Artur Landsberger
Liebe und Bananen
Artur Landsberger

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Erstes Kapitel.

Getreu der Schilderung Kaarsbergs war das Atelier in seiner ganzen Breite und Tiefe in eine Landschaft Sumatras verwandelt.

Felder mit Reis und Obi, die in schnurgeraden Reihen gepflanzt und mit Zäunen aus gelbem Bambusrohr eingehegt waren. Hier gingen Malayenmütter vor dem hölzernen Pfluge, den der Mann führte, und die nackten kleinen Kinder saßen im Grase am Wege und spielten mit Schneckenhäusern. Die dunklen Kinder waren dick, hatten strotzende Reismägen und große mexikanische Silbermünzen auf der Brust, Amulette, die sie gegen Seuchen und Lungenkrankheiten schützen. Weiber mit gefüllten, geflochtenen Strohsäcken auf dem Kopf gingen vorüber – in der Richtung auf eins der Batakdörfer, das in einem Hain fruchttragender Bäume und Palmen verborgen lag. Ein nackter, schlanker Knabe trieb eine Herde schwarzer und weißer Buckelochsen vorüber. Plötzlich fing das Vieh an zu laufen, die Kinder sprangen auf und heulten – aus dem Präriegras in der Ferne sah man ein paar struppige Ponys, auf deren ungesattelten Rücken zwei große schlanke Menschen saßen, herangaloppieren. Sie rutschten eben die schroffen Abhänge einer Schlucht hinab und krochen dann eine steile Halde hinauf. Die Reiter waren abgestiegen und hielten sich an den Schweifen der spindeldürren, starkknochigen Klepper fest, die ihre scharfen, unbeschlagenen Hufe in die tiefgetretenen Spuren des Weges hieben. Immer näher kamen sie. Und als sie jetzt an den Kindern vorübergaloppierten, die wie aufgescheuchte Vögel ängstlich aus dem Grase aufflatterten, und an den dunklen Frauen, die neugierig Ausschau hielten und trotz der ermunternden Zurufe ihrer Männer nicht zu bestimmen waren, den hölzernen Pflug weiterzuziehen – da sah man, daß der eine der beiden Reiter eine Frau war – und zwar eine weiße. Sie schien mit dem Pony, das sie mit den in Lederhosen steckenden Beinen fest umschlungen hielt und, ohne die Zügel zu benutzen, antrieb, verwachsen. Alle paar Augenblicke wandte sie sich zu ihrem Begleiter um und rief auf Englisch:

»Tempo! Tempo!«

Woraufhin der sich vergeblich abmühte, sein Pony in schnellere Gangart zu bringen. Wäre die Frau nicht so auffallend jung erschienen und das Tempo ein wenig langsamer gewesen, so hätte man gewiß erkennen können, ob die Reiterin wirklich Pola Djojo war, der sie so ähnlich sah. Die Wahrscheinlichkeit war um so größer, als der weniger ungestüm reitende Begleiter, dessen Abstand von Djojo sich ständig vergrößerte, unverkennbar der lange Dieferle war, den wir ebenfalls bereits kennen gelernt hatten. Auch, daß er der weißen Frau mit zärtlicher Stimme zurief:

»Miß Djojo, ich beschwöre Sie, bleiben Sie bei mir! Denken Sie an die Tiger und Schlangen!« sprach für unsere Vermutung. Einmal konnte Djojo ein Kosenamen sein, und dann war es ja auch möglich, daß das, was sich da vor unseren Augen abspielte, gar keine wahre Begebenheit, sondern ein Film war. Wer vermag das heute noch zu unterscheiden?

Ich setzte eben mein Glas an, um besser zu sehen, da verschwanden die beiden Reiter auch schon in dem hohen Gras, die dunklen Frauen zogen wieder den Holzpflug, und die aufgescheuchten Kinder krochen aus ihren Verstecken hervor und vereinigten sich wieder zu gemeinsamem Spiel.

Die Ponys galoppierten, ohne zu ermüden, durch das hohe Gras. Oft sah man nur die Köpfe der beiden Reiter und für Augenblicke die in die Höhe geworfenen Mähnen der ausdauernden, temperamentvollen Tiere. Auf grüne Savannen folgten wieder dschungelbewachsene Bergrücken. Die Ponys trabten dreist durch reißende Ströme und über versengte Lallangebenen.

Die Sonne stand weiß, blendend und glühend senkrecht über den Köpfen der Reiter, als sie durch die Pforte eines Dorfes ritten. Sie parierten die Pferde vor einem reich bemalten Hause, dessen Giebel mit gekalkten Hirnschalen von Büffeln und Hirschen geschmückt waren. Die weißen Wände waren mit roten Eidechsen bemalt und auf den überhängenden Giebeln waren lebensgroße hölzerne Götzenbilder angebracht.

Der Pungullo des Dorfes, ein starker kräftiger Mann, der unserm Reinhardtschauspieler Homolka verteufelt ähnlich sah, saß auf der obersten Stufe der Bambustreppe seines mächtigen Hauses, verdaute und stocherte mit der Spitze eines meterlangen Schlachtschwerts mit silberbeschlagenem Elfenbeingriff in seinen schwarzen Zahnstümpfen. Als er die beiden Reiter sah, stieß er das Schwert in die Scheide und ging ihnen entgegen. Dieferle, der bis zu diesem Augenblick einen Kopf größer als der Pungullo gewesen war, machte sich so klein, daß er wie ein Zwerg neben ihm erschien. Hatte er eben noch neben der weißen Djojo wie ein Halfkast wider Willen, ja beinah wie ein Europäer gewirkt, so konnte man ihn jetzt für einen Urbewohner von Sumatra halten. Er trat, die eine Hand auf der Brust, die andere auf der Stirn, vor und verbeugte sich unzählige Male tief vor dem mächtigen Herrscher dieses Kampongs, von dem man sich erzählte, daß er in seiner Jugend einen wilden Tiger ohne Waffen abgetan hätte. Und wer Homolka kennt, traut es ihm zu.

Der Pungullo trug einen langen schwarzen Sarong, goldene Armreifen und ein Kopftuch. Eine bunte, mit Perlmutter besetzte Decke, die er sonst über der Schulter trug, hatte er auf die Treppe gelegt.

Er sah Djojo mit seinen stechenden Augen an und stieß einen gellenden Kehllaut aus, den selbst eine stark an Einbildung leidende Frau nicht als Ausdruck des Wohlgefallens auffassen konnte. Es schien vielmehr, daß dieser Ton tiefste Verachtung über die weiße Haut und die zarte Gestalt ausdrückte.

Aber Djojo, an Begegnungen dieser Art gewöhnt, setzte ihr verführerischstes Lächeln auf, tat, als wenn er sie willkommen geheißen hätte und dankte in farbenreichen malayischen Worten für seine Gastfreundschaft.

Aber dieser Pungullo schien wilder und unzugänglicher als alle, denen Djojo bisher begegnet war. Entschlossen zog sie ihre Jacke aus, riß behende ihre kostbaren siamesischen Silberknöpfe ab und reichte sie ihm – während Dieferle noch immer in respektvoller Entfernung stand und sich jedesmal, wenn er glaubte, daß der Pungullo ihn ansah, tief verbeugte.

Der aber wog die Knöpfe in der Faust und lachte bestialisch. Dann blies er in ein poliertes Büffelhorn und befahl einem Jungen, der aus dem Hause kam, sich der ermüdeten Ponys anzunehmen.

Jetzt gab er Djojo ein Zeichen, ihm zu folgen. Sie gingen um das Haus herum. Da stand eins von seinen Weibern und kochte ein Ferkel in Wasser und Reis und servierte es in einer mächtigen rußigen Metallschüssel. Der Pungullo aß mit den Fingern und lutschte an den fetten Knochen wie ein Kind an einer Zuckerstange.

Djojo aber öffnete eine Ledertasche, die sie um den Hals trug, und servierte eine ganz europäisch zubereitete Mahlzeit, bestehend aus gekochten Eiern, gebratenen Hühnern, Brot, Butter, Salz und einer Flasche Wein. Sie reichte Dieferle Serviette und Besteck, aber der Pungullo schlug sie ihm aus der Hand und wies auf die Metallschüssel, so daß dem verängstigten Halfkast gar nichts anderes übrig blieb, als unter Verzicht seiner europäischen Hälfte nach Art seiner malayischen Vorfahren mit den gepflegten Händen in die Schüssel zu greifen und ein Riesenstück Schweinefleisch herauszufischen. Behutsam erst und scheinbar mit Widerwillen gab er sich dieser ungewohnten Mahlzeit hin. Dann aber meldete sich das Blut seiner Ahnen – und er machte sich über die Schüssel her. Der Pungullo und Djojo schüttelten sich vor Lachen. Aber es störte ihn nicht. Djojo bot ihm ein Glas mit Wein. Dieferle jedoch griff gierig nach der Flasche und wollte sie in einem Zuge heruntergießen. Der Pungullo riß sie ihm aus der Hand, erbat von Djojo das Glas, wandte sich zu ihm und sagte:

»So trinkt ein Halfkast!«

setzte das Glas an und leerte es. Das belustigte wiederum Djojo. Sie reichte dem Pungullo ein Besteck und unterwies ihn im Essen. Etwas plump, aber nicht ungeschickt verzehrte der das für Dieferle bestimmte Huhn.

Djojo sagte voller Ausgelassenheit zu dem Pungullo:

»Ueberlaß ihm dein Dorf und komm statt seiner als Sekretär meines Vaters auf unsere Bananenfarm!«

Der Pungullo brüllte vor Lachen, aber Dieferle erschrak, warf einen Riesenknochen, an dem er eben nagte, in die Schüssel zurück, sprang auf und versuchte, sich in einen Europäer zurückzuverwandeln. Er wusch sich in einer Art Tümpel am Haus und brachte seine Kleidung in Ordnung. Djojo bereitete inzwischen mit großem Geschick dem Pungullo seine flachköpfige, langröhrige Metallpfeife. Als er sie bat, sie ihm auch anzurauchen, da stutzte sie einen Augenblick, nickte dann, wandte sich um, sagte: »Der Wind!«, zog blitzschnell und ohne daß er es sah, ihr kleines Taschentuch hervor, wickelte es um das Mundstück der Pfeife und zündete sie an. Alles das dauerte ein paar Sekunden. Dann wandte sie sich wieder zu ihm um und schob ihm die brennende Pfeife zwischen die schwarzen Zahnstummel.

»Die Pferde!« rief sie – und der Junge brachte die Ponys. Sie warf ihm ein Päckchen Tabak zu, das er sofort zu essen begann. Dann reichte sie dem Pungullo, der in rosigster Laune war, die Hand, er wollte sie aufs Pferd heben, aber sie saß schon drauf, winkte und raste davon. Dieferle, dem der Pungullo vor Heiterkeit ein paar kräftige Schläge auf den Rücken versetzte, sank in die Knie, stieg auf das Pony und galoppierte hinterdrein.

Der Pungullo rief ihnen nach, sah das Taschentuch Djojos, das sie um die Pfeife gewickelt und dann fortgeworfen hatte, hob es behutsam auf, führte es an das Gesicht, lächelte beinah mild und verbarg es in seinem schwarzen langen Sarong. –

»Bravo, Homolka!« rief der Regisseur. »Lampen aus!«


 << zurück weiter >>