Artur Landsberger
Liebe und Bananen
Artur Landsberger

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Drittes Kapitel.

Gedankenübertragung und Duplizität der Ereignisse sind vielleicht wissenschaftlich noch nicht feststehende Begriffe. Die Zahl einwandsfreier und überzeugender Fälle aber ist so groß, daß man Geschehnisse, wie wir sie jetzt schildern werden, durchaus nicht ins Märchenland des Films zu verweisen braucht. Wir erheben vielmehr Anspruch darauf, daß sie uns geglaubt werden. – Entfernungen nach Kilometerzahl spielen dabei keine Rolle. Zeit und Raum sind nach der Relativitätstheorie – eben relative Begriffe. Das Absolute besteht nur noch für Dummköpfe.

Für einen Dummkopf aber wird die temperamentvolle Djojo niemand halten. Als sie, noch völlig frisch, ihrem Begleiter immer ein paar Pferdelängen voraus, zwischen den grünen, einer kleinen Stadt vorgelagerten Rasenplätzen einhergaloppierte, überholte sie lange Reihen von überdachten Ochsenkarren, die mit Kohl und Kartoffeln beladen zum Markte zogen. Dunkle, frische Batakmänner mit Gold und Silber beschlagenen Messern im Gürtel und hinter ihnen ihre Frauen, alte und junge, zahnlose, ernste und rotmündige mit nacktem Oberkörper – alle gingen denselben Weg: zum Markte.

Hunderte von Karren standen am Rande des Platzes aufgestellt, und die Waren, alle möglichen europäischen und indischen Früchte und Gemüse, lagen in Reihen und Haufen, und bei jedem Haufen saßen zwei oder mehr schwatzende Weiber unter lackierten Papiersonnenschirmen.

Die Männer zogen sich zum »Restaurant« – einem Fleck im Grünen – zurück, wo ein Puckelochse sein Leben hatte lassen müssen. Der Kadaver war in Stücke gehauen und an die Händler verkauft, während sich der Verkäufer und die Männer der Marktfrauen an dem noch lauen Blute des Puckelochsen satt tranken, das aus einem schweren, gelben Bambusrohr um zwei Cent der Schluck verkauft wurde.

Ganz hinten auf dem Platze lag das von der Regierung erbaute Bazargebäude, wo die smarten, umherziehenden arabischen und bombayanischen Händler Messinguhren, Taschenmesser, Nägelreiniger, Hosenknöpfe, Bartbürsten, hochrote Zelluloidkämme und Hosenriemen aus Wachstuch mit dem Stempel »Made in Germany« sowie in Birmingham fabrizierte Sarongs von »the superior Quality« verkaufen. –

In der Stadt war ein Fest. Den Weg entlang hingen gelbe Palmblattgirlanden. Sie ritten an vielen Fußgängern vorbei. Die meisten von ihnen führten feurige, junge Ponyhengste am Zügel. Die Tiere schüttelten die Mähnen, hoben die Schweife und bäumten sich aus Eifer, der galoppierenden Djojo nachzukommen.

Eine Minute später hielten sie an einer Ehrenpforte mit der holländischen Flagge. Die alljährlich stattfindende dreitägige Pferdeschau war in vollem Gange. Ein javanischer Polizeisoldat verkaufte Eintrittskarten, und sie ritten in eine Parkanlage auf der andern Seite des Weges, wo Reihen von Automobilen und Wagen auf ihre Fahrgäste, europäische, chinesische und malayische Käufer und Liebhaber, die heute die Schau besuchten, warteten.

Man handelte und feilschte um die herrlichen Ponys, die sich vor lauter Lebensfreude und Eifer bäumten, ausschlugen, scharrten und wieherten. Sie waren schwarz, braun, rot oder bunt, so groß wie isländische, einzelne sogar wie norwegische Pferde. Doch das batakische Pony ist zierlich und »trocken« wie ein Araber, mit krummem Hals, buschiger Mähne, kleinem Kopfe, lebhaft spielenden Ohren, halblangem Rücken, hohen Fesselgelenken und feinem, lebendigem Schweife, der bis auf die Erde reicht. –

Djojo sprang ab und wartete, bis ihr in Schweiß gebadeter Begleiter Dieferle heran war. Dann vertrauten sie einem Wärter ihre Ponys an, der sie trocknete und ihnen Wasser gab. Sie selbst mischten sich unter das Volk, und Djojo handelte einen Pony nach dem andern ein. Aber ehe sie eins erstand, schwang sie sich kühn auf seinen Rücken und jagte ein paar Male mit ihm herum. Es machte ihr auch nichts aus, wenn das wilde Tier sie abwarf. Sie erhob sich schnell, fing es ein und saß schon wieder auf seinem Rücken, ehe der entsetzte Dieferle die Möglichkeit hatte, ihr zu Hilfe zu kommen. – Ein ganzes Dutzend dieser Ponys erstand sie und ein paar zuverlässige Eingeborene erhielten den Auftrag, sie auf die Plantage ihres Vaters, des allen bekannten reichen Plantagenbesitzers Paul G. Olem zu bringen.

Sie selbst ging bis zum Ende des Marktplatzes, wo eine Reihe von Automobilen standen.

»Medan. Hotel de Boer!« rief sie dem Chauffeur zu und sprang in den Wagen. Sie zog Dieferle herein, und der malayische Chauffeur drückte auf den Selbststarterkontakt und trat mit dem nackten, braunen Fuße das Kupplungspedal nieder. Sie flogen Hügel auf, Hügel ab über die große Savanne, daß die Luft im Gestänge des Sonnensegels pfiff. Keine fünf Minuten und sie waren in der Stadt, fuhren die mit allem möglichen Volk belebte Hindostraat entlang und hielten vor dem Hotel. Von einem Boy begleitet, betraten sie den Speisesaal und setzten sich an einen mit weißem Tuch bedeckten Tisch, auf dem ein paar Champagnergläser und ein Pappstück mit der Aufschrift »Reserviert« stand. – Zwölf Gänge gab es zum Tiffin, eine Unmenge Gelées und Salate – und die »Hawaii-Band« konzertierte. Die Musikanten spielten in Hemdsärmel und Tennishosen und trugen dicke rote Korallenbänder um den Hals. Sie hämmerten auf die Banjos, rissen an den weich brummenden Darmsaiten der Ukulelen und knallten die Fäuste gegen die gespannte Haut der Tam-Tams.

Sie spielten mit sprudelnder Lustigkeit, obwohl die Sonne jetzt gerade stechend und glühend senkrecht über dem Dache des Hotels stand und die Wärme von dem glutheißen Asphalt durch die offenen Türen und Fenster hereinwogte.

Die Hawaii-Leute schwitzten, aber das störte sie nicht; sie waren Söhne der Sonne und der Tropen. Dam! dam! bom! bom! klingeling! rama-schang. Das war der neueste amerikanische »Jazz«.

Die Gäste duselten schläfrig nach Ananas, Vanilleeis und Kaffee; mit einer schwarzen Zigarre im Mundwinkel, lagen sie zurückgelehnt in den breiten Tafelstühlen und wiegten die schweren Köpfe im Takt der Musik. –

Die Musik erhöhte die Kauflust. Man pfiff, rief und bestellte! Hallo! Boy! »Tangor Puff«! Knallwein! Champagner!

Die flinken Boys mit den bunten Kopftüchern, Hosen und Sarongs und den strammsitzenden weißen Jacken sprangen mit gespreizten Zehen über die blanke Fläche des Mosaikbodens mit vor Kälte betauten silbernen Kühlern in den sonnengebräunten Händen. –

Hu! Hei! – Die Hawaii-Leute hatte ihre wilde Musik selbst gepackt. Sie heulten und schrien und lachten mit den weißen Zähnen.

Das ganze »Hotel de Boer« zitterte vor Musik, und die Pfropfen knallten: Bang! Bang! – Der Champagner siedete in den schlanken Gläsern.

Hier und da stand ein Paar vom Tische auf und tanzte. Auch Djojo mit ihrem Begleiter. Ein paar Schritte nur. Denn die Sonne fiel sengend durch die zurückgeschobenen Fenster in den Saal.

Der Boy brachte Zeitungen und illustrierte Blätter. Englische und amerikanische. Auch ein paar holländische waren darunter. Djojo blätterte in »The Newyorker« und rief plötzlich:

»Benki!«

Dieferle wußte, daß das ihr Ausdruck höchster Freude war. Er wußte auch, daß sie dieses Wort von ihrer japanischen Dienerin hatte, ohne daß Djojo ahnte, was es zu bedeuten hatte.

»Benki!« wiederholte sie begeistert und wies auf das Bild eines jungen Mannes im »The Newyorker«, der im Tennisdreß war, gut gewachsen schien und seine weißen Zähne zeigte.

»Wer ist das?« fragte Dieferle. Und da er Djojo liebte, so überkam ihn sofort das gräßliche Gefühl der Eifersucht.

»Yusho rontenisu,« erwiderte Djojo. Und Dieferle entnahm daraus, daß sie in großer Erregung war. Denn dann pflegte sie japanisch zu sprechen, aus Furcht, sie könnte bei ihrem Temperament Dinge sagen, die Anstoß erregen.

Schließlich aber sagte sie auf Englisch:

»Ist der Junge nicht himmlisch?«

»Ein bißchen blöd sieht er aus. Aber ein gutes Gebiß hat er – und gute Augen.«

»Idiot!« schalt Djojo. »Blond ist er – und lächelt wie ein Gott.«

»Haben Miß Djojo schon mal einen Gott lächeln sehen?«

»Er ist mein Typ! So muß der Mann aussehen, den ich einmal heirate!«

Dieferle erschrak.

»Aber er sieht mir doch gar nicht ähnlich.«

»Darum gefällt er mir so gut.« – Sie führte das Blatt mit dem Bild dicht an ihr Gesicht und sagte leidenschaftlich:

»Harry!«

Dann legte sie den »Newyorker« auf den Tisch, lehnte sich in den Sessel zurück und schloß die Augen.

Das benutzte Dieferle dazu, sich über den Tisch zu beugen und zu lesen, was unter dem Bilde stand:

»Harry Sülstorff, der deutsche Tennismeister, schlug in Biarritz den Amerikaner Richards.«

Dieferle stutzte einen Augenblick, sah Djojo an, die noch immer mit geschlossenen Augen träumte und daher nicht wahrnahm, wie dieser aufgeschossene Halfkast spöttisch lächelte. Und je weiter er las, umso nichtswürdiger wurde dies Lächeln. Da stand unter anderm:

»Sohn eines Hamburger Großkaufmanns – schon von frühester Jugend an ein enthusiastischer Sportsman von internationaler Klasse – er gewann in den letzten Jahren . . . .« Es folgte eine lange Reihe von Siegen. – Dieferle überflog sie – er suchte etwas anderes – der Artikel ging auf die nächste Seite hinüber – da! da stand's: »Harry Sülstorff lebt in Berlin – stammt aus einer Hamburger Patrizierfamilie – die Firma Max Sülstorff Söhne Import von Früchten aller Art – vorzüglich Bananen« –. Mehr brauchte er nicht zu wissen. Er legte das Blatt beiseite und atmete erleichtert auf.

Als Djojo in die Wirklichkeit zurückgefunden hatte, sagte sie:

»Wie bekommt man den Jungen?«

»Gar nicht!« erwiderte Dieferle.

»Sie kennen mich doch noch immer nicht. Sonst wüßten Sie, ich setze durch, was ich will. Je größer die Schwierigkeiten, umso besser. Das leicht Errungene reizt mich nicht.«

Dieferle reichte ihr das Blatt. Djojo las und sagte:

»Wo steht, daß er bereits verheiratet ist?«

»Davon steht freilich nichts darin.«

»Sie meinen, ein Mann wie er, wird von Hunderten umworben sein? Also werde ich um ihn kämpfen.«

»Das Haus Max Sülstorff Söhne steht vor dem Ruin.«

»Ich habe nicht die Absicht, das Haus zu heiraten.«

»Aber Ihr Herr Papa . . .«

». . . wird tun, was ich will.«

»In diesem Falle . . .«

»Ueberlassen Sie mir das. – Boy!« rief sie laut, riß vor seinen Augen die Seite mit Harrys Bild aus der Zeitschrift, sah sich die Rechnung, die der Boy ihr reichte, gar nicht an, warf einen Geldschein auf den Tisch und wandte sich zur Tür. Dieferle folgte ihr. Der Boy sah ihr verdutzt nach.

Als sie eben aus dem Saal traten, setzte die Hawaii Band wieder ein. Djojo stutzte, und da der langsame Dieferle noch nicht bei ihr war, so nahm sie einen malayischen Gast, der eben in das Lokal trat, am Arm und tanzte mit dem Verblüfften im rasenden Tempo um den Saal herum. Dann ließ sie ihn ebenso unvermittelt stehen und lief hinaus.

»Mit hundert Kilometer Geschwindigkeit!« rief sie dem Chauffeur zu. Als der und Dieferle Einwendungen machten, schob sie beide Männer beiseite, saß im selben Augenblick auch schon am Führersitz und fuhr davon.

Dieferle und der Chauffeur standen sprachlos. Sie riefen und winkten – aber das Auto mit Djojo entfernte sich in rasendem Tempo, jagte einen Hügel hinauf und verschwand dann ihren Augen. – Eingeborene, die ihm unterwegs begegneten, fanden kaum Zeit, sich in Sicherheit zu bringen. – Auf dem Marktplatz angekommen, sprang sie ab, warf sich auf eins der vielen Ponys, die dort zum Verkauf standen, und galoppierte davon. Händler und Käufer standen verblüfft und sahen ihr nach. Ein paar junge Bummler machten sich auf die aussichtslose Verfolgung. Aber ein alter Malaye beruhigte alle und sagte:

»Es ist Djojo! Ihr Vater, der reiche Paul G. Olem, bezahlt alles.«


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