Artur Landsberger
Liebe und Bananen
Artur Landsberger

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Viertes Kapitel.

Das bekannte Modehaus Garis Sons hatte es fertiggebracht, innerhalb ganz kurzer Zeit dreimal die Adresse zu wechseln und dabei doch in derselben Straße und in denselben Räumen zu bleiben. Man weiß nun schon, daß die Firma Garis Sons in Berlin ihren Sitz hat. Denn kein andrer Magistrat der Welt sorgt so innig für die Abwechselung seiner Bewohner und die Verwirrung der Geschäftsleute, Chauffeure und Fremden. In den meisten Großstädten der Welt haben die Magistrate andere Sorgen. Aber in Berlin – unberufen.

Im März kam die Komteß Olga v. Tschochenska mit dem reichen Amerikaner Albert Stein-Brück nach Berlin und fuhr vom Hotel Adlon aus zu Garis Sons.

»Königgrätzer Straße zwo,« sagte sie ihrem Privatchauffeur. Die Adresse hatte sie von ihrem letzten Berliner Besuch her sorgfältig aufbewahrt. Der Chauffeur fuhr die Linden hinunter, die Königgrätzer Straße hinauf bis zum Belleallianceplatz. Erst einmal. Dann wieder zurück. Dann noch einmal. Er studierte die Hausnummern. Immer fing die Straße mit Nummer 13 an. Schließlich wandte er sich zu der Komteß um und sagte:

»Das kann nicht stimmen. Nummer zwo gibt es gar nicht. Die Straße fängt mit Nummer dreizehn an.«

»Sind Sie wieder mal betrunken, daß Sie mir so einen Unsinn erzählen? – Rücken Sie weg!«

Sie setzte sich auf den Führersitz und fuhr zum Potsdamer Platz zurück – über den Platz hinaus, kehrte, da sie feststellte, daß sämtliche vom Platz ausgehenden Straßen anders hießen, wieder um, fragte am Anhalter Bahnhof einen fliegenden Buchhändler, der sie auslachte und belehrte:

»Sie sind woll nich von hier. Das was die Königgrätzer is, die heißt jetzt Budapester – von wejen, Sie wissen schon, den ollen Kaiser Josef, den wollten se nich vor den Kopf stoßen. Na, der Mann hat ja auch jenug Unjlück jehabt.« – Er hielt ihr ein Buch vor die Nase: »Koofen Se das! »Kaiser Franz Joseph im Schoße seiner Familie«. Denn wissen Se Bescheid.«

Aber die Komteß war längst auf dem Wege zur Budapester Straße. Sie hatte am Potsdamer Platz der Vorsicht halber einen Polizisten gefragt und war durch die Bellevue-, Tiergarten- und Friedrich-Wilhelmstraße zur Budapester zwo gefahren. Keine Spur von Garis Sons. Auch die Straße kam ihr verändert vor.

»Sagen Sie,« fragte sie einen Polizisten, »hieß die Straße hier immer Budapester?«

»Die hieß jestern noch Kurfürstendamm. Wie se morgen heißt, kann ich Ihnen nicht sagen.«

Die Komteß war verzweifelt.

»Und den Kurfürstendamm gibt's nicht mehr?«

»Doch. Aber der fängt jetzt wo anders an.«

»Warum denn?«

»Da müssen Sie den Magistrat fragen.«

Ein guter Engel gab ihr die Frage ein:

»Und die Budapester?«

»Is, wo die Königgrätzer war.«

»Von da komme ich ja her, die existiert ja noch.«

»Wenn Sie das existieren nennen – ohne Kopp. Das beste Ende haben se wegjeschnitten.«

»Nummer zwo, nicht wahr?«

»Das heißt jetzt Friedrich-Ebert-Straße.«

»Das ist ja furchtbar!« – rief die Amerikanerin verzweifelt, kehrte abermals um und fuhr gegen das Verbot mit achtzig Kilometer Geschwindigkeit. Als der Chauffeur sie darauf aufmerksam machte, sagte sie:

»Wenn ich langsam fahre, heißt die Straße, bis wir hinkommen, womöglich schon wieder anders.«

Diesmal stimmte es. In großen Buchstaben stand da: Garis Sons, Robes et Costumes. Paris–Berlin–London. Und das Licht der Lampen fiel grell auf die Fassade des Hauses. Auch unten in den Schaufenstern, in denen ein paar kostbare Pelze und Abendkleider lagen, war Licht. Aber die Eingangstür war verschlossen.

»Fünf nach sieben,« sagte der Chauffeur. Und die Komteß erwiderte wütend:

»Wir haben vom Adlon aus eine volle Stunde gebraucht – für einen Weg von fünf Minuten.«

Sie warf noch schnell einen Blick auf die Auslagen und wollte eben zu ihrem Wagen zurück, als aus dem Haus ein hübsches junges Mädchen trat, das der geschmackvollen Kleidung und der ganzen Art ihrer Bewegung nach wohl zu dem Modesalon gehörte.

Sie war etwas kleiner als Komteß Olga, zierlicher, wohl auch zarter, hatte ein schmales, feines Gesicht, glühende dunkle Augen, einen schwebenden Gang und feine Fesseln. Sie streifte sich gerade die perlgrauen Schweden über die weiße Hand, als sie die Komteß wahrnahm, die sich mit einer unwilligen Bewegung von dem Schaufenster ab- und ihrem Wagen zuwandte.

Komteß Olga war in diesem Augenblick von dem Licht des Fensters hell beleuchtet. Ein ziemlich gleichmäßiges, auffallend hübsches Gesicht, in dem ein slavischer Einschlag nicht stark betont, aber doch angedeutet war. Glänzend gewachsen, vollendet proportioniert, mit auffallend schönen Beinen, die unter dem kurzen Rock etwas bewußt hervortraten – wie überhaupt die ganze Erscheinung etwas nach Schaustellung und Modeblatt aussah.

Das junge Mädchen, das dank ihrem Beruf ein geübtes Auge hatte, dachte:

»Sehr dekorativ.«

Aber gewohnt, zu handeln statt zu denken, trat sie an Komteß Olga heran und sagte:

»Verzeihung, gnädige Frau, Sie wollen vermutlich zu Garis Sons?«

»Ja! Aber ich sehe leider, es ist geschlossen.«

»Wenn Sie gestatten – ich führe Sie durch das Haus.«

»Sehr liebenswürdig.«

Das junge Mädchen öffnete die Tür, sagte: »Bitte!« und ließ die Komteß eintreten.

»Fräulein Garis – vermutlich?«

»Nein! Ich heiße Pina Jeff und bin nur Angestellte.«

»So!« erwiderte die Komteß und schuf Distanz.

Aber so recht aristokratisch wirkte das nicht. Schönthaler, der Regisseur, überlegte denn auch, ob er die Rollen nicht vertauschen sollte.

»Wie wäre es, wenn Sie, Pina, die Komteß – und Sie, Olga, das Mannequin . . .«

Weiter kam er nicht.

»Ich spiel keine Nutte,« rief Olga und stürzte auf das Auto zu. »Da suchen Sie sich eine Andere!«

Das Publikum, das sich während der Aufnahmen auf der Straße angesammelt hatte, gröhlte vor Vergnügen.

Pina lächelte und sagte zu dem Regisseur:

»Holen Sie sie zurück.«

Olga, die ihrer schönen Beine wegen gewöhnt war, wenn sie einen Wagen bestieg, länger als nötig auf dem Trittbrett zu verweilen, rief dem Publikum ein paar russische Schimpfworte zu, lächelte aber im selben Augenblick auch schon, da sie die Hand des Regisseurs auf ihrer Schulter spürte.

Er sagte nur:

»Komteß Olga,« nahm sie bei der Hand und führte sie in den Hausflur zurück.

Das Spiel ging weiter und Außenaufnahmen und Atelierszenen, folgerichtig zusammengestellt, ergaben folgendes Bild:

Die reizende Modemamsell und Probierdame Pina führte die Komtesse in die Innenräume des Hauses Garis Sons. In der für Modetees bestimmten Halle lief sie eine breite, mit schweren Teppichen belegte Treppe, die in die erste Etage führte, halb hinauf und rief laut:

»Kinder! nicht umziehen! Hier bleiben! Eine verspätete Kundin!«

Im selben Augenblick erschien auf der Estrade, in die die breite Treppe mündete, ein Dutzend junger halb entkleideter Vorführdamen, die neugierig die Kundin musterten.

»Ich bin die Komteß Olga von Tschochenska. Ich brauche Abendkleider! Teagowns! Mäntel! Pelze! Meine Familie ist deutschnational! Aber mein Vater hat seiner Güter wegen für Polen optiert. Ich bin Kosmopolitin. Ich liebe Paris und Aegypten. Ich habe in meinem Rolls Royce zweimal Afrika durchquert, mit Tigern gekämpft und auf dem Rücken eines Riesenkrokodils den Nil durchschwommen. Meine Familie hat mich wegen Verschwendung entmündigt. Aber ein reicher Amerikaner hat mich adoptiert. Ich zahle bar! Führen Sie mir die neuesten Modelle vor!«

Die Vorführdamen kicherten, tuschelten, stutzten. Sie waren von ihren Kundinnen her manches gewöhnt. So aber hatte noch keine sich eingeführt.

»Aus einem Filmatelier entsprungen,« sagte eine der Vorführdamen. Aber das erhöhte nur das Interesse. Denn sämtliche zwölf Damen kannten nur einen Ehrgeiz: zum Film zu kommen. Ihren eigentlichen Beruf betrachteten sie nur als Sprungbrett. Jede von ihnen fühlte sich zu Höherem geboren. Das Modeatelier war eine Art Zwischenstation auf dem Wege zum Ruhme.

Aber diese Vorführdamen besaßen außer ihrer Sehnsucht nach Ruhm auch Instinkt und wußten nach dem ersten Wort, das Komteß Olga sprach, was sie ihr vorzuführen hatten. Die extravagantesten Kostüme waren beinahe noch dezent für eine Frau, die so bewußt am Ungewöhnlichen Gefallen fand.

Aber die Komteß begnügte sich nicht damit, sich die neuesten Pariser Modelle vorführen zu lassen, auszuwählen und die gekauften Roben zu Stapeln anwachsen zu sehen – sie bemängelte verschiedentlich die Art der Vorführung und zeigte, indem sie selbst den Mannequin spielte, den Damen, wie man auch ein mittelmäßiges Kleid durch raffinierte Art der Vorführung zur Wirkung brachte.

In diesem Augenblick stürzte ein Herr im Frack, die Serviette unter dem Arm, einen grauen, weichen Filzhut auf dem Kopf, einen ziemlich dürftigen Veilchenstrauß in der Hand, herein und ging auf Fräulein Pina Jeff zu. Die stand ziemlich entkleidet auf der untersten Stufe der Treppe und sah interessiert zu Komteß Olga empor, die eben in einem kostbaren Abendkleid mit vollendeter Pose die Treppe herabschritt.

Dieser männliche Eindringling war offenbar ein Kellner. Die Serviette unter dem Arm verriet ihn – und der weiche graue Filzhut. Man hätte ihn sonst genau so gut für einen Kavalier halten können. Freilich, der Veilchenstrauß deutete doch eher auf eine Wohnung im Gartenhaus – als auf ein Appartement in einem Luxushotel.

»Curtchen, Sie!« rief Pina, riß ihrer Nachbarin einen Abendmantel herunter und bedeckte sich damit.

»Sie gehen sonst immer punkt zehn Minuten nach sieben an dem Fenster unseres Restaurants Unter den Linden vorüber – von fünf nach sieben ab bin ich vor Erregung nicht mehr imstande, einen Gast zu bedienen – heute wurde es ein viertel acht – Sie begreifen, ich wurde unruhig – es wurde halb – da hielt's mich nicht mehr – und da bin ich!«

»Und Ihre Gäste?«

»Die werden die getrüffelte Poularde nun vermutlich kalt essen müssen.«

»Und Ihre Stellung?«

»Die werde ich wohl los sein.«

»Und unsere Verlobung?«

»Pina!«

»Sie sind ein leichtsinniger Mensch!«

»Ich liebe Sie!«

»Und das sagen Sie mir hier vor einem Dutzend nackter Damen – und ohne Stellung.«

»Ich sehe nur Sie!«

Komteß Olga war die Treppe heruntergestiegen und stand jetzt neben den beiden.

»Vielleicht, daß es sich auch lohnt, einen Blick auf mich zu werfen, Baron Dubois!«

Curt wandte sich blitzschnell um – wie ein Kreisel, der nicht zum Stehen kam.

»Komteß Olga!« rief er und stand mit einer halben Drehung auch schon wieder vor Pina, die mit geschlossenen Augen wiederholte:

»Ein Baron sind Sie?«

Aber da kehrte Curt ihr auch schon wieder den Rücken.

»Einen Kellner also hat die russische Revolution aus Ihnen gemacht?« fragte Olga.

»Und aus Ihnen eine Vorführdame?« erwiderte er.

Komteß Olga ging darauf ein. Sie vergaß, daß sie beim Film war. Sie fühlte sich als Operettenstar. Etwa im zweiten Akt, wenn die große Liebesszene zu dem Duett, dem großen Schlager, führt. Also leitete sie über:

»Denken Sie noch an die schönen Tage in Petrograd?«

»Und an die Nächte!«

»Die wilde Tscherkessenkapelle!«

»Die noch wilderen Tänze!«

»Baron!«

»Komteß!«

Er trat nahe an sie heran und überreichte ihr den Veilchenstrauß.

Pina suchte die Szene zu schmeißen. Sie zupfte ihn am Arm und sagte:

»Curt, die Blumen waren für mich bestimmt.«

Aber Curt, ganz dem Spiele hingegeben, gab herzlos zur Antwort:

»An den Flügel, Pina!«

Und Pina wankte zum Flügel, der sonst nur zu den Modetees benutzt wurde. Sie spielte das Tscherkessenlied, das Curt, der Kellner, sie gelehrt hatte.

Die beiden auf der Treppe tanzten so leidenschaftlich, daß es die nackten Vorführdamen mitriß.

Der Lärm zu einer Zeit, zu der sonst das weibliche Personal sich längst außerhalb des Geschäftes vergnügte, rief den Chef der Firma Garis Sons, der in der oberen Etage wohnte, auf den Plan. Er erschien plötzlich im Hausjackett, den letzten Happen seines Abendessens noch im Munde, auf der Estrade und rief herunter:

»Sie veranstalten hier ohne meine Erlaubnis eine Nacktvorstellung?«

Totenstille trat ein. Pina trat vom Flügel weg.

Olga rief zu dem Chef hinauf:

»Von der Art, in der Mannequins Kleider vorführen, lasse ich mich nicht bluffen. Ich befahl daher, mir die Abendkleider, die ich zu kaufen gedenke, beim Tanze vorzuführen.«

Der Chef von Garis Sons, obschon er weder jung noch schlank war, stürzte die Treppe hinunter und verbeugte sich tief vor Komteß Olga. Dann wandte er sich an Curt, von dem wir nun wissen, daß er ein in Rußland um sein Vermögen gekommener Baron war, der sich in Berlin als Kellner durchschlug, und sagte:

»Der Herr Gemahl vermutlich?«

Komteß Olga schüttelte lächelnd den Kopf und sagte:

»Nein! Mein Toilettenanwalt! Meine Freundinnen und ich kaufen kein Stück, weder Kleider noch Mäntel, noch Hüte, ohne ihn. Ein Haus, das ihn als Modeanwalt hätte, brauchte keine Konkurrenz zu fürchten.«

Der Chef von Garis Sons überzeugte sich von den Einkäufen der Komteß und fragte:

»Und Sie wären geneigt, ihn abzutreten?«

»Für ein paar Monate – während ich auf Reisen bin.«

Der Chef wandte sich an Curt und fragte:

»Ihre Gehaltsansprüche ?«

»Tausend Mark im Monat und zwei Prozent vom Umsatz.«

»Herr, das ist . . . .«

»Wenn es Ihnen zu viel ist,« fiel ihm die Komteß ins Wort, »so geht er nebenan zur Gerstel, die zahlt gern das Doppelte.«

»Aber nein!« widersprach der Chef. »Sie sind engagiert« – und auf den Stoß von Kleidern weisend, die sich die Komteß ausgesucht hatte, fragte er: »Gehört das auch schon zum Umsatz?«

»Selbstverständlich!« erwiderte sie. Ich hätte nicht ein Stück von dem gekauft, wenn er mir nicht zugeredet hätte.«

Der Chef rechnete zusammen. – Pina, die jetzt dicht neben Curt stand, sagte leise:

»Was bedeutet das alles? Ich verstehe kein Wort.«

»Daß die Verlobung stattfinden kann, da der Baron wieder eine Stellung hat,« erwiderte die Komteß. – »So helfen wir Russen einander in der Fremde!«

Der Chef hatte addiert. Der Schweiß stand ihm auf der Stirne. Es war eine Summe, die zu nennen er kaum wagte. Komteß Olga hatte das Scheckbuch aus der Tasche gezogen. Der Chef sah: Amerikanische Schecks. Das belebte seinen Mut. Aber statt ihr die Summe zu nennen, zog er es doch vor, zu Curt, dem Baron, zu sagen:

»Ihr Anteil beträgt neunhundert Mark.« – Woraufhin die Komtesse einen Scheck über 45 000 Mark ausschrieb. Auf Pina weisend, sagte sie:

»Und die Kleine verdient auch etwas. Die Ladentür war verschlossen, und ich wollte gerade umkehren, als sie mich ganz keck ansprach und mit sanftem Zwang in Ihren Modesalon komplimentierte.«

Der Chef erhöhte ihr das Gehalt und geleitete die Komteß persönlich an ihr Auto. Die Vorführdamen bildeten Spalier, während Curt den Wagenschlag öffnete.

»Adlon!« rief sie dem Chauffeur zu, stieg ein, beugte sich aber gleich darauf aus dem Fenster und sagte:

»Da hätte ich ja beinahe vergessen . . .« – und reichte Pina Jeff die Veilchen.

Die küßte ihr die Hand und erwiderte dankend:

»Komteß denken aber auch an alles!«


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