Kurd Laßwitz
Sternentau
Kurd Laßwitz

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Ebah, der Efeu

Am Riesengrabe spielte der Abendwind leicht in den Blättern der hohen Buche, unter ihr schwirrten kleine Fliegen und Käfer, Spinnen arbeiteten an Silberfäden, über den Boden raschelte eine Eidechse und im Grase zirpten die Grillen.

Das war alles, was der Menschen stumpfe Sinne vernehmen konnten. Aber zwischen Licht und Luft, Wasser und Erdreich bestrahlten, benetzten, berührten sich die zahllosen Zellen der Pflanzen in unerschöpflichen Einwirkungen. Alle bergen sie ihre Wurzeln und Würzelchen im gemeinsamen Bodenreich der Mutter Erde. Aus ihrer großen Einheit, wo aller Kräfteaustausch zusammenfließt, strömen die feinen Wandlungen der Stoffe zurück und werden wieder gespürt von Zellen und Blättern, von Kraut und Baum als die Regungen des gemeinsamen Ursprungs. In diesem weiten Felde von Wechselwirkung chemischer, elektrischer, mechanischer Spannungen pflanzt sich jede organische Veränderung gesetzlich fort, und jedes Organ nimmt nach seiner Eigenart die gebotenen Energien auf. Da werden die Gewächse ihres Lebens inne.

Die Seele des Planeten, die im Genius der Menschheit spricht wie im Flattern des werbenden Falters, wacht verbindend auch in den Pflanzen und leiht ihnen eine Sprache, die freilich für Menschensinne unverständlich bleibt.

Eine ganz leichte Änderung der Spannung in den Kletterwurzeln, womit der Efeu sich an die Rinde der Buche klammert, macht dem Baume den Zustand der Schlingpflanze unmittelbar verständlich. Dadurch sind beide Gewächse direkt verbunden und befreundet. Im übrigen verkehren alle Pflanzen mit einander durch Vermittlung des Erdreiches, und die Organe ihres Bewußtseinsaustausches sind die Wurzeln. Aber natürlich, auch die Pflanzen sind sehr verschiedenartig entwickelt und gestimmt; nicht alle verstehen sich und können sich mit einander verständigen.

Ebah, die Efeupflanze, die sich an der Buche emporrankte, hatte sehr aufmerksam all die leisen Einwirkungen aufgenommen, die durch Licht und Schall, Luft und Boden von der Anwesenheit Hardas zu ihr drangen. Durch das sanfte Berührungsspiel ihrer Haftwurzeln fragte sie die Buche:

»Die Treter sind wohl fort? Merkst du sie noch?«

»Nicht mehr, liebe Ebah,« antwortete die Buche in ihrer Art. »Sie streifen schon unten an den jungen Fichten vorüber.«

»Es war einer dabei, den ich noch nie gesehen habe,« bemerkte Ebah.

»Ich auch noch nicht. Aber Harda kannte ihn. Du wirst leicht erfahren können, wie die Menschen ihn nennen, wenn du mit deinen Sprossen sprichst.«

»Um Hardas willen möcht' ich's wissen,« sagte Ebah. »Sonst käme nicht viel darauf an. Ich wundre mich immer, daß sich die Treter so von einander unterscheiden; und man sagt doch, daß es ihrer so viele gibt.«

»Freilich. Wenn auch nicht so viele wie Buchen, aber doch sehr viele. Es waren aber auch Zeiten, da es erst wenige und andre gab, die wohnten bei uns im Walde.«

»Hast du die gekannt?«

»Ich bitte dich! Du weißt doch, daß wir Buchen nicht so alt werden. Schon viele Geschlechter von Buchen sind hier entsprossen und zertrümmert, seit der Gott entschlummerte und die alte Eiche stürzte.«

»Erzähle mir doch mehr von der alten Kunde. Wann höre ich alles?«

»Jetzt nicht, Ebah. Noch lacht die Sonne länger von Tag zu Tag, noch wacht der Wald im jungen Grün. Gedulde dich, bis die Tage sich kürzen. Lange wirst du nicht mehr zu warten brauchen.«

Ebah schwieg eine Weile, dann begann sie leise:

»Vernimmst du's, Schattende? Unten erzählen die Kräuter, der Treter habe viele von ihnen abgeschnitten und ausgegraben. Auch von der fremden Pflanze, meinem stummen Schützling, nahm er einige. Wir sahen sie ja auf dem Tische liegen. Sollen wir das dulden?«

»Kind, wir können's doch nicht hindern.«

»Ich begreift nicht, daß den Tretern das erlaubt ist. Sie sind doch dazu da, uns zu dienen.«

»Das gehört auch dazu, daß sie Nutzen von uns ziehen, wie wir von ihnen. Du solltest nicht immer so verächtlich von »Tretern« reden. Sie selbst nennen sich Menschen, und das halten sie für etwas sehr Gutes.«

»Was Gutes! Ohne uns könnten sie überhaupt nicht leben, so gut wie die andern Treter und Kriecher und Flieger, die sie Tiere nennen.«

»Freilich, aber sie könnten auch uns nicht dienen, wenn sie nichts von uns nehmen dürften.«

»Meinetwegen! Nur töten dürften sie uns nicht, ausreißen, daß wir sterben müssen wie die Pflänzchen dort auf dem Tische.«

»Sterben? Was heißt das für uns, Ebah? Der Mensch wohl kann getötet werden, weil er keine Dauerseele hat wie wir. Wir aber, wir sprossen doch weiter, wenn auch große Teile von uns zerfallen, ja wenn der ganze Einzelbaum hinsinkt. Was wir webten und fühlten im Sonnenlicht, das wirkt weiter im großen Wald und im dauernden Erdreich und in seiner Seele, zu der wir gehören.«

»Dann begreif ich's erst recht nicht,« sagte Ebah, »daß dem Menschen so viel Gewalt über uns gegeben ist. Oder – manchmal denke ich ja selbst, es muß etwas Besonderes sein, so für sich zu wachsen und zu wandern, ohne sich zu kümmern, wie die andern fühlen und gedeihen im Walde. Das muß wohl stark machen – vielleicht aber auch feindlich. Vielleicht ist der Mensch darum unser Feind? Denn er verfolgt uns doch, er tritt uns, er haßt uns. Soll ich ihn da nicht wieder hassen?«

»Auch Harda?«

»Nein, nein! Das ist freilich etwas anderes. Harda ist gut, ist kein Feind. Ich wünschte, sie gehörte nicht zu den Tretern – Menschen, wollte ich sagen. Ich nenne sie auch nicht so, ich nenne sie, wie sie sich selbst nennt, Harda.«

»Siehst du, daß du den Menschen vielleicht unrecht tust? Ich glaube, du hast manchmal zu viel auf das Geschwätz der unzufriedenen Fichten gehört. Gerade der Mensch, den du wirklich näher kennst, ist gut. Und wieviel Menschen kennst du überhaupt?«

»Gleichviel, um Hardas willen muß es mir leid tun, daß sie ein Mensch ist. Denn so hat sie doch keine Seele – ich meine, sie kann nicht weiterleben wie wir im unsterblichen Reiche Urd. Das kennen doch wohl die Menschen gar nicht?«

»Sie kennen es schon, sie nennen's Natur, aber sie halten es für tot, für unbeseelt«

»Wie dumm! Das kann Harda unmöglich glauben. Oder sie muß es besser lernen! Sie ist so gut – weißt du noch, Schattende, als der Treter mit der Axt in mich einschlug?«

»Freilich, meine arme Ebah, du weintest ja –«

»Nun, das war sicher ein schlechter Mensch, nicht wahr? Ein Feind, den ich hassen muß! Doch Harda kam zum Glück dazu. Wie sie den Treter schalt, wie sie ihn fortschickte! Sie hat mich gerettet. Aber eine tiefe Wunde hatte ich weg, und ein Zweig war mir abgehackt.«

»Die Wunde ist wieder geheilt, und der Zweig –«

»Ach ja, meine Hedo, meine liebe Hedo. Der Zweig wurde mein größtes Glück, und das danke ich auch Harda. Sie nahm den Zweig mit hinüber nach dem Garten, wo die vielen Zypressen stehen, drüben hinter dem Fluß. Dort pflanzte sie ihn auf einen kleinen Hügel, da schlug er Wurzel und wuchs, mein starker Sproß. Hedo nannte ich ihn, und mit den Jahren hat er den ganzen Hügel bedeckt und eingehüllt mit seinen Blättern. Hedo hat mir alles erzählt, sobald sie durch die Wurzeln sprechen konnte. Oftmals kommt Harda hin und ist traurig, wenn sie aber meine Tochter genetzt und den Hügel mit frischen Blumen geschmückt hat, da wird sie wieder froh.«

»Daran solltest du doch denken, Ebah! Was dir ein großes Übel erschien, das der Mensch tat, durch den Menschen wurde es zu deinem Glück, du hast eine Tochter –«

»Zwei habe ich ja! Auch die zweite, meine Kitto, verdanke ich Harda. Das war später. Wie lange ist es denn her? Zwei Sommer. Da war sie glücklich und fröhlich. Selbst suchte sie sich einen Zweig aus und schnitt ihn ab, und ich freute mich. Singend sprang sie mit dem Zweige davon. Den pflanzte sie ein, aber leider nicht draußen im Erdreich, sondern in einen Kasten in ihrem Zimmer, und als er wuchs, zog sie ihn um einen weißen Stein, der dort stand und aussieht wie der Kopf eines Menschen. Und Kitto kann nun Harda alle Tage sehen.«

»Wie glücklich bist du also!«

»Dankbar bin ich, denn ich selbst – ich habe ja noch nicht geblüht –«

»Um so besser für dich, daß du Sprossen besitzest.«

»Ach ja – aber blühen – es muß doch ganz etwas anderes sein, wenn man aus Samen herauswächst? Nicht wahr, ich bin aus Samen gewachsen? Du weißt es?«

»Ich weiß es, Ebah. Ich weiß es noch genau. Weiter oben im Walde, über dem Tale, liegt eine graue Ruine, ganz mit altem Efeu umwachsen. Dort steht deine Mutter. In jedem Herbste blüht der Efeu, und im Frühjahr trägt er schwarze Beeren. Und an einem sonnigen Frühlingsmorgen kam eine kleine Grasmücke, ein lustiges Vögelein, das trug eine Efeubeere im Schnäbelchen. Sie setzte sich auf einen meiner Zweige und knabberte. Der Samen aber fiel zwischen meine Wurzeln. Und daraus bist du hervorgesprossen und hast dich ausgedehnt, bis du mich ganz umsponnen hast, meine liebe Ebah. Und nun kannst du bald hinaussehen ins Freie.«

»Und blühen! Ja, Schattende, ich will blühen! Bin ich denn noch nicht hoch genug? Ich bin doch schon so alt. Nicht wahr, diesen Herbst, da werde ich blühen? Mir ist's so, als wüchsen mir oben schon spitzige Blätter, und ich fühle, die Sonne scheint darauf.«

»Du bist wacker heraufgekommen in den letzten Jahren, wir wollen hoffen, daß du's in diesem Jahre erreichst.«

»Und blühen, blühen!« Ebah rief's so recht aus innerster Tiefe heraus.

»Na, na, na! Bitte, etwas weniger lebhaft,« murrte die alte Fichte am Abhang. »Wenn du deiner Schattenden Geständnisse machst, so schreie nicht so, daß wir's hier unten hören.«

Von Schreien reden die Pflanzen, wenn die Unterhaltung über die Wahrnehmung der nächst Beteiligten hinausdringt, und das gilt für unanständig. Bei Ebahs Erregung hatten sich nicht nur die Haftwurzeln, sondern auch die Erdwurzeln beteiligt.

»Entschuldige, liebe Fichte,« sagte Ebah, »ich wollte dich nicht stören.«

»Ach was, stören! Meinetwegen blüh' du jedes Jahr dreizehnmal wie der Mond! Wenn dir's nur bekommt. Aber davon macht man kein Aufhebens.«

»Das glaub' ich dir,« mischte sich die Buche ein. »Es ist auch danach bei euch nacktsamigen Nadelhölzern! Wenn man keine Fruchtblätter hat –«

»Na, mit deinen grünen Kätzchen ist's auch nicht weit her! Übrigens, man wird ja sehen, wer's weiter bringt! Wir drängeln euch immer weiter zurück, ihr Laubbäume!«

»Und wir fürchten uns nicht vor euch, ihr Raubbäume! Aber wir wollen nicht streiten.«

»Mir ist's recht,« sagte die Fichte. »Ich will dir sogar einen guten Rat geben. Wenn du's mit dem Efeu gut meinst, so treib' ihn nicht zum Blühen. Warum hat er's denn so eilig damit?«

»Warum bist du denn unten erst so seitwärts gewachsen und hast dich gekrümmt, ehe du in die Höhe kamst?« antwortete der Efeu direkt.

»Weil ich zum Lichte will, vorlauter Efeu, und das Felsstück hier am Abhang mich daran hinderte. Aber ich kam darüber hinweg und brauche keine fremde Hilfe dazu, wie andere Leute.«

»Und warum wolltest du denn zum Lichte,« sagte die Buche. »Doch eben, weil du wachsen und blühen wolltest.«

»Was denkst du denn, was du daran besonderes haben wirst?« wandte sich die Fichte fragend an Ebah.

»Ich weiß es ja nicht recht. Aber ich meine, dann beginnt ein andres Leben, dann hält mich die Stelle nicht mehr hier, dann flieg' ich hinaus in den Raum und suche andre Orte, von denen mir hier nur berichtet wird.«

»Du fliegst hinaus?« rief die Fichte. »Täusche dich nicht, Efeu. Du bleibst hier wurzeln, nur die Früchtchen, die du etwa hervorbringst, die können dann wandern.«

»Sollt' ich da nicht selbst mit darin sein? Wo ist denn der Teil von mir, worin nicht meine ganze Seele ist? Stehen wir nicht überall im selben Zusammenhang? In jedem Zellchen leb' ich weiter, das ich erzeugt habe.«

»Eben darum, liebe Ebah,« bemerkte die Buche freundlich, »bedürfen wir auch nicht so unbedingt der Blüten und Früchte. Eben darum können wir uns gedulden, weil wir die Dauerseele haben.«

»Nein, nein, Schattende. Es ist noch etwas anderes, das ich fühle, wenn ich's auch wohl noch nicht recht verstehe. Es muß eine andre Seele geben, die ich ganz für mich habe. Und die, so denke ich, die werde ich gewinnen, wenn die Samenknospe in mir wächst, wenn die Blüte aufbricht, wenn die Wespe kommt und die Beere reift.«

»Gewinnen magst du sie,« sagte die Buche nachdenklich, »aber ob du nicht um so mehr dadurch verlierst? Ob es nicht überhaupt besser für die Pflanzen wäre, das Blühen und Fruchtbringen einschränken, was uns alle mehr und mehr von einander trennt? Jetzt schon müssen wir mit den Insekten uns gut stellen, schließlich kommt's dazu, daß wir wie Tiere und Menschen alles darauf einrichten, daß Männchen und Weibchen sich anlocken und finden. Und das haben wir doch gar nicht nötig, wir können uns ohne diese überflüssige Bemühung reichlich genug vermehren.«

»Da hast du einmal recht, alte Buche,« rief die Fichte herüber. »Die Blüte ist ein Luxus, und weiter nichts. Immer mehr und mehr hat man sie übertrieben, diese aristokratische Feintuerei!«

Unten am Boden regte sich's und wisperte zwischen den Pflänzchen im Moose. Der Waldmeister fing an zu reden, und der Sauerklee stimmte ihm bei.

»Was wollt ihr denn eigentlich, ihr Kleinen?« fragte die Buche gutmütig.

»Um Verzeihung,« sprach der Waldmeister, »aber ich höre, daß der Efeu noch nicht geblüht hat. Da scheint es mir doch nicht schicklich, in Gegenwart und unter Teilnahme solcher Kinder über derartige Themata wie Blühen und Fruchttragen zu sprechen.«

»Und überhaupt,« rief der Sauerklee, »es ist schon spät. Ich lege eben meine Blätter zusammen und möchte nicht gern im Schlafe gestört werden.«

»Schlaft nur, ihr Kleinen,« sagte Ebah belustigt. »Was fällt euch denn ein? Kaum zwei Monde seid ihr alt, und ihr werdet hier mich schulmeistern wollen, der ich schon Dutzende von euern Generationen habe aus der Erde kriechen und wieder verdorren sehen?«

»Aber du hast noch nicht geblüht!« rief der Waldmeister.

»Du hast noch nicht geblüht!« schalt der Sauerklee.

»Er hat noch nicht geblüht, und ich habe schon Früchte angesetzt,« höhnte ein Leberblümchen in der Nähe.

»Seid still, ihr Kleinen, und schlaft, wenn ihr könnt,« sagte die Buche. »Allerdings hat Ebah noch nicht geblüht, denn sie braucht eine andere Vorbereitung dazu als ihr Kurzlebigen. Aber ich will euch Großen etwas sagen, ihr Dauernden im Walde! Es scheint, daß die Zeit für Ebah gekommen ist, mitzusprechen unter uns älteren; denn ihre obersten Blätter spitzen sich zu, und der Lichttrieb bildet sich heraus. Da schlage ich vor, daß mein Schützling von nun ab berechtigt sein soll, teilzunehmen, wenn wir über das Geheimnis des Waldes reden. Und die Bäume hier am Riesengrab bitte ich um ihre Zustimmung.«

Da war kein Baum ringsum, der nicht bereitwillig sich gefügt hätte, und auch die Sträucher und Stauden und viele andere Pflanzen, die gar nicht gefragt waren, hielten es für richtig, der Buche und dem Efeu ihre Reverenz zu machen.

Es ging eine Bewegung durch den Wald über den ganzen Berg und über die Wiesen, daß man denken mochte, der Wind rausche dahin und beuge gewaltsam Wipfel und Halme. Es waren aber die Pflanzen selbst, die durch die Erde miteinander und zur Luft sprachen; da wirkte der Wind zusammen mit dem Willen der Pflanzen nach Bewegung. Da wallte der Wald, da rauschte das Laub, da atmete die Erde – – Natur. die unendliche, segnete eines ihrer Kinder.


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