Artur Landsberger
Liebe und Bananen
Artur Landsberger

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Zweites Kapitel.

Wir standen vor einem hohen Geschäftshaus in der Nähe des Hamburger Hafens. Für einen Laien war nicht leicht zu erkennen, ob es ein Bürohaus oder ein Speicher war. Vermutlich war es beides. Vom Hafen her führten Schienen bis in den Torweg, und Hafenarbeiter, die mit den Händen in den Taschen auf der Straße standen und aus kurzen Pfeifen schwarzen Rauch in die Luft pafften, erzählten, daß bis vor drei Wochen noch täglich so an die dreißig Waggons Bananen vom Hafen in den Speicher gefahren seien. Die hätten sie dann ausgeladen – und davon lebten sie. Seit drei Wochen aber sei auch nicht mehr ein Waggon eingefahren.

Sie schimpften, ohne recht zu wissen, wem sie die Schuld geben sollten.

»Der Herr Senator is ja so weit 'n feiner Mann, das muß man sagen. Aber wenn dem sein Vater und Großvater nicht gewesen wären – von selbst wär' der zu nichts gekommen.«

»Laß man den ollen Sülstorff in Ruh«, fiel ein andrer ein. »So helle wie du is der noch alle Tage. Aber wenn man nen Sohn hat, der Tennis-Champion ist – was meinst de, was so'n Mann für'n Leben führt, was da drauf geht?«

»Das sieht man ja aus den illustrierten Blättern, wie so'ne Leute leben. Heute hier, morgen da und immer in den feinsten Hotels mit den teuersten Weibern.«

»So leben andre auch. So was wirft 'ne Firma wie Maxe Sülstorff nich um.«

»So! Was meinst de, wieviel Bananen auf eine Pulle Schampus kommen?«

»Zehn Stück.«

»Du spinnst ja. Hundert, sag' ich dir. Wenn das reicht. Und bei einer bleibt's nich. Rechne dir doch aus, Mensch! Ein Waggon pro Woche allein für Schampus, und dann die Weiber, sagen wir mal, drei Waggons pro Woche, dazu zwei Autos mit Chauffeur, Diener, Hotels, Reisen, Kleidung – ich sag' dir, das kommt auf zehn Waggons pro Tag. Da kann so'n Geschäft nich bestehen – bei den Steuern und Spesen.«

»Wozu behält er denn das ganze Personal? Zu tun haben sie nichts und kosten noch Licht und Heizung.«

»Weil er 'n feiner Mann is und mehr als die Hälfte schon über zehn Jahre lang im Geschäft hat.«

»Und wir? Wie lange stehen wir hier?« – Er wandte sich an einen Arbeiter, der trotz seiner strammen Haltung wohl über sechzig Jahre alt war. »Na, Maxe?«

»Im Januar sind's fünfunddreißig Jahre,« erwiderte der. »Damals, da wuchsen noch keine Bananen. Wenigstens kamen se nich bis zu uns. Was dem Chef sein Vater war, der hat noch Apfelsinen importiert – das war 'n reelles Geschäft – da hat man verdient und das Leben war billig.«

»Der Olle!« rief einer und wies auf ein Auto, das eben vor dem Hause hielt. Die Arbeiter traten dicht vor die Haustür und riefen:

»Guten Morgen, Herr Senator!«

Der kleine runde Herr, der dem alten Pfordte, dem König der Hamburger Küche, ähnlich sah, erwiderte freundlich den Gruß.

»Keine Arbeit für uns?« riefen ein paar.

Der alte Sülstorff schüttelte den Kopf und sagte:

»Sumatra liefert nicht.«

»Wir hungern.«

»Um elf habe ich eine Konferenz, zu der auch mein Sohn aus Berlin kommt.«

Die Arbeiter lächelten höhnisch und murmelten:

»Was der schon kann.«

»Vielleicht, daß er selbst nach Sumatra fährt,« sagte der Alte. »Und damit er genau erfährt, wie es hier aussieht, schickt zwei von euch um elf ins Büro.«

Die Arbeiter billigten den Vorschlag. Sie waren dankbar, daß man sich überhaupt um sie kümmerte und sie zu Worte kommen ließ.

»Hoch, der Herr Senator!« rief der sechzigjährige Alte und drückte Sülstorff die Hand. Und die Aelteren von den Arbeitern stimmten in den Ruf ein. Aber die Jungen standen beiseite.

Als der Senator im Haus war, sagte einer von ihnen:

»Er soll dem Sohn die Hosen stramm ziehen, statt ihn nach Sumatra zu schicken,« worauf der Alte erwiderte:

»Davon werden wir auch nicht satt.«

Dann gingen sie in eine benachbarte Kneipe und wählten den Alten und einen Jungen, die in der Konferenz um elf ihre Interessen vertreten sollten.

Für des Senators Sohn, den schönen Harry, deutschen Meister im Tennis, waren Bananen nicht mehr als ein Begriff. Er wußte nicht einmal, ob sein Herr Papa die Frucht, der er sein sorgloses Leben und seinen Luxus verdankte, diese seiner Ansicht nach erfreuliche Frucht selbst pflanzte oder nur importierte. Gewiß, er wußte von großen Plantagen auf Sumatra, einer Insel, die da irgendwo unten im Stillen Ozean lag. Welche Bedeutung sie für sein Leben hatte, – darüber hatte er noch nie nachgedacht. Und er hatte auch wirklich keine Zeit dazu. Weiß man denn, was so alles auf einem Tennischampion lastete? Zumal, wenn er so hübsch und fesch war wie Harry, daß er auch ohne den Ruhm des Champions begehrenswert gewesen wäre.

Gewiß, die Firma Max Sülstorff unterhielt in Berlin ein Büro, in dem es zu Zeiten guten Geschäftsgangs sogar recht lebhaft zuging. Aber das leitete ein Prokurist, der auch die Kunden besuchte. Harry's Tätigkeit beschränkte sich darauf, an jedem Ersten viertausend Mark aus dem Geschäft zu entnehmen und ein paar Unterschriften zu leisten, da er nominell seit seinem einundzwanzigsten Lebensjahre Mitinhaber der Firma war. Wenn der Prokurist ihn geschäftlich informieren wollte, erwiderte er:

»Ich bin nicht neugierig,« drückte ihm die Hand und saß eine Minute später auch schon wieder am Steuer seines Mercedes.

Wenn er an solchen Tagen zehn Minuten später auf dem Sportplatz erschien, verhätschelten ihn die Damen und sagten:

»Der arme Harry! Er wird sich noch überarbeiten und beim nächsten Turnier versagen.«

Aber Harry enttäuschte seine Freunde nicht. Er gewann, wo er spielte, und lenkte bald die Aufmerksamkeit auch des Auslandes auf sich.

Als er jetzt, mitten vom Spiel weg an das Telefon gerufen, zu seinen Mitspielern zurückkehrte und erklärte:

»Telegramm meines Vaters. Ich muß geschäftlich nach Hamburg,« da klagten sie:

»Er ruiniert seine Gesundheit. Soviel Arbeit verträgt ja kein Mensch.«

Der schöne Harry spielte die Partie zu Ende. Dann aber widerstand er allen Versuchen, ihn zurückzuhalten. Er mußte schwören, daß es wirklich das Geschäft und keine Frau war, die ihn nach Hamburg rief – und sie begleiteten ihn in drei Wagen auf den Flugplatz, wo der Diener mit dem Gepäck bereits auf ihn wartete.

Eine Stunde später fuhr er vor dem Stammhaus Max Sülstorff in Hamburg vor. Wie bei allen Sportleuten, war auch seine große Tugend die Pünktlichkeit. Und da verliebte Väter bei ihren Söhnen immer nur das Gute sehen, so empfing ihn der Alte, die Uhr in der Hand, mit den Worten:

»Ein Mustersohn!«

»Den du trotzdem so knapp hältst, daß er die Firma Max Sülstorff Söhne kaum noch würdig vertreten kann.«

»Junge!« rief der Alte erfreut. »Seit wann kümmerst du dich um das Geschäft?«

»Ist es vielleicht keine Reklame für die Firma, wenn ich mir in diesem Jahre auf allen internationalen Turnieren die ersten Preise hole?«

»Wenn wir eine Fabrik für Sportartikel hätten – vielleicht. Aber was haben Tennis und Bananen miteinander zu tun?«

»Mehr als du ahnst, Papa! Du glaubst es gar nicht, wie erfrischend gerade beim Sport Bananen wirken.«

»Und als ich in den illustrierten Blättern Inserate von dir als Bananenesser aufgeben wollte mit dem Text: »Der schöne Harry verdankt seine Triumphe dem täglichen Genuß von einem Dutzend Bananen,« hast du dich dagegen aufgelehnt.«

»Um mich in meinen Kreisen nicht lächerlich zu machen. Ich rühre keine Banane an! Meine Gegner haben mir so schon den Beinamen »Bananen-Harry« gegeben.«

»Ich habe, solange es möglich war, dich mit geschäftlichen Dingen verschont.«

»Ich hoffe, du wirst das auch weiterhin tun, Papa.«

»Das wird kaum möglich sein. Im Gegenteil, ich habe dich kommen lassen, um dich zu bitten, mit dem nächsten Schiff nach Sumatra zu fahren.«

»Papa!« rief Harry beglückt.

Der Alte sah seinen Sohn erstaunt an.

»Ich habe meine Rackets mit!« fuhr Harry fort. »Das Turnier in Medan ist am 11. April. Ich werde den Leuten zeigen, was ein deutscher Champion ist. Aber meinen Trainingspartner nehme ich mit. Das mußt du mir bewilligen, Papa. Und eine neue Ausrüstung brauche ich auch.«

»In Medan ist ein Turnier?« erwiderte Max Sülstorf. »Davon wußte ich gar nichts.«

»Ja, weshalb soll ich denn nach Sumatra fahren?« fragte Harry entgeistert.

»Der Bananen wegen!«

»Ba–na–nen?« wiederholte Harry. »Richtig, jetzt entsinne ich mich, daß du mal sagtest, du beziehest alle Ware aus Sumatra.«

»Bezog!« erwiderte der Alte. »Seit drei Wochen hat kein Ostenschiff mehr Ware gebracht.«

»Eine Mißernte?«

»Im Gegenteil! Es gab nie mehr Bananen und nie bessere als in diesem Jahre. Aber der Fürst der Bananenplantagen auf Sumatra, Paul G. Olem, läßt sie lieber verfaulen, als daß er sie mir schickt.«

»Hast du denn keine Verträge?«

»Eben deshalb, – weil ich sie nicht halten kann.«

»Und – weshalb kannst du sie nicht halten?« fragte Harry zögernd.

»Weil ich meinen Kunden zu langfristige Kredite eingeräumt habe.«

»Und weshalb hast du deinen Kunden – langfristige Kredite . . .«

»Das verstehst du nicht!«

»Du hast recht, Papa! Sprechen wir von lustigeren Dingen.«

»Mein Sohn, du verkennst den Ernst der Situation !«

Er ging zur Tür, öffnete und ließ aus dem Wartezimmer die beiden Arbeiterführer eintreten. »Diese Leute da,« fuhr er, zu seinem Sohn gewandt, fort, »haben seit drei Wochen keine Arbeit und hungern mit ihren Familien, weil wir keine Bananen haben.«

»Sie haben sich – von Bananen ernährt?« fragte Harry erstaunt. »Kann man das denn?«

Die beiden lächelten spöttisch – und der Alte sagte:

»Von Brot, junger Herr! Aber selbst daran fehlt es.«

Harry griff in die Tasche und holte zwei Zwanzigmarkscheine heraus. Der junge Arbeiter nahm, aber der Alte sagte:

»Damit ist uns nicht geholfen. Wir sind dreißig Mann.«

»Das tut mir wirklich leid,« erwiderte Harry freundlich. »Aber mehr hab' ich nicht. Gib du, Papa. Du kannst die Leute doch nicht hungern lassen.«

»Nun, wo du das Elend siehst, bist du da bereit, nach Sumatra zu fahren?«

»Ich war es von Anfang an. Ich fahre mit dem nächsten Schiff.«

»Darf man wissen, was der junge Herr da drüben soll?« fragte der Alte.

»Bei Paul G. Olem durchsetzen, daß er uns wieder Bananen liefert.«

»Und Sie glauben, daß der junge Herr . . . .?« sagte der Alte und schüttelte ungläubig den Kopf. »Wo er doch nichts versteht vom Geschäft.«

»Das ist auch nicht nötig!« erwiderte Harry leidenschaftlich. »Ich werde sämtliche Sumatraner durch mein Spiel hinreißen und als Sieger aus dem Turnier hervorgehen – nun, wo ich weiß, um was es sich handelt! Ich werde für euch, für die Firma, für die Bananen spielen! Dem Senator Max Sülstorff wird der Kaufmann Paul G. Olem nur gegen bar liefern, dem Tennischampion von Sumatra aber wird er als Sportsman Kredit gewähren.«

»Das hat was für sich,« sagte der Alte, und auch dem Jungen schien es einzuleuchten. Sie waren zufrieden, gingen und beruhigten ihre Kameraden.

Max Sülstorff aber umarmte seinen Sohn. Und als beide kurz darauf das Haus verließen, riefen die Arbeiter: »Hoch, Harry!« und schwenkten die Mützen.


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