Artur Landsberger
Liebe und Bananen
Artur Landsberger

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Zwölftes Kapitel.

Der nächtliche Umzug im Norden Berlins, dessen tieferer Sinn weder dem Publikum, das sich aus Sensationslust beteiligte, klar war, noch der Polizei, brachte große Unruhe und Verlegenheit in die Nachtredaktionen sämtlicher Berliner Blätter. Die Reporter, die sich auf Grund der einander widersprechenden unsinnigen Berichte von Teilnehmern und Augenzeugen kein rechtes Bild machen konnten, fuhren selbst an den Tatort, kamen infolge der umfassenden polizeilichen Absperrungen aber nicht über das Oranienburger Tor hinaus. In der Friedrichstraße wogten Menschenmassen hin und her, bildeten Gruppen und diskutierten leidenschaftlich. Die Dämme lagen voll von leeren Flaschen, Scherben und Speiseresten. – Die Reporter drängten sich an die Gruppen, deren Wortführer zwar auch nicht wußten, was eigentlich vorgefallen war, die auf Grund von Erfahrung aber auf alle Fälle die unklare Situation für ihre politischen Zwecke auszubeuten suchten.

»Kommunisten!« rief ein Ballonjunge. »Die Schlacht hat begonnen! Wir haben die Schlemmerlokale der reichen Leute ausgehoben. Die Trümmer liegen auf den Straßen. Wir haben Geiseln vom Kurfürstendamm in unserer Gewalt. Die Polizei sucht sie uns zu entreißen. In der Lothringer Straße hat sich die neue Regierung gebildet. Das Ministerium ist gestürzt! Es lebe Hölz!«

Großes Hallo! Klatschen und Schimpfen folgten den Worten.

»Er hat ganz recht!« riefen die einen, und die anderen schrien: »Der Kerl ist besoffen!«

Noch lauter ging es an der nächsten Ecke zu. Ein aufgeschossener, junger Mann, das Hakenkreuz an der Brust, stand auf den Stufen vor einer Haustür und schrie mit greller Stimme:

»Arier! Die Stunde von Deutschlands Befreiung hat geschlagen! Die Bartholomäusnacht ist angebrochen. Am Kurfürstendamm liegen dreitausend Juden erschlagen. Ludendorff steht mit einer bayerischen Brigade im Norden Berlins.«

»Siegreich wollen wir Frankreich schlagen!« stimmten Hunderte von Menschen an, während sich von der anderen Straßenseite her ein Zug unter dem Gesang der russischen Internationale in Bewegung setzte.

Ein Zusammenstoß – blutige Schlägerei – Polizei – Verhaftungen – die Reporter flüchten in ihre Redaktion zurück.

Und aus dem feuchtfröhlichen Bananenumzug harmloser Gäste der Winzerstuben machten die Zeitungen am nächsten Morgen:

»Nächtliche Putschversuche von rechts und links.« –

Die politische Polizei arbeitete fieberhaft. Von den Verhafteten wußte keiner recht etwas auszusagen. Aber das kannte man. Sie gaben an, sie hätten sich harmlos des Nachts auf dem Nachhauseweg befunden, als ein Zug von Menschen mit Musik und Gesang ihnen entgegenkam. Da seien sie einfach mitgezogen. Man hätte erst Studenten- und Soldatenlieder gesungen. Dann habe irgendwer »Hoch Ludendorff!« gerufen – und da sei es dann zu einer Schlägerei gekommen.

Albert, der verdächtige Amerikaner, wurde verhört. Er lehnte es ab, deutsch zu sprechen und forderte energisch, ihn frei zu lassen, da er eigens nach Europa gekommen sei, um seinen Freund, den Asienflieger Alfred Habel bei seiner Ankunft auf dem Tempelhofer Felde zu begrüßen.

»Höchst verdächtig!« sagte der Kommissar. »Daß Sie deswegen eine solche Reise machen, glaubt Ihnen in Deutschland kein Mensch.«

»Darauf lege ich auch keinen Wert. In Amerika glaubt es mir jedes Kind. Und wenn Sie mich nicht auf der Stelle frei lassen, so wird mein Botschafter intervenieren.«

Der Kommissar war aufgestanden und fragte höflich:

»Sie gestatten, daß ich mich mit Ihrem Generalkonsulat telephonisch in Verbindung setze?«

»Nein Nix von Generalkonsulat. Ich bin einer gesellschaftlich hochstehenden Dame wegen hier und wünsche mein Inkognito zu wahren.«

Das gab dem Kommissar seine Sicherheit zurück.

»So!« sagte er, »vor zwei Minuten haben Sie erklärt, Sie seien des Asienfliegers Habel wegen nach Europa gereist. Jetzt ist der Grund plötzlich eine hochstehende Dame.«

»Ich habe die Reise nicht allein machen wollen.«

»Wir kennen diese hochstehende Dame!«

»Sie kennen die Komteß Olga von Tschochenska?«

Der Kommissar lächelte und sagte:

»Verraten!«

»Wieso?«

»Das klingt sehr russisch.«

»Vermutlich, weil sie eine ist.«

»Ein Bolschewistenputsch also!«

»Was? Die Gräfin ist ein Bol . . .?«

»Sie wissen es so gut wie ich.«

»Ich habe keine Ahnung! Die Art ihres Auftretens, ihr Verkehr, ihre Familie, ihr Luxus . . .«

»erhöht nur den Verdacht. Wo finden wir sie?«

»Ich habe als Gentleman nicht das Recht . . .«

»Die Polizei findet sie ohnedies. Also bitte!«

»Ich bedauere.«

»Ich muß dann annehmen, daß Sie mit ihr konspirieren.«

»Nehmen Sie an, was Sie wollen. Im übrigen: woher wissen Sie, daß die Komteß Bolschewistin ist?«

»Durch Sie!«

»Was? – Hören Sie mal, das ist eine Verdrehung! Das verbitte ich mir. Davon habe ich kein Wort gesagt.«

»Eben aus dem, was Sie verschwiegen haben, ziehe ich meine Schlüsse.«

»Jetzt wünsche ich doch, daß Sie die Verbindung mit dem Generalkonsulat herstellen.«

»Ich habe es Ihnen aus freien Stücken angeboten, Sie haben es abgelehnt. Ich kann den Generalkonsul nicht Ihren Launen aussetzen. Sie bleiben vorläufig in Haft. Wenn Sie Wäsche haben oder sich selbst beköstigen wollen . . .«

Albert, der Amerikaner, durchsuchte seine Taschen.

»Ich habe keinen Cent bei mir.«

»Sonderbar!«

»Die Komteß wird bezahlen, sie hat mein Scheckbuch.«

»Noch sonderbarer!« erwiderte der Kommissar und ließ den Amerikaner abführen.


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