Artur Landsberger
Liebe und Bananen
Artur Landsberger

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Achtzehntes Kapitel.

Pina erblaßte. – »Nach Sibirien kommen!« wiederholte sie. – Ja, gab es das denn? – Wenn man sie nach Rußland abschob? – Die unendlichen Schneewüsten Sibiriens, Verbrecher in Ketten, Kerker groß wie eine Hundehütte, Peitschenhiebe, Galeerenarbeit, madiges Fleisch und trockenes Brot – tausend Meter Film sah sie vor ihren Augen sich abrollen. – Ihr wurde schwach vor den Augen. Sie lag in einem dunklen Kerker, zusammengekauert vor Kälte, auf nassem Stroh, mit erfrorenen Händen und durchfurchtem Gesicht. – Draußen aber schien die Sonne, junge Menschen huschten vorüber, lachten und taten verliebt.

Pina bekam Furcht vor sich selbst. In was für ein Abenteuer hatte sie sich gestürzt? Sich selbst beschuldigt! Die Polizei auf sich gehetzt! – Da half kein Widerruf! Wer würde ihr glauben?

Und das Gegenteil ließ sich nicht beweisen.

Sie stand noch auf dem Hotelflur, als ein junges Mädchen von Garis Sons mit den Kleidern für Djojo die Treppe hinaufstieg.

»Marianne!« rief Pina, als sie sie sah – froh, einem Menschen zu begegnen, der sie kannte.

Das Mädchen blieb stehen, sah sie erstaunt an und sagte:

»Gnädige Frau?«

»Du kennst mich nicht?«

»Wer sind Sie?«

»Pina!«

»Du? – Ja, jetzt merke ich es – an der Stimme – und den Augen. – Was hast du mit deinen Haaren gemacht? – und der Nase?«

»Nase?« – Pina faßte sich ins Gesicht. »Das ist doch dieselbe – sie sieht nur anders aus unter dem Haar.«

»Schön siehst du aus! Wie eine richtige Dame – aber von weit her.«

»Die Polizei sucht mich.«

»Sie wird dich so nicht erkennen.«

»Vielleicht nicht als Pina Jeff.«

»Als wen denn?«

»Ich weiß ja selbst nicht, wer ich bin. Ich wünschte, ich wäre irgendein unbekanntes Mannequin.«

»Du bist berühmt! Alle fragen nach dir.«

»Was habe ich davon, wenn ich als Gefangene in Sibirien bin.«

»In Sibirien?«

»Rette mich!«

»Wie kann ich das?«

»Wem bringst du die Kleider?«

»Einer Freundin der Gräfin Olga von Tschochenska.«

»Laß mich zu ihr gehen.«

»Wenn du willst. – Ich warte gern.«

Pina nahm ihr den Karton ab, fragte nach der Zimmernummer und klopfte an die Tür von Djojo.

Die war gerade kurz vorher in das Hotel zurückgekehrt. Eine telephonische Bestellung wurde ihr vom Portier ausgerichtet: Herr Harry Sülstorff würde sich in einer Stunde erlauben, ihr seine Aufwartung zu machen.

Der Zweck ihrer weiten Reise war der Erfüllung nahe. Sie wunderte sich über sich selbst – wie ruhig sie war. Sie überlegte eben, wie sie ihn empfangen sollte, als Pina an die Tür klopfte, und auf ihr »herein!« ins Zimmer trat.

»Ich komme von Garis Sons,« sagte Pina bescheiden, »und bringe die Kleider.«

»Bitte, packen Sie aus.«

Während Pina den Karton leerte, ging Djojo unruhig im Zimmer umher. Sie überlegte, wie sie Harry entgegentreten sollte.

»Kennen Sie zufällig den Tennismeister Harry Sülstorff?« fragte Djojo.

»Den schönen Harry? – Ja! von Bildern her.«

»Sonst wissen Sie nichts von ihm?«

»Mein Vater hat geschäftlich mit ihm zu tun. Das heißt mit Sülstorff Söhne Hamburg. Er bezieht die Bananen von ihm. Ich glaube aber, der schöne Harry kümmert sich nicht viel um das Geschäft.«

»Mit Bananen handeln Sie? Wie ulkig!«

»Ich nicht,« erwiderte Pina gekränkt.

»Verzeihung! Ich sehe, Sie sind Mannequin – und zwar ein außergewöhnlich charmantes.«

Pina lächelte, machte einen Knix und sagte:

»Danke, gnädige Frau.«

»Wie nett und unverdorben!«

»Ich bin nicht so harmlos, wie gnädige Frau . . . ?«

»Fräulein – aber das ist ja gleich.«

»Fräulein glauben,« beendete Pina ihren Satz.

»Jedes Mädchen in Europa hat ihren Freund, wie man mir erzählt.«

»Wenn es das nur wäre! – Ach! ich bin ja so unglücklich!«

»Verliebt also?«

»Das auch – aber nur nebenbei.«

Djojo begann, Interesse an diesem nicht alltäglichen Mannequin zu nehmen. Sie lud sie ein, sich zu setzen und sagte:

»Und nun schütten Sie mir Ihr Herz aus.«

»Das gnädige Fräulein wissen ja doch . . .«

»Ich? – Nichts weiß ich. Ich bin vor ein paar Stunden in Berlin angekommen.«

»Sie haben doch eine Freundin.«

»Nicht einen Menschen kenne ich in Berlin.«

»Mir dürfen Sie's gestehen. Ich weiß alles.«

»Sie verwechseln mich. Ich bin Djojo Olem aus Sumatra und kenne nur Harry – und auch den nur dem Bilde nach.«

»Und die Komteß Olga von Tschochenska?«

»Richtig! auf die bezog ich mich beim Modisten. – Existiert sie überhaupt?«

Pina stand auf, trat dicht an Djojo heran und flüsterte ihr zu:

»Ich gehöre dazu.«

»Zu der Komteß?«

»Ja! – also auch zu Ihnen.«

»Das klingt ja ganz geheimnisvoll. – Kann man diese Gräfin denn nicht einmal kennen lernen?«

»Sie hat mich benutzt.«

»Was hat sie getan?«

»Mich vor ihren politischen Wagen gespannt,« erklärte Pina mit Pathos und begann bereits wieder, sich in ihre konfusen Gedankengänge hineinzureden.

»Diese Komteß fängt an, mich zu interessieren.« sagte Djojo, nahm den Hörer ab und verlangte mit ihr verbunden zu werden.

»Großer Gott!« sagte Pina – wagte aber nicht von der Verhaftung zu sprechen.

»Einen Augenblick! Ich verbinde Sie mit der Direktion.«

»Ich will die Gräfin, nicht die Direktion!« rief Djojo ungeduldig in den Apparat. Aber schon war die Direktion zur Stelle.

»Die Gräfin ist vor einer Stunde abgereist.«

»Wohin?« fragte Djojo.

»Unbekannt.«

»Auf wie lange?«

»Auch das ist unbestimmt. – Wer ist denn dort?«

»Miß Olem.«

»Sie sind mit der Komteß befreundet?«

»Interessiert Sie das?«

»Mich nicht, aber vermutlich die Polizei.«

»Was reden Sie da für dummes Zeug!«

»Sehen Sie sich vor! Auch vor diesem verkappten Mannequin, das sich in Ihrem Zimmer aufhält und das in Wahrheit eine gefährliche und von der Polizei gesuchte politische Agentin ist.«

»Bei euch in Europa scheinen ja nette Zustände zu herrschen,« sagte Djojo, hing den Hörer an und wandte sich wieder an Pina: »Also Sie sind kein Mannequin, sondern eine politische Agentin.«

Pina fing an, laut zu schluchzen und rief:

»Das hat die Komteß, Ihre Freundin, aus mir gemacht!«

»Und Ihr politisches Ziel?«

»Ich weiß es nicht – aber ich glaube, Moskau – weil die Komteß doch eine Russin ist.«

»Aus Ueberzeugung scheinen Sie also nicht bei der Sache zu sein.«

»Ich hatte gehofft, berühmt zu werden. Hätte ich gewußt, daß man dabei so viel auszustehen hat, wäre ich Mannequin geblieben.«

»Haben Sie denn keinen Menschen, der Ihnen raten kann?«

»Einen Kellner und Baron – aber der ist auch Russe – und die Gräfin ist hinter ihm her.«

»Wenn Sie ein bißchen weniger hübsch und dafür eine Kleinigkeit gescheiter wären, ginge es Ihnen vermutlich besser.«

»Helfen Sie mir, bitte! Ich habe solche Furcht vor Sibirien.«

Djojo überlegte und erwiderte:

»Von Politik verstehe ich nichts. Aber diese Komteß interessiert mich wirklich. Und Sie nicht minder. So ein politischer Skandal, das ist am Ende eine ganz amüsante Hetz.«

In diesem Augenblick läutete das Telephon.

»Großer Gott!« rief Pina. »Sie kommen!« – Sie flüchtete in eine Ecke des Zimmers.

Als sich Djojo am Apparat meldete, sagte jemand kurz und energisch:

»Pina Jeff hält sich bei Ihnen auf.«

»Wer soll das sein?«

»Ein schwarzer Mannequin – schlank, bleich.«

»I Gott bewahre.«

»Der Hoteldirektor hat es festgestellt.«

»Sie ist längst fort.«

Pina rief so laut, daß man es durch den Apparat hörte:

»Ich sterbe vor Angst«, woraufhin der Mann am Telephon fragte:

»Mit wem sprechen Sie denn da?«

»Mit meiner Zofe!«

Djojo hörte noch, wie er den Befehl gab, die Hotelausgänge zu besetzen, dann hing sie den Hörer an und sagte:

»Bei euch in Europa scheint es ja riesig gemütlich zuzugehen.«

»Liefern Sie mich nicht aus!«

»Sie bleiben als meine Zofe bei mir.«

»Wie soll ich Ihnen danken?«

»Keine Redensarten bitte! Dazu ist jetzt keine Zeit! Sie haben sich so zugerichtet, daß man Sie für irgendein exotisches Gewächs halten kann. In meinen Koffern sind Tropenanzüge und Reitkostüme – auch Hosen und Sarongs von meinen Dienerinnen. Richten Sie sich so verrückt wie irgend möglich her. Streichen Sie noch mehr Braun auf. Sie sind Malayin! Sprechen weder deutsch noch englisch – noch sonst eine europäische Sprache – antworten also auf nichts! – Und behalten Sie möglichst diesen dummen Gesichtsausdruck bei. Ich werde den Leuten sagen, daß ein wildes Pony Ihren Kopf als Kind mit seinen Hufen bearbeitet hat. Sie hören auf den Namen Klo.«

Alles, was Pina darauf zu erwidern hatte, war:

»Warum Klo?«

»Sie sollen nicht reden! Keinen Ton will ich von Ihnen hören. Wenn Sie aber durchaus den Mund nicht halten können, dann blabbern Sie irgend etwas Unverständliches. Ich sage dann, es ist ein Jargon, der nur in Nordsumatra gesprochen wird und unerlernbar ist.«

Sie schob die zitternde und verdutzte Pina in ihr Schlafzimmer, öffnete die Koffer, warf ihr einen Haufen Sachen – Hosen, hohe Reitschuhe, Sarong, Kopfputz, Schmuck und Behänge zu und half ihr beim Umziehen.


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