Artur Landsberger
Liebe und Bananen
Artur Landsberger

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Siebzehntes Kapitel.

Als Pina Jeff, die von ihrer politischen Sendung erfüllt und überzeugt war, in einem Aboag von der Lothringer Straße ins Hotel Adlon fuhr, um sich der Komteß Olga zur Verfügung zu stellen, hatte sie das Gefühl, daß jeder Fahrgast sie musterte und an ihr etwas Besonderes fand. Sie glaubte sich mehrmals erkannt, stieg aus und wechselte den Wagen. Aber immer wiederholte es sich, daß man sie ansah und sie anlächelte, als wollte man sagen: es nützt dir nichts! Wenn du den Kopf auch noch so tief in den hohen Kragen steckst, man erkennt dich doch.

Dabei war sie doch daran gewöhnt, daß man sie ansah, ihr zulächelte, nahe an sie heranrutschte und gelegentlich auch ansprach. Sie hatte bisher nie daran gedacht, daß sie dies Interesse etwas anderem als ihrer hübschen Erscheinung verdankte. Heute plötzlich war es der Ruhm, das Zeichen einer hohen Sendung, die man ihr von dem Gesicht ablas, und die – so folgerte sie mit der Freude am Abenteuerlichen – ihre Sicherheit gefährdete.

Sie erinnerte sich eines Films, in dem eine Spionin alle paar hundert Meter in einer andern Maske auftrat. Also unterbrach sie den Weg zum Hotel und ging in der Mittelstraße zu einem Friseur.

»Können Sie mich durch eine andere Frisur so verändern, daß meine Freundinnen mich nicht wiedererkennen?« fragte sie.

»Knorke!« flüsterte der Friseur seinem Kollegen zu, und zu Pina gewandt, sagte er: »Gnädiges Fräulein haben vermutlich vor, sich in ein Liebesabenteuer zu stürzen.«

»Habe ich nötig, es Ihnen auf die Nase zu reiben? Wenn Sie es nicht können, sagen Sie's – und ich gehe zu dem Coiffeur nebenan.«

Sein Ehrgeiz erwachte, und er holte einen Haufen Perücken.

»Mit rotem, langem Haar wird man mich nicht kennen – wenn Sie es mir tief ins Gesicht frisieren.« – er setzte ihr die Perücke auf – »wüst sieht das aus – wie eine Feuerreiterin.«

»Was ist das?« fragte der Friseur.

»Ich weiß nicht. Aber ich denke mir . . .«

»Eine junge Hexe kann nicht schöner aussehen.«

»Färben Sie auch die Augenbrauen rot – und dann legen Sie braun auf – das steht zu rot. Weiß sieht tot aus.«

»Ob Sie so jemand wiedererkennt?«

»Das werden wir gleich sehen,« erwiderte Pina. »Draußen steht ein Herr im Pelz, der mich am Bahnhof Friedrichstraße angesprochen und hierher begleitet hat. Ich habe ihm gesagt: warten Sie vor dem Friseurgeschäft. Es dauert zwanzig Minuten. Wenn Sie das aushalten bei der Kälte, nehme ich Ihre Einladung zum Essen an.«

Das steigerte den Ehrgeiz des Friseurs, der schnell noch eine Locke in die Stirn legte und mit einem Stift ein paar Ränder unter die Augen zog.

Pina behielt den Hut in der Hand, zahlte und ging hinaus. Ihr Herr im Pelz stand vor der Tür und sah sie an. Aber er dachte nicht einen Augenblick, daß es die Dame war, die er hierher begleitet hatte. Er sah ihr wohl nach, weil sie ihm gefiel – fast besser als die Schwarze. Aber dann wandte er sich wieder zur Ladentür, hinter der jetzt der Friseur stand und ihn auslachte. Der Herr kehrte ihm wütend den Rücken, ging über den Damm und verschwand hinter einer Haustür, von der aus er das Geschäft gegenüber beobachten konnte.

Pina fand, daß man sie jetzt noch mehr anstarrte. Aber als der Portier und der Zimmerkellner auf der ersten Etage des Hotels sie nicht erkannten, war sie zufrieden. Sie blieb vor jedem Spiegel stehen, fand, daß sie apart und interessant aussah, und war begierig, was die Komteß wohl zu ihr sagen würde.

Die saß, als Pina den Salon betrat, um sieben Uhr abends, gerade beim ersten Frühstück, das sie ihrer Gewohnheit gemäß im Bett einnahm. – Pina blieb in der Tür stehen und sagte höflich:

»Guten Abend, Frau Gräfin!«

»Guten Morgen!« erwiderte die. »Wer sind Sie und was wollen Sie?«

»Kennen Sie mich wirklich nicht?«

»Pina! – Sie sind verrückt! Wie sehen Sie aus! Hinreißend! – Ich habe Sie nur an Ihrer Stimme erkannt.«

Pina trat an das Bett heran, reichte ihr die Hand und sagte mit feierlicher Stimme:

»Verfügen Sie über mich!«

»Was soll das heißen?«

»Ich bin im Bilde.«

»In was für einem? – Richtig, so ein Kommissar war hier und hat es mir gezeigt. Das Bild in der Zeitung. Ich begreife nichts.«

»Sie stellen mich auf die Probe.«

»Zu welchem Zweck sollte ich das tun? – Ja, sind hier denn alle Menschen verrückt? Gibt es keinen Normalen mehr? Sagen Sie mir endlich: was ist eigentlich los? Was bedeutet Ihr Aufzug?«

»Ich glaube an Bestimmung.«

»Unsinn! Das ist ein Standpunkt für Faulpelze, Idioten und Verbrecher. Jeder macht sich sein Leben selbst!«

»Ich opfere mich für eine große Sache.«

»Kind, ich habe Angst um Sie.«

»Was liegt an meinem Leben, wo es sich um das Schicksal eines Volkes handelt?«

»Was für eines Volkes?«

»Der Welt!«

»Sie sprechen im Fieber.«

»Paneuropa!«

»Sie leiden am politischen Wahnsinn! der neuen Weltkrankheit!«

»Der Geist von Locarno soll über die Menschheit kommen!«

»Was geht das Sie an?«

»Nie wieder Krieg! – Die Pferde sind gesattelt! – Caesare Borgia.«

Komteß Olga zog Pina zu sich auf das Bett, legte den Arm um sie und sagte:

»Armes Kind! Wer hat Sie auf dem Gewissen?«

Pina sah Olga an und erwiderte:

»Ich habe Ihnen verziehen.«

»Sie – mir?«

»Sie mußten – auf Befehl der Sowjets handeln! Aber der Baron hat mit meiner Liebe gespielt – statt mich einzuweihen in Ihre Pläne!«

»Gehen Sie zur Polizei. Das sind die einzigen Menschen, die Sie vielleicht verstehen – denn so etwas Aehnliches haben die mir auch erzählt.«

»Es gibt kein Zurück mehr.«

»Kommen Sie unter die kalte Dusche!« sagte Komteß Olga verärgert und in bestimmtem Ton, stand auf und nahm Pina unter den Arm.

Und jetzt vollzog sich in Pina das psychologisch Interessante!

Eben noch völlig unter der Suggestion einer Wahnvorstellung, dem Produkt wirklichen Geschehens und dessen, was sie zu erleben sich wünschte, wich dies Bild im selben Augenblick, in dem die Gefahr bestand, daß ihre rote Schönheit zerstört wurde. Sie wußte, wie sehr diese Perücke ihre Schönheit hob. Ein Blick in den Spiegel hatte genügt. Der Gedanke, daß sie aufhören sollte, so auszusehen, verdrängte jede Vorstellung von Ehre und Ruhm. Die Urinstinkte der Frau, Eitelkeit und Gefallsucht, erwiesen sich als so stark, daß sie sich losriß und sagte:

»Sie wollen mich unter die Dusche zwingen, Gräfin, um mich zu entstellen. Sie haben Furcht, ich könnte dem Baron gefallen. Soweit geht mein Opfermut nicht! Wenn Sie mit mir um ihn kämpfen wollen, bitte! Aber ich bleibe, wie ich bin.«

Die Komteß sagte lächelnd:

»Eben noch wollten Sie die Welt erobern und jetzt sind Sie schon zufrieden mit einem Kellner.«

»Sie haben recht. Mein Kopf brennt. Ich bin seit sechsunddreißig Stunden auf den Beinen. Was haben wir nicht alles erlebt, seitdem ich Sie vor unserem Modeatelier ansprach! Mehr als in den einundzwanzig Jahren, die ich auf der Welt bin. Ich habe dies dumme Leben ja nur ertragen, weil ich fühlte, eines Tages würde etwas geschehen, etwas Ungewöhnliches, was mich mit einem Schlage berühmt macht. Ich wollte zum Film – und dann kam das!«

»Was kam?«

»Sie kamen.«

»Um mir Kleider zu kaufen – wie jede andere Kundin.«

»Nein! Es war etwas anderes! Ich merkte sofort, es geht etwas vor mit mir. Curt kam. Unter Ihren Händen wurde aus dem Kellner ein Modeanwalt, aus dem Modeanwalt ein Baron – und am selben Abend noch aus mir eine Braut.«

»Und was weiter?«

»Dann kam das Wunderbare!«

»Der Appetit nach Bananen.«

»Das war ein Symbol.«

»Wie meinen Sie das?«

»Ich weiß nicht. Ich weiß auch nicht, was ein Symbol ist. Aber in den Zeitungen steht es. Als ich das las, ahnte ich erst den Sinn.«

»Den Unsinn, meinen Sie! Sie sind überspannt! Sie reden sich in etwas hinein, was gar nicht besteht.«

»Ich beschwöre Sie, reden Sie es mir nicht aus! Ich habe die Aussicht, berühmt zu werden! Sie wissen nicht, was das für ein armes Mädchen bedeutet ! So eine Gelegenheit kehrt nie wieder.«

»Ah so!« rief die Komteß. »Jetzt verstehe ich! Also das ist der Grund! – Sie sind eine ganz raffinierte Person.«

»Ich bin nicht Mannequin geworden, um die Frau eines kleinen Beamten und Mutter von sechs Kindern in einer Dreizimmerwohnung zu werden.«

»Dazu passen Sie auch gar nicht.«

»Jetzt sagen Sie es selbst.« –

Es klopfte an die Tür.

»Wer ist da?« fragte die Komteß.

»Die politische Polizei,« war die Antwort.

»Himmlisch!« rief Pina, aber die Komteß flüsterte ihr zu:

»Die Leute sind verrückt.«

»So öffnen Sie doch!« drängte Pina.

»Ich gebe Ihnen den Rat, zu verschwinden.«

»Ausgeschlossen! Ich bin froh, daß ich da bin.«

»Oeffnen!« rief man von draußen.

»Machen Sie sich die Tür gefälligst selbst auf,« erwiderte Komteß Olga. »Ich habe keinen Grund, mich einzuschließen.«

Ein Beamter trat ein. Ein zweiter blieb an der offenen Tür stehen.

»Haben Sie die Absicht, mich alle halbe Stunde zu langweilen?« fragte die Komteß.

Der Beamte trat nah an sie heran, legte die Hand auf ihre Schulter und sagte:

»Sie sind verhaftet.«

»Das habe ich nach Ihrem letzten Besuch erwartet. Aber was fällt Ihnen ein, mich anzurühren?«

»Die Form verlangt es.«

»Das ist völlig sinnlos.«

»Die Amtshandlung eines Beamten ist niemals sinnlos.«

»Wohin führen Sie mich?«

»Ins Polizeigefängnis.«

»Lächerlich! – Was kann ich mitnehmen?«

»Nur das Notwendigste.«

Die Komteß rief ihre Zofe und befahl ihr:

»Packen Sie mir die kleine Tasche wie drüben für einen kurzen Landaufenthalt.«

Die erwiderte:

»Wie lange gedenken Frau Gräfin fortzubleiben?«

»Das entscheiden die Herren da.«

Die Zofe sah erstaunt die beiden Beamten an, die so gar nicht wie Herren aussahen.

»Man wird sie innerhalb vierundzwanzig Stunden dem Untersuchungsrichter vorführen, der über den Haftbefehl befindet.«

»Großer Gott! Haben Frau Gräfin jemanden totgefahren?«

»Ich weiß es nicht.«

»Frau Gräfin werden sich doch nicht abführen lassen?«

»Doch!« sagte Pina.

»Ja, warum denn?« fragte die Zofe verzweifelt.

»Wir sind in einen politischen Skandal verwickelt,« erwiderte Pina.

Der Beamte sah Pina an und sagte:

»Sie auch?«

»Allerdings! Wenn Sie mich verhaften wollen – bitte!«

»Ich habe keinen Auftrag.«

»Ich habe den gleichen Anspruch darauf wie die Komteß.«

»Wer sind Sie?« fragte der Beamte.

»Eine exaltierte Person,« erklärte die Gräfin. »Das sehen Sie doch schon an der roten Perücke.«

»Eine Russin?«

»I Gott bewahre!« erwiderte die Komteß.

»Ich sage nicht, wer ich bin. Ich antworte überhaupt nur, wenn Sie mich festnehmen.«

Der Beamte wandte sich an die Komteß und sagte:

»Kommen Sie!«

Sie nahm der verblüfften Zofe die Ledertasche aus der Hand und ging zur Tür. – Die Beamten folgten ihr. Pina lief ihnen bis zur Treppe nach und rief:

»Es lebe Moskau!«

Der Beamte rief zurück:

»Sie werden noch früh genug nach Sibirien kommen.«


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