Kurd Laßwitz
Sternentau
Kurd Laßwitz

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Studien

Wenn Kern einmal eine Sache in die Hand nahm, so geschah es gründlich. Schon daß Harda eine noch unbekannte Pflanze gefunden hatte, interessierte ihn, und die vorsichtige und doch bestimmte Art, in der sich Eynitz bei seinem Abendbesuche über den Sternentau aussprach, gefiel ihm ausnehmend. So entschied er sich schnell, alle erforderlichen Mittel für die von Eynitz vorgeschlagene Untersuchung zu gewähren, wobei er noch besonderes Gewicht auf die chemische Seite legte. Im Stillen wirkte dabei natürlich mit, daß er wußte, Harda damit eine Freude zu machen. Er hatte stets das Gefühl, daß er gar nicht genug tun könnte, Harda für das Opfer zu entschädigen, das sie ihm mit ihrem Verbleiben im Hause brachte, und so erfüllte er jeden ihrer Wünsche, den er nur erraten konnte. Und hier sagte er sich dabei, daß er so gewissermaßen ihr einen Ersatz für den Anfang ihres Studiums schaffe. Im Laufe des Gesprächs fragte er direkt, ob der Herr Doktor nicht bei dieser Gelegenheit Harda das Mikroskopieren beibringen könne. Natürlich erklärte sich Eynitz gern bereit.

Im Gebäude des Laboratoriums wurde nun ein geräumiges helles Zimmer speziell zum botanischen Studium des Sternentaus eingerichtet. Zu den Versuchen konnten nur völlig ausgebildete Exemplare benutzt werden. Sie wurden unter Efeu gepflegt, und die Beaufsichtigung dieses Teils lag speziell Harda ob. Sie benützte dazu hauptsächlich die Zeit, in welcher Eynitz durch seine Praxis beschäftigt war. Er war gewohnt, schon am frühen Morgen im Laboratorium zu arbeiten und dann seinem ärztlichen Berufe nachzugehen. Während seiner Abwesenheit erschien Harda im Laboratorium, sorgte für die Pflanzen und führte ein Protokoll über deren Entwicklung. Da gab es immer allerlei zu tun und zu üben. Ganz besondere Freude machte ihr das Zeichnen nach dem Mikroskop.

Wenn Eynitz vor seiner Sprechstunde noch einmal im Laboratorium nachsah, fand er Harda gewöhnlich noch anwesend; denn es bedurfte ja gemeinsamer Beratungen, Mitteilungen, Anweisungen und Pläne. Häufig kam auch der Chemiker Dr. Emmeier hinzu, der sich vorläufig um die photographischen Arbeiten Verdienste erwarb. Am Nachmittag pflegte das Laboratorium sich selbst überlassen zu bleiben. Aber bei Einbruch der Dunkelheit, die freilich jetzt recht spät eintrat, erschien Eynitz nochmals, schloß die Fensterläden und beobachtete unter Ausschluß des Lichtes. Dabei hatte er schon einige Male die Entwicklung selbstleuchtender »Elfen« verfolgt – der Bequemlichkeit wegen hatte auch er sich an diese Bezeichnung für die Wesen, die sich selbst Idonen nannten, gewöhnt – aber stets waren seine Bemühungen, sie festzuhalten, vergeblich gewesen. Er mußte daraus schließen, daß sie imstande waren, seine Maßnahmen zu bemerken und sich ihnen durch Unsichtbarwerden zu entziehen.

Die merkwürdigen Wesen wirkten auf seine Einbildungskraft so mächtig, daß er es bisher nicht über sich gebracht hatte, sie gewaltsam anzugreifen. Diejenigen Pflanzen aber, die in den verschlossenen Apparaten gezogen wurden, waren noch nicht zur Reife ihrer Sporenkapseln gelangt, doch schienen sie nunmehr nahe davor zu stehen. Eynitz hoffte dann, von den Gefangenen zuverlässige Photographien aufnehmen zu können; denn was er bisher erhalten hatte, war meist undeutlich und verwaschen gewesen. Auch waren die bisherigen Films für diesen Zweck nicht geeignet. Jetzt aber waren die bestellten lichtempfindlicheren Platten eingetroffen, und man hatte die ersten Aufnahmen an einer sich eben entwickelnden Kapsel gemacht.

Während diese Studien in der Hauptsache ein Privatinteresse von Harda und Eynitz darstellten, wurde doch nicht außer acht gelassen, daß der Direktor der Hellbornwerke insbesondere eine technische Verwendbarkeit für die neue Pflanze im Auge hatte. Man mußte daher jetzt schon daran denken, genügendes Pflanzenmaterial zu besitzen, falls sich im Laufe der Laboratoriumsarbeiten ergeben sollte, daß man zu praktischen Erfolgen gelangen könne. Daher wurden an geeigneten Stellen im Freien Anpflanzungen von Sternentau angelegt. Das war für Harda freilich ein schmerzlicher Entschluß, eine Art Profanation ihrer Lieblinge. obwohl natürlich von der Eigenart der Pflanzen nicht gesprochen wurde. Sie tröstete sich damit, daß schließlich das Geheimnis der »Elfen« ihr doch bleiben würde. An ihnen hing ihr Herz.

Die stillen Stunden im Laboratorium waren für Harda die liebsten am Tage. Das war eine Tätigkeit, die sie befriedigte, obwohl bis jetzt gerade noch nicht viel für die Lösung der eigentlichen Frage dabei herausgekommen war. Aber man stand ja doch auch erst in den Vorbereitungen. Trotzdem war sie sich bewußt, nicht nur vielerlei Praktisches in der Handhabung der Apparate, sondern auch Theoretisches durch Eynitz' beiläufige Erklärungen gelernt zu haben. Der Werner Eynitz war wirklich nett und liebenswürdig und anspruchslos – es war doch etwas ganz andres, bei der Arbeit kameradschaftlich mit diesem verständigen Manne zu verkehren als nur in der Gesellschaft mit den Herrn zu reden, wo die Unterhaltung Selbstzweck und das Kurmachen auf die Dauer langweilig war, wenn man nicht wirklich ein Herzensinteresse dabei hatte. Allerdings – manchmal – manchmal wurde ihr so seltsam zu Mute – aber nein, das lag nur an der merkwürdigen Stimmung, die sie beide hier überkam. Das war wie eine Forschungsreise in ein unbekanntes Märchenland, in das Elfenreich, wo geheimnisvolle Gestalten plötzlich auftauchten und wieder ins Unsichtbare verschwanden. Glücklicherweise war sie von den seltsamen Anfällen, in denen sie glaubte, die Pflanzen sprechen zu hören, nicht wieder heimgesucht worden.

Waren die Elfen ausgewandert? Sie hatte sie nicht mehr im Dunkeln leuchten sehen. Und die neuen hier im Laboratorium, die wollte sie schon in Zucht halten!

Harda war wieder einmal durch häusliche Geschäfte und einen Besuch aufgehalten worden, so daß sie später als gewöhnlich ins Laboratorium kam. Als sie beim Hausdiener den Zimmerschlüssel in Empfang nahm, erfuhr sie, daß der Herr Doktor heute noch gar nicht hier gewesen sei, aber allerdings habe er die Nacht hindurch bis gegen Morgen gearbeitet.

Im Arbeitszimmer angelangt erkannte Harda bald, was Eynitz zu seiner nächtlichen Arbeit veranlaßt haben mochte. Bei der Untersuchung der Sporenkapseln zeigte sich, daß nicht nur von den offenstehenden zwei vertrocknet waren, sondern auch eine, die in einem der Kästen eingeschlossen war. Die Fäden in den Kelchen waren verschwunden. In der Tat hatte Eynitz spät am Abend den Beginn der Entwicklung beobachtet und nun den ganzen Verlauf abgewartet, um ihn photographisch festzuhalten. Harda untersuchte den Verschluß des Glaskastens und überzeugte sich, daß er nicht geöffnet war. Ein Stückchen Papier, das sie selbst so angeklebt hatte, daß es bei einer Öffnung durch unbefugte Neugierige zerreißen mußte, war unverletzt. Demnach mußte sich die junge »Elfe« noch innerhalb des Glaskastens befinden, obwohl sich durchaus nichts von ihr sehen ließ. Jedenfalls war sie, nachdem die Entwicklung ihren Abschluß erreicht hatte, wie gewöhnlich unsichtbar geworden und Eynitz hatte seine weiteren Arbeiten zunächst eingestellt.

Als Harda sich niederbückte und nochmals genaue Umschau hielt, bemerkte sie zwischen diesem und dem benachbarten Kasten einen Zettel, auf dem von Eynitz die Worte geschrieben waren. »Bitte Kasten III keinesfalls zu öffnen. Darin entwickelter Gametophyt, seit 3 Uhr 15 Minuten früh unsichtbar.« Der Zettel war offenbar für Harda bestimmt und auf den Kasten gelegt worden. Sie war aber sicher, daß er bei ihrem Eintritt sich nicht mehr dort befunden hatte, er mußte durch irgend einen Umstand herabgeworfen sein.

Natürlich betrachtete Harda nun erst recht gespannt den Inhalt des Elfengefängnisses. Helles Tageslicht lag darüber, man konnte auch unter die Efeublätter blicken, aber nirgends war eine Spur des Bewohners zu entdecken. Da kam Harda auf den Gedanken, jetzt bei dieser hellen Beleuchtung eine photographische Aufnahme zu machen und zwar mit Abblendung der Strahlen von Rot bis Grün. Vielleicht zeigte die Platte mehr, als das Auge sehen konnte. Sie stellte den Apparat zurecht. Bei der Wahl der Blende fühlte sie sich nicht ganz sicher und griff daher nach der gedruckten Anweisung, um die betreffende Stelle nachzulesen. Hierbei setzte sie sich auf einen der vor dem Arbeitstisch stehenden Stühle und begann in dem Büchlein zu suchen.

Plötzlich empfand sie an ihrer Stirn den kühlen Hauch, den sie von früher her kannte – sie erschrak und griff mit den Händen nach ihrem Kopfe, indem sie das Buch fallen ließ. Aber ihre Hände fuhren sogleich zurück, wie von einem elektrischen Schlage durchzuckt. Sollte sie den Anfall über sich ergehen lassen? Sie fühlte die Kraft ihrer Selbstbestimmung schwinden und erwartete, wieder eine Pflanze vor sich zu sehen und zu hören. Aber sie sah nur den Kasten Nummer III, und diesen immer schärfer. Es war ihr, als sollte sie ihn öffnen. Unwiderstehlich ergriff sie der Trieb, hinzugehen und den Verschluß zu lösen. Aber mit dem deutlichen Bilde des Kastens sah sie auch jetzt den Zettel, den sie wieder darauf gelegt hatte, mit Eynitz' Bitte, keinesfalls zu öffnen. Widerstehen, der Suggestion widerstehen – nur nicht an den Sternentau denken! Die Gedanken konzentrieren – auf etwas Liebes – auf was?

Eine unnennbare Angst ergriff sie – Hilfe! Wer hilft? Geo! Geo! Vor ihre Phantasie zwang sie das Bild des alten Freundes, sie sah sein liebes, trautes Gesicht, sie vernahm seine Stimme. »Ruhig, ganz ruhig – sitzen bleiben – ich komme!«

Der Trieb aufzustehen und den Kasten zu öffnen verschwand – aber die Tür des Zimmers hörte sie gehen – war es wirklich Geo?

Auf einmal schrak sie zusammen – sie fühlte ein Tuch über ihrem Kopfe und schrie auf, fuhr empor – Zugleich vernahm sie einen zweiten Ausruf unwilligen Erschreckens, sie öffnete die Augen, und vor ihr stand Eynitz, ein Handtuch in den leicht erhobenen Händen, das er jetzt eilend fortwarf, um Hardas Arme zu fassen und sie, die vom Stuhle zu gleiten drohte, besorgt und vorsichtig aufzurichten.

Jetzt wußte sich Harda wieder völlig klar, aber sie hielt ganz still und wartete, denn Eynitz fühlte ihren Puls; es dauerte ziemlich lange. Sie beobachtete sein Gesicht, aus dem die Besorgnis wich – sie begann den Vorgang zu begreifen und lächelte.

»Habe ich Sie erschreckt?« fragte Eynitz. »Verzeihen Sie mir. Wie fühlen Sie sich?«

Harda sprang auf.

»Ich danke Ihnen, danke Ihnen herzlich. Haben Sie sie?«

»Leider nicht,« antwortete Eynitz, jetzt ebenfalls lächelnd. »Aber die Hauptsache ist, daß Sie wieder wohl sind – Sie haben Elfenbesuch gehabt – haben Sie sich geängstigt?«

»Ja, aber Ihr Mittel hat geholfen. Ich habe an – ich habe meinen »sittlichen Willen« zuhilfe gerufen. Aber bitte, erzählen Sie doch, was ist eigentlich geschehen? Was haben Sie mit mir gemacht?«

Eynitz war, noch während er sprach, an die Wasserleitung getreten und ließ einen leichten Strahl über seine Hände laufen. Zugleich spürte Harda den scharfen Geruch von Salmiakgeist. Sie wollte noch weiter fragen, aber schon antwortete er.

»Ich bin heute spät aufgestanden, weil ich erst um vier Uhr zu Bett gekommen bin – darüber später. Daher ging ich zunächst in die Praxis. Als ich nun hierher kam – ich wußte ja, daß Sie schon im Laboratorium sind – und die Tür öffnete, blieb ich zunächst starr vor Schreck stehen. Ich sehe Sie mit nach hinten gesunkenem Kopfe auf dem Stuhle, wie es scheint, ohnmächtig liegen. Die Augen starr, die Lippen –«

»Abscheulich! Seien Sie still!« rief Harda zwischen Weinen und Lachen.

»Verzeihen Sie,« sagte Eynitz. »Sie können sich denken, wie mir zumute war – vielleicht auch nicht. Zum Glück fiel mir im Augenblick ein, was hier vorliegen dürfte. Sie hatten mir ja geschildert, wie die Anfälle beginnen, die Sie den »Elfen« zuschreiben. Handelte es sich um einen solchen, so mußte so ein Ding auf Ihrem Kopfe sitzen. Sehen konnte ich natürlich nichts. Zu überlegen hatte ich keine Zeit, denn ich mußte Ihnen beispringen. Ich riß eines der Handtücher herab, die hier hängen, warf es Ihnen über den Kopf und griff zugleich mit beiden Händen so zu, daß ich das Ding notwendig gefangen haben mußte, wenn es dort saß. Und wirklich, ich fühlte einen weichen, mit großer Kraft sich zwischen meinen Händen windenden Gegenstand. Ich wollte ihn festhalten, aber plötzlich empfand ich einen so brennenden Schmerz, daß es mir nicht möglich war – ich mußte die Hände öffnen, und in diesem Augenblicke kamen Sie zu sich. Ich eilte zu Ihnen – da liegt das Handtuch – Sehen Sie, hier und hier – das sind Spuren wie von einer ätzenden Säure, die kann nur die Elfe ausgespritzt haben –«

»Sind Sie verletzt?« fragte Harda ängstlich.

»Ich habe gleich tüchtig mit Wasser gespült und mit Ammoniak nachgeholfen – etwas Rötung. Ich glaube, es ist nicht schlimmer, als wenn man einmal in Nesseln gegriffen hat. Im ersten Augenblick allerdings wirkte der Schmerz lähmend. Doch vor allem, fühlen Sie keinerlei üble Folgen?«

»Durchaus nicht. Aber bitte – haben Sie, als Sie mich erblickten, die Worte gerufen: ›Ruhig, ruhig, sitzen bleiben!‹ Denn die hörte ich.«

»Ich glaube wohl. Ich wollte das Ding fangen. Ich meine, es war von allergrößter Wichtigkeit, zu konstatieren, ob die Anfälle wirklich mit den Elfen zusammenhängen.«

Harda lachte. »Also erst das Experiment, dann der Patient!«

»Fräulein Harda!« sagte der Doktor vorwurfsvoll bittend.

»Sie hatten ja ganz recht. Übrigens habe ich Ihre Stimme nicht erkannt. Schade, daß uns die Elfe entwischt ist«

Eynitz blickte im Zimmer umher. »Wo mag das Biest nun sitzen?« sagte er. »Na, die im Kasten Nummer drei ist uns sicher. Sie haben den Zettel jedenfalls gleich gesehen.«

Harda berichtete, wie es ihr ergangen war.

Sie hatten neben einander am Tische Platz genommen. Eynitz stützte nachdenklich den Kopf in die Hand. Auch als Harda schwieg, sprach er noch nicht. Dann fragte er endlich:

»Von Pflanzen haben Sie diesmal nichts gesehen?«

»Nein, ich sah nur diesen Kasten. Ich hatte durchaus die Vorstellung, daß ich ihn öffnen müßte, und ich bin nicht sicher, ob es nicht doch dazu gekommen wäre, wenn Sie der Sitzung nicht ein Ende gemacht hätten. Was denken Sie nun davon?«

»Die Sache wächst mir über den Kopf,« erwiderte Eynitz bekümmert. »Sie wissen, daß ich bis jetzt immer noch geneigt war, die Gametophyten des Sternentaus nur für eine freilich noch ganz unbekannte Zwischengeneration dieser unerforschten Pflanze zu halten. Ihnen überhaupt Bewußtsein, geschweige denn Intelligenz zuzusprechen, schien mir kein Grund vorzuliegen; selbst Ihre Anfälle ließen sich noch als subjektive Erscheinungen erklären. Aber das heutige Ereignis macht dies unmöglich. Sie haben erwartet, ein Gespräch des Efeus zu hören oder dergleichen, Sie wollten den Kasten nicht öffnen – wie kommen Sie nun auf diese Suggestion? Die Elfe auf Ihrem Kopfe hat sie hervorgebracht, darüber kann kein Zweifel sein, das beweisen meine Hände –«

»Meine Haare sind jedenfalls nicht so brennend, Sie halten sie ja sogar für grün.«

»Ich habe den Widerstand unter dem Tuche deutlich gefühlt. Und niemand kann ein Interesse haben, den Kasten zu öffnen, als die Elfen des Sternentaus. Das setzt aber voraus, daß sie wissen, es befindet sich ein Gefangener darin; ferner daß sie schon versucht haben, ihn zu befreien; dabei mag der Zettel herabgestoßen worden sein; daß sie die Öffnung nicht zustande brachten; daß sie wissen, wir können den Kasten aufschließen. Ja das Merkwürdigste – sie müssen wissen, daß sie die Macht haben, Ihnen Vorstellungen zu suggerieren. Sie wollten Sie zwingen, den Verschluß aufzuheben. Das alles – Fräulein Harda – es ist ganz gegen meine Naturauffassung, aber nur die Erfahrung kann entscheiden. Auch ich muß jetzt annehmen, daß die Elfen des Sternentaus intelligente Wesen sind. Doch wie ist das möglich? Wo stammt überhaupt die Pflanze her? Sie sagten einmal –«

»Nicht von der Erde – aber da wurde ich – hm – ziemlich kräftig zurecht gewiesen.«

Eynitz sah sie bittend an. »Ich muß gestehen,« sagte er etwas verlegen, »die Sache steht jetzt anders. Leider anders.« Er stützte den Kopf in die Hand und schüttelte ihn leise. »Damals glaubte ich, es einfach mit einer biologischen Frage zu tun zu haben. Jetzt ist es bewiesen, daß es sich um intelligente Wesen handelt. Das Problem verschiebt sich. Ich komme zu Hypothesen, vor denen ich mich scheue.«

»Nun also, woher stammt der Sternentau?« fragte Harda mit stillem Triumphe.

»Nicht von der Erde, das muß ich jetzt zugeben. Daß eine derartige Entwicklung auf Erden nicht möglich ist, habe ich schon öfter betont. Daß sie da ist, läßt sich nicht mehr leugnen. Also stammt der Sternentau von einem andern Planeten. Die Vermutung ist nicht so phantastisch, wie Sie vielleicht meinen. Die Ansicht, daß sich Keime durch den Weltraum verbreiten können, wird von den namhaftesten Forschern vertreten. Svante Arrhenius z. B. hat genau ausgerechnet, wie lange eine Dauerspore von genügender Kleinheit brauchen würde, um von der Entfernung des Neptun bis zur Erde zu gelangen. Von welchem Planeten der Sternentau stammt, wird sich natürlich nie nachweisen lassen.«

»Wenn die Marsbewohner kommen, vielleicht wissen die's.«

Eynitz lächelte trübe und fuhr fort:

»Immerhin liegt hier der bisher einzige Fall vor, daß die Einführung eines Keims von nicht irdischem Ursprung sich nachweisen läßt. Schließlich – wir haben ja nur die Tatsachen festzustellen. Aber darin steckt das Entmutigende, über das ich nicht fortkann. Sind diese Elfen wirklich intelligente Wesen, wie dürfen wir sie dann einfach als Objekte des Versuchs behandeln? Sie stehen über den Tieren, sie gleichen uns – nehmen wir das einmal vorläufig an, möglich wäre es – darf ich sie dann schlechtweg töten, um sie zu studieren? Mir widerstrebt es, dann mit Gewalt gegen sie vorzugehen – und doch, was sollen wir tun? Und wie wird man über mich herfallen, wenn ich solche Ansichten bekannt mache. Ich sehe schon die Artikel ›Der Spuk in den Hellbornwerken‹ und Ähnliches.«

Er sprach nicht weiter. Harda reichte ihm ihre Hand hinüber und sah ihn freundlich an.

»Ich fühle mit Ihnen,« sagte sie warm. »Warum sollen wir uns die Elfen, sie mögen nun sein, wie sie wollen – wenn es möglich ist, sich mit ihnen zu verständigen in irgend einer Form – warum sollen wir sie uns zu Feinden machen? Warum nicht lieber zu Freunden? Und ehe wir hierin nicht klar sehen, können wir ja die Sache für uns behalten. Es handelt sich eben um kein naturwissenschaftliches Problem, sondern um ein psychologisches, und das ist unsre Privatsache. Sie brauchen vorläufig gar nichts zu veröffentlichen. Ich bin für abwarten.«

»Es wäre mir auch das Liebste, aber die Sache wird sich herumsprechen. Ihr Herr Vater, der Herr Kommerzienrat, Dr. Emmeier und andre Herren aus der Fabrik kennen doch unsre Versuche. Die Sache wird sich herumsprechen.«

»Haben Sie schon zu irgend jemand anderem als zu mir über die vermutlichen geistigen Qualitäten der Elfen sich geäußert?« fragte Harda lebhaft.

»Nein,« antwortete Eynitz. »Ich glaube ja selbst erst seit der heutigen Erfahrung daran.«

»Nun also, so schweigen wir auch weiter davon, bis wir etwas Bestimmteres wissen. Um was handelt es sich denn für die andern? Um die seltsamen, durchsichtigen Früchte einer fremden Pflanze, die in der Luft umhertreiben, wie so viele Pflanzensamen. Was aber wird hier im Auftrage der Hellbornwerke untersucht? Eine neue Pflanze auf etwaige technische Verwendung. Da versteht es sich schon ganz von selbst, daß niemand darüber reden wird, denn es handelt sich einfach um ein Geschäftsgeheimnis. Außerdem werde ich Vater nahelegen, das gelegentlich noch einmal zu betonen.«

»Und die Photographien?«

»Die Herren, die sie zu sehen bekommen, werden daraus weiter keine Schlüsse ziehen können; im übrigen sind sie auch Geschäftsgeheimnis. Emmeier wird vielleicht irgend etwas aus dem Sternentau herauskochen; bis dahin haben wir Zeit. Also sorgen Sie sich nicht. Lassen Sie uns weiter arbeiten – d. h. arbeiten Sie weiter und lassen Sie mich ein wenig teilnehmen.«

»Ich will,« sagte er herzlich. »Und – wahrhaftig – über dem Zwischenfall hätte ich beinahe vergessen, daß ich ja etwas Neues mitbringe. Emmeier muß fabelhaft fleißig gewesen sein. Eben als ich kam, schickte er dieses Päckchen herüber und ließ sagen, er hätte von all den Aufnahmen, die ich ihm heute in aller Frühe übersandt hatte, schon Probe-Abzüge hergestellt. Da müssen wir doch einmal sehen.«

Er hatte das Päckchen geöffnet. »Da sind zunächst die stereoskopischen mit den farbenempfindlichen Platten. Und hier – da sind auch die vom Kasten III während der Entwicklung der selbstleuchtenden Elfen, und dann habe ich noch ein paar mal im Finstern auf gut Glück geknippst – das kann ja nichts geworden sein –«

Harda war aufgestanden, um das Stereoskop zu holen. Eynitz betrachtete schon eines der Bilder ohne ein Wort zu sprechen. Sie blieb neben ihm stehen und sah mit auf das Bild.

»Da – da ist ja aber etwas darauf,« sagte sie ganz erstaunt.

Eynitz' Hand zitterte leise. Das dünne Papier glitt aus seinen Fingern und rollte sich zusammen.

»Ich will es aufspannen,« sagte er. Schnell hatte er es mit Reißzwecken auf einem Stück Pappe befestigt. Harda nahm es in die Hand und trat damit ans Fenster. Eynitz blickte ihr über die Schulter.

Auf dem durchaus dunklen Blatte erschienen nur an der einen Seite zwei hellere Flecke.

»War es ganz finster im Zimmer?« fragte Harda.

»Vollständig. Die Läden waren geschlossen, nirgends ein Reflex. Ich hatte die Camera auf den Kasten III eingestellt und dann das Licht ausgedreht. Zufällige Flecke können es nicht sein. Es sieht aus wie eine schwebende Figur, darüber eine sitzende. Ich kann nichts anderes annehmen, als daß es zwei »Elfen« sind, von denen ultraviolette Strahlen ausgingen, die auf die Platte wirken, während sie unser Auge nicht wahrnimmt. Es würde mich ja nicht wundern; waren doch die Bilder der sich entwickelnden selbstleuchtenden Elfen viel stärker, als nach dem optischen Eindruck auf unser Auge zu erwarten war.«

»Sie schrieben das ja schon damals chemisch wirksamen Strahlen zu. Die untere Figur gleicht völlig den schwebenden Gestalten, wie ich sie in meinem Zimmer leuchtend erblickt habe. Aber sehen Sie doch, der Schleier sieht wie gemustert aus – geben Sie mir einmal eine Lupe.«

Harda blickte lange durch das Glas. Dann reichte sie es mit dem Bilde an Eynitz und sagte:

»Das Bild zeigt verschiedene feine Einzelheiten. Aber prüfen Sie erst. Ich will noch nicht sagen, was ich denke – es ist vielleicht dumm. Übrigens, Sie hatten doch noch eine zweite Dunkelaufnahme.«

»Das Bild liegt auf dem Tische.«

Eynitz vertiefte sich in die Untersuchung, während Harda die andere Photographie mit einer zweiten Lupe betrachtete.

»Diese ist noch viel deutlicher als die erste,« rief sie endlich. »Nun, was meinen Sie?«

»Schauen Sie einmal dort auf das Drahtgeflecht des Kastens,« sagte Eynitz.

»Nicht wahr?« rief Harda eifrig. »Das dunkle Muster auf dem Schleier ist die Abbildung des Drahtgeflechtes. Die untere Elfe befand sich also hinter dem Gitter im Kasten. Der dunkle Raum zwischen beiden Figuren ist die Holzkante des Deckels. Sie verdeckt den oberen Teil der ausgestreckten Arme. Und die andere Elfe sitzt oder kauert auf dem Deckel, außerhalb des Kastens.«

»Und Sie können sogar erkennen, an welcher Stelle das war. Hier ist eine Unregelmäßigkeit im Geflecht und ein vorstehendes Drahtende. Mit der Lupe können Sie es auf dem Schleier sehen. Daß der Schleier auch leuchtet, darf uns nicht wundern – woher das kommt, wissen wir freilich nicht.«

»Nun nehmen Sie nur einmal das zweite Bild. Hier schweben beide scheinbar nebeneinander, aber die eine innerhalb, die andere außerhalb des Gitters auf unsrer Seite. Sie arbeiten, wie es scheint, an den Drähten und machen Befreiungsversuche. Hier sieht man die Köpfe noch deutlicher. Sie tragen Kronen, fünfzackige – mit der Lupe sieht man's.«

»Ja,« bemerkte Eynitz, »man erkennt einige Details des Körperbaus. Diese Zinken am Kopfende sind jedenfalls Sinnesorgane oder Verteidigungsorgane. Ich will das Bild neben dem andern befestigen.«

Harda setzte sich an den Tisch und begann die stereoskopischen Aufnahmen sorgfältig zu betrachten. Inzwischen suchte Eynitz nach passendem Material in einem Schranke und nahm dann zu seiner kleinen Handarbeit an einem andern Tische Platz. Bald war er damit fertig. Aber während dieser mechanischen Arbeit waren seine Gedanken abgeschweift; weit hinweg und doch eigentlich nicht aus diesem Zimmer hinaus; nicht von dem blonden Mädchenkopfe fort, der ihm dort das feine Profil zukehrte.

Was er von Anfang an gefürchtet, war eingetreten. Er wußte es seit der letzten Unterredung am Riesengrab und dem darauffolgenden Abende in der Familie Kern, als der Direktor ihm die Einrichtung des Sternentau-Laboratoriums anbot; er war sich klar, in welche Gefahr er sich begab bei diesem täglichen Umgange mit dem schönen, klugen, liebenswürdigen Wesen. Vergebens suchte er seine Gedanken durch die ernsthafte Arbeit abzulenken, gerade diese führte ja immer zu Harda zurück. Und hier schien ihm alles so hoffnungslos. In ganz Wiesberg war man überzeugt, daß sich Harda Kern mit dem Kommerzienrat Frickhoff verheiraten würde, wenn sie ihm nicht etwa einer von den reichen Dragoneroffizieren fortschnappte. Was konnte er ihr dagegen bieten als seine Liebe, und ob ihr daran überhaupt lag? Sie war immer gleichmäßig freundlich zu ihm. Und doch, so manches Wort, mancher Blick – ach, er zählte sich oft alles im stillen vor – ließen ihn wieder hoffen, daß er ihr nicht gleichgültig geblieben war. Nicht gleichgültig, nun ja, aber deswegen braucht ihr Gefühl doch nur freundschaftliche Hochschätzung zu sein. Und er hatte kein Recht, diese schöne, gemeinschaftliche Arbeit, die Harda so viel Freude machte, eigennützig zu stören. Weder ihr, noch sich, noch der Wissenschaft, noch den Hellbornwerken durfte er das antun. Und nun war noch dieses neue Geheimnis hinzugekommen. Aber was half's?

Er erhob sich, trat zu Harda und reichte ihr den Karton mit den Bildern.

Sie legte das Stereoskop fort und verglich nochmals die Aufnahmen. Beide betrachteten sie gemeinschaftlich. Eynitz stand hinter Harda und hatte die Hand auf die Lehne ihres Stuhles gelegt. Er beugte sich zu ihr herab.

»Ich weiß nicht, was ich denken soll,« sagte Harda. »Es ist wie ein Märchen, und doch so helle Wirklichkeit. Diese merkwürdigen Wesen aus einer andern Welt! Welche Wunder sollen uns noch begegnen?«

Eynitz sah gar nicht mehr die Bilder. Er sah nur einen leichten Schleier von losem blonden Haar, das er gar zu gern aus der weißen Stirn gestrichen hätte, er sah die liebliche Rundung der Wange und einen schlanken, weichen Nacken, und er wußte, daß er alle Elfen der Welt darum geben würde, diesen Hals zu küssen – wenn er wüßte, ob nicht dann alles, alles verschwände – –

»Wir sind wie auf einer verzauberten Insel im Elfenreiche,« sagte er leise. »Wir beide allein, und niemand weiß es.«

Sie schien nichts zu hören. Sie sah nur auf die Bilder.

»Harda –« klang es wie ein Hauch von seinem Munde.

Sie lehnte sich zurück. Er fühlte den leichten Druck ihres Rückens gegen seine Hand. Die schönen braunen Augen wandten sich ihm zu. Nicht zürnend. Hatte sie überhaupt gehört, was er gesprochen? Ruhig lächelnd sah sie ihn an und sagte freundlich:

»Da müssen wir halt ein bissel Geduld mit einander haben.«

Dann stand sie auf und trat an die Kästen.

»Ich glaube, es ist Zeit, ich muß gehen,« fuhr sie fort. »Aber was machen wir nun mit dem armen Ding da drin?«

Eynitz raffte sich zusammen. »Ja,« sagte er, »das ist eine schwierige Frage. Man kann es nicht sehen, man kann es nicht greifen. Man müßte es einmal mit Gummihandschuhen probieren. Aber was soll man dann damit anfangen? Immerhin müssen wir zunächst weiter beobachten. Und selbst, wenn es sterben sollte, so muß man das eben abwarten. Vielleicht wird es dann sichtbar. Auch könnten wir noch Versuche machen, ob sich nicht durch optische Mittel das Objekt wahrnehmbar machen läßt, z. B. durch starke Feuchtigkeit der Luft oder Beimengung andrer Gase, oder im polarisierten Licht, oder sonst wie. Ich bin nicht Physiker genug. Jedenfalls muß noch Verschiedenes ausgedacht werden. Sollte sich aber die Beobachtung des lebenden Individuums nicht mit Erfolg durchführen lassen, so müßte man sich mit dem anatomischen Resultat begnügen. Wir können die Elfen jedenfalls narkotisieren oder sonst töten und den Körper durch ein Härtungsverfahren und neue Färbungsmethoden der Untersuchung zugänglich zu machen suchen.«

»Es tut mir leid, mein Elfenprinzeßchen,« sprach Harda. »Aber ich sehe ein, wir müssen nun einmal konsequent bleiben. Übrigens wird sie morgen wohl noch Gesellschaft bekommen, denn es scheinen noch mehr Kapseln reif zu werden.«

Sie untersuchten jetzt nochmals sämtliche Pflanzen auf ihren Entwicklungszustand.

»Auf alle Fälle,« sagte Eynitz, »komme ich heute abend wieder her, und wenn sich Elfen entpuppt haben sollten, so knippse ich wieder im Dunkeln.«

»Wir könnten wohl auch am Tage Aufnahmen machen,« sagte Harda. »Ich wollte es nämlich eben tun, als der Anfall kam. Das kann doch nicht etwa die Elfe aus dem Kasten gewesen sein?«

»Nein,« antwortete Eynitz, »das war jedenfalls die freie. Ich habe auch die Absicht, noch einmal jetzt zu photographieren. Wollen Sie nicht solange warten?«

»Fürchten Sie auch überfallen zu werden?«

»Nein,« lachte Eynitz, »Die »Elfe« wird wohl von meinem Händedruck genug haben.«

»Dann hat es keinen rechten Zweck, daß ich warte. Ehe Sie entwickelt haben, sitzt die Elfe gewiß längst wieder wo anders. Ich muß nach Hause. Also auf Wiedersehen, spätestens morgen.«

Harda reichte ihm die Hand. Dann war sie aus der Tür und lief die Treppe hinab.

Eynitz kehrte langsam ins Laboratorium zurück. Er machte die besprochene Aufnahme und überzeugte sich am Negativ, daß die Gefangene noch da war; mehr ließ sich nicht ersehen, da die Elfe offenbar während der Sitzung nicht still gehalten hatte.

Eigentlich beabsichtigte er, weiter zu arbeiten, aber die Gedanken wollten sich nicht recht sammeln. Immer wieder mußte er den Druck der Hand und den Blick beim Abschied sich zurückrufen und ihre Worte – Nein, sie zürnte nicht. Wie ein sonniger Schein breitete es sich um ihn. Er hätte aufjauchzen mögen. Aber – Geduld, Geduld!


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