnen nicht länger verschweigen,« sprach sie lebhaft weiter. »Ich habe auch eine Beobachtung gemacht. Nur hatte ich nicht den Mut, sie für wirklich zu halten. Unter dem Efeu in meinem Zimmer habe ich ebenfalls Sternentau gezogen, der eine Anzahl Sporenkapseln entwickelt hat. Die eine war besonders weit vorgeschritten, wie ein weißes Spitzen-Häubchen kam es heraus –«

Eynitz nickte eifrig beistimmend. »Sehr zutreffend!«

»Und am andern Morgen, als ich nachsah, – alles fort, die Kapseln leer und vertrocknet! Eigentlich wollte ich es Ihnen gleich mitteilen – es war am Mittwoch – aber Sie waren sehr eilig – doch das gehört nicht hierher. Machen Sie kein so bekümmertes Gesicht, Herr Doktor. Ich habe etwas viel Wichtigeres zu sagen, etwas Ernstes, wie mir jetzt scheint, von der Nacht zu heute. Ich lag schlaflos auf dem Diwan, die Becher waren meinem Gesicht so nahe, daß ich sie fast mit der Hand erreichen konnte. Zwei von ihnen hatten wieder diese Häubchen angesetzt, das hatte ich schon am Tage bemerkt. Nun war es ganz finster. Da sah ich, daß die Becher bläulich leuchten, und zwar ging das Licht von dem Fadengespinst aus, so daß man die blauen Blätter erkannte. Auf einmal nahm die Entwicklung lebhafteren Fortgang, wie schwach leuchtende Wölkchen und schleierhafte Gestalten wuchs es heraus. Ich machte Licht, da sah man nichts; im Dunkeln war alles wieder da. Ich fing an mich zu ängstigen. Vor meinen Augen wurden diese Gebilde etwa handgroß, leicht hin und her wehend; sie lösten sich von den Kapseln ab, sie streiften wie mit feinen Ärmchen an sich herum und hüllten sich ein; so schwebten sie durch das Zimmer wie Elfen im Reigen, auf mich zu – da verlor ich das Bewußtsein. Als ich aufwachte, war es Tag, alles ist verschwunden – wie Sie wissen. Sie können sich denken, daß ich annehmen mußte, ich hätte nur geträumt.«

Eynitz saß noch eine Weile mit weiten Augen in tiefem Nachdenken. Dann fuhr er auf.

»Nein, nein! So ist es! Was Sie sagen, erklärt mir vieles. Als ich in mein verdunkeltes Zimmer trat, sah ich etwas schwach Leuchtendes, das durchs offene Fenster hinausschwebte; ich glaubte an eine Täuschung und legte dem kein Gewicht bei, da ich an gar keinen Zusammenhang dachte. Aber die Fäden waren fort. Nein, Fräulein Kern, Sie haben nicht geträumt. Es kann nicht anders sein, ich sehe den Zusammenhang. Die Individuen der zweiten Generation des Sternentaus, botanisch wären sie als »Gametophyten« zu bezeichnen, sind offenbar durchscheinend wie Luft, im Tageslicht nicht sichtbar, können aber Eigenlicht entwickeln, so daß sie im Dunkeln wahrnehmbar werden. Bei der Reife lösen sie sich von den Kapseln des Sternentaus ab und schweben frei in der Luft, wie die Quallen vom Korallenstock im Wasser schweben – Sagten Sie nicht auch etwas von Ärmchen? – Gleichviel! Es paßt alles zusammen! O, wie danke ich Ihnen! So ist doch ein Sinn darin, überraschend, neu, aber doch nicht wunderbar, nicht mehr unerklärlich.«

Harda stand erregt auf.

»Dann dürfen wir uns wohl gratulieren?« sagte sie lebhaft und streckte ihm die Hand entgegen. Auch ihr glänzten die Augen freudig. »Sehen Sie,« sagte sie heiter, »da habe ich in meiner Dummheit ganz recht gehabt, wenn ich meinte, die neue Generation werden richtige Elfen sein, Blumengeister, die aus den Blüten in die Lüfte schweben.«

Eynitz lächelte erst glücklich, dann wurde sein Gesicht wieder ernst. Nachdenklich sah er vor sich hin und schwieg. Auch Harda hielt an. Sie hatte sagen wollen: »Wer weiß, welche Geheimnisse sie uns noch verraten.« Da kam ihr die geheimnisvolle Stimmung in den Sinn, die schon zweimal an sie herangetreten war, und der Gedanke war ihr unheimlich, daß hier vielleicht wirklich ein Zusammenhang sein könnte.

»Glauben Sie denn,« fragte sie fast schüchtern, »daß diese Individuen der zweiten Generation, wie Sie sagen, wirklich auch geistige Fähigkeiten haben könnten, ein gewisses Verständnis für das, was sie wahrnehmen? Wenn sie doch tierähnlich organisiert sind –«

»Ja,« sagte Eynitz, »besteht die organische Verwandtschaft, so wird auch die psychische mindestens denkbar. Aber – hier liegt überhaupt das Bedenken, was alle unsre schönen Ergebnisse in Frage stellt. Aus Pflanzen können keine hochstehenden Tiere, mit Gehirn und Intelligenz, hervorgehen. Das ist unmöglich, einfach unmöglich. Es widerspricht dem Gesetze der Entwicklung, wonach die Trennung zwischen Pflanze und Tier ganz unten im Stammbaum der Organismen, bei den Protisten, ein für allemal eingetreten ist. Und daran scheitert unsre Hypothese. Eine höhere Pflanze und ein intelligentes Geschöpf, sagen wir auch nur ein tierartiges Wesen, als gegenseitige Geschlechtsfolge, das ist auf der Erde nicht denkbar.«

»Die Erde ist nicht die Welt!« Harda wußte selbst nicht, wie ihr der Ausruf auf einmal in die Gedanken kam. Es war wohl in Erinnerung an ein Gespräch mit Geo.

Eynitz sah sie groß an. Er nickte.

»Schon wahr, schon wahr,« sagte er. »Aber wir sind auf der Erde. Und wo führt das hin? Wir dürfen nur verwenden, was wir beweisen können.«

Harda seufzte.

»Übrigens,« bemerkte Eynitz tröstend, »warum sollen denn diese schwebenden Blasen, die Gametophyten des Sternentaus, gerade höhere Organismen, womöglich gar Intelligenzen sein? Es war das ein voreiliger Einfall von mir. Der morphologische Befund, soweit er bis jetzt reicht, ließe wohl noch andere Deutungen zu. Naturwissenschaftlich geht uns das ja gar nichts an, ob sie bewußte Wesen sind oder nicht. Vielleicht sind's bloß mit Luftballons, ich meine mit Gasblasen, segelnde Vorkeime von bisher unbekannter Bildung. Wir haben nur Bau, Wachstum, Funktionen ihres Körpers festzustellen. Und damit haben wir vorläufig noch genug zu tun.

»Sie haben ganz recht, Herr Doktor, wir wollen weiter beobachten. Jeder auf seine Weise. Und teilen wir uns alles ehrlich mit.«

»Ich hoffe, recht bald wieder vorzusprechen. Darf ich noch fragen, wie lange wohl die ganze Entwicklung gedauert hat von dem lebhaften Hervorquellen an bis zur Loslösung?«

»Genau kann ich es nicht sagen, aber es war drei Uhr vorüber, als ich mich niederlegte, und um vier Uhr schlief ich schon, denn die erste Dampfpfeife habe ich nicht mehr gehört. Ich glaube, mehr wie eine halbe Stunde nahm der Vorgang nicht in Anspruch.«

»Dann wäre es auch erklärlich, daß ich nichts davon bemerkte. Der Prozeß muß sich gerade in der Stunde abgespielt haben, in der ich abberufen war. Und da das Fenster offen stand, konnten die Gespenster davonfliegen.«

»Das nächste Mal müssen wir sie festhalten. Aber wie?« rief Harda.

»Wenn ich nur wüßte, wo noch genügend entwickelte Kapseln sind. Ich werde versuchen, heute nachmittag von oben her den Weg zum Riesengrabe zu finden.«

»Das können Sie von unten her bequemer haben,« lachte Harda. »Mit Hilfe unseres Schlüssels.«

Harda unterbrach sich. Sie überlegte. Es fiel ihr ein, daß ja vor allem auf dem Friedhof die Untersuchung zu machen wäre, dort gab es gewiß Ausbeute. Und auf einmal erschienen ihr die Gespenster des Wächters Gelimer in anderm Lichte. Nach dem, was sie gestern gesehen hatte, wäre es doch nicht undenkbar, daß es sich um die Gametophyten des Sternentaus handelte – ach, »Elfen« ist hübscher und kürzer, sagen wir »Elfen«, dachte sie. Und hinüber mußte sie endlich. Aber sie konnte doch den Doktor nicht zu einem Stelldichein auf den Friedhof einladen? Sollte sie überhaupt von ihrem eigensten Erlebnis etwas sagen? Alles das ging ihr blitzschnell durch den Kopf. Sie begann.

»Es fällt mir ein, ich habe noch eine Stelle, wo Sternentau reichlich wächst. Es ist freilich – am Grabe meiner Mutter. Aber wir haben ja einen ernsten Zweck, ich kann keine Pietätlosigkeit darin finden, wenn Sie dort einige Pflänzchen entnehmen. Ich gebe Ihnen die ausdrückliche Erlaubnis. Es ist ganz nahe von hier.«

»Das ist sehr liebenswürdig, ich würde gern davon Gebrauch machen, aber – Fräulein Kern, für mich allein würde ich mir das nicht erlauben. Das dürfte nur durch Ihre eigene Hand geschehen.«

Das gefiel ihr. Ohne weiteres Besinnen sagte sie: »Nun gut, im Interesse der Wissenschaft. Wann haben Sie heute nachmittag Zeit?«

»Um halb fünf habe ich einen Gang durchs Krankenhaus zu machen, es ist Gott sei Dank fast leer, von fünf an bin ich frei. Bestimmen Sie über mich.«

Harda antwortete nicht gleich. Sie war doch zu schnell gewesen. Sie wollte Zeit gewinnen. Es wurde ihr klar, daß sich dieses Geheimnis des Sternentaus zu zweien unmöglich fortspinnen ließ, wenn sie sich über die weiteren Untersuchungen von Eynitz wollte auf dem Laufenden halten lassen. Inzwischen schritten sie auf dem Parkwege langsam nebeneinander fort.

Eynitz bewegte das Gehörte lebhaft in Gedanken. Es war so überraschend. Und dabei neben ihm die schlanke Gestalt, das Antlitz leicht gerötet, an den Schläfen diese lose sich hervordrängenden Löckchen. Wie die braunen Augen bei ihrem Bericht geleuchtet hatten! So erzählt man keinen Traum. Das war volle, erlebte Wirklichkeit. Ein Traum war nur das Glück – –

Sie waren bis in die Nähe des Hauses zurückgekommen. Plötzlich blieb Harda stehen.

»Wissen Sie, Herr Doktor,« sagte sie, »kommen Sie heute abend zu uns. Sonntags finden Sie immer Bekannte bei uns. Den Sternentau vom Friedhof werde ich Ihnen selbst besorgen, Sie können ihn heute abend mitnehmen, ich werde alles sorgfältigst verpacken. Und dann – Sie wollen und können doch die weiteren Untersuchungen nicht geheim halten – ich kann auch nicht immer hier Versteck spielen. Die Meinigen wissen bis jetzt nichts, als daß ich merkwürdige blaue Blümchen ziehe, alles das Theoretische, was daran hängt, würde sie auch kaum interessieren, aber das müssen sie doch erfahren, daß Sie, Herr Doktor, an dieser Pflanze einige botanische Studien machen möchten. Es ist das Beste, ich spreche mit meinem Vater. Sie können mir das getrost überlassen.«

»Sie sind zu gütig. Ich hätte mir das ja selbst sagen müssen – Ihre Mitteilung hat mich so überrascht – Freilich weiß ich nicht, ob Ihrem Herrn Vater diese Studien bei mir gerade sehr sympathisch sein werden.«

»O, Sie kennen ihn nicht. Die Sache wird ihn sehr interessieren, wenn er auch nicht Zeit hat, sich darum zu kümmern. Aber er kann Ihnen ganz andre Mittel zur Verfügung stellen, als Sie bisher hatten. Drüben im Laboratorium haben sie ja für Photographie, auch für Mikrophotographie die besten Apparate. Wenn der Vater mir einen Wunsch erfüllen kann, so tut er's gewiß. Also sind Sie einverstanden?«

»Ich kann nur darum bitten.«

»Nur –« Harda zögerte ein wenig – »um eines möchte ich Sie bitten, wenn vom Sternentau gesprochen wird, erzählen Sie nur, was Sie selbst gesehen haben.«

»Aber selbstverständlich. Und auch da werde ich äußerst zurückhaltend sein, denn es muß ja alles noch bestätigt werden. Haben Sie nochmals herzlichsten Dank. Meine ergebensten Empfehlungen –«

»Auf Wiedersehen,« sagte Harda, ihm die Hand reichend.

Nachdenklich ging sie dem Hause zu, während Eynitz mit schnellen Schritten durch das Gartentor eilte. Gleich darauf begegnete er dem Kernschen Wagen, der den Direktor mit Sigi und Anna Reiner in raschester Fahrt nach Hause führte. Kern winkte dem Arzte jovial zu.


 << zurück weiter >>