Kurd Laßwitz
Sternentau
Kurd Laßwitz

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Elfen-Erbe

Der Blick von Geos Häuschen lief über grünende Wiesenflächen, weiterhin war er zum großen Teil von bewaldeten Hügelköpfen beschränkt. Nach Osten aber schweifte er weit hinein in das Wiesberger Tal mit seinen Dörfern, und im Süden ragte der Höhenkamm des Gebirges mit kühn geschwungenen, luftgetönten Formen herüber.

Geo Solves begleitete Eynitz vom Hause bis zur Tür seines Gärtchens, die nach dem schmalen, ländlichen Fahrwege sich öffnete.

»Nochmals meinen herzlichsten Dank,« sagte Eynitz. »Und nicht wahr, Sie nehmen es mir nicht übel, daß ich mir erlaubte, Sie zu stören, um aus Ihrem eigenen Munde zu hören, was Sie meiner Braut schon gesagt haben. Ich war ja doch nicht sicher, ob Sie nicht, um sie zu schonen und vor jeder Aufregung zu behüten, sich vorsichtiger ausgedrückt haben, als mir gegenüber nötig ist.«

»Dies nehme ich Ihnen gar nicht übel, im Gegenteil, es freut mich, daß Sie mir Gelegenheit gegeben haben, die ganze Frage mit Ihnen zu erörtern. Dieses plötzliche Verschwinden aller Idonen aus Ihrem Gesichtskreise, nachdem sie durch Ihre Gläserkombination für unsre Augen wahrnehmbar gemacht worden waren, mußte ja Bedenken erregen. Ich kam deswegen sofort her, als mir Harda die Nachricht telephonisch mitteilte, und habe hier bereits zwei Tage beobachtet, ehe ich mich unten in der Villa offiziell meldete. Und – ich sagte Ihnen ja schon – ich muß den Elfen als ein besonders günstiges Versuchsobjekt erscheinen, denn sie haben mich oft besucht, und, ich möchte sagen, direkt ausgefragt.«

Im Eifer des Gesprächs blieben beide an der Pforte stehen.

»Das war mir eben so ganz besonders interessant,« sagte Eynitz. »Ich konnte mir gar nicht erklären, daß sich dort auf dem Friedhof eine Idone offenbar mit Harda in Verbindung gesetzt hatte, ohne daß sie, wie das sonst der Fall war, ihren Kopf berührte. Sie nannten das Zerebralstrahlung.«

»Ja, so hat sich mir der Begriff in meinem Sprachzentrum gestaltet. Die Erregung geht von den Idonen aus, und sie haben mir dadurch mancherlei mitgeteilt. Um es nochmals kurz zusammenzufassen – diese merkwürdigen Wesen wissen jetzt, daß wir sie sehen können, und versichern, daß sie sich ganz von uns zurückziehen wollen. Wann und wie? Ob ich das erfahren werde, weiß ich noch nicht, aber ich zweifle nicht daran, daß es geschieht.«

»Also bleiben für uns zwei Hauptpunkte als Folgerungen. Erstens, wir haben keine neuen Angriffe von ihnen zu befürchten. Zweitens, wir können keine neuen Studien an ihnen machen. Das erstere ist erfreulich, das zweite ist schmerzlich.«

Geo bewegte zustimmend den Kopf.

»Und dennoch müssen wir froh sein, daß sich diese Vernunftwesen so entschlossen haben. Denn der Kampf mit ihnen hätte zu schweren Krisen führen können und für uns zu unerträglichen Situationen.«

»Nun aber bleibt die Frage,« fuhr Eynitz fort, »wie verhalte ich mich der Öffentlichkeit gegenüber? Ich habe doch noch einige Photographien und mikroskopische Präparate, ich habe das sogenannte Nest, und vor allem, ich habe an Ihren Beobachtungen einen Zeugen von zweifelloser Autorität.«

»Mein lieber Herr Doktor,« bemerkte Geo lächelnd, »darauf bauen Sie besser nicht. Bestehen Sie darauf, so würde ich mich ja verpflichtet fühlen, für Sie einzutreten, aber, glauben Sie mir, das würde Ihnen auch nicht viel nützen. Man würde eine achtungsvolle Verbeugung machen und mit Achselzucken sagen, na ja, der alte Solves fängt nun auch an, Gespenster zu sehen. Da hat ihm wohl seine Phantasie einen Streich gespielt.«

»So sollte die Menschheit von dieser folgereichen Tatsache nichts erfahren?«

»Die Menschheit – warum nicht? Aber in der Form des wissenschaftlichen Beweises – von diesem Versuche möchte ich Ihnen abraten. Sie werden zugeben, es hat einen eigentümlichen Beigeschmack, wenn Sie darlegen, es gibt eine Pflanze mit einem Generationswechsel, deren zweite Generation intelligent Wesen sind, und wenn Sie dann auf das Verlangen, diese vorzuzeigen, sagen müssen: Ja, die sind verschwunden. Statt ihrer sondert die Pflanze jetzt einen Milchsaft ab, der für die Industrie von größter Bedeutung ist. Insbesondere verdienen die Hellbornwerke daran Millionen.«

»Sie haben recht. Es ist alles so einfach, so klar, so natürlich – aber dem Außenstehenden, der das nicht mit erlebt hat, wird es immer phantastisch erscheinen. Und aus Rücksicht auf die Resinitfabrikation muß ich zurückhaltend sein.«

»Auch aus Rücksicht auf Harda. Die Konkurrenz würde eine etwaige Veröffentlichung bei Ihrer Stellung zu Kern als eine unerhörte Reklame herabwürdigen. Warum sollen Sie sich ohne Not zum Märtyrer einer Überzeugung machen, indem Ihre Motive falsch und höhnisch gedeutet werden? Da eben die Rolle der Idonen auf der Erde ausgespielt zu sein scheint, so liegt auch kein aktuelles Interesse zur Veröffentlichung vor. Vervollständigen Sie Ihren Bericht, aber deponieren Sie ihn bis auf weiteres an sicherer Stelle.«

»Es wird wohl das Beste sein. In der Tatsache jedoch, daß es, wenngleich nicht auf der Erde, eine derartige biologische Entwicklung gibt, und daß den Pflanzen ein unter Umständen mitteilbares Vorstellungsvermögen zukommt, darin liegen Beweismittel von so überzeugender Kraft für die Beseelung der Pflanzen vor, daß diese zur Geltung gebracht werden sollten.«

»Die Beweismittel würden aber nur dann erfolgreich sein, wenn sie Ihnen jederzeit zur Verfügung ständen, wenn Sie lebende Idonen auf der Naturforscherversammlung vorführen könnten. Falls aber die Idonen von der Erde verschwinden, so sind wir auf den guten Glauben angewiesen.«

»Leider,« seufzte Eynitz.

»Wir wollen darum nicht zu sehr klagen,« sagte Geo. »Die Wissenschaft geht ihren Weg langsam, zuletzt werden sich immer Beweise für das finden, was wir zu verstehen reif sind. Für diejenigen aber, deren Neigung sich schon dem tiefen Gedanken von der Einheit des Erdbewußtseins entgegen drängt, für die kann das nicht verloren sein, was wir davon erlebt haben. Und da wird es früher oder später einmal gelingen, unsrer Zeit zum Bewußtsein zu bringen, nicht bloß, daß es eine Pflanzenseele gibt, sondern daß es selbst bei einer Mitteilung der Pflanzenseele an die Menschenseele mit natürlichen Dingen zugehen kann. Und die Hauptsache ist doch immer, daß wir Erdenwesen alle uns verstehen lernen im gemeinsamen großen Bewußtsein des Göttlichen.«

»Sie werden den Weg finden,« bemerkte Eynitz nach einer Pause bescheiden. »Der Dichter vermag ihn zu wandeln.«

Geo blickte sinnend weit in die Landschaft und bewegte leicht das weiße Haupt.

»Wir wollen uns nicht mißverstehen,« sagte er. »Der Dichter hat keine Tendenz. Der Dichter kann nur eine Form finden für das, was seine Seele im Innern bewegt, um es lebendig zu machen in dem schönen Schein, der Wahrheit ist und Leben für alle, die daran teilnehmen. Aber wohl kann in einem Dichter das Erlebnis jenes Zusammenhangs von Pflanze und Mensch so mächtig werden, daß er es darzustellen versucht; selbstverständlich nicht um zu lehren, nein, sondern um einem Gefühle Dauer zu verleihen, das nach Form verlangt. Solche Versuche sind berechtigt.«

»Ja,« entgegnete Eynitz, »aber es ist immer noch etwas anderes, ob der Dichter nur der Pflanze seinen Mund leiht, wie das Märchen von je getan hat, oder ob sein Werk uns zwingt, die Pflanze selbst zu hören als Kind der Mutter Erde, entsprechend unserm gegenwärtigen Wissen über die Natur.«

»Na,« sagte Geo lächelnd, »zerbrechen wir uns nicht den Kopf. Nehmen Sie jetzt die Sache zunächst praktisch und freuen Sie sich des Gewonnenen. Also heute soll endlich das große Waldfest werden. Nun, Sie haben prächtiges Wetter.«

»Harda und ich wollen uns erst am Abend einfinden, wenn alles bereits im Gange ist. Die näheren Bekannten wissen ja schon, wie es mit uns steht, also inzwischen wohl auch die ferneren. Morgen früh erhalten sie dann die Verlobungskarten. Werden Sie auch zum Feste kommen?«

»Nein, lieber Doktor. Für mich ist das nichts. Und nun – leben Sie wohl. Viel Vergnügen.«

Er schüttelte Eynitz die Hand und sah ihm mit stillem Lächeln nach, wie er rüstig den Landweg hinabeilte. Dann schritt er langsam in das Haus.

* * *

Am späten Nachmittage, als die Schatten der Bäume sich über die Wiesen hinzustrecken begannen, wandele Geo Solves von seinem Hause dem Platze unter der Buche zu.

Er ließ sich auf der Bank nieder, labte sein Auge am grünen Lichtspiel des Laubes und folgte ausruhend seinen Gedanken, die in der Stille des Waldes umherwanderten. Wie oft hatte er hier gesessen und gelauscht der befreienden Stille, bis ein noch holderes Lachen aus dem Walde grüßte und das Glück der Jugend selig erneute. Ach, wenn nur sie das Glück fand, das sie verdiente! Ihr geheimnisvollen Elfen, wenn ihr um Menschenschicksal euch kümmert, segnet sie mit dem heiteren Frieden eurer Freiheit!

In seine Träume versunken fragte Geo sich gar nicht, was ihm aus der eignen Seele emporstieg, oder was ihm vielleicht eine freundliche Elfe zustrahlte. Wie ein Teil der lebendigen Natur atmete er mit dem erfrischenden Abendhauch des Waldes und verstand sein Geflüster.

Lag wirklich der Riese im Felsengrab? Regte er sich unwillig, gestört in seiner Ruhe? Oder war es der alte Gott, auf dessen Erwachen die Pflanzen hofften? Warum zog und schwebte es so seltsam durch die Luft um den Höhleneingang, flüsterte rings im Dämmer der Schatten bei Buche und Pflanzen? Worauf wartete der Wald?

Unberührt von der geheimnisvollen Erregung türmte sich der verwitterte Steinhaufen des Riesengrabes. Fester Granit war's ja freilich, aber doch nur ein Trümmerberg. Droben vom Felswall des Gebirges war er herabgestürzt, als noch ein längst entschwundener Gletscher das Helletal erfüllte. Fortgeschoben hatte ihn das Eis talabwärts mit dem hohen Steinwall, den es vor sich auftürmte. Das Eis war fortgeschmolzen, die Stirnmoräne des Gletschers war liegen geblieben, durch sie hatte sich die Helle die schäumende Bahn gebrochen.

Pflanze auf Pflanze wanderte zu und siedelte sich an. Mit ihnen waren die Tiere gekommen und der Mensch. In der Höhle flammte das neue Licht auf, das der Mensch entzündet hatte, das heilige Feuer. Und die hohe Eiche war gewachsen, die knorrige, und Menschen hatten sich unter ihr gelagert.

Aus jener Zeit war eine Sage gegangen durch die Geschlechter der Eichen und von ihnen vererbt zu den Buchen, als sie die Herrschaft im Walde antraten.

Eng schmiegte sich der Efeu an die Äste der Schattenden, als sie an diesem erwartungsvoll heranziehenden Abend zu Ebah von der Hoffnung der Pflanzen sprach, von der Hoffnung der Pflanzen auf ihren schlummernden Gott.

Denn sie erzählte der Lauschenden die Sage vom mächtigen Erdengott, der einst hier herrschte und lebendig war, der die Massen der Gesteine hob und zertrümmerte, der die Wasser rauschen ließ und im Sturmwind einherjagte, der im Donnerstrahl hinzuckte und leise, leise webte und baute in den zahllosen winzigen Tröpfchen des gestaltenden Lebensstoffes. Er waltete in den kleinen grünen Körnchen der Pflanzen, die es verstanden, die Luft zu zerspalten, und in den beweglichen Zellen, die das Erdreich nach Lebensnahrung durchwühlten. Sein Atem durchwehte den rauschenden Wald, und alles vernahm ihn, was darin wurzelte und wuchs und blühte, was darin kroch und summte und heulte von huschenden Tieren. Ihn verstand auch der Mensch, dem selbst die züngelnde Flamme gehorchte; und er verehrte in heiligem Schauer das göttliche Leben, das da flutete durch Stein und Pflanze und Tier wie durch Weib und Mann und die ruhmvollen Seelen der Helden. Das war das große Reich des Kampfes und der Liebe, darin alles zusammenwirkte, sich bedrängte, ergänzte, verzehrte und gebar und immer neu sich emporhob zur Welt des Lebens; das war das Reich der ewig werdenden Natur, die Gemeinsamkeit des Lebens im Heimatsstern, in der Erde, das Reich Urd.

Schwache und Starke gab's, Geringe und Mächtige, Kleine und Große in dieser umfassenden Einheit, aber in ihnen allen lebte die eine, dauernde Seele des Heimatssternes, der sie zeugte, nährte und zu sich nahm. Das eben fühlten sie alle als ihres Lebens Gemeinsamkeit. Die Pflanzen umtasteten mit ihren Wurzeln den schaffenden Gott, die Menschen riefen ihn an, im Vertrauen stammelnd unter der Eiche, worin sie seine Wohnung sahen. Mensch und Tier und Pflanze, sie alle fühlten sich eins mit der nährenden Erde und dem wärmenden Himmelslicht im Zusammenhang des Gottes, der sie in sich faßt; still, gelassen und tief das sprossende Pflanzenreich, dunkel und flüchtig das Tier, und in unklarem Schauer der Mensch, in Furcht und Hoffnung.

Es kamen aber fremde Menschen ins Land und verkündeten einen fremden Gott. Von dem sagten sie, er wolle nicht im Walde wohnen und nicht in der Eiche und wolle nichts wissen vom Reiche Urd, dem ewig werdenden; denn er selbst habe die Erde und die Pflanzen und die Tiere geschaffen, damit sie dem Menschen dienen sollten. Nur zu den Menschen rede er. In einem neuen Geiste sollten sie sich verbinden, daß sie sich verstehen in einem gewaltigen Reiche des Glückes und der Liebe. Denn jenes Reich sei über der Erde, dahin könne nicht gelangen der wüste Wald und das heulende Tier, sondern nur der Mensch. Ihm allein glühe das Licht der Seele in ewiger Dauer und reinem Scheine; die Erde aber und ihre Geschöpfe seien seelenlos und tot. Hier im Reiche des Gewordenen müsse alles zugrunde gehen; unendlich walte das Leben nur da drüben, da droben.

Und die Menschen glaubten ihm. Nicht mehr genügten ihnen ihre Brüder in Wald und Busch; sie begannen zu verachten, was da wächst und leuchtet und sich freut und hofft im Scheine der Sonne und im Leben des schaffenden Planeten.

Da verleugneten sie den Gott der Erde und legten die Axt an seine Eiche.

So fielen die Menschen ab vom Reiche Urd und suchten nach einer neuen Seele, deren Nahrung, wie sie glaubten, sich nur finden lasse in jenem Reiche jenseits der Muttererde. Da wurden sie gelöst von Tier und Pflanze und der heiligen Einheit der Werdewelt.

Die Eiche stürzte, der Gott aber stieg hervor als Wetterwolke auf die Höhe des Gebirgs und schleuderte zürnend den Blitzstrahl in das Tal hinab und fluchte den Menschen, die ihn verleugneten. Dann zog er sich zurück tief in die Schluchten der Erde und harrte besserer Zeiten.

Und weiter sprach die Buche zur lauschenden Ebah:

»Wir Pflanzen aber blieben treu dem Gotte der Eiche. Darum zürnt uns der Seelengott jenseits der Erde und machte die Menschen taub für unsre Rede. Einst aber kommt die Zeit, da wird der Erdengott wieder erwachen und einziehen in sein altes Reich des ewig Lebendigen. Dann werden auch die Menschen uns wieder verstehen, dann werden sie sich mit uns vereinen als Brüder und mit uns leben als Kinder der großen Muttererde und fühlen in ihrer heiligen Dauerseele. Das aber ist es, was die Pflanzen erflehen vom Schicksal des Planeten, daß bald der Gott erwache, der im Berge schlummert, und von ihnen nehme das Leid, verkannt zu sein von den Menschen als seelenlos und stumm. Und so hoffen sie auf ihn, und lebhafter zittert es durch alle ihre Fasern, wenn in der Nacht geheimnisvoll ein Leuchten zieht ums Riesengrab.«

Als die Buche geendet hatte, schwieg Ebah lange in stillem Nachdenken. Dann sprach sie bescheiden:

»Hättest du mir die alte Kunde geraunt, Schattende, als ich zum ersten Male dich bat, da hätte ich wohl gläubig mit dir gehofft, daß der Gott uns erretten könne. Denn das ist ja unser Wunsch, daß er Einheit bringe mit den Menschen. Nun aber hat die neue Pflanze bei uns ihre Kapseln entfaltet und das Geschlecht der Idonen ist herausgestiegen, erleuchtet von einem Geiste, der noch größer ist als Menschenweisheit, und hat uns neue Einsichten eröffnet in die Seele der Menschen. Du weißt ja selbst, wieviel wir durch Bios Vermittlung erfahren haben von dem, was die Idonen über die Menschen erforschen konnten. Und wenn auch wir Pflanzen nicht alles zu erfassen vermögen von dem großen Zusammenhange, in welchem die Lebewesen der Erde stehen, so habe ich doch begriffen, daß wir uns von den Menschen eine falsche Vorstellung gemacht haben.«

»Willst du damit zweifeln an der ehrwürdigen Sage, die wir Buchen erhielten von den Eichen jener Zeit, da der Gott noch wachte?«

»Ich glaube gern, daß die Sage wahr berichtet von einem Vorgang, der in der Menschen Seelen eine Wandlung hervorbrachte. Aber der Gott, der in der Eiche wohnte und der jetzt im Berge schlummern soll, und der Seelengott, der ihn vertrieben hat, das können doch nicht wirkliche Lebewesen sein wie Pflanzen, Tiere oder Menschen oder wie die Planeten selbst. Das sind doch nur Bilder für jene Art zu denken, die in den Lebewesen mächtig ist. Und wenn du vom Erwachen des Gottes sprichst, so ist damit bloß gemeint, daß eine gewisse Anschauungsweise allmählich durch eine andre ersetzt werden wird; ich meine, daß in den Menschenseelen die Vorstellung von der Einheit der Erde wieder Macht gewinnt. Also sagt uns die alte Kunde auch nichts andres, als was wir hoffen, nämlich daß zwischen den Lebewesen der Erde sich ein besseres Verständnis vorbereitet. Und wenn ich recht verstanden habe, was Bio von den Forschungen der Idonen berichtete, so haben eben die Menschen den richtigen Weg eingeschlagen, von ihrer Seite her unser Pflanzenwesen besser zu verstehen.«

»Du selbst aber, Ebah, die jetzt so weise redet, hast ja die Menschen belehren wollen, was sie sollen.«

»Ja, Schattende, doch ich habe jetzt eingesehen, daß ich es wohl gut meinte, aber Unmögliches mir erdachte. Ich habe es eingesehen, seitdem ich mit Harda selbst sprechen durfte und nun lange unser Gespräch nachträglich erwog. Hat doch auch Harda meiner Tochter Hedo gesagt, daß sie um unsre Seele wisse, als die Idone Adu ihre Gedanken vermittelte. Schon viele Menschen mag es geben, die uns unsern Seelenanteil am Pflanzengeiste nicht mehr absprechen. Aber ich weiß auch, daß wir Pflanzen in dieser Sache nichts tun können. Du hast mir die Geduld gepriesen als der Pflanzen höchsten Vorzug. Geduld zu gewinnen, darin will ich dir folgen. Wir müssen es abwarten, daß uns die Menschen unser Recht gewähren. Aber wir dürfen jetzt froh darauf vertrauen, daß der Planet uns wieder reicheren Seelenanteil schenken wird. Harda habe ich verstanden, besser als ich die Idonen verstehe, wenn sie sagte, daß die Menschen von der Einzelseele zur Allseele kommen. Dahin streben sie, und da müssen sie die Pflanzen treffen. Ich aber will ausharrend fortschreiten auf meinem Wege und dem Herbste vertrauen, der mir die Blüte bringt. Dankbar bin ich den weisen Idonen, daß ich reden durfte mit einem Menschen, und daß ich nun weiß, auch er hat mich lieb, den ich für den besten und liebsten halte.«

»Weißt du,« sagte die Buche gemütlich, »ich sehe ein, daß du eigentlich meiner Erziehung gar nicht mehr bedarfst. Dein Umgang mit den Menschen hat dich so klug gemacht; vielleicht bist du nächstens auch stark genug, deine Äste ohne meine Hilfe zu tragen.«

»Spotte nicht, Schattende. Ich bin freilich etwas klüger geworden, weil ich über den engsten Kreis der Pflanzenseele hinausschauen durfte. Ich glaube nicht mehr blindlings an alles, was das weise Moos uns lehren will; ich weiß, daß Menschen andre Aufgaben haben als Pflanzen. Aber eben darum bleib' ich bescheiden. Denn klug sein heißt seine Grenzen erkennen. So weiß ich wohl, daß mein Blick zwar hinausreichen kann über die Dunkelgrenze deines Buchenlaubes, daß aber mein Stamm deiner Stärke bedarf, du Gute, mich zu schützen und zu tragen. Und so erkenne ich auch der Pflanzen Bestimmung. Eine andere mag sie sein drüben auf dem Idonenstern, wo die Generationen wechseln zwischen wurzelnden Pflanzen und schwebenden Hütern der Vernunft. Bei uns auf Erden ist es unsre Sache, in Stille zu dienen dem Leben des Planeten; des Menschen Pflicht aber ist es, in Mühe und Hast sich weiter und weiter hinaufzuarbeiten, damit er die Ruhe wiedergewinne in der Einsicht, in dem Wissen um das Leben des Planeten. Und ich weiß nicht, was schöner ist: Gezwungen sein zu herrschen wie der Mensch, oder freiwillig zu dienen dem Ganzen wie wir.«

»Das Schönste aber ist,« sagte eine Stimme, »zu verstehen, daß zwei Streitende beide recht haben können.«

»Oh, du bist es, Bio, die da spricht?« rief der Efeu. »Das ist schön, denn du warst so still in der letzten Zeit, daß ich gar nicht gewagt habe, dich zu fragen, was diese Bewegung am Riesengrab bedeutet.«

»Ihr werdet es erfahren, wenn es geschehen ist. Die Idonen berieten mit mir, und ihrem letzten Entschlusse werdet ihr beiwohnen dürfen durch meine Vermittlung.«

»Warum nahmen sie dir alle deine Kapseln? Warum weinst du diese Tränen des Harzes, das aus deinen Wunden quillt?«

»Weil ich das Opfer bringen muß dem Planeten, auf den wir verschlagen wurden. Wo wir nicht umgestalten können, müssen wir uns anpassen. Wir sind nicht mehr auf dem Sterne der schönen Freiheit, wo wir gedeihen zur Eigenfreude. Wir sind auf dem Planeten der ausnutzenden Arbeit. Nun werden wir ihm dienen wie alle seine Pflanzen. Nicht mehr die schwebenden, leuchtenden, ihr Leben dichtenden Idonen werden wir erzeugen, sondern den schweren Saft zum Vorteil des schaffenden Menschen, daß er ihn verwerte. Uns bleiben nur die Brutknospen zur Fortpflanzung in jüngeren Geschlechtern. Auch vom Schutze deiner Blätter werde ich dann unabhängig werden. Und wie ihr alle, so werden auch wir an unserm Teil mitarbeiten, daß es den Menschen gelinge, Herr zu werden über die Erde durch seine Mittel der Arbeit und des Denkens, damit er sich dem Verständnis nähere seiner eigenen Bestimmung zum Ganzen.«

»Aber die Idonen?«

»Sie wissen, was sie tun, und wollen es.«

 

Von ferne wehte ein leichter Ostwind von Zeit zu Zeit leise Klänge herüber, muntere Weisen vom Tale her.

»Was ist das für ein beharrliches Gewackel in der Luft,« sagte der Waldmeister ärgerlich, denn seine kleinen Klettchen begannen borstig zu werden. »Es verdrießt mich schon lange.«

»Eine Rücksichtslosigkeit von den Tretern ist es,« antwortete der Sauerklee. »Jetzt, wann sich ein vernünftiges Wesen zur Ruhe faltet, da fangen sie an unten am Waldrand, wo die große Wiese ist, ein allgemeines Gezittre zu veranstalten.«

»Eine Rücksichtslosigkeit?« riefen die Gräser. »Eine Gemeinheit ist's. Wenn sie's noch in ihren Häusern täten! Aber auf der Wiese treten sie herum und stampfen mit ihren Beinen, unsern Brüdern und Schwestern zertreten sie Halme und Wurzeln. Schon klagen es uns die Genossen.«

»Ruhe doch!« gebot die Buche.

»Die hat gut reden, auf der können sie nicht tanzen,« murrte das Gras.

»Es schwebt in der Luft, es streift an meinen Blättern, es drängt sich um Bio,« flüsterte Ebah.

Idonen nahten sich, mehr und mehr zogen heran, von den verborgenen Stellen, wo sie ihre Wohnungen aufgeschlagen hatten, kamen sie, um sich zu entscheidender Beratung bei der Stammutter zu versammeln. Alle stellten sich ein, beide Geschlechter, eifrig verhandelten sie untereinander, Lis mit Stefu, Gret mit Elsu und die andern alle, bis Ildu um Gehör bat.

»Die Stunde ist gekommen, liebe Freunde,« begann Ildu, »daß wir uns entschließen über unsre Zukunft. Eines habt ihr alle schon erfahren. Unsrer größten Vorzüge einen, der uns das Übergewicht über die Bewohner dieses Planeten sicherte, haben wir eingebüßt. Wir können den Menschen nicht immer unsichtbar bleiben, wann wir wollen. Sie haben ein Mittel gefunden, uns wahrzunehmen im Licht. Selbst wenn es dunkel ist und wir unser Leuchten unterdrücken wollten, würden sie durch ihre starken Farbenstrahlen uns sichtbar machen können. Schon dadurch also ist es ausgeschlossen, daß wir im Kampfe mit den Menschen uns auf diesem Planeten behaupten können, der ihnen gehört.

Ob in Freundschaft es möglich sei? Weise Menschen, die wir bestrahlend fragten, wußten uns nichts zu sagen; denn wir durften ihnen nicht zu viel von unserm Wesen enthüllen, und das Wenige verstanden sie nicht. Einer aber, – ihr wißt wohl, daß er dort unter der Buche ruht, der zu den wenigen gehört, die um unsre Existenz wissen, ist der Meinung, daß wir uns den Menschen nicht offenbaren sollten. Denn sie dulden keinen andere Herrn auf der Erde als ihresgleichen. Wie aber könnte ein freier Idone andern Wesen sich unterordnen? Doch dies alles tritt zurück gegen die Hauptfrage, die nun zu stellen ist: Kann unser Geschlecht dauern auf der Erde im Wechsel mit dem Rankenbaum? Und so frage ich heute: Sind Freunde unter uns, die sich vermählt haben?«

Niemand antwortete.

»So frage ich dich, ehrwürdige Mutter Bio, kam niemand zu dir, den Rankenschleier sich zu fordern zum Festgewande? Schwebte niemand um dich zum Seelenreigen im Frohgefühl?«

»Niemand kam, niemand sah ich,« sprach Bio feierlich.

Die Idonen schwiegen.

Endlich begann Lis:

»So ist es denn klar. Wir sind nicht die lebensmächtigen Idonen, wie sie auf unserm Heimatsstern herrschen. Versagt ist uns das Heil der werbenden Sehnsucht, versagt der Trieb und die Macht uns zu einen im höchsten Blütenglück. Keiner von uns und keine hat sich den Genossen zugewandt anders als im freundschaftlichen Sinne der Hilfsbereitschaft, und kein neues Geschlecht befruchteter Rankenbäume wird aus Sporen auf dieser Erde entsprießen. Sollen Idonen kommen stets nur aus den alten Pflanzen, um immer schwächer und schwächer hinzuwelken auf der schweren Erde? Das haben wir schon abgelehnt. Sollen wir selbst noch weiter dauern ohne Hoffnung für die Zukunft? Nein, ihr Freunde, ich habe meinen Entschluß gefaßt.

Ich will nicht leben auf einem Sterne, wo es für den Idonen keine Liebe gibt. Auch auf dem Heimatsstern kommt es vor, daß dem einzelnen erhoffte Liebe sich versagt. Aber dort fließt sein Leben dahin im schönen Scheine, und Entbehrung wandelt sich zur Fülle des Traumes. Hier aber schwindet die Eigenmacht des Glückes. Selbst die Sehnsucht lebt nicht auf, dumpf wandeln Tag und Nacht ihren öden Taktschritt und kein inneres Feuer entzündet Gluten im eigenen Herzen oder in anderen. So ist mir würdiger zu scheiden vom Sonderleben zur Freiheit, die ich wähle im Werden des Unendlichen.«

»Recht sprachst du,« rief Stefu. »Ich auch will nicht weilen, wo ich nicht blühen kann, ja wo blühen oder nicht blühen mir weder Freude noch Leid ist. Ich will mit dir scheiden aus eigner Wahl und diesen Leib lösen im Bade der ewig neuen Gestaltung.«

»Wir auch, wir wollen es,« riefen die Idonen. »Laßt uns zerfallen durch unsern Willen ins Unsichtbare.«

»Wohl, ihr Freunde,« erklang Ildus Wort, »auch ich denke so. Doch ihr wißt, ein jeder ist frei in seinem eignen Entschluß. Eines nur hindert mir die Freiheit der Entscheidung. Sollen wir schwinden von diesem Planeten, ohne daß unser kurzer Besuch seinen Bewohnern ein dauerndes Gastgeschenk bringt, eine Hilfe ihnen, die im Zwange des Verstandes hinleben ohne unsre Freiheit? Soll nichts für die Erde bleiben, um auf die Zeit zu deuten, wo Planet und Planet sich helfen werden? Gibt es keine Möglichkeit, ihnen wenigstens ein Zeichen zu geben, daß die Boten hier waren jener großen Einheit, die im Leben der ganzen Welt besteht, die Planet mit Planet, Organismus mit Organismus verbindend den unendlichen Gott selbstschaffend lebt?«

Da begann Bio, die Pflanze, langsam:

»Ein Zeichen laßt ihr hier, wie sie es selbst verstehen und ihnen am besten ist. Das ist mein Saft, der ihnen quillt, daß sie ihn nützen zu den Zwecken, die ihnen Erdenmacht verleihen.«

»Bio hat recht,« sagte Elfu. »Denn Erdenmacht allein führt sie zur Freiheit, die sie der Gottwelt eint. Jener Saft wird sie den Stoff bereiten lehren, woraus sie einst die Fahrzeuge des Höhenfluges bauen, um selbst sich zu verbinden zu einer Menschheit, die in der Natur ihre eigne Göttlichkeit erkennt.«

»So mag es sein,« schloß Ildu. »Menschliches dem Menschen! Denn Götterboten verstehen sie nicht. Wir aber mögen uns bereiten, einzugehen zur Freiheit des Gesetzes, das wir wollen.«

Das leise Rauschen in den Baumblättern hörte auf, auch die ferne Musik schwieg mit dem Winde. Ganz still war's. Schräg fielen die Sonnenstrahlen durch das Laub und berührten die Stirn des Mannes, der auf der Bank ruhte. Wie aus einem Traume erwachend blickte er um sich.

Jetzt stützte er den Kopf in die Hand und sammelte seine Gedanken.

»Was hört' ich doch vom Erwachen des Gottes, vom Verstande der Menschen, von der Idonen Liebe und Freiheit?

Was fehlt den Menschen? Warum haben sie die Freiheit des dauernden Lebens noch nicht gewonnen? Hört ihr mich, weise Idonen? Wißt ihr denn, was den Menschen den Blick trübt, wenn sie ihren Gott suchen?

Ja, sie suchen ihn, aber sie töten ihn durch ihre Rede.

Daß sie sich noch nicht befreien konnten vom Zwange des Bekennens, das ist es, was sie darnieder hält. Denn dieser Zwang ist der Feind der Freiheit für immerdar. Die unendliche Einheit des lebendigen Seins läßt sich nicht fassen in das Gesetz des Verstandes allein. Sie flutet zugleich in dem Unsagbaren, in dem Unausdenklichen, in dem, was nur in dem Ich erwacht, das sich miterlebt in der ganzen Welt, in der Liebe.

Aber sprich es nicht aus, was dich durchdringt, denn dann mußt du es denken, und was du denkst, mußt du bestimmen, beschränken. Darum ist jedes Bekenntnis eine Beschränkung, ist eine Minderung der unendlichen Gottheit, eine Verstümmelung des religiösen Gefühls. Weil sie den Gott noch nicht miterleben in seiner unendlichen Seele der Welt, so müssen sie noch immer ihn suchen jenseits des Gesetzes als einen Schöpfer der Natur. Darum gibt es gar so viele, die da glauben, den Gott zu bestimmen mit ihrem Bekenntnis, und Göttermacht zu zwingen und zu nützen für das Werden der Wirklichkeit. Für sie alle schläft noch der lebendige Gott in harter Steingruft. Ihr aber, ihr Idonen, habt durch die Stimme, die ihr der Pflanze lieht, einen Weckruf erschallen lassen dem schlummernden Gotte, den die Menschen wohl vernehmen können. Und das ist das Gastgeschenk eures Geistes.

Wenn die Menschen verstehen werden, daß ihre Seelen zusammen fühlen und empfinden mit denen der Pflanzen als Teile des lebendigen Planeten, so wie alle Körper zusammenwirken als gesetzliche Teile der räumlichen Einheit, dann wird der schlummernde Gott erwachen und heraussteigen aus seiner steinernen Gruft in das Himmelslicht und machtvoll leben hier auf Erden wie in allen Welten, die im Raume kreisen.

Nicht mehr als der alte Naturgott, als der Geist der Berge und Haine und geängsteten Menschen, den man anflehen kann mit Opfern und Gebeten; nicht als der Zauberer, der Willkür übt und den Sprüche zwingen.

Nicht als der große Himmelsgott, ob er liebe oder zürne, den man bekennen muß als Schöpfer und Lenker, der im Diesseits herrscht und aufs Jenseits verweist und dem man dienen muß nach der Vorschrift der Mächtigen oder der Massen.

Nicht als der dunkle Gefühlsgott, der das Gesetz verschmäht und die notwendige Ordnung des Kosmos, der den Verstand tötet, um leben zu können im Schwärmerwahn.

Sondern als das lebendige Gesetz, als der Gott, dessen Allgewalt verstanden wird in der Wandlung des Räumlichen, und der zugleich sich erlebt als fühlendes Ich in Zellen und Planeten, in Pflanzen und Menschen, als die unerschöpfliche Einheit werdender Wirklichkeit und schaffenden Scheines, deren Macht wir vertrauen.

Dann sind Mensch und Natur nicht feind, nicht Herr noch Diener, sie sind Freunde im gleichen Gefühle als Teile des lebendigen Alls und Ichs. Die Natur wächst hinauf im Menschen zum Bewußtsein der Freiheit, die Werden und Wollen in eins schafft. Der Mensch versteht und erlebt sich in der Natur als das unsterbliche Ich, das im Wandel der Formen liebend und lebend aufwärts ringt.

Dann waltet lebendig der Gott, der die Berge türmt und in Wolken wettert, bauend im grünen Körnchen der Pflanzenzelle, ebenso aber im Menschenhirn, das die sausenden Werke schafft drüben am Waldrand und den Sturz des rauschenden Flusses umwandelt in Licht und Arbeit. Und es beugt sich der Mensch demütig vor der Größe des gemeinsamen Wirkens, eins sich fühlend mit dem lebendigen Zusammenhang, darin das Fäserchen der Pflanzenwurzel am Marke des Erdballs saugt.

Denn sie sind Teile desselben Gottes, lieben mit ihm und herrschen mit ihm durch Kleinstes und Größtes. Und der Gott verlangt keine Sprache, denn er lebt. Und sie suchen keine Sprache, denn sie leben.«

Durch die Stille des Abends zog es wieder wie ein leises Huschen und Rauschen von unsichtbarer Gegenwart. Die Idonen schwebten den Abschiedsreigen um Bio. Die Mutter vernahm ihre Worte.

»Wie auf dem weiten Wasser des Sees im leichten Windesspiel die Welle schwingt, so tauchen wir auf im unendlichen Meere des Werdenden, ein Gedanke des Planeten, aufgeregt vom Hauche des ewig Wollenden.

Der Strahl der Sonne spiegelt und bricht die Welle, daß ringsum leuchtet und farbig glitzert die nährende Luft. In uns beschaut sich in neuen Gestalten, in wechselnden Zeiten der dauernde Gott.

Es ruht der Hauch und langsam glättet sich die Welle zur ebenen Fläche. Was tausendfach schillernd die einzelnen freute, steht in klarem Bilde als Ganzes vor der Seele der Welt. Wir aber leben im vergleichenden Auge des Ewigen.

Leben ist Schein und Schein ist Leben. Freut euch, Idonen! Im goldenen Schein schwinden wir selig und scheinen weiter dem höheren Auge zu höherem Leben. Freut euch, Idonen, im ewigen Schein!«

Höher stiegen die Idonen bis über den Felsen und umkreisten langsam schwebend den Wipfel der Buche.

Sie winkten hinab und Ildu sprach:

»Bio, wir schwinden. Sage uns, Mutter, den Segen des Scheidens!«

Und es klang von unten:

»Fließet hin, fließet hin in die Fülle des Alls!

Diesmal nicht streut ihr die Zellchen des Lebens ins Ungewisse, ob sie gedeihen zur grünenden Pflanze, künftiger Idonen Mutter.

Euch selbst löst ihr auf vom Scheine zum Werden in neuer Gestaltung, die wir nicht wissen.

Das Ich vergehe mit freiem Willen im ewigen Ich. Denn nimmer grüßt euch auf diesem Sterne die eigene Freiheit. Ihr aber wählt die unendliche Mutter im weiten Raume. Von Sonnen zu Sonnen wandern die Strahlen, in neuen Welten glühen die Seelen, und nimmer vergeht, was sich selbst gewollt nach freiem Gesetze.

Fließet hin, fließet hin in die Fülle des Alls!

Ich aber segne, die fröhlich scheiden, und heiterer Seele spend' ich den Gruß.«

Ein heiliges Schweigen lag im Walde. Blau glänzte der Himmel durchs Buchengrün. Des ewigen Werdens Frieden und Freude segnete die Erde im Abschiedsgruße der zerfließenden Boten der Freiheit.

Da klang es drüben vom Tal herüber lauter in heiteren Tönen. Ein ferner Schall kündete freudigen Reigen der Menschen. Im Grase rauschte es leise.

Sinnend erhob Geo das Haupt. Zwei weiche Arme umschlangen den Überraschten, zwei leuchtende braune Augen blickten ihm ins Antlitz.

»Harda!« rief er.

»Da bin ich! Leb wohl, du Guter. Denkst du, ich werde hinabgehen ohne Gruß von dir? Ich wußte, wo ich dich finde.«

»Hab' Dank, du Liebe, hab innigen Dank! Und Freude sei dir bei den Menschen, zu denen du heute trittst als glückliche Braut. Weißt du, was hier geschah? Die Idonen sind geschieden von der Erde in freiem Entschlusse. Du aber magst nun sorglos schreiten, nichts mehr hast du zu fürchten von den Unsichtbaren.«

»Die Armen!«

»Die Glücklichen, sage. Sie wählten willig ihr Scheiden. Dir aber gehört ihr Erbe.«

»Und dir mein Dank. Du lehrtest mich ihre Freiheit.«

»Weil du selbst frei warst in innerster Seele. Und nun leb' wohl, dein wartet das Glück. Auf Wiedersehen am Tage bei den Menschen in lebendiger Freude.«

»Auf Wiedersehen!«

Hinter den Büschen verschwand das weiße Kleid.

Geo richtete sich auf. Noch einmal klang es von der Ferne.

»Auf Wiedersehen!«


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