Artur Landsberger
Liebe und Bananen
Artur Landsberger

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Vierundzwanzigstes Kapitel.

Der Polizeiassessor Falk von Stein, dem der Direktor der Kriminalabteilung Ia die Recherchen in der Putschaffäre übertragen hatte, erklärte bei Einlieferung der Hoteldiebe Sülstorff Vater und Sohn:

»Der Kreis ist geschlossen!«

Was er damit sagen wollte, verstand keiner von seinen Beamten. Und dieser Mangel an Verständnis schien sich auch auf ihren Gesichtern auszudrücken, denn er fuhr fort:

»Dieser Diebstahl ist nur fingiert, um vom Wesentlichen abzulenken. Sie suchten in den Hotelzimmern etwas ganz anderes – was sie suchten, wird die Untersuchung ergeben.«

Und er diktierte dem Schreiber die Anklageschrift zwecks Weiterleitung an den Herrn Ersten Staatsanwalt am Landgericht I. Sie begann folgendermaßen:

»In der Nacht vom 21. zum 22. April dieses Jahres bewegte sich von der Leipziger Straße aus ein Zug von mehreren tausend Menschen in nördlicher Richtung zur Lothringer Straße, die unter Vorantritt einer Musikkapelle politische Lieder sangen und Hochrufe auf Moskau ausbrachten. Gegendemonstrationen von Straßenpassanten, die sich in ihren nationalen Gefühlen gekränkt sahen und die durchaus richtige Auffassung vertraten: die Straße gehöre dem Verkehr, nicht aber bolschewistischen Demonstrationszügen, wurden von den Teilnehmern des Zuges blutig unterdrückt. Das Ziel des Zuges war das Haus des angeblichen Obsthändlers Max Pika, vor dem die Demonstranten stürmisch in die Rufe ausbrachen:

»Bananen!«

Dies Wort, dessen Bedeutung zurzeit noch von Sprachsachverständigen nachgeprüft wird, kehrt im folgenden ständig wieder. Zweifellos ist es eine Art geheimer Code und jeder Buchstabe bedeutet ein russisches Wort. An der Spitze des Zuges marschierten der Deutsch-Amerikaner Stein-Brück, die Russin Olga von Tschochenska, der russische Baron Curt Dubois und das Mannequin Pina Jeff, die angebliche Stieftochter des angeblichen Bananenhändlers Max Pika in der Lothringer Straße.

Die polizeilichen Ermittlungen haben ergeben, daß in den Räumen der Bananenhandlung von Pika nicht eine einzige Banane aufgefunden wurde, wohl aber unzählige leere Kisten mit den Firmen Max Sülstorff Söhne Hamburg und Paul G. Olem Sumatra. – Der Polizei ist es keinen Augenblick lang zweifelhaft, daß in diesen Kisten Dynamit und andere Explosivstoffe über Hamburg nach Berlin eingeschmuggelt wurden.

Sämtliche von den polizeilichen Organen verhafteten Personen sind dringend verdächtig, es unternommen zu haben, die Verfassung des Deutschen Reiches gewaltsam zu ändern. Der nächtliche Umzug ist als eine Handlung anzusprechen, durch welche das Vorhaben unmittelbar zur Ausführung gebracht werden sollte, also als ein Unternehmen nach § 82 des StGB.s, durch welches das Verbrechen des Hochverrats vollendet wird. Aber selbst wenn darin das vollendete Verbrechen des Hochverrats nicht erblickt werden sollte, so hätte § 83 des StGB.s Platz zu greifen, nach dem mit Zuchthaus nicht unter fünf Jahren bestraft wird, wenn mehrere die Ausführung eines hochverräterischen Unternehmens verabredet haben, ohne daß es zum Beginn einer nach § 82 strafbaren Handlung gekommen ist. – Die Verdächtigen und die Verdachtsmomente sind folgende:

1. Der Deutsch-Amerikaner Albert Stein-Brück wurde verhaftet in der Nacht vom 21. zum 22. April in dem Obstladen Max Pikas in der Lothringer Straße. Er, der im Hotel Adlon abgestiegen war, will sich mitten in der Nacht dorthin begeben haben, weil er plötzlich Appetit auf Bananen bekam. Bei dieser sinnlosen Begründung blieb er trotz mehrfacher Vorstellungen. Auf die weitere Merkwürdigkeit des Verkehrs mit einem Kellner und einem Mannequin aufmerksam gemacht, weiß er nur zu erwidern, daß er verkehren könne, mit wem er wolle. Als Grund für seine Reise nach Europa gibt er an, er habe seinen Freund, den amerikanischen Rekordflieger Habel, bei seiner Ankunft aus Asien in Berlin empfangen wollen. Die Gegenüberstellung mit dem Flieger ergab, daß dieser ihm völlig unbekannt war.

2. Die russische Gräfin Olga von Tschochenska wurde in der fraglichen Nacht ebenfalls in dem Obstladen angetroffen. Auch sie verweigert die Aussage und gibt als Grund für ihre Europareise an, daß der Polizeigefangene zu 1 sie mit dem Flieger habe verheiraten wollen. Als man ihr die Photo des Mannequins Pina Jeff zeigte, verriet sie sich, indem sie rief: »Die gehört in den Obstladen.« – Auch sie verkehrt mit dem Kellner und dem Mannequin ihres Schneiders. Da diesem Verkehr erwiesenermaßen jede sexuelle Grundlage mangelt, kann er nur politischen Zwecken dienen.

3. Der angebliche Kellner Curt ist in Wahrheit der russische Baron Curt Dubois. In ihm glaubt die Polizei den Kopf der Bande erblicken zu müssen. Er tritt bald als Kellner, bald als Modeanwalt auf, erscheint aber auch in anderen Maskierungen. So wurde er bei seiner Verhaftung mit blonder Perücke in der Verkleidung des bekannten Tennismeisters Harry Sülstorff angetroffen. Er gibt als Grund für alle diese nur zu durchsichtigen Manöver die – Bananenknappheit und den schlechten Geschäftsgang seines präsumtiven Schwiegervaters Max Pika an, dessen Stieftochter Pina Jeff, Mannequin von Garis Sons (die auch bei den Polizeigefangenen zu 1 und 2 eine Rolle spielt) laut polizeilicher Forschung zwar polizeilich angemeldet ist, in Wirklichkeit aber gar nicht existiert.

4. Denn diese vermeintliche Pina Jeff ist in Wirklichkeit niemand anders als die Tochter des Bananenkönigs auf Sumatra Paul G. Olem. Damit erklärt sich auch ihr Verkehr mit den Polizeigefangenen zu 1 und 2, mit denen sie politisch konspirierte, während sie nach außen, um harmlos zu erscheinen und sich der Verfolgung zu entziehen, als Stieftochter des zweifellos bestochenen Obsthändlers Max Pikas auftrat. Sie führte ein Doppelleben. Und als sie ihre Rolle als Mannequin ausgespielt hatte und wußte, daß sie von der Polizei auf Grund der Ereignisse der fraglichen Nacht als Stieftochter Pikas gesucht wurde, verwandelte sie sich in Miß Djojo Olem zurück, als die sie unter der Angabe, soeben aus Sumatra zugereist zu sein, in dem Hotel Adlon Quartier nahm. Als solche war sie unvorsichtig genug, sich bei Garis Sons auf die Gräfin Tschochenska zu beziehen. Ihrer Verhaftung im Hotel nach erfolgter Demaskierung setzte sie keinerlei Widerstand entgegen.

5. Zu den Verhafteten und dringend Verdächtigen gehört auch der Mechaniker des berühmten Rekordfliegers Kapitän Habel, der sich dadurch verdächtig machte, daß er, unter dem Namen Paul G. Olem, im Hotel Adlon ein Appartement mit Salon und Bad bestellte. Eine Gegenüberstellung mit der Polizeigefangenen zu 4 ergab, daß die beiden sich überhaupt niemals gesehen hatten. Die noch nicht identifizierte Persönlichkeit dieses Polizeigefangenen gewinnt an Interesse durch den Polizeigefangenen zu 6.

6. Der Polizeigefangene zu 6 ist niemand anders als der am Vortage mit großer Begeisterung auf dem Tempelhofer Flugplatz empfangene Ostasienflieger, der sich für den Kapitän Alfred Habel ausgibt und als solcher am gestrigen Abend im Hotel Esplanade die Gründung und Finanzierung des Aeroclubs Habel vornahm. Ein Mitglied der englischen Botschaft, der sich zufällig im Hotel Esplanade befand, entlarvte den Betrüger und überantwortete ihn der Polizei. Durch Funkentelegraphie konnte einwandfrei festgestellt werden, daß Kapitän Habel tatsächlich mit seinem Mechaniker in Sumatra aufgestiegen und in Triest das letztemal gelandet ist. Er muß also zwischen Triest und Berlin eine Notlandung vorgenommen haben und dabei Verbrechern in die Hände gefallen sein, die den Kapitän und seinen Mechaniker beseitigten und den Flug nach Berlin fortsetzten. Da einer der beiden Verbrecher sich den Namen Paul G. Olem zulegte, nimmt die Polizei an, daß es Mitverschworene der Miß Djojo Olem sind, die infolgedessen auch als Mitwisserin an dem Doppelmorde in Frage kommt. Die Strecke Triest–Berlin wird zurzeit nach den Leichen des Kapitäns und seines Mechanikers abgesucht.

7. In der Nacht von gestern zu heute gelang es, an einer Vergnügungsstätte im Zentrum der Stadt einen Malayen festzunehmen, der sich durch große Geldausgaben und eine auffällige Nasenverletzung verdächtig machte. Er gab an, Dieferle zu heißen und der Begleiter Miß Olems zu sein, die bei einer Gegenüberstellung jedoch erklärte, ihn nie gesehen zu haben. Man fand bei ihm einen auf den Namen Pampers lautenden spanischen Paß, der seinem Inhaber vor drei Tagen bei der Landung des Flugzeuges Kapitän Habels in Triest gestohlen worden war. Die Annahme, daß er seine Hand bei dem Diebstahl des Flugzeuges und der Ermordung des Kapitäns und seines Mechanikers im Spiele hat, ist nicht von der Hand zu weisen.

8. und 9. Schließlich verhaftete die Polizei noch die beiden Hamburger Kaufleute Max und Harry Sülstorff, die sich bei der Zofe Miß Olems verdächtig machten und einen gemeinsamen Diebstahl ausführten, der von der Polizei jedoch nicht für ernst genommen, vielmehr als ein Ablenkungsmanöver angesehen wird. Die Polizei glaubt vielmehr, daß die mit dem Import von Bananen handelnden Sülstorffs mit den unter 1 bis 7 Genannten konspirieren, und daß ihr Besuch in dem Zimmer der inzwischen verhafteten Miß Olem den Zweck verfolgte, bei dieser belastendes Material beiseite zu schaffen. Der Diebstahl erfolgte auf raffinierteste Weise. Max Sülstorff ließ von außen, vermutlich von der Hotelhalle aus, eine telephonische Verbindung mit ihr herstellen und veranlaßte sie, am Telephon zu warten, während er den Diebstahl ausführte. Sein Sohn Harry Sülstorff, der, gewiß nicht zufällig, zur gleichen Zeit in ihrem Zimmer war, unterstützte ihn dabei, indem er ihr zuredete, am Apparat zu bleiben.

10. Der Polizeigefangene Pika schließlich ist dringend verdächtig, den Polizeigefangenen 1 bis 9 seine Räume gegen Entgelt zur Verfügung gestellt und sich damit der Beihilfe schuldig gemacht zu haben.«

Der Erste Staatsanwalt am Landgericht I las den Bericht, belobigte den Polizeirat Falk von Stein für die scharfsinnigen Ermittlungen und ordnete die Ueberführung sämtlicher Polizeigefangenen in das Untersuchungsgefängnis an. Zuvor aber sei nochmals die Identität jedes Einzelnen festzustellen.


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