Artur Landsberger
Liebe und Bananen
Artur Landsberger

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Elftes Kapitel.

In Triest spielten sich kurz darauf an verschiedenen Stellen Dinge ab, die äußerlich völlig voneinander unabhängig schienen, die aber sämtlich in einem Kausalzusammenhang miteinander standen, ihre Schatten nach Berlin vorauswarfen und dort eine Verwirrung anrichteten, aus der selbst der gewiegteste Kriminalist sich nicht hätte herausfinden können, wenn – ja, wenn eben nicht, wie in den meisten unentwirrbaren Fällen, der Zufall zu Hilfe gekommen wäre.

Nicht etwa ein Zufall, wie wir ihn in Filmen jeden Tag erleben, wo der Manuskriptschreiber die Handlung aus der Hand verliert und der Logik Gewalt antut, um zu einem guten Ende zu kommen. In unserem Fall verlief alles folgerichtig, und der Zufall war kein deus ex machina, der immer dann erscheint, wenn der Einfall ausbleibt.

Daß der Rekordflieger Kapitän Habel schon vor seiner Landung in Triest erkannte, daß der vermummte Pilot nicht sein Mechaniker war, wird man mir glauben. Auch, daß er über diese Entdeckung wenig erbaut war und Herrn Paul G. Olem am liebsten von tausend Meter Höhe ins Meer geschleudert hätte, wird man ihm nachfühlen. Aber ganz abgesehen von der Strafbarkeit dieser Handlung wäre das entschieden eine Dummheit gewesen. Denn besser ein mittelmäßiger Pilot als keiner. Und dann war der Plantagenkönig von Sumatra nicht nur eine Persönlichkeit, mit der man Ehre einlegte, sondern auch ein Hüne mit Körperkräften, die man lieber dem Flugzeug nutzbar machte, statt sich mit ihnen auf einen mindestens ungewissen Kampf einzulassen.

»Wenn Sie ein Mann von Ehre wären,« erklärte der Kapitän, »so hätten Sie sich nicht an meinen Mechaniker, sondern an mich gewandt.«

»Und wenn Sie Djojos Vater wären,« erwiderte Paul G. Olem, »so hätten Sie genau gehandelt wie ich. Die persönliche Ehre ist etwas, was ich voll respektiere – aber, wo die Liebe eines Vaters anfängt, da hört selbst die Ehre auf, eine Rolle zu spielen.«

»Auf Sumatra vielleicht! In Europa nicht.«

»Es ist gut, daß ich eine schwarze Brille trage, die Mütze bis auf die Nase und den Kragen bis übers Kinn gezogen habe – Sie würden sonst vielleicht an meinem spöttischen Lachen Anstoß nehmen.«

»Ziehen Sie den Hebel!« brüllte der Kapitän. »Sehen Sie denn nicht, daß der Wind sich dreht?«

»Sie nehmen also meine Dienste an?«

»Was bleibt mir anderes übrig?«

»Ich weiß mit dem Flugzeug genau Bescheid und werde in jedem Augenblick der Gefahr mein Leben für das Ihre einsetzen.«

Der Kapitän reichte ihm die Hand. Paul G. Olem schlug ein und sagte:

»Die Aberkennung der bügerlichen Ehrenrechte gilt also nur für die Fahrt bis Triest?«

»Ich würde mich selbst erniedrigen, Mister Olem, wenn ich sie aufrecht erhielte. Aber ich stelle eine Bedingung.«

»Ich akzeptiere jede, die das Zusammentreffen mit meiner Tochter nicht verzögert.«

»Sie wissen vielleicht, daß ich Sportsmann aus Passion bin. Jede öffentliche Schaustellung ist mir zuwider. Ich hasse Ehrungen und Empfänge. Bürgermeister im Frack mit goldenen Ketten und Ehrenjungfrauen mit Blumensträußen sind mir genau so widerwärtig wie eine entfesselte Menschheit, die heute mir, morgen einem Boxchampion und übermorgen einer Filmdiva zujubelt.«

»Mir nicht minder.«

»Das tut mir leid.«

»Wieso? Ich als Plantagenbesitzer komme nicht in die Verlegenheit.«

»Sie irren! Man wird Sie sowohl in Triest wie in Berlin mit allen Schikanen empfangen.«

»Mich? – Sie meinen: Sie.«

»Ich werde aus Ihrer Gegenwart Vorteile ziehen und mich durch Sie vertreten lassen.«

»Wie denn?«

»Sie werden – ich sein. Wir werden die Rollen ganz einfach vertauschen.«

»Unmöglich! Man kennt Sie!«

»Weder in Triest, noch in Berlin.«

»Und Sie wollen Paul G. Olem sein?«

»Fällt mir nicht ein! Da treten dann vielleicht die Verbände für Bananen und Gartenkultur an und ernennen mich zu ihrem Ehrenmitglied. – Ich bin, was Sie vorstellen: Ihr Mechaniker. Einverstanden?«

»Wie sagten Sie vorhin? »Was bleibt mir anderes übrig.« – Auch ich habe keine Wahl. Die Verantwortung für alles, was sich daraus ergibt, tragen Sie.«

»Wir beide!« fiel ihm der Kapitän ins Wort. –

Und als sie bei Triest niedergingen, bereiteten die Bewohner der festlich geschmückten Stadt ihnen eine Ovation, als wenn sie von einem neuen Weltkrieg siegreich heimkehrten.

Als Paul G. Olem zum Gruß die Mütze schwenkte, jubelte man ihm eine Viertelstunde lang zu. Dann hielt der Bürgermeister eine Ansprache, und drei Militärkapellen intonierten gleichzeitig die amerikanische Nationalhymne. – Paul G. Olem, der nur die Worte »Evviva« verstand, radebrechte, da der fremde Akzent seiner englischen Aussprache aufgefallen wäre, ein paar italienische Dankesworte, was die Zehntausende in Raserei versetzte. Von dieser Minute ab war der vermeintliche Kapitän Alfred Habel der erklärte Liebling der Italiener, und die Zeitungen faselten in überschwenglichen Worten von dem amerikanischen Bruder mit dem italienischen Herzen und der faszinierenden, echt italienischen Liebenswürdigkeit.

Aber an eins hatten der Kapitän und Paul G. Olem nicht gedacht! Das waren die Photographen und Reporter. – Vor den Reportern rettete sie ein überstürzter Aufstieg. Die Platten der Photographen aber, die ihre Positive noch am gleichen Tage an sämtliche Pressebüros sandten, machten Paul G. Olem am nächsten Tage als amerikanischen Rekordflieger Alfred Habel in der ganzen Welt berühmt. –

Der Freudentaumel Triests kam aber noch jemandem zugute. Der Bandit, der auf der »Venezia« während des Kostümfestes als Zigeunerin verkleidet in Djojos Kajüte eingedrungen war und ihr den Schmuck gestohlen hatte, war, ohne von der Schiffskontrolle als überzählig festgestellt zu werden, am Nachmittag des gleichen Tages in Triest gelandet. Trotz der reichen Beute, die ihm auf dem italienischen Steamer in die Hände gefallen war, sah man ihn jetzt auf dem Flugplatz die Konjunktur ausnutzen. Einem Fremden, der ihm entfernt ähnlich sah und der seine Koffer kurz zuvor nach Berlin dirigiert hatte, griff er in die Brusttasche und entwendete ihm seinen Paß. Auf Grund der Personalien dieses Passes verwandelte er sich in den spanischen Automobilfabrikanten Pampers, als der er mit dem nächsten Zuge nach Berlin fuhr, nachdem er sich zuvor dem Bilde des Passes möglichst ähnlich gemacht hatte. –

Vier Stunden zuvor hatte die »Venezia« im Hafen Anker geworfen. Als Djojo mit Dieferle und den malayischen Dienerinnen an Land gingen, hatten sie noch zwei Stunden Zeit bis zum Abgang des Zuges nach Berlin.

»Gehen wir dinieren oder die Stadt ansehen, Djojo?« fragte Dieferle.

»Weder – noch,« erwiderte sie. »Im übrigen hat es sich jetzt ausdjojot! Sie wissen genau, daß die Verlobung nur zum Schein und für die Dauer der Ueberfahrt geschlossen war?«

»Ich hoffte, Sie hätten das vergessen.«

»In Europa gibt es sehr viel schöne Frauen.

»Wenn Sie in mein Herz sehen könnten!«

»Reden Sie nicht immer von sich. Ich habe wochenlang kein Pferd mehr unter mir gehabt. Fahren wir in einen Tattersall.«

»In den zwei Stunden wollen Sie . . .«

»Galoppieren!«

»In den Straßen?«

»Meinen Sie im Meer?«

»Das wird verboten sein.«

»Weshalb?«

»Danach dürfen Sie nicht fragen. In Europa ist alles verboten. Einen Sinn hat es selten. Man nennt es, glaube ich, europäische Kultur.«

»Ich galoppiere trotzdem – und zwar nach dem Speicher meines Vaters.«

»Der liegt weit draußen.«

»Um so besser.«

»Ein Auto wäre bequemer.«

»Nichts hindert Sie, mir in einem Auto zu folgen. Meine Frauen« – sie wandte sich an die jungen, grazilen Malayinnen – »ziehen, wie ich sie kenne, Pferde dem Benzinkasten vor.« –

Eine Viertelstunde später jagte Djojo mit ihren Dienerinnen zu Pferde durch die Straße von Triest. Die Menschen staunten das ungewohnte Bild an, und die Polizisten liefen mit gezückten Säbeln hinter ihnen her. Eine wilde Jagd begann, die erst vor dem großen Speicher Paul G. Olems endete. Djojo sprang ab und eilte in das Gebäude, während die Dienerinnen erwischt, festgenommen und trotz leidenschaftlicher Gegenreden samt den Pferden abtransportiert wurden.

Djojo ließ sich zu dem Lagerchef führen, wies sich aus und beorderte mehrere Waggons Bananen per Expreß an die Firma Max Sülstorff Hamburg.

Mit dem Automobil, in dem Dieferle ihr mit dem Handgepäck gefolgt war, fuhren sie dann zum Bahnhof und erreichten gerade noch den Schlafwagenzug Genua–Basel–Frankfurt–Berlin.


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