Artur Landsberger
Liebe und Bananen
Artur Landsberger

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Fünfzehntes Kapitel.

Djojo war in Triest noch in aller Eile auf die Polizei gestürzt, um ihre malayischen Dienerinnen freizubekommen. Ebenso liebenswürdig wie bestimmt wurde ihr bedeutet, daß sie groben Unfugs wegen acht Tage Haft abzusitzen hätten. Djojo versuchte es erst mit Liebenswürdigkeit, auf die der italienische Beamte auch einging, ohne aber seinen Spruch zu ändern. Sie versuchte es mit Geld, indem sie dem Polizeioffizier ihr Scheckbuch unter das Gesicht hielt. Das hatte zur Folge, daß der Offizier nicht das Scheckbuch, wohl aber die Hand nahm, sie zum Munde führte und sagte:

»Die Hand ist so schön, daß ich nicht auf das achte, was sie birgt – weil ich sonst gezwungen wäre, auch Sie an der Weiterreise zu hindern und hierzubehalten.«

Djojo war mit einem Satz an der Tür. Dort wandte sie sich noch einmal um, nahm eine Blume, die sie am Jackett trug, warf sie ihm auf den Tisch und rief:

»Auf Wiedersehen!«

Dann suchte sie schnell noch einen Anwalt auf, unter dessen Schutz sie ihre Dienerinnen stellte, und kam gerade noch rechtzeitig genug auf den Bahnsteig – auf dem Dieferle erregt herumlief und das Gepäck alle paar Augenblicke in das Abteil bringen und wieder herausholen ließ –, um in den abgehenden Zug zu springen.

Sie zog den kopflos auf dem Bahnsteig stehenden Dieferle mit einem kräftigen Ruck in den fahrenden Zug. Träger warfen die Gepäckstücke ohne Rücksicht auf Dieferle, der ihnen als Zielscheibe diente, nach, Djojo warf ihnen Hände voll Silbermünzen in die Mützen und lenkte durch ihre Ausgelassenheit die Augen aller Reisenden auf sich.

Als sie endlich in ihrem Abteil saßen und das Gepäck mit Hilfe des Schaffners verstaut hatten, lag Triest bereits hinter ihnen.

»Wenn Sie sich in Berlin auch so blöd benehmen,« sagte Djojo, »schicke ich Sie als Muster ohne Wert an Papa zurück.«

»Das Tempo . . .« wandte er ein, und sie fiel ihm ins Wort und sagte:

»Sollten Sie bei mir gewöhnt sein.«

»Vorgestern noch ohne Hoffnung, gestern verlobt, heute entlobt – was wird morgen sein?«

»Ich kann Sie beruhigen: als mein Verlobter kommen Sie auch nicht aushilfsweise mehr in Frage.«

»Ich weiß nicht, ob Sie mein Temperament kennen, Miß Djojo?«

»Ich lege keinerlei Wert darauf, es kennen zu lernen.«

»Leider! – Aber ich bin von Sumatra aus gewöhnt . . .«

»Auch Ihre Gewohnheiten interessieren mich nicht.«

»Man hat mir gesagt, daß die Frauen in Europa kalt sind.«

»Wenn Sie frieren, reisen Sie nach Haus!«

»In Ihrer Nähe, Miß Djojo, gleiche ich einem glühenden Ofen.«

»Die europäischen Frauen werden das vielleicht mehr schätzen als ich. Jedenfalls sind Sie für die Dauer meines Berliner Aufenthalts beurlaubt.«

»Meine Verantwortung Herrn Paul G. Olem gegenüber . . .«

». . . verlangt, daß Sie mich nicht länger mit Ihren Sympathiekundgebungen belästigen.« –

Auf der ersten Station kaufte Djojo sich sämtliche illustrierte Blätter Europas und suchte darin Bilder von Harry. Wütend warf sie Blatt nach Blatt aus dem Fenster des fahrenden Zuges, ging den Zug ab, bat, entgegen Takt und Gewohnheit, Reisende, die illustrierte Blätter lasen, um die Erlaubnis, einen Blick hineinwerfen zu dürfen, begann, wo sie deutsch sprechen hörte, ein Gespräch und brachte geschickt die Rede auf den schönen Harry. Ein paar blonde Damen erzählten begeistert von ihm:

»Der schönste Mann Europas. Zwar ein wenig dumm – aber das steht ihm so gut.«

»Er hat kluge, blaue Augen,« sagte Djojo.

»Dunkle!« widersprach eine Dame.

»Aber sein Haar ist blond.«

»Er sieht so verschieden aus. Wenigstens auf Bildern. Mal blond, mal dunkel. Das macht ihn so interessant.«

»Eins von beiden kann er doch nur sein. Oder glauben Sie, daß er sich färbt? Das wäre gräßlich.«

»Vielleicht einer Frau zuliebe.«

»Welcher Frau?« fragte sie wütend.

»Harry hat Hunderte.«

»Aber er liebt sie nicht!«

»Sie kennen ihn persönlich?« fragte eine der Damen interessiert. Und Djojo erwiderte:

»Ich bin seine Braut!«

Da rissen die Damen den Mund weit auf und überschütteten sie mit Fragen – in der für Frauen typischen Art, ohne eine Antwort abzuwarten, dann holten sie aus den Handtaschen ihre photographischen Apparate heraus und photographierten Djojo.

»Er wird in Berlin am Bahnhof sein?« fragten sie in freudiger Erwartung.

»Nein! Ich überrasche ihn.«

»Und wenn Sie ihn mit einer seiner vielen Freundinnen überraschen?«

»Dann schlage ich ihn kurz und klein.«

Das hatte zur Folge, daß die Damen während des Aufenthaltes in München dringend an Harry Sülstorff, dessen Adresse sie in dem Berliner Telephonbuch fanden, telegraphierten:

»Vorsicht! Ihre Braut überrascht Sie. Zwei um Ihr Leben besorgte Verehrerinnen.« –

Als Harry mit dem Baron Curt aus Hamburg kommend in seine Berliner Wohnung kam und das zweite Telegramm vorfand, sagte er:

»Kein Zweifel! Diese Djojo ist geisteskrank. Vermutlich religiös verrückt, wie die meisten Indier.«

»Wieso Indier?« fragte Curt, und Harry erwiderte etwas zaghaft:

»Nun ja, Sumatra. Das ist doch da so herum. Das Land der religiösen Fanatiker. Sie hat mein Bild irgendwo gefunden, und irgendein Hindupriester hat es ihr dahin gedeutet, daß sie mich opfern muß, um die ewige Seligkeit zu erlangen.«

»Sie glauben, daß es so etwas gibt?« fragte Curt mit einem nicht gerade schlauen Gesicht.

»Ich habe ähnliches mal gelesen – in einem Magazin.«

»Und die Pointe?«

»Man fand den Europäer eines Morgens vergiftet in seinem Bett. Niemals erfuhr man etwas von den näheren Umständen.«

Curt dachte nach und sagte ernst:

»Dann war es also ein ganz guter Gedanke von Ihnen, daß wir beide unsere Rollen tauschten.«

»Bestimmung!« erwiderte Harry, der gar nicht so dumm war. »Aber gerade darum wäre es zwecklos, unsere Abmachung aufzuheben. Es würde doch immer Sie treffen.«

»Nette Aussichten.«

,«Die Liebe war also nur ein Vorwand. Mir kam es ja gleich etwas phantastisch vor, daß eine Frau eines Mannes wegen, den sie gar nicht kennt, von Sumatra nach Deutschland fährt. Ich muß sagen, ich bin ganz froh, hinter den wahren Grund gekommen zu sein.«

»Ich weniger,« erwiderte Curt. »Auf jeden Fall werde ich in Berlin sofort den Schutz der Polizei erbitten.«

»Glauben Sie, daß die Berliner Polizei gegen den Furor und die List religiös besessener Inder etwas ausrichten wird?«

»Kaum.«

»Nun also! In einem Fall wie in diesem gibt es nur ein Mittel: der Gefahr ins Auge sehen und den Gegner überlisten – wie ich es tue.«

»Sie hatten Glück! Aber ich werde kaum jemand finden, der an meine Stelle tritt.«

»Selbst ist der Mann!«

»Demnach müßten Sie . . .«

»Ein Mann, ein Wort.«

»Sie machen mich nervös mit ihren Sprichwörtern. Ich habe mich aus den Klauen der Bolschewisten in Moskau gerettet, ich werde auch mit diesen Asiaten fertig werden.« –

Als die beiden jungen Leute in Berlin ankamen, hatte Djojo bereits ihren Einzug ins Hotel Adlon gehalten. Der Empfangschef, der auf eine dreiköpfige Dienerschaft vorbereitet war und sich dementsprechend feierlich eingestellt hatte, war enttäuscht und fand den Grund, den Djojo für das Ausbleiben der Malayinnen gab. etwas merkwürdig. Aber der Berg von Koffern und Djojos unbekümmerte Lustigkeit machten ihn unsicher. Er hätte sonst den Gedanken, daß er es hier mit einer internationalen Hochstaplerin zu tun hatte, zu Ende gedacht. So aber begnügte er sich damit, dem Hoteldirektor einen Wink zu geben und abzuwarten.

In ihrem Zimmer fand Djojo einen großen Strauß Orchideen mit einer Karte, auf der nichts weiter stand als: »Harry«.

Djojo schloß die Augen für ein paar Sekunden und überlegte: was ihr da unten im Uebermut unter Palmen und blauem Himmel als toller Einfall erschienen war, bekam hier im rauhen Norden Europas unter grauem Himmel ein beinahe ernstes Gesicht. Dort unten lebte man bei vierzig Grad immer in einer Art Fieber, hier aber überlegte man nüchtern und kühl – und da erschien es, daß die Art ihrer Werbung ungewöhnlich und wenig weiblich war. Dies letzte kränkte sie so sehr, daß sie einen Augenblick lang ernstlich erwog, ob sie nicht wieder umkehren sollte, ohne Harry überhaupt gesehen zu haben. – Sie stürzte ans Telephon, ließ sich den Direktor rufen und fragte unvermittelt:

»Wann geht das nächste Schiff nach Sumatra?«

»Nach Sumatra?« erwiderte der verdutzt. »Gnädige wollen – wo Sie doch kaum angekommen sind?«

»Heute noch, wenn es möglich ist.«

»Ich werde nachsehen lassen,« erwiderte der Direktor in unbewußt verändertem Tonfall. Denn er sah seinen Verdacht in dieser beschleunigten Abreise, die ja nichts anderes als eine Flucht sein konnte, bestätigt.

Der Hoteldetektiv setzte sich mit der Polizei in Verbindung. Deren politische Abteilung arbeitete gerade fieberhaft in der Bananenangelegenheit. Und als sie den ersten Spaziergang Djojos dazu benutzte, eine Durchsuchung ihrer Zimmer vorzunehmen, ein Album mit Photographien von Bananenplantagen und einen Eilfrachtbrief über den Transport mehrerer Eisenbahnwaggons Bananen von Triest nach Hamburg fand – da war man sicher, die Fäden dieses politischen Putsches entdeckt zu haben.

Der Direktor der Abteilung Ia im Polizeipräsidium konfiszierte in Abwesenheit Djojos die belastenden Beweisstücke. Aus ihnen und einer Reihe andrer Papiere ging hervor, daß der Ursprungsort Sumatra war. Einer der Kommissare erlaubte sich die Frage:

»Gehört Sumatra denn zum russischen Sowjetstaat?«

»Zu Niederländisch Indien,« erwiderte der Direktor. »Das besagt nichts und alles und beweist nur das Raffinement, mit dem die Moskauer Regierung Putsche inszeniert. Sie geht auf Umwegen vor und glaubt, wenn wir statt Dynamit aus Moskau feststellen: Bananen aus Sumatra – daß wir uns damit von der Harmlosigkeit des Unternehmens überzeugt haben. Aber damit gerade verraten Sie sich!«

»Bei der Rückkehr also verhaften?« fragte der Kommissar.

»Im Gegenteil! In Sicherheit wiegen! Aber nicht aus den Augen lassen! Auf Schritt und Tritt verfolgen.« –

Die ahnungslose Djojo lief inzwischen etwas bedrückt, aber doch, wie alle Frauen, neugierig und besonders von den Schaufenstern der Modehäuser angezogen, in den Straßen Berlins umher. Ohne Dieferle, den sie beurlaubt hatte:

»Sehen Sie sich die europäischen Frauen an!« hatte sie zu ihm gesagt. »Die fliegen auf einen Typ wie Sie!«

Und Dieferle, der von Sumatra noch nicht heruntergekommen war und noch nie eine blonde Frau gesehen hatte, benahm sich, kaum, daß er das Hotelzimmer verlassen hatte, wie ein Schulbub. Schon im Vestibül stierte er die erste blonde Frau, eine Amerikanerin, so ungeniert an, daß die empört den Mund verzog und ihm den Rücken kehrte. Ein paar Schritte weiter stieß er auf ein paar blonde junge Mädchen, blieb wieder stehen, lachte sie ungeniert an und klatschte vor Freude in die Hände. Die Mutter trat an ihn heran und sagte empört:

»Sie scheinen verrückt zu sein, mein Herr!«

Vorn am Zeitungsstand kaufte eine elegante Engländerin die Times. Von ihrer Blondheit geblendet, trat er dicht an sie heran, ergriff ihre Hand und führte sie zum Munde. Die Dame fiel vor Schreck dem Verkäufer in die Arme. – Im selben Augenblick erschien ihr Mann, der den Vorgang von weitem beobachtet hatte – es erschien der Vater der blonden jungen Mädchen und der Onkel der Amerikanerin und stellten ihn zur Rede. Von jedem der drei erhielt er hintereinander und unter dem Gelächter der Damen ein paar schallende Ohrfeigen. Eins – zwei, eins – zwei, eins – zwei – in schnellstem Tempo. Knallrot schwollen die Wangen an. Er taumelte, riß im Fallen Dutzende von Büchern und Zeitungen von dem Stand, die der Verkäufer schnell zusammenraffte, einwickelte und ihm, der gerade wieder zu sich kam, unter den Arm schob. Er zahlte und schlich nach diesem eindrucksvollen Debüt zur Tür. Ein Europäer hätte für die nächsten acht Tage von den Frauen genug gehabt. Anders ein Halfkast aus Holländisch Indien. Er mußte, bevor er die Tür erreichte, bei den Fernsprechzellen vorbei und sah schon von weitem den blonden Hinterkopf des mit den Hörern bewaffneten Telephonfräuleins. Er ging noch ein paar Schritte weiter, blieb dann ängstlich stehen, als wenn er sich nicht bei ihr vorbei traute. Aber ein Spiegel an der Wand hatte dem blonden Kind längst seine Nähe verraten. Sie wandte sich nach ihm um – sah ihn an – lächelte.

Vor Schreck oder Freude fiel ihm das Paket aus dem Arm. Zeitungen und Bücher stürzten zur Erde. Er bückte sich. Aber schon hatte das blonde Fräulein die Hörer abgelegt, stand neben ihm und war ihm behilflich.

»Wohnt der Herr im Hotel?« fragte sie auf englisch.

»Vorläufig noch,« erwiderte er. »Aber ich fürchte« – und er hielt sich die Wangen – »nicht mehr lange.«

Das Fräulein rief einen Pagen, der Zeitungen und Bücher aufhob.

»Ihre Zimmernummer?« fragte sie.

Dieferle strahlte über das ganze Gesicht und gab ihr den Schlüssel. Und sein Gesicht wurde nicht klüger, als das blonde Fräulein den Schlüssel an den Pagen weitergab und ihm auftrug, die Sachen auf Dieferles Zimmer zu tragen. – Er stand noch auf demselben Fleck und sah verdutzt dem Pagen nach, als das Mädchen mit den Hörern an den Ohren schon wieder an ihrem Platze saß und Verbindungen herstellte. Er trat an sie heran und sagte:

»Kommen Sie mit mir! Zeigen Sie mir Berlin!«

»Von sechs Uhr ab bin ich frei.«

»In einer Stunde also. Aber wo?«

»Gehen Sie mit mir ins Palais.«

Er verabredete, gab ihr die Hand und ging dann die Linden herunter. Er sah in jedes Geschäft, und wo er eine blonde Verkäuferin entdeckte, ging er hinein, kaufte etwas und lud sie ins Palais. Meist waren die Mädchen bis sieben beschäftigt. Vielen erlaubte der Chef, nachdem er Dieferle die unmöglichsten Waren aufgeschwatzt hatte, früher zu gehen. Als er an der Passage war, eskortierte ihn bereits ein Dutzend blonder Mädchen. – Trotzdem lud er im Palais sämtliche Blondinen an seinen Tisch, der länger und länger wurde. Und als es sieben schlug, kam aus jedem Laden unter den Linden mindestens ein blondes Mädchen, das sich eilenden Schrittes zum Palais begab. Dieferle tanzte mit allen und tobte sich aus.

Zur selben Zeit kleidete sich Djojo in den Modehäusern neu ein. Das Stubenmädchen im Hotel hatte ihr unter anderen Firmen besonders Garis Sons empfohlen. Denn sie hatte bei Komteß von Tschochenska, die auf der gleichen Etage wohnte, die herrlichen Kleider gesehen und wußte auch von Curt, dem Kellner, daß es eine erste Firma war.

»Berufen Sie sich nur auf die Gräfin von Tschochenska,« riet ihr das Zimmermädchen. »Dann werden Sie bestimmt gut bedient. Denn die hat noch und noch gekauft.«

Djojo folgte dem Rat, woraufhin zunächst die Direktrice sowie sämtliche Verkäuferinnen und Mannequins, die ihr diensteifrig entgegengekommen waren, kehrt machten und zu dem Chef stürzten, in dessen Privatbüro sich folgende Szene abspielte:

»Herr Garis, eine Freundin von der Komteß ist da!« riefen sie zehnstimmig.

»Schmeißt sie raus! Holt die Polizei!«

Die Direktrice und ihr Gefolge machten kehrt.

Garis lief dem Rudel nach, stellte es auf der Treppe und kommandierte:

»Ins Büro zurück!«

Dort fragte er:

»Wie sieht sie aus?«

»Jung und schön!«

»Trägt sie viel Schmuck?«

»Gar keinen.«

»Also verlangt sie auch keinen Kredit. Die Gräfin hat auch bar bezahlt. Was geht uns an, ob sie ist politisch links oder rechts. 'N Modesalon is kein Wahlbüro.«

»Also vorführen?«

»Wie heißt sie?«

»Sie hat so etwas gesagt wie Olem.«

»Scholem. Kenne ich! N' galizische Jüdin.«

»So sieht sie nicht aus.«

»Sie werden mir sagen! Verkaufen Sie ihr den Bowel von Schlesinger und Basch in Breslau – was sag' ich? Breslau? – Sie sagen: Pariser Modelle – unausgepackt – aber verdecken Sie die Etiketten!«

Die zehn bewegten sich wieder zur Tür.

»Aber gegen Kasse – mit zehn Prozent Aufschlag – und fünf Prozent Rabatt! – Und wenn sie bezahlt hat und is weg, rufen Sie bei der Polizei an: Herr Max Garis läßt sagen, es sei schon wieder 'ne verdächtige Frauensperson da gewesen – namens Scholem, und hat sich auf die Gräfin Tsche–tscho–hska besogen. Die Polizei soll besser aufpassen! Mein Atelier is keine Retero für bolschewistische Verschwörer. Sagen Sie das! – Aber erst zahlen lassen. – Und dann raus! – Verstanden?«

Als die Direktrice mit den Verkäuferinnen und Mannequins wieder nach unten kam, hatte Djojo den ganzen Laden von oben nach unten gekehrt. Auf den Sesseln, Stühlen, auf der Erde lagen die Kostüme herum, während die Schränke leer waren. Sie selbst stand in einer eleganten Toilette vor dem Spiegel.

Bevor die Direktrice vor Staunen ein Wort herausbrachte, sagte Djojo:

»Man hat mir in Indien viel von den automatischen Geschäftsbetrieben in Amerika und Europa erzählt – bequem ist das nicht, wenn man sich jedes Stück selbst herausnehmen und überziehen muß.« – Sie wies auf einen Tisch, auf dem ein halbes Dutzend Mäntel und Kleider lagen. – »Rechnen Sie das zusammen und schicken Sie es mir in das Hotel.«

»Aber, gnädige Frau können doch unmöglich ohne Anprobe . . .«

»Ich habe vierundzwanzig Kleider anprobiert.«

»In den paar Minuten?«

»Es war eine Ewigkeit! – Vorwärts! rechnen Sie! Was schuld' ich Ihnen? – Eine Stadt ohne Tempo ist dies Berlin. Bei uns, da tobt man entweder oder man schläft. Meist schläft man freilich. Aber wenn man wach ist, dann döst man nicht. – Haben Sie nun endlich zusammengezählt?«

»Wir werden eine Schneiderin mit den Sachen ins Hotel schicken – falls Aenderungen nötig sind.«

»Ausgeschlossen! Wie oft soll ich anproben? Ich erwarte die Sachen in zehn Minuten. Ich reise! – Also? Der Preis?«

Die Direktrice reichte den Block, Djojo bezahlte, zog dem Personal, das wie die Oelgötzen dastand, ein Gesicht und verließ eilig den Laden.

»Die hat es in sich!« sagte die Direktrice, und der Chef von Garis Sons, der von der Estrade aus den Vorgängen gefolgt war, stürzte die Treppe hinunter und rief:

»Eine Hochstaplerin großen Stils!« – Dann riß er der Direktrice das Geld aus der Hand, betrachtete es und fuhr fort: »Aber sympathisch! sehr sympathisch! – Verständigen Sie sofort die Polizei!«


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