Artur Landsberger
Mensch und Richter
Artur Landsberger

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VIII.

Von nun ab kam Richard oft des Sonntags nachmittags zu Gugenzeils. Er brachte seine Violine mit und spielte Hilde vor. Sie sang die Melodie, oft auch den Text mit, den er sie lehrte. – Manchmal nahm sie die Violine, und er zeigte ihr, wie man den Bogen führte und die Finger setzte. Aber das begriff sie nicht. Und da es so schwer war, so bewunderte sie ihn nun noch mehr.

Wenn sie so eine Stunde lang in Anwesenheit des Kinderfräuleins zusammen waren, wurden sie nach vorn gerufen, um mit Herrn und Frau Gugenzeil Kaffee oder Schokolade zu trinken. Hilde sorgte dafür, daß Richard das beste Stück Kuchen bekam – und sie himmelte ihn so an, daß Frau Kaete eines Tages zu ihrem Manne sagte:

»Das Mädel verliebt sich noch in den Musikanten.«

»So ein Kind – ich bitt' dich.«

»Ich entsinn' mich, als ich acht Jahre war, kam zu uns ein Schauspieler ins Haus – Rittner hieß er –, ich kann dir sagen, ich war verknallt in ihn bis über beide Ohren.«

»Und hast doch mich geheiratet.«

»Aber vergessen habe ich ihn bis heute nicht.«

»Das sind ja recht nette Eröffnungen!«

»Jeden Mann, den ich kennenlernte, habe ich mit ihm verglichen.«

»Mich etwa auch?«

»Natürlich! Und da deine Augen und deine Mundpartie – wenn auch nur entfernt – der Rittners gleichen . . .«

»Das ist ja himmlisch!«

»So habe ich aus dem halben Dutzend Männer, die mich heiraten wollten, dich gewählt.«

»Meine Mundpartie hast du geheiratet.«

»Natürlich habe ich dich auch gern gehabt. Und in der Ehe hat sich dann das Bild Rittners allmählich verwischt.«

»Allmählich!«

»Jetzt ist es ganz ausgelöscht – und ich denke erst wieder daran, seitdem dieser Junge zu uns ins Haus kommt.«

»Du glaubst doch nicht, daß er darauf ausgeht . . .?«

»Vielleicht, daß seine Mutter ihm einheizt. Ich bitte dich, eine Friseuse wäre ja keine Friseuse, wenn sie die Chance nicht nutzen würde.«

»Hirngespinste! Kinder von acht Jahren! – Immerhin mahnt die Affäre Rittner zur Vorsicht. Ich werde der Frau schreiben. Gib mir ihre Adresse.«

»Die weiß ich doch nicht. Da mußt du die Mamsell fragen.«

Und Herr Gugenzeil schrieb:

»Sehr geehrte Frau!

Wir sind von Ihrem Jungen entzückt. Sie können sich wirklich zu ihm gratulieren. Und wenn nicht alles täuscht, so hat er eine große Zukunft. Da ich aber aus pädagogischen Gründen meine Tochter nicht im Verkehr mit Künstlern aufwachsen lassen möchte, so nehmen Sie es nicht übel, wenn ich Sie bitte, Ihren Sohn nicht mehr zu uns kommen zu lassen.

Ihr ergebener

Gugenzeil.«

Als Herr Gugenzeil diesen Brief geschrieben hatte, rief er die Mamsell und fragte sie nach Namen und Adresse von Richards Mutter.

Die Mamsell nannte sie und fuhr fort:

»Darf ich fragen, was Sie von meiner Freundin wollen?«

»Frau Krüger ist Ihre Freundin?«

»Jawoll.«

»Dann haben Sie uns also den Jungen ins Haus gebracht?«

»Jawoll!«

»Wissen Sie auch, daß das eine große Dummheit war?«

»Nanu? – Hat der Junge sich schlecht aufgeführt? Soviel ich weiß, hat er Sie alle mit seiner Musik unterhalten.«

»Er ist kein geeigneter Verkehr für meine Tochter.«

»Weil seine Mutter eine Friseuse ist?«

»Das wäre mir gleich. Aber ein Künstler verdreht einem Mädel leicht den Kopf.«

»Die beiden sind zusammen noch keine sechzehn Jahre.«

»So etwas setzt sich wie ein Gift früh fest.«

»Aber, Herr Gugenzeil!«

»Kurz und gut, der Junge kommt mir nicht mehr ins Haus.«

»Und das schreiben Sie der Frau, die es so schwer hat?«

»Ich kann doch nicht zu ihr gehen.«

»Weniger kränkend wäre es schon.«

»Also gut!« – Er zerriß den Brief und fuhr zu Frau Krüger. –

Wenn Richard bei Gugenzeils war, dann saß Frau Elsa die ganze Zeit über und quälte sich mit Selbstvorwürfen. Dabei hatte sie Richard so liebgewonnen wie ein eigenes Kind – und der Gedanke, ihn je hergeben zu müssen, ließ sie nicht zur Ruhe kommen. Trotzdem verging kein Tag, an dem sie sich nicht nach ihrer Tochter bangte. Dem Gefühl nach waren beides ihre Kinder.

Wenn Richard dann von Gugenzeils kam, mußte er erzählen – und es fiel Frau Elsa nicht auf, daß er, unaufgefordert, fast nur von dem sprach, was sie gern hören wollte. Mit Hilde begann er – und mit Hilde schloß er. Und sie machte sich aus alldem dann ein Bild, das sie mit in ihren Schlaf und in ihre Träume nahm.

So war sie auch heute wieder voll von dem Erzählten und hatte eben das Licht in Richards Zimmer gelöscht, als draußen die Klingel ging. Sie öffnete und stand Herrn Gugenzeil gegenüber.

»Na, wie geht's?« sagte er und trat ein.

»Ist mit Hilde etwas passiert?« fragte Frau Elsa erregt – und merkte erst an dem erstaunten Gesicht und der noch erstaunteren Frage Gugenzeils, der fragte: »Hilde – wieso Hilde?« wie sinnlos ihre Frage war. Wem würde es einfallen, zu ihr zu kommen, wenn Hilde etwas zugestoßen wäre?

»Hübsch haben Sie's hier«, sagte Gugenzeil. »Etwas eng – aber gemütlich. – Na, was macht der junge Maestro? Der Junge ist richtig? Rhythmus! Tempo! – Der wird den Weibern einmal den Kopf verdrehn!«

»Kommen Sie seinetwegen?« fragte Frau Elsa und bot Gugenzeil einen Stuhl an. Er setzte sich. Sie nahm ihm gegenüber Platz.

»Ja, der Junge!« fuhr Gugenzeil fort. »Wenn es meiner wäre, ich wäre stolz auf ihn.«

»Ich bin es auch.«

»Gewiß! Der Junge ist Ihnen ja aus dem Gesicht geschnitten. – Verstehen Sie sich auf Ähnlichkeiten?« – Er beugte sich vor: »Wie finden sie meine Mundpartie? Bezaubernd, was? Haben Sie Rittner gekannt?« – Frau Elsa schüttelte den Kopf. – »Schade! Oder ganz gut! Wir sehen uns zum Verwechseln ähnlich. Sie hätten uns gar nicht auseinander halten können.«

»Sie sind verwandt miteinander?«

»Keine Spur. Aber so eine Mundpartie – Es können auch die Augen sein. – So etwas setzt sich in einer Frau fest. Schon im zartesten Mädchenalter. Ob es nun Rittner ist oder – Krüger.«

»Sie sprechen von meinem Sohn?«

»Sozusagen mehr von meiner Tochter. Meine Frau und ich möchten nicht, daß von Ihrem Sohn etwas bei unserer Tochter haftenbleibt.« – Er richtete sich stolz auf. »So, jetzt habe ich es verständlich gemacht. Fabrikantentochter und Künstler, das gibt kein Glück.«

»Großer Gott, wer denkt denn daran – bei diesen Kindern?«

»Der weise Mann baut vor.«

»Soll das etwa heißen, daß die Kinder nicht mehr zusammenkommen sollen?«

»Ja! Das ist es, und deshalb bin ich hier.«

»Das ist unmöglich!«

»Wieso?«

»Das kann ich Ihnen nicht erklären.«

»Na, versuchen Sie 's mal.«

»Ich muß« – sie überlegte – »ja, ich muß auf alle Fälle – mit Hilde – in irgendeiner Form in Verbindung bleiben.«

»Das verstehe ich nicht. Was geht Sie Hilde an?«

»Sie ist am gleichen Tage wie mein Junge geboren.«

»Ich erinnere mich. Ich war damals verreist.«

»Ich war die erste, die das Neugeborene aufgenommen hat.«

»Das ist mir neu.«

»Ihre Frau war damals ohne Hilfe. Der Arzt, die Kinderfrau, niemand war zur Stelle.«

»Ich mache mir heute noch Vorwürfe, daß ich nicht zu Hause geblieben bin.«

»Als ich das Kind aufnahm, fragte Ihre Frau: Ein Mädchen? Ich sagte: Ja.«

»Natürlich!«

»Ich hätte ebensogut sagen können: Ein Junge!«

»Na, das hätte sich dann ja wohl durch nähere Inaugenscheinnahme feststellen lassen.«

»Ich hätte die Kinder ja nur zu vertauschen brauchen.«

»Was für Kin . . . Sie meinen Ihr Kind und mein Kind? Ihr Kind war ein Junge – ich wußte aber von vorneherein, daß meins ein Mädchen war.«

»Das haben Sie sich eingeredet.«

»Sie sehen ja, es hat gestimmt.«

»Sofern ich die Kinder . . . .«

»Sofern Sie die Kinder?«

»Nicht vertauscht habe.«

Gugenzeil sprang auf:

»Das behaupten Sie doch nicht etwa?«

»Und wenn ich das täte?«

»Dann würde ich Sie . . . Nein, anzeigen würde ich Sie nicht. Das gäbe einen Skandal. Ich hasse Skandale. Aber ich würde mir ganz einfach meinen Jungen« – er machte ein paar Schritte auf die Tür zu – »nein! ich würde mir den Jungen vermutlich nicht holen – wir haben uns eine Tochter gewünscht und sind dem Himmel dankbar, daß er uns diesen Wunsch erfüllt hat – auch dann, wenn er Sie zu seinem Werkzeug ausersehen haben sollte.«

»Gut, ich bin einverstanden! Unter der Voraussetzung, daß Hilde für Richard auch weiterhin erreichbar bleibt.«

»Wenn meine Frau es nicht erfährt – mir gefällt der Junge – er ist gut erzogen – auch Sie gefallen mir – Sie müssen mal sehr hübsch gewesen sein.«

»Wann? Ich bin jetzt sechsundzwanzig.«

»Ich meine, Sie müssen ein hübsches Kind gewesen sein, da Sie jetzt eine so hübsche Frau sind.«

»Schon gut! Und wenn Sie mal den Wunsch haben, Richard zu sehen. . . .«

»Wieso meinen Sie? – weil er am selben Tage wie Hilde geboren ist? Nö. So kinderlieb bin ich nicht.«

Jetzt stand auch Frau Elsa auf und sagte:

»Ich habe Ihnen natürlich nur einen Schreck einjagen wollen.«

Gugenzeil lächelte so liebenswürdig, wie es ihm möglich war.

»Liebe junge Frau«, sagte er, »glauben Sie wirklich, Sie sind die einzige Frau, die mir in den letzten zehn Jahren einzureden sucht, daß ich der Vater Ihres Kindes bin?«

»Hier läge der Fall ja anders«, erwiderte Frau Elsa.

»Der Fall, der gerade in Frage steht, liegt immer anders. Jeder hält seinen Fall für einen besonderen.«

»Also, es ist schon gut; das alles bleibt, wie's ist.«

»Sehr verständig! Das Leben ist schon kompliziert genug. Wozu es sich mutwillig noch mehr erschweren?«

Er gab Frau Elsa die Hand und wandte sich zur Tür. Als er den Mantel schon anhatte und sich den Hut aufsetzen wollte, kehrte er noch einmal zu ihr zurück und sagte:

»Das Studium für den Jungen bezahle natürlich ich.«

»Ja, wie kommen Sie dazu?« fragte Frau Elsa und tat erstaunt.

»Weil ich es für richtig halte«, erwiderte er – und ging.

 


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