Artur Landsberger
Liebe und Bananen
Artur Landsberger

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Fünftes Kapitel.

Paul G. Olem, einer der reichsten Pflanzer auf Sumatra, trug dem Temperament seiner Tochter Djojo in einer Weise Rechnung, die man in Europa nicht verstehen würde. Nicht aus Schwäche oder einer Art blinder Liebe geschah das. Paul G. Olem war ein energischer und gescheiter Mann, der wußte, daß er sich auf die Klugheit seiner Tochter verlassen konnte. Aber er trug den Verhältnissen, unter denen sie auf ihren Plantagen zu leben gezwungen waren, weitestgehende Rechnung. – Djojo war als Kind eines portugiesischen Kaufmanns und einer englischen Mutter in Shanghai geboren, auf einer Pflanzung bei Ringa unter den Einheimischen aufgewachsen und abwechselnd von englischen und deutschen Gouvernanten, die das Klima, die Lebensgewohnheiten und wohl auch Djojo's Temperament niemals lange aushielten, erzogen worden. Jagd und Ponys interessierten sie aber von frühester Kindheit weit mehr als deutsche Gründlichkeit und englischer Cant, den ihre Gouvernanten ihr beizubringen suchten. Sie sprach malayisch, holländisch, englisch und deutsch, sogar ein wenig japanisch – und war ihres frohen Wesens wegen der Liebling von Arbeitern und Pflanzern, Fremden und Eingeborenen. –

Als Djojo aus der Stadt kam und ihrem Vater erklärte: »Ihr habt von Max Sülstorff Söhne in Hamburg Geld zu bekommen, wie mir Dieferle sagt, und ihnen die Lieferungen gesperrt. Laß mich nach Europa fahren und feststellen, ob es keine Möglichkeiten gibt, sich zu verständigen,« da stutzte Paul G. Olem und fragte:

»Welches Interesse hast du an Max Sülstorff Söhne in Hamburg? Wir können auch ohne sie bestehen.«

»Aber sie nicht ohne uns.«

Djojo zeigte ihrem Vater das Bild Harrys in »The Newyorker«.

»Du kennst ihn?« fragte er.

»Ich muß ihn kennen lernen.«

»Das Geschäftliche ist also nur ein Vorwand.«

»Ja und nein! Denn eins hängt mit dem andern zusammen.«

»Ich habe nichts gegen eine Reise nach Europa. Die Familie deiner Mutter schreibt alle paar Monate, warum ich dich nicht einmal nach London schicke. Fahre! Und wenn du willst, fahre über Hamburg. Du bist ein kluger Mensch. Ich gebe dir Vollmacht. Handle, aber verlieb dich nicht!«

Djojo flog ihrem Vater an den Hals. Dann stürzte sie ans Telefon und ließ sich mit der Straits Steamship Co. verbinden. Schon am Abend des übernächsten Tages fuhr sie in Begleitung zweier malayischer Dienerinnen und des Sekretärs Dieferle, ohne den ihr Vater sie nicht reisen ließ, nach Delhi, von da nach Belavan und mit einem Dampfer des Lloyd Triestino am nächsten Morgen nach Penang.

Dieferle war glücklich, sie begleiten zu dürfen und war fest entschlossen, sich ihr bei geeigneter Gelegenheit zu erklären. Dazu bot eine Seereise von mehrwöchentlicher Dauer die beste Gelegenheit. Da sie in Penang das Schiff wechselten und nach ihrer Abfahrt beinahe ein halber Tag verging, bis sie sich auf den Steamer der Lloyd Triestino einschiffen konnten, so rechnete Dieferle bestimmt damit, daß Djojo sich ein Auto nehmen oder in der Drahtseilbahn nach den Penang Hills fahren werde. Wie oft hatte sie daheim inmitten der schönsten Vegetation von der Pracht gerade dieses Stücks Erde gesprochen, neben der selbst Sumatras Schönheit verblaßte. Diese Fülle von fächerförmigen Ravenalen, Amherstien mit roten Blütentrauben, Farnbäumen, riesigen Feigen und anderen Laubbäumen, Areka und Kitulpalmen und zypressenartigen Coniferen fand man wie von Künstlerhand angeordnet in dieser Schönheit und Fülle auf der ganzen Welt nicht wieder.

Aber Dieferle irrte sich. Auch die Beschäftigung mit den Geschäftsbüchern und Korrespondenzen, die ihr der alte Paul G. Olem mitgegeben hatte und aus denen sie sich für die Verhandlungen in Hamburg informieren sollte, lehnte sie ab und sagte:

»Wir werden wochenlang unterwegs sein. Ich sage Ihnen daher ein für alle Male: belästigen Sie mich nicht mit geschäftlichen Dingen. Ob die Schulden der Hamburger Firma hundert Pfund oder hunderttausend Pfund betragen, bleibt sich völlig gleich. Max Sülstorff Söhne wird saniert. Auf alle Fälle! Denn Sie glauben doch nicht, daß das Haus Paul G. Olem seinen Schwiegersohn in Konkurs gehen läßt?«

»Schwie–ger–sohn?« wiederholte Dieferle. Aber sie ließ ihm keine Zeit zu vielen Fragen.

Sie waren eben in Penang vom Schiff gestiegen, da sagte Djojo:

»Kümmern Sie sich um das Gepäck und sorgen Sie dafür, daß die Mädchen zu essen bekommen. Wir treffen uns zum Tiffin im Eastern Hotel. Ich gehe schnell zur Post und telegraphiere.«

»Sie wollen dem Herrn Papa Ihre glückliche Ankunft melden?«

»Nach der kurzen Fahrt? Da müßte ich ja von jedem Hafen aus telegraphieren. Keine Spur! Ich telegraphiere an meinen Verlobten. Das gehört sich so.«

»Ver– Ver–«

»–lobten,« wiederholte Djojo. »Herrn Harry Sülstorff, Hamburg. – Glauben Sie, daß die Adresse genügt?« – Und ehe er sich soweit in der Gewalt hatte, um eine Antwort zu geben, fuhr sie fort: »Ich werde doch lieber hinzusetzen: in Firma Max Sülstorff Söhne«.

Dieferle hatte noch immer nicht seine Sprache wiedergefunden.

»A . . . aber . . . Miß Djojo . . . sind doch . . . noch gar nicht verlobt.«

»Natürlich bin ich's! Jedenfalls fühle ich mich so. – Machen Sie kein so dummes Gesicht! Vorwärts! Und lassen Sie mich im Eastern nicht warten!«

Sie stieg in ein Auto, fuhr zur Post und gab ein Telegramm folgenden Inhalts auf:

»Harry Sülstorff
in Firma Max Sülstorff Söhne
                                    Hamburg.

Falls Sie annähernd so sind, wie ich Sie mir nach dem Bilde in The Newyorker äußerlich und als Menschen vorstelle, halte ich hiermit um Ihre Hand an. Ich treffe auf der »Venezia« am 11. April in Triest ein und fahre von dort mit dem nächsten Zuge nach Berlin. Welche Heiratspläne Sie immer haben mögen, bitte, tun Sie keinen entscheidenden Schritt, bevor Sie mit mir gesprochen haben. Unser Schiff ist am 21. März in Colombo, wo ich hoffentlich ein Telegramm von Ihnen vorfinde. Shake hands Djojo, Tochter von Paul G. Olem, Sumatra.«

Vom Postamt aus fuhr Djojo zu einem Geschäftsfreund ihres Vaters, dem reichen Chinesen Lin Chien, der von Paul G. Olem Tabak und Pfeffer bezog. Er bewohnte, wie viele der achtzigtausend in Penang wohnenden reichen Chinesen eine schloßartige, mit einem großen Park umgebene Villa neben dem chinesischen Club und sah gerade dem Training seiner Rennpferde zu. Djojo lächelte den Dienern, die sich tief verbeugten, freundlich zu und lief, statt in die Villa zu gehen, auf den weiten Rasenplatz. Der hohe, schlanke Chinese, der es in seinem Aeußeren und seinen Manieren mit jedem englischen Lord aufnahm, kam ihr entgegen. Es war eine äußerst herzliche Begrüßung. Djojo musterte die Pferde und ließ es sich nicht nehmen, mit ein paar Stalljungen ein Match über vierhundert Meter zu reiten, das sie nach einem scharfen Finish um einen Kopf herausritt. Dann nahm sie den Chinesen mit zum Tiffin ins Eastern-Hotel und schiffte sich am Nachmittag mit Dieferle und den beiden malayischen Dienerinnen auf dem italienischen Steamer ein.

Auf der »Venezia«, die, aus Moji kommend, schon wochenlang unterwegs war, herrschte das übliche Leben. Meistens waren es in Shanghai an Bord gekommene Italiener und Franzosen, die nach Europa fuhren. – Auch eine weniger hübsche, aparte und ausgelassene Djojo hätte auf diesem wie auf jedem andern Asiensteamer im Augenblick, in dem sie an Bord kam, im Mittelpunkt des Interesses gestanden. – Wer die Tropen kennt, weiß, wie selbst bei gesitteten Menschen im Bereich gewisser Breitegrade die zarten Bande keuscher Scham und Wohlerzogenheit zart und immer zarter werden, bis sie schließlich gänzlich schwinden. Bei vierzig Grad des Nachts schließt niemand mehr das Fenster oder die Kabine, und das Deckbett erhebt auf zweckmäßige Verwendung längst keinen Anspruch mehr. Am Tage ermöglicht es das an Bord kunstvoll errichtete Schwimmbad, die bastseidenen Kleider mit Badehöschen zu vertauschen, so daß zum mindesten die äußerlichen Merkmale der Zivilisation der weißen Rasse gegenüber der schwarzen – die gelbe Rasse wahrt sie auch hier noch – verschwinden. Ueber das Schwinden anderer Merkmale breiten wir taktvolles Schweigen und begnügen uns mit der Feststellung, daß Miß Djojo den an Bord befindlichen europäischen Kavalieren gegenüber sehr viel mehr Distanz wahrte als gegenüber den Eingeborenen in Sumatra, die aber auch weit, weit zurückhaltender und beherrschter waren.

»Ich komme mir vor wie in einem schwimmenden Gefängnis,« sagte sie. »Diese Unmöglichkeit, sich frei zu bewegen! Ueberall stößt man auf Menschen, die einem den Weg versperren, ohne daß man die Möglichkeit hat, davonzulaufen. Ich empfinde das Schiff wie eine einzige große Zelle und fühle immer das Bedürfnis, auszubrechen. Wissen Sie, daß ich Tag und Nacht das Gefühl habe, ich möchte davonlaufen, frei sein und – da es eine andre Freiheit ja nicht gibt – ins Meer springen?«

Aber die männlichen Passagiere verstanden sie nicht oder wollten sie nicht verstehen. Nicht nur, daß sie ihr auf Schritt und Tritt folgten und selbst den Damensalon als Zufluchtsort nicht respektierten – darüber hinaus schien stillschweigend unter ihnen ein Concours um diese Frau vereinbart. Jedenfalls wurden unter den Djojo nicht freundlich gesinnten weiblichen Passagieren Wetten gelegt. Es gab Favoriten und Außenseiter, und fast an jedem Morgen hieß es, daß einer der Favoriten das Ziel erreicht habe, bis der wachsame Obersteward sich dafür verbürgte, daß Djojo auch diesmal wieder jede Offensive siegreich abgeschlagen habe. Schließlich aber beschwerte sich Djojo bei dem Kapitän.

»Es ist nicht meine Art, fremde Hilfe in Anspruch zu nehmen – Männern gegenüber schon gar nicht. Aber ich möchte in Ihrem Interesse einen Skandal vermeiden. Sonst hätte ich den Einen oder den Andern schon längst verprügelt. Ich habe das bisher nicht getan – schon weil ich den Uebrigen, die nicht besser sind, das Vergnügen nicht gönne.«

Der Kapitän gab sich Mühe, ernst zu bleiben.

»Aber Sie haben doch verschiedentlich . . .«

». . . geohrfeigt,« fiel ihm Djojo ins Wort. »Nennen Sie das prügeln? Lassen Sie sich von Mister Dieferle erzählen, wie ein Mann aussieht, den ich zwischen meinen Händen hatte.«

»Man sieht es Ihnen nicht an,« erwiderte der Kapitän und benutzte die Gelegenheit, Djojos Hände zu fassen und zu betrachten. »Sie sind klein, weiß, schmal und gepflegt.«

»Aber kräftig!« sagte Djojo und entzog ihm die Hände mit einem gewaltigen Ruck. »Ich bitte Sie also im Interesse der Ruhe auf dem Schiff dafür zu sorgen, daß ich unbelästigt bleibe. Ich wehre mich von heute ab und garantiere Ihnen, daß ich jeden männlichen Passagier, der sich zwischen elf Uhr abends und acht Uhr früh an meiner Kabinentür sehen läßt, so zurichte, daß er bei seiner Ankunft in Triest mit einer Tragbahre an Land gebracht werden muß.«

Die Folge dieses Protestes war ein Anschlag an die Tür des Speisesaals folgenden Wortlauts:

»An die Herren Passagiere!

Eine Dame der ersten Klasse führt Beschwerde über das aufdringliche Benehmen mehrerer Passagiere der gleichen Klasse. Sollte ab heute eine derartige Beschwerde von mir als berechtigt befunden werden, so hat der betreffende Passagier zu gewärtigen, daß ich ihn auf Grund meiner Rechte am nächsten Hafen an Land setze und von der Weiterreise ausschließe.

Der Kapitän.«

»Bravo!« riefen die Herren, denen es galt, als sie den Anschlag lasen, und die Damen tuschelten:

»Sie macht sich wichtig! Man hofiert sie noch nicht genug.«

Ein Passagier nach dem andern erbot sich, Djojo gegen jede Aufdringlichkeit zu schützen. Jedem sagte sie:

»Ja haben Sie denn nicht gemerkt, daß gerade Sie damit gemeint sind?«

Sie beteuerten der Reihe nach, daß es sich für sie um keine der üblichen Eskapaden handle, daß sie hofften, bis Genua, ja vielleicht schon in Port Said oder Colombo, sie von dem Ernst ihrer Absichten überzeugt zu haben – sie stellten den Augenblick, wo sie vor sie hintreten und um ihre Hand anhalten würden, so überzeugend in Aussicht – auch dann noch, als Djojo ihnen zuredete und meinte:

»Wenn wir die Sonne Indiens hinter uns haben, werden sich Ihre Gefühle abkühlen,« – daß sie schließlich zum Selbstschutz griff, sie alle zusammenrief, den erstaunten Dieferle bei der Hand nahm und erklärte:

»Meine lieben Freunde! Ich habe mich soeben mit dem Privatsekretär meines Vaters, Herrn Dieferle aus Medan, verlobt.«

Dieferle wankte in den Knien. Aber auch die Passagiere, die ihre Hoffnungen auf dem Meere in der Richtung Sumatra hin fortschwimmen sahen, erblaßten. Sie verstummten zum ersten Male, und als Djojo ihnen zurief: »Wollen Sie mir denn nicht gratulieren?«, nickten sie nur mit den Köpfen – ein paar Beherzte sagten: »Gewiß! Gewiß!« – dann verbeugten sie sich und zogen sich in ihre Kabinen zurück.

Dieferle wuchs neben Djojo empor. Er schien sie jetzt um Haupteslänge zu überragen. Seine Augen glänzten und der Charakter des Halfkast trat noch deutlicher hervor:

»Djojo!« rief er. »Ist es denn wahr? Du willst. . .«

Djojo lächelte, strich mit ihrer weißen Hand über sein welliges Haar und sagte:

»Sie lieber Idiot! Das gilt natürlich nur für die Dauer der Seefahrt.«

Dieferle sank wieder zusammen. Der Glanz aus seinen Augen schwand.

»Schade!« flüsterte er vor sich hin. Dann flackerten die Augen noch einmal auf: »Aber bis Triest, da darf ich . . . ?« fragte er hoffnungsvoll.

»Mir gelegentlich die Hand küssen. Aber nur in Gegenwart von andern und höchstens zweimal am Tage.«

»Ich bin Mohammed für alles dankbar,« erwiderte Dieferle, – und da in diesem Augenblick gerade ein paar Passagiere vorüberkamen, so schloß er die Augen, nahm Djojos Hand und führte sie zum Munde.

Djojo lächelte allerliebst – die Damen rissen die Augen auf, und als sie ein paar Schritte weiter waren, sagten sie:

»Unerhört, diese Person! Man sollte zum Kapitän gehen und sich beschweren.«

»Sumatra!« erwiderte die Andere. »Sie ist gewöhnt, sich unter Wilden zu bewegen.«


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