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XXXIII.
Klara an Klairant.

Mit schwacher Hand, Klairant, – Klairant, den ich noch immer liebe! – nehme ich die Feder, Nein, ich will nicht um deine Liebe bitten; – ach, es wäre doch zu spät: der Gram hat die besten Fäden meines Lebens schon zernagt –; ich will dir nur, ehe ich sterbe, Lebewohl sagen. Meine Eltern sind unglüklich geworden, und deine treue, deine ehemals geliebte Klara auch. Wir flohen von Koblenz, wie ich dir geschrieben habe. Es war mein größtes Elend, daß ich keine Antwort von dir bekam; aber, ach, noch größer wurde es, als die Rosiere mir schrieb, du hättest so viele Geschäfte, daß dir keine Zeit zu einem Briefe an mich übrig bliebe.

Endlich, als Touai mir sagte, du habest deine Treue gebrochen – Klairant, da zerbrach mein Leben mit deiner Treue, mit meinem Herzen, mit meiner lezten einzigen Hoffnung, ach, mit meiner ganzen Seele. Das Andre, was nun noch kommen sollte, vielleicht noch kommt – ach, Klairant! wenn ich es überlege, so sind es doch nur Kleinigkeiten, die ich mit Thränen bezahlt haben würde.

Touai reiste ab, und wir wurden mit jedem Tage ärmer. Mein Vater mußte zulezt eine Börse mit Geld angreifen, die meine Lucie mir gegeben hatte. Ich arbeitete heimlich, so viel ich konnte. Viel war es nicht; aber es freuete mich dennoch. Da kam endlich der unglükliche Tag – Ach, Klairant, ich hätte keine Thränen mehr, es wäre kein Ort in meiner Seele, wo ich noch Schmerzen fühlen könnte; und doch! –

Wir Drei sassen eines Tages einander gegenüber, und seufzten. Ich strikte, und dachte an dich – ach! wie es möglich gewesen wäre, daß du deiner Klara hättest untreu werden können. Da pochte es an unser Stübchen, und ein Bursche brachte meinem Vater ein Billet. Er las, wurde ängstlich, und gieng hinaus. Wir hörten einen lauten Schrei. Meine Mutter eilte ihm nach, und ich folgte ihr. Da stand – ach, Klairant! es muß doch eine Ewigkeit geben, in der du mich wieder lieben wirst, und in der meine Mutter ihre Kinder glüklich sieht! – da stand mein Bruder, in einem zerrissenen Roke, ohne Strümpfe, ohne Hut, bleich, gelb, mit hohlen Augen, blauen Lippen, zitternd vor Frost, mit niedergeschlagenen Bliken. Meine Mutter war zu Boden gesunken. Ich fiel neben ihr nieder zur Erde, und verbarg mein Gesicht in ihren Schooß. Ach! herzlicher hat noch niemand um Leben gebetet, als ich jezt um den Tod.

Mein Vater weinte laut. Sein Schluchzen, das ich noch nie gehört hatte, zerschnitt meine Seele. Wäre Touai da gewesen – ich hätte ihn auf den Knieen um seine Hand gebeten. Ach, ich sprang auf, stürzte vor meinem Vater nieder, umfaßte seine Kniee, und jammerte laut, um nur sein Weinen nicht mehr zu hören!

*

Klairant, du sollst Mitleiden mit Klaren haben, wenn du auch meine Liebe gänzlich vergessen hast. Ich will weiter erzählen. Meine Mutter lag am Boden; mein Bruder – ach, die schrekliche Gestalt! frierend, entsezlich zitternd, daß man das Klappern der Zähne hörte! – er stand auf einer Stelle da, ohne das Auge zu erheben. Ich schleppte mich auf den Knieen zu ihm, und jammerte: »armer Bruder!« Da besann er sich, und sagte in langen Absäzen: »ich wollte euch – noch einmal – sehen – ehe ich sterbe!« Jezt sah er unsere Mutter. Er sank an ihrer Seite auf die Kniee, küßte ihre Hand, und fragte mich: »wann ist sie gestorben?« Klairant, das alles war so schreklich, daß ich es nicht länger ertragen konnte. Ich sprang in das Zimmer, fiel da vor einem Krucifixe nieder, und rief: »o erbarme dich, und nimm mir meinen Verstand!« Als ich so da lag, war es mir, als ob ich die Besinnung verlöre. Nun brachten sie meine Mutter in das Zimmer, und auf ihr Bett. Mein Vater befahl mir, dem Bruder Wäsche und Kleidung von ihm zu geben; ich hörte aber nichts, und er gab sie ihm selbst.

Meine Mutter kam wieder zu sich, als mein Bruder schon angekleidet war. Er und mein Vater lächelten, um sie zu täuschen. Ich mußte fortgehen; denn ich würde jezt nicht haben lächeln können, und wenn mir auch jemand gesagt hätte, daß du mich noch liebtest.

Nun erzählte mein Bruder sein Schiksal. Ach, Klairant! wir hatten dagegen gar nichts gelitten, und meine Mutter durfte davon nichts erfahren, weil sie gewiß auf der Stelle gestorben wäre. Nun sassen wir da und überlegten, wie es werden sollte. Ach, Klairant, unser Elend ist unbeschreiblich groß. Lucie hat mir schon öfters Geld geschikt. Wir wären verhungert, wenn wir nicht ein Paarmal etwas von unbekannter Hand bekommen hätten. Mein Vater nahm es, so viel Ueberwindung es ihm auch kostete.

Ach, sogar das lezte Andenken von dir habe ich aufopfern müssen. Ich benezte den Ring erst lange mit heißen Thränen, ehe ich ihn hingab, um meiner Mutter einen Wagen zu verschaffen, daß sie nicht zu gehen brauchte. Wir haben wieder eine kleine Summe Geld bekommen, ich glaube von meiner Lucie in Koblenz. Das Geld war in ein Papier gewikelt, auf dem einige Worte stehen; ich wollte schwören, daß ihre wohlthätige Hand diese Worte geschrieben hat. Davon wurde mein Bruder ausgestattet, und er ist nun am Rhein bei Condé. Als er gieng, Klairant, erzählte er mir von dir, mit Thränen in den Augen: wie du ihm, als er fast eben so elend gekleidet gewesen ist – wie du ihm dein einziges Paar Schuhe gegeben, deine Wäsche mit ihm getheilt, ihm Geld aufgedrungen, und an seinem Halse geweint, gejammert hast. Klairant, an dieser zärtlichen Empfindung, an diesem schönen Mitleiden, erkannte ich dich.

Da rede ich mit dir, Klairant, als ob, als ob – o Gott! ich kann es nicht aufschreiben! Klairant, wie oft hat mein Herz dich vertheidigt! wie oft dich unschuldig genannt! Und doch – dein Schweigen – Mein Bruder selbst will nicht mit der Sprache heraus. Zuweilen fürchte ich, daß du sehr unglüklich bist, und daß man es mir verbirgt, damit ich dich lieber für untreu halten soll. Nein, sei mir lieber untreu, als – unglüklich? ach nein, nein, Klairant!

Da will ich meine lange Verzweiflung noch einmal mit einem süßen Wahne besänftigen! Wie es auch sei – bist du unschuldig, Klairant, so mußt du unglüklicher seyn als ich; und bist du mir untreu, so – Dieser Brief soll dich an nichts erinnern, nicht an deine Schwüre, nicht einmal an das Elend, in welches Klara versunken ist.

Ich habe schon oft an dich geschrieben. Während des Schreibens fühle ich mich zuweilen ruhig; denn wenn meine Hand den Namen »Klairant« mahlt, so täuscht sich meine Seele oft mit dem Traume voriger Zeiten. Ich habe die Briefe wieder zerrissen, und auch dieser hat vielleicht dasselbe Schiksal. Bist du unschuldig, so würde er dich sehr unglüklich machen, und bist du es nicht – – O Klairant, Klairant, ich habe dich zu lieb, um die Schuld auf dein Herz zu laden, daß du meinen Brief mit einer spottenden Miene läsest. Sieh, so schreib' ich, um mich zu täuschen, zu trösten, und zerreisse die Briefe wieder, um dich nicht unglüklicher zu machen.

Ich will dir nur Lebewohl sagen, Klairant. Wir gehen von hier nach Heidelberg; und wohin dann weiter, wissen wir noch nicht. Ich size hier in Weinheim, in einem elenden Stübchen, und schreibe. Sieh, wie ich an dich erinnert wurde. Hier gerade am Wirthshause über einen Bach hinüber, und an demselben hin, führt ein Weg in den Odenwald: nach der Beschreibung des Wirths die rauheste, unbesuchteste, wildeste Gegend in ganz Deutschland. Ich gieng ein halbes Stündchen in das Gebirge hinaus. Der Weg führte ununterbrochen auf Fels, immer längs dem Bache, in den diken Wald. Endlich sezte ich mich ermüdet auf einen Stein. Die ganze Gegend um mich her war todt; überall sah ich mich von Felsen und Gebirgen eingeschlossen. O, sagte ich, könnte ich durch unergründliche Schlünde um mich her die ganze Welt von mir absondern! könnte ich allein ... – Bei dem Worte »allein« brachte mein schwaches Herz mir dein Bild vor die Augen. Ich verlor mich in jene süßen Träume, die ehemals mein Glük waren, und deren Wirklichkeit ich mit so vieler Gewißheit hoffte. Ach, noch heute machten sie mich glüklich, Klairant, denn was wäre der Liebe nicht möglich zu glauben! »Er ist unschuldig!« sagte mein Herz; »er hatte Geschäfte; seine Briefe giengen verloren; er suchte dich; er hat deine Briefe nicht bekommen!« Ich vergoß Freudenthränen über mein Gefühl, worin der Schmerz doch Einmal nicht die Hauptempfindung war.

Jezt, da ich zu Hause bin, ist es wieder verschwunden; ich bin wieder die verlassene Unglückliche, die getäuschte Liebende. O, ich möchte auch diesen Brief zerreissen!

*

Nein, Klairant! du sollst ihn haben. Er enthält meinen Abschied von dir, mein Lebewohl auf immer. Auf immer? Nein, es kommt eine Zeit, wo das Unglük endet, wo das wankelmüthige Herz treu ist, und das gebrochene verzeihen lernt. Ja, ich wünschte, die ganze Welt hätte mich beleidigt, damit ich die Freude hätte, ihr verzeihen zu können. Daß ich dir, Klairant, dir, mein Elend zu verzeihen habe, nur das thut mir weh. Ach, wenn man so bleich ist, so matt, so sanft wie ich, dann ist Verzeihen nicht schwer. Der Tod besänftigt alle Leidenschaften, nur die Liebe nicht; denn die fühlt mein Herz dann am meisten, wenn es brechen will. So lebe denn wohl, Klairant! Ich gebe diesem Briefe meinen Segen, meinen Abschiedskuß mit. Von nun an sollst du nichts wieder von mir hören, doch mein lezter Seufzer wird noch deinen Nahmen nennen.

Der hiesige Postmeister hat meinen Thränen versprochen, diesen Brief auf jeden Fall in deine Hände zu schaffen. »Glauben Sie mir,« sagte ich ihm mit weinenden Augen, als ich ihn fragte, ob er meinen Wunsch erfüllen könnte – »glauben Sie mir, an diesem Briefe hängt mein Leben, die lezte ruhige Minute eines Menschen.« Er schwor mir, ihn in deine Hände zu bringen. Also, Klairant, lebe wohl! Sieh, jezt falte ich meine Hände, und bete.

*

Mein Klairant, lebe wohl! Gott segne dich!

*

Der Postmeister in Weinheim hielt Klarens Thränen Wort, und dieser Brief kam richtig nach Pillon. Klairant war bis dahin in unbeschreiblicher Unruhe gewesen, weil er nicht eine Zeile von Klaren bekam, ob er gleich mehreremal an den Hauswirth des Vicomte in Koblenz geschrieben hatte. Jezt trug er selbst seine Briefe heimlich nach Trier, und nahm auch immer einen Theil seines baaren Geldes mit, um es dort niederzulegen. Aus Koblenz wurde ihm endlich geschrieben: man wüßte nicht, wo die Familie du Plessis wäre. Seine Unruhe stieg mit jedem Tage, und zulezt fieng er sogar an, Klaren der Untreue zu beschuldigen. In stummen Gram, doch bisweilen auch mit Bitterkeit, saß er an dem Bette seines Oheims, der mit jedem Tage schwächer wurde. Schon längst wäre er nach Deutschland geflohen, wenn nicht die Pflicht gegen seinen Wohlthäter ihn gehalten hätte.

Endlich wurde ihm Klarens Brief gebracht. So wie er ihre Handschrift erkannte, schlug seine Brust hoch, und seine Augen füllten sich mit ahnenden Thränen. Gleich die ersten Zeilen schmetterten ihn nieder. Eine Menge von verworrenen Gedanken, Entschlüssen und Gefühlen bestürmten ihn; seine Seele flog schon längst den Weg zu Klaren, als sein Körper noch ohne Bewegung dastand. Er wußte nicht, was er thun sollte; sein einziger Gedanke war, daß er zu Klaren müßte. Ganz mechanisch gieng er in das Zimmer seines Oheims. Der alte Mann hatte kaum einen Blik auf ihn geworfen, so fragte er: »Klairant, was ist dir? Hast du endlich Briefe von Klaren? Was macht sie? wie geht es meinem alten Freunde, dem Vicomte?«

Klairant reichte seinem Oheim den Brief. Dieser sagte lächelnd: »lies mir vor, mein Sohn!« Klairant las schluchzend, unterbrach sich wohl hundertmal mit heftigen Ausrufungen, nannte sich einen Elenden, einen Unmenschen, kniete im Zimmer nieder, und bat den Himmel, Klarens Leben nur so lange zu erhalten, bis er in ihren Armen sterben könne, um sie zu überzeugen, daß er nichts als sie geliebt habe.

Der Prior rief ihn endlich an sein Bett, und sagte bewegt: »gieb mir einen Kuß, mein Sohn!« Klairant beugte sich über den Greis hin, und drükte seinen Mund auf dessen blasse Lippen. »Nun reise,« sagte der Prior; »reise mit Gott! Ich kann allein sterben, und es ist möglich, daß du Klaren noch rettest!« Kaum hatte Klairant diese Worte gehört, so rief er mit Heftigkeit: ja, retten! Klaren retten! – Sein Oheim strekte die Arme nach ihm aus, und sagte: »Klairant, leb wohl! wir sehen uns nicht wieder!« Klairant lächelte schmerzlich, sank in des Greises Arme, riß sich dann los, und eilte nach Chatillon. Hier grub er im Garten das Vermögen seines Oheims aus, und so, mit Gold beladen, war er schon am folgenden Morgen über der Gränze. In Trier nahm er den Rest seines Eigenthums zu sich, und adressirte es nach Heidelberg, an sich selbst. Dann gieng er den kürzeren Weg über den Hundsrük nach Mannheim zu. Die Leidenschaft gab seinem Körper übermässige Kräfte; er lief mehr, als er gieng, und hatte in kurzer Zeit einen weiten Weg zurükgelegt. Man hätte ihn für wahnsinnig halten können: so starrten seine Augen vorwärts. Er dankte nicht, wenn er gegrüßt wurde, und sah die Vorübergehenden nicht. Endlich war, unweit Lautern, seine Kraft erschöpft. An der Hütte eines Wildhüters Garde de gibier. , mitten im Walde, nahe bei der alten verfallenen Burg Hohenek, sank er nieder. Er suchte vergebens sich aufzurichten, und rief mit ängstlichen Tone: Klara! Klara! meine Geliebte!

Auf dies Geschrei kam der Wildhüter aus der Hütte hervor, und sah den Wanderer einige Augenblike an. »Mich durstet!« sagte Klairant; und der Mann brachte ihm einen Trunk Wasser. Er trank, und fühlte erst jezt die Erschöpfung aller seiner Kräfte. Mit Hülfe des Wildhüters kam er in die Hütte, sank auf ein Strohlager nieder, und war schon nach einigen Minuten in festem Schlafe. Als er erwachte, klagte er über Schmerzen in den Füßen. Der alte wusch sie ihm, und erzählte dabei, wer er wäre, und wie die Franzosen die Fenster seiner Hütte, sein ganzes Hausgeräth zerschlagen, und ihn selbst gemißhandelt hätten, weil er ihnen keine Lebensmittel habe schaffen können. »Wo sollt' ich sie hernehmen?« sagte er. »Ich wohne hier im Walde, ganz von allen Menschen abgelegen. Was ich brauche, muß ich mir in den benachbarten Dörfern einkaufen.« Klairant gab, um den Unfug seiner Landsleute wieder gut zu machen, dem Manne zwei Laubthaler. Nun wurde dieser noch gesprächiger, und erzählte seine Familiengeschichte, den Tod seiner Frau. – Ich hatte sie, fuhr er fort, sehr lieb; und darum wohne ich hier gern, abgesondert von allen Menschen. Hier kann man recht nach Lust traurig seyn.

»Abgesondert von allen Menschen!« wiederholte Klairant. »Hier sollte ich wohnen!« – Von Herzen gern! sagte der Alte. Ich bin den Tag über selten zu Hause, und des Nachts kann ich in dem Kämmerchen hinten schlafen; so hat Herr das ganze Häuschen für sich. – Sehr natürlich fiel Klairant auf die ehemaligen Vorstellungen, mit Klaren von allen Menschen entfernt zu leben. Er besah die Hütte, und versprach, dem Alten bald Nachricht zu bringen, ob er hier wohnen wolle, oder nicht. »Find' ich meine Frau,« sagte er, »dann komme ich zurük, und lebe mit ihm bis an seinen Tod.« Er gieng nach Lautern, und von da durch die schönen Thäler in die Rheinebenen auf Mannheim zu. Hier nahm er Postpferde nach Weinheim. Der Postmeister besann sich vergebens auf »das schönste Mädchen der Welt« (wie Klairant seine Geliebte nannte), »das ihn weinend einen Brief zu besorgen gebeten habe.« Aber im Wirthshause am Ende des Ortes erinnerte sich die junge Frau der unglüklichen Klara desto genauer. Sie erzählte Klairant eine ganze Stunde von dem schönen, blassen, sanften Mädchen. So wie sie gehört hätte, sagte sie, wäre die Familie nach Heidelberg gereist, um dort einige Zeit zu bleiben. Der alte Herr wollte auf Nachrichten von seinem Bruder in England warten. Die Frau nannte auch das Wirthshaus, das sie der Familie, als das wohlfeilste in Heidelberg, empfohlen hätte. Klairant mußte die Nacht in Weinheim bleiben, und ließ sich auf ein Zimmer führen. Hier in diesem Bette, sagte die Wirthin, hat das arme Mädchen, von dem Sie reden, gelegen; geschlafen wohl nicht, sondern geweint: sie hatte noch am folgenden Morgen Thränen in den Augen. – Auch Klairant konnte nicht eine Minute schlafen; auch er benezte das Kopfküssen mit heissen Thränen. Noch ehe die Sonne aufgegangen war, fuhr er den schönen Weg nach Heidelberg. Aber vergebens schlugen die Nachtigallen in den Gebüschen, mit denen die Berge gekränzt sind; vergebens schütteten die Fruchtbäume an der Chaussee, unter denen er hin fuhr, ihre Blüthen auf ihn herab. Er hörte, er sah nichts, starrte nur vorwärts nach Heidelberg hin, und fragte nach jeder Minute: »sehen wir es bald?« – Da liegt es! rief der Postillon endlich. Klairant stand in der Chaise auf, und hieng mit starren Bliken an dem alten Schlosse des Kurfürsten von der Pfalz. Nun bog der Wagen um den Berg, und er sah den Nekar, jenseits die Stadt. »O, um Gottes willen!« rief er, als man ihn auf der Brüke wegen des Zolles aufhalten wollte. Er warf ein Stük Geld aus dem Wagen, um nur geschwind weiter zu kommen. – Da! da! sagte der Postillion, und zeigte mit seiner Peitsche auf die Statüe des Kurfürsten, die auf der Brüke steht. – »Wo? wo?« rief Klairant, und wäre beinahe aus dem Wagen gesprungen, weil er glaubte, daß Klara käme. Als der Wagen endlich hielt, bezahlte er, fragte nach dem Gasthause, wo der Vicomte logiren sollte, und eilte dahin. Er stürzte ganz athemlos in das Haus, und konnte erst nach einigen Minuten sprechen. Der Vicomte und seine Familie wohnten noch da; aber sie waren nicht zu Hause. – »Wo sind sie?« – Spazieren gegangen, auf den Wolfsbrunnen. – »Wie komme ich dahin? – An dem Nekar hinauf, die Strasse links, dann gerade fort. – Er eilte sogleich den bezeichneten Weg.

Oben aus Heidelberg, am linken Ufer des Nekar, geht ein Weg am Gebirge hin zum Wolfsbrunnen. Dann wendet er sich rechts in das Gebirge, läuft in verschlungenen Thälern, in Gebüsch, um Berge hin, aufwärts, und führt endlich zu dem lieblichsten aller Thäler in ganz Deutschland. Man steigt unmerklich in die Höhe, geht eine Hütte vorüber, kommt an einige Terrassen, zu denen steinerne Stufen führen, und endlich auf die lezte Terrasse, wo die Quelle, welche der Wolfsbrunnen genannt wird, aus einem Felsen hervorsprudelt. Die Seite ist mit einer Mauer eingefaßt, und aus ihr sind drei Linden hervorgewachsen, die über den freien gepflasterten Plaz herüberhangen. In der Mitte steht eine ungeheure Linde, mit weit umher verbreiteten Zweigen. Das Laubdach dieser vier Linden ist so dicht, daß kein Sonnenstrahl sich durchstehlen kann, und giebt eine so angenehme, so erfrischende Kühle, daß niemand dieses heimliche vertraute Pläzchen betritt, ohne entzükt zu werden. Noch lieblicher wird der Plaz durch einige ausgemauerte Bassins, in welche die Quelle ihr Krystall-Wasser gießt, und worin Hunderte von Forellen spielen. Die ältesten Dichter haben diese Quelle und die schattenreiche Linde besungen, und das Volk weiß davon sehr liebliche Mährchen zu erzählen.

Zu diesem Thale eilte Klairant. Er gieng den Weg längs dem Flusse; und ein Mädchen, das ihm begegnete, zeigte ihm den Fußpfad, welcher zu der Quelle führt. Als er durch das Gebüsch höher hinaufkam, suchte sein Auge umher, und fand nichts. Er lief zu einer Hütte, und die darin befindliche Frau zeigte aufwärts. Nun eilte er die Stufen hinan, und sah am Bassin – Klaren, die ein Stükchen Milchbrod, ihr Frühstük, mit den Forellen theilte. Sie hörte Jemanden die Stufen heraufstürzen, sah sich um, und rief mit einer zerschmetternden Stimme, mit ausgebreiteten Armen: »Klairant!« – »Klara!« rief er, eilte auf sie zu, und warf sich sprachlos, schluchzend, vor ihr nieder. Sie sank schweigend in seinen Armen immer tiefer, und endlich ihm gegenüber auf die Kniee. Es rollten Thränen aus ihren erloschenen Augen die blassen Wangen herunter. Sie hatte ihn mit beiden Armen umfaßt, und sah ihn an, lächelnd, traurig, entzükt, verzweiflungsvoll. Alle Leidenschaften jagten einander auf ihrem Gesichte. »Klairant,« flisterte sie; »bist du endlich da?« In ihrem Tone war ein halber Vorwurf, den aber ihr sanftes Lächeln wieder zurüknahm.

Jezt näherte sich der Vicomte langsam, mit bittrem Unmuth in den Mienen, mit tief niedergezogenen Augenbraunen. Im ersten Aufwallen wollte er Klairant für seine Verwegenheit bestrafen; aber sein Unglük hatte ihm den Muth, wenn auch nicht den Stolz auf seinen Rang, genommen. Er sah einige Augenblike den Liebenden schweigend zu; dann gieng er auf Klairant los, und zwang sich, seinen Unwillen zu verbergen. Sieh da, Klairant, sagte er mit zweideutiger Stimme: – wie treffen wir uns hier? Klairant war ganz in das Anschauen der Thränen, die über Klarens blasse Wangen herabflossen, verloren, und hörte den Vicomte nicht. Klara! sagte er von Zeit zu Zeit, mit der zärtlichsten, rührendsten Stimme. Aber der stolze Vicomte blieb ungerührt. Er faßte Klairant bei der Schulter, schüttelte ihn heftig, und wiederholte seine Frage. Jezt wendete Klairant sich um, erblikte den Vicomte, sprang auf, zog auch Klaren in die Höhe, und stellte sich vor sie. Er sagte, auf seine Geliebte zeigend, zwar mit gemäßigter Stimme, aber doch fest: »dahin hat es Ihre Grausamkeit gebracht! Aber von jezt an, bei dem ewigen Gott! ist sie mein.« Er umfaßte Klaren mit dem einen Arm, und hielt den andern, halb drohend, dem Vicomte entgegen. »Wagen Sie es nicht, Hand an das Mädchen zu legen; Sie hätten es sonst mit mir zu thun, mit der entschiedensten Verzweiflung! Mein Leben ist mir nichts werth, gar nichts, nicht das Sandkorn, das mein Fuß tritt. Hier, wo unmenschliche Geseze für Sie sprechen, hier, oder vor den Augen aller Fürsten, überall, schlag ich meinen Arm um diesen leidenden Engel, den Ihr barbarischer Stolz hingerichtet hat; und, wehe dem, der es wagen wollte, mich von ihr weg zu reissen! Sie ist mein! Klara, du bist mein!« – Dieser feste, entschlossene Ton brachte den Vicomte aus aller Fassung.

Klara lehnte jezt ihren Kopf sanft auf Klairants Schulter, und sagte: »o Gott, Klairant! du liebst mich noch? du bist mir treu gewesen?« – Er lächelte: hast du wirklich daran gezweifelt? ... Sieh, Klara, grausame Menschen haben unsere Briefe aufgefangen, weil sie uns trennen wollten. Deinen lezten Brief bekam ich endlich. Nun bin ich hier, dich zu retten, oder mit dir zu sterben.

Jezt näherte sich Klarens Mutter mit sanft benezten Augen. Sie nahm die Hand des Vicomte, und sagte bittend: theurer Mann, laß doch Einen von uns glüklich werden! – Er riß seine Hand los, und gieng den Plaz auf und ab. Klara eilte ihm nach, warf sich vor ihm nieder, und bat ihn rührend um seine Einwilligung. Ihre Mutter faßte zum zweitenmale seine Hand; er riß sich aber wieder los, und rief: nimmermehr sollt ihr mich dahin bringen, in meine Schande zu willigen. Steh auf, Thörin! du knieest vergebens! – Jezt sprang Klairant hinzu, hob Klaren auf, und sagte stolz: »kniee vor Gott, der dir dein Herz gab, und mir den Muth, dich zu besizen. Klara, bist du mein? Hier stehen wir: dort dein Vater, hier ich. Wähle! Bist du mein?« – Klara warf sich in die Arme des Geliebten. Der Vicomte sprang hinzu. Klairant trat ihm entgegen, und sagte: »Jezt, Herr Vicomte, ist sie mein! Klara, sag deiner Mutter Lebewohl!« Klara sank weinend vor ihr nieder. Die Mutter drükte sie an ihr Herz, und sagte leise: geh, mein Kind. Mit dir verliere ich meine lezte Freude; aber geh, und sei glüklich in den Armen eines Mannes, der dich liebt!

Thörichter Mensch, sagte der Vicomte, laut und bitter lachend: wohin willst du gehen? Jedes Gesez nimmt meine Rechte in Schuz; und ich schwöre dir, du Elender, daß ich alles Mögliche thun werde, dich ganz unglüklich zu machen. Ewiges Gefängniß soll die Strafe deiner Unverschämtheit werden! – »Herr Vicomte, zuerst wäre es noch die Frage, ob die Geseze nicht eine Liebe beschüzen würden, welche Jeder billigt, nur Sie nicht, eine Liebe, die Ihre Tochter aus dem Abgrunde des Elendes und der Armuth rettet. Aber, Herr Vicomte, thun Sie, was Sie wollen! Klaren lasse ich nicht anders als todt aus meinen Armen. Soll sie geopfert werden, so will ich sie opfern. Hören Sie, Herr Vicomte, was ich zu thun entschlossen bin. Ich gehe mit Klaren, und vertheidige sie, so lange mein Arm noch Kraft hat; kann ich es nicht länger, so soll ein Stoß in ihre Brust ihr Leben und ihr Elend endigen. Mich schleppe man dann auf das Blutgerüst. Ich werde um weiter nichts bitten, als daß Sie auf Ihre ermordete Tochter, und dann auf mich, wenn ich in Ketten size, einen Blik werfen müssen. Das soll Ihre Strafe seyn! ... Haben Sie mich verstanden?« Der Vicomte gieng in einem heftigen Kampfe mit sich selbst umher. Klairant warf sich vor Klarens Mutter nieder, küßte weinend ihre Hand, sprang dann auf, und faßte Klaren an, um mit ihr wegzugehen. Klara strekte die Hände bittend nach dem Vicomte aus, und rief mit Schluchzen: o, mein Vater!

Mein Fluch begleitet dich, du Elende! rief der Vicomte. – Und mein Segen, liebe Tochter! rief jezt die Mutter in Leidenschaft. Geht, und seid glüklich! Geht meine Kinder! mein Sohn, Klairant! meine Tochter, Klara! geht! – »So bin ich gesegnet, und endlich glüklich!« sagte Klairant, umfaßte seine Geliebte, die noch immer weinend da stand, und führte sie die Stufen hinunter aus dem Thale. Sie gieng stumm, weinend, und mit zögernden Schritten neben ihm her. In dem Schatten eines Baumes blieb er stehen, und sagte: Klara, bereuest du es, mir gefolgt zu seyn? ... Ich will nicht auf Kosten deiner Ruhe glüklich werden. »Klairant,« erwiederte sie: »bereuen? Stürze dich da in den Fluß; ich springe ohne Zögern dir nach, und finde den Himmel in den Wellen. Aber, ach! mein Vater arm, hülflos; meine Mutter ... Beide dem bittersten Mangel ausgesezt. Klairant! und in diesen Umständen soll ich sie verlassen! Das thut mir weh!« – Klairant schloß sie in seine Arme. Klara, wenn das dein Kummer ist, so trokne dein Auge. Ich habe Geld genug, deine Eltern lange vor Noth zu schüzen.

»Nun, so komm, mein Klairant! so komm! Laß uns eilen!« Sie hängte sich in seinen Arm, gieng längs dem Flusse hin, und war nun bald in Heidelberg. Er führte sie in ein Gasthaus am Ende der Stadt, und gieng dann nach der Post, sein Geld zu holen. Die Hälfte, eine sehr beträchtliche Summe, siegelte er ein, legte sie Klaren auf den Schooß, und sagte: für deine Eltern. Jezt überlegte man, wie das Geld in ihre Hände zu schaffen wäre. Klara kam auf den Einfall, es ihrer Mutter selbst zu bringen, um dabei vielleicht etwas von den Absichten ihres Vaters zu erfahren. Klairant kaufte ihr die Kleidung einer Magd, damit sie unerkannt bliebe. So schlich sie Abends an seinem Arme, mit dem schweren Paket Geld in der Schürze, um das Haus her, worin ihre Eltern wohnten. Endlich bemerkte sie die Tochter vom Hause, und sprach einige Worte mit ihr. Nach einigen Minuten giengen Klara und Klairant in das Haus auf ein Hinterstübchen, und fanden da ihre Mutter.

Sie blieben eine Stunde in süsser Rührung mit ihr beisammen. Dann gab Klara ihrer Mutter das Geld. – Klairant, sagte diese weinend: ihr behaltet doch für euch? O, mein Sohn, laß Klaren nicht Noth leiden! – Klairant beruhigte sie über ihre Sorge, und sagte ihr, daß er mit Klaren fürs erste bei Lautern in einer abgelegenen Hütte wohnen wollte, bis die Umstände sich änderten. Dann nahmen alle Drei mit Thränen der Liebe und Wehmuth von einander Abschied. »Schreib mir nicht, mein Kind,« sagte die Mutter noch zulezt: »denn ich fürchte ... Aber fragt ihr zuweilen auf der Post in Lautern nach. Ich werde euch Nachricht geben, wie es uns geht.«

Meine Schwester! sagte Klairant im Gasthofe, und Klara erröthete. Man gab ihr ein besonderes Stübchen. Am folgenden Morgen pakte sie ihre Wäsche ein, welche die Mutter noch am späten Abend geschikt hatte. Sie zeigte sich ihrem Klairant in einem niedlichen Anzuge, halb Bäuerin, halb Städterin. Klairant faßte sie entzükt in seine Arme, und küßte ihre Lippen, die schon jezt wieder anfiengen zu blühen. Nun wollten Beide fort; aber es kam ein Billet, worin Klarens Mutter den Wunsch äusserte, ihre Kinder noch einmal in der Kirche zu sehen. Sie eilten dahin. Nach der Messe führte die Mutter sie in das Haus des Geistlichen, und gab diesem ihre Erlaubniß zur Trauung schriftlich. Er segnete die beiden Liebenden ein, und sie umarmten dann einander und die gütige Mutter mit gerührter Freude. »Nun geht,« sagte die Mutter; »geht, meine Kinder. Was ich nicht zu erleben hoffte, hab ich erlebt; ich bin bei deiner Trauung zugegen gewesen.«

Klairant gieng an der Seite seiner jungen Gattin, mit Augen, aus denen der Himmel strahlte, durch die Stadt, und dann bald, unter zärtlichem Geschwäz und Liebkosungen nach Mannheim, wo der freundliche Maimorgen den Glüklichen in den Armen seiner hold verschämten jungen Gattin erwachen sah. Jezt waren alle ihre Wünsche, alle geheimen Hoffnungen ihrer Herzen, die sie kaum zu denken gewagt hatten, so schön, so gänzlich erfüllt.

Nun giengen sie endlich ihrer Einsamkeit, ihrem von allen Menschen abgesonderten Leben, das sie sich in so vielen Stunden als das schönste auf Erden gedacht hatten, entgegen. Welch eine Reise! Sie sezten sich oft unter blühenden Bäumen, in denen Nachtigallen schlugen. Da sassen sie neben einander mit lächelnden Bliken, Hand in Hand, und Auge in Auge. Sie sahen nur sich, niemanden von denen, die vorübergiengen.

Endlich erreichten sie Lautern. Hier ließ Klairant seine Klara bleiben, und gieng zu seinem Wildhüter, der sich herzlich freuete, ihn wiederzusehen. Er traf mit einigem Gelde in aller Geschwindigkeit die nothwendigsten Einrichtungen, und schon am folgenden Tage führte er seine Geliebte in die neue Wohnung, die ihr ein Tempel des Glükes schien.

Klara bereitete noch diesen Abend eine kleine Mahlzeit, und Beide waren glüklich wie fröhliche Kinder. Mit der süssesten Freude, die nur das befriedigte Herz geben kann, warfen sie sich auf ihr kleines Lager. Sie schlummerten – süsser hat nie ein Glüklicher geschlummert – bis der Gesang der Vögel von den nahen Bäumen sie wekte. Dann giengen sie wieder Hand in Hand, heiterer und schöner als der Frühlingsmorgen, der sie umstrahlte, wie zwei selige Wesen in dem Gefühl ihrer Unschuld und ihres Glükes, eben so glüklich, so unschuldig, wie die ersten Menschen, aber noch zärtlicher, unter dem Laubdache der Bäume umher. Endlich riß Klara sich aus Klairants Armen, trug einen kleinen Tisch aus der Hütte hervor, und sezte das einfache Frühstük auf. Klairant half ihr, betrachtete sie dann mit liebe- und freudetrunknen Bliken, wie sie kam und gieng, noch etwas zu holen, drükte sie an sein Herz, und konnte keine Worte finden, ihr zu sagen, wie glüklich er sich fühlte.

Nach dem Frühstüke trug Klara den Tisch wieder hinein. Beide giengen dann auf das kleine Stükchen Gartenland, das an die Hütte stieß, und gruben ein wenig an einem Bette, das sie mit Erbsen bepflanzen wollten. Klara sann nach, ob sie nichts wüßte, das noch zu ihrer glüklichen Haushaltung gehörte. Nachmittags zündete sie Feuer an, sezte Wasser bei, streifte ihre Aermel bis an die Schultern auf, und wusch ein Paar Tücher für ihren Klairant. Er stand neben ihr, und betrachtete die weissen schönen Arme seiner Klara mit Bliken – mit fröhlicheren kann der geliebteste König seine Huldigung nicht sehen. Er störte sie, Troz ihrem Verbieten, jede Minute, und seine Lippen waren noch geschäftiger, als ihre schönen Arme. So brachten sie den ganzen Tag damit zu, immer neue kleine Arbeiten zu erfinden, die ihnen, weil sie jede mit einander theilten, neue Quellen des Vergnügens, neue Feste der Liebe, wurden. Einen glüklichern Tag können nie zwei Menschen gehabt haben, als heute Klairant und seine Geliebte. Schon lange schlief ihr alter Wirth: da sassen sie noch, horchten auf den Gesang der Nachtigall, und sahen einander die Strahlen der hellsten Sterne in den Augen funkeln; nur die kältere Nacht trieb sie endlich auf ihr ruhiges Lager.

Schon am folgenden Tage besuchte unsre Liebenden die alte verfallene Burg Hohenek auf dem hohen Berge. Mit seelenvollem Vergnügen saß Klara neben Klairant zwischen den zertrümmerten Säulen, oder stand neben ihm am Abhange, und ließ ihre Blike in den nahen Thälern umher schweifen. Dann saß sie wieder mit ihm tief verborgen im Gesträuch, lehnte ihre Wange an seine Brust, und sagte gerührt; »auch hier wohnten vielleicht einmal glükliche Liebende. Warum, mein Klairant, ist alles so vergänglich!«

So verflossen ihnen die Tage unter Freude und Genuß. Sie hätten ihre glükliche Hütte mit keinem Pallaste vertauscht, und begriffen jezt nicht, wie Menschen, wie Gesellschaft Bedürfniß seyn könne. Mit ihren Liebkosungen, ihren Spielen, ihren einfachen Freuden, waren sie einander völlig genug, und fühlten nie, daß ihnen irgend etwas fehlte. »O, wie wenig bedarf der Mensch!« sagte Klara hundertmal; und sie jauchzte, als ein Brief ihrer Mutter ihnen noch die tiefste Verborgenheit anrieth. »Der Vicomte,« sagte die Mutter, »hat an alle seine Bekannten geschrieben, daß sie euren Aufenthalt erforschen sollen. Hütet euch also, meine geliebten Kinder! Ein Befehl, durch den Klairant verhaftet würde, ist in den jezigen Zeiten leicht zu erhalten. Euer Unglük wäre entschieden und groß, wenn man euch entdekte.«

Die beiden Liebenden giengen von jezt an weniger aus; sogar ihren Lieblingsort, die alte Burg, vermieden sie, oder schlichen sich doch hinan, ohne das Dorf am Fusse des Berges zu berühren: denn Klarens schlanke, reizende Gestalt war den Einwohnern schon einmal aufgefallen. Der einzige Mensch, den sie, ohne sich zu fürchten, sahen, war ihr alter Wildhüter. Sie bekamen nach und nach immer mehr Zutrauen zu dem Manne, und die gutmüthige Klara entdekte ihm, weil er so treu und ehrlich war, sogar einen Theil ihrer Geschichte.

Klara glaubte sich in ihrer Hütte so sicher, als ob ein Meer sie von den Menschen trennte; Klairant bei weitem nicht so: er schrieb nach Chatillon an seinen Oheim, auf den Fall, daß dieser etwa noch lebte, und auch nach Verdun an einen Verwandten, um sich zu erkundigen, ob er wohl seine Gattin mit Sicherheit in sein Vaterland zurükbringen könnte. Er war Willens, die Antwort in der Hütte des Wildhüters abzuwarten, und, wenn sie ungünstig wäre, sich mit seinem Vermögen in den nördlichen Theil von Deutschland zu flüchten, wo er die Nachforschungen des erbitterten Vicomte nicht fürchten dürfte. Auf dem Schauplaze des Krieges oder in dessen Nähe, schien es ihm, als der erste Rausch seines Glükes verflogen war, überall zu unsicher. Doch sagte er Klaren nichts hiervon; er wollte sie nicht unruhig machen, und wußte überdies, daß es ihr gleich galt, an welchem Orte der Welt sie mit ihm lebte.

Eines Abends kam ihr Wildhüter nicht zu Hause. Sie hofften bis Mitternacht vergebens auf ihn; und auch den folgenden Morgen, den folgenden Abend ließ er sich nicht sehen. Klara erinnerte sich, daß er seit einigen Tagen sehr unruhig geschienen hatte; doch errieth man die Ursache seines Verschwindens noch immer nicht. Jezt mußte Klairant sich entschliessen, selbst nach Lautern zu gehen, um Lebensmittel zu holen. Er rieth Klaren, die Hütte indessen verschlossen zu halten, und wollte, der Sicherheit wegen, sein Geld noch mehr verbergen; aber er fand kaum noch den zehnten Theil der Summe. Mitten in seinem Schreken, dachte er sogleich, daß ohne Zweifel der Wildhüter das Uebrige gestohlen hatte. Nun war sein Glük zertrümmert; wie sollte er Klaren ernähren?

Klara kam endlich, ihn zu holen. Sie schrie auf, als sie ihn starr wie eine Bildsäule des Schrekens, da stehen sah. »O Gott, Klairant! was ist dir?« – Wir sind unglüklich! rief er, und drükte sie zitternd in seine Arme. Klara ließ sich erzählen, und fragte dann: »wie lange, lieber Klairant, können wir von dem Gelde wohl noch leben? versteht sich, wenn wir uns bis auf das Nothwendigste einschränken.« – Höchstens, antwortete er seufzend, noch zwei oder drei Jahre – »O Klairant!« sagte Klara nun muthig, und drükte ihn an ihr Herz: – »noch drei Jahre so glüklich! Und wenn ich dann auch vor Hunger in deinen Armen stürbe; ich wollte ohne Klagen meinen Geist verhauchen!« Sie führte ihn vor die Thür der Hütte. »Klairant, sieh, die Sonne soll uns noch drei Jahre leuchten, dreimal drei hundert fünf und sechzig Tage; und so lange werden wir glüklich seyn. Ueberrechne die Minuten, Klairant; und wieviel Glük hat nicht jede für uns! Willst du über das Schiksal klagen, das uns Millionen Minuten glüklich zu seyn, und nur Eine zu sterben giebt? Wir haben Brod, ein Dach und Herzen voll Liebe! Sei ruhig, wie ich es bin!«

O Klara, sagte Klairant, bist du nur ruhig, so will ich nicht klagen. Er verbarg das Geld in den Boden der Hütte, warf dann seine Kleidung ab, zog den Rok an, den der Wildhüter zurükgelassen hatte, und gieng so nach Lautern, um Lebensmittel einzukaufen. Klara kam ihm, völlig wie eine Bäuerin gekleidet, mit einem Tragekorbe entgegen, und rief ihn an, als er, in Gedanken verloren, neben ihr vorübergehen wollte. Beide giengen so heiter zurük, als hätten sie nichts verloren und nichts zu befürchten.

O, was ist das Schiksal der Menschen! Erst zwei Monate, die schönsten des Jahres, hatten die Liebenden hier gewohnt, als der Schlag fiel, der ihr Glük und sie selbst vernichtete. – Der Vicomte sah an der Ruhe seiner Frau, daß sie Klarens Aufenthalt wissen mußte. Es verdroß ihn jezt eben so sehr, daß er von ihr und seiner Tochter überlistet, als daß sein Name, wie er glaubte, beschimpft war. Jezt kam Eigensinn zu seinem Stolze; und mürrische Laune über sein Schiksal gab diesem Eigensinne die Schärfe des bittersten Hasses. Er glaubte in einem Kampfe mit seinem Schiksale zu seyn, und wollte wenigstens Einmal siegen. Jezt belauschte er die kleinsten Handlungen seiner Frau. Endlich sah er sie heimlich schreiben, und einen Brief siegeln. Er gieng zu dem Postmeister, einem Bekannten von ihm, forderte den Brief an Klairant, der so eben gebracht sei, und bekam ihn sogleich. Aus dem Briefe sah er, daß Klairant mit Klaren bei Lautern in einer Hütte wohnte. Nun schrieb er an einen seiner vertrauten Freunde bei der Armee, entdekte ihm alles, theilte ihm seinen Plan mit, und bat ihn um Hülfe bei der Ausführung desselben.

Als Klairant auf dem Wolfsbrunnen Klaren entführte, hielt der Vicomte ihn nicht zurük, wahrscheinlich weil das Bewußtseyn, er könne seine Tochter nicht länger ernähren, ihn nicht zu einem Entschlusse kommen ließ, und ihn abhielt, seine Vaterrechte geltend zu machen. Jezt aber sah er mit Verwunderung in den Händen seiner Gattin eine beträchtliche Summe, die ihn lange Zeit vor allem Mangel sicherte. Zu gleicher Zeit bekamen auch die schon erstorbenen Hoffnungen, wieder Herr seiner Güter in Frankreich zu werden, neues Leben. Nun erwachte das Verlangen, seine Tochter von Klairant zu trennen, mit neuer Stärke.

Eines Abends, als die jungen Eheleute schon auf ihrem Lager ruheten, pochte man ungestümm an die Thür der Hütte. Klairant öffnete, und fragte, wer da sei. Etwa sechs Soldaten verlangten einen Boten, der sie durch den Wald nach Pirmasens führen sollte. Klairant sagte ihnen, er kenne die Wege hier nicht. Wer bist du denn? fragte der Anführer dieser Leute, und Klairant wurde verlegen. Man gieng nun in die Hütte, und fragte schärfer. Klairant erfand eine Fabel. »Wohl,« sagte der Offizier, (dafür erkannte ihn Klairant): »du bist ein Franzose, und, wie du sagst, nicht Soldat. Was denn? Das ist genauer zu untersuchen. Du mußt mit uns, in das Hauptquartier.« Bei diesen Worten stürzte Klara mit lautem Angstgeschrei aus der Kammer hervor, und in Klairants Arme. Ein Soldat zündete Licht an. Der Offizier betrachtete Klaren, schien sich zu besinnen, und sagte: »das Gesicht habe ich irgendwo gesehen.« Klara fieng an zu sprechen. Der Offizier betrachtete sie noch immer; und sagte endlich: »ganz gewiß die Tochter des Vicomte du Plessis! ... Wie kommen Sie hierher? in diese Hütte, in diese Kleider, zu diesem Menschen?«

Klara beschwor den Offizier mit heissen Thränen und Klagen, ihr Glük nicht zu stören. Er wurde gerührt, und sezte sich zu ihr nieder. Sie und Klairant erzählten ihm ihre Geschichte. »Ich glaube Ihnen,« sagte der Offizier, »allein – so leid es mir auch thut – den jungen Menschen, den Sie Ihren Mann nennen, muß ich in das Hauptquartier schiken.« Klara schrie ängstlich auf. »Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort,« sagte er dann, um Klaren zu beruhigen, »daß ihm nichts Böses widerfahren soll. Meine Dienstpflicht befiehlt mir, was ich thue. Es dauert aber höchstens einen Tag. Sie werde ich zu Ihrer Mutter bringen; und, wenn Sie wollen, sogar ohne daß Ihr Vater etwas davon erfährt.«

Man bat, man weinte; aber vergebens. Klara wurde in eine Chaise gesezt, die der Offizier zum Glük in der Nähe hatte; und Klairant mußte mit in das Hauptquartier wandern. »Lieber junger Mann,« sagte der Offizier, »Ihre schöne Frau fährt nach Heidelberg zu ihrer Mutter; und Sie gehen nachdem Hauptquartiere, etwa vier Stunden weiter, nach Philippsburg zu. Das ist fast derselbe Weg. Nachher holen Sie Ihre Frau von Heidelberg ab, und gehen, wohin Sie wollen. Aber, ich bitte Sie, halten Sie Sich nicht wieder so nahe bei der Armee auf, wenn Sie nicht Lust haben, alle Tage einmal in das Hauptquartier zu wandern!« – Klairant drükte seine Geliebte noch einmal an seine Brust, und sagte leise: habe Muth, Klara. Hier oder auf dem Wolfsbrunnen findest du mich wieder, wenn man dich etwa wegschleppt! Sobald ich frei bin, suche ich dich auf, oder du mich. – Klara küßte ihn weinend, und man konnte sie kaum aus seinen Armen reissen. Der Offizier versicherte noch einmal, daß Klairant vielleicht schon diesen Abend in Heidelberg seyn werde.

In Grabe, wo das Französische Hauptquartier war, lernte ich Klairant kennen. Seine Begebenheit, die sehr romanhaft erzählt wurde, machte Aufsehen. Man sprach dort, und auch im Lager am Rheine, viel von dem jungen Franzosen und der schönen Französin, die im Gebirge, wie ein Paar Wilde, gelebt hätten. Dadurch wurde meine Neugierde rege. Ich gieng in das Ordonnanzhaus, wo Klairant saß, und fand einen jungen Mann mit sehr interessantem Gesichte, worin ein sonderbarer Zug von Schwermuth und hoffender Geduld lag. Als ich ihn theilnehmend fragte, ob er schon verhört sei, antwortete er mit schwermüthigem Tone, und die Achsel zukend: »wird man mich verhören? und wird man mich unschuldig finden wollen, wie ich es bin? ... Sie scheinen ein menschlicher Mann zu seyn. Ich bitte Sie, schaffen Sie mir doch Nachricht von einem Sohne des Vicomte du Plessis, oder, noch besser, suchen Sie es möglich zu machen, daß ich ihn selbst sehen kann.« Ich versprach, mir Mühe zu geben, und hatte den Sohn des Vicomte in Kurzem gefunden. Diesen bat ich: er möchte mit mir gehen; ein Arrestant wünsche ihn zu sprechen. Als ich wieder zu Klairant kam, sah ich eine rührende Scene. Die beiden jungen Leute waren, als sie einander erblikten, wie vom Blize getroffen. Sie staunten sich einige Sekunden schweigend, ohne Bewegung an; doch, nach ihren Bliken zu urtheilen, hatten ihre Seelen sich schon längst in einander ergossen. Dann fielen sie einander in die Arme, und blieben in dieser Stellung, bis sie sich trennten. Lange ertragene Noth lag in des jungen du Plessis, Unruhe, Furcht vor Elend, in Klairants Gesichte. So wie sie aber leise mit einander sprachen, verwandelte sich nach und nach der Gram in reine Heiterkeit, der Unmut in süssen Genuß. Sie mußten einander verlassen, weil den jungen du Plessis Dienstgeschäfte riefen. Jezt wurde Klairants Ungeduld wieder stärker und sichtbarer. Ich versprach, alles was ich nur könnte zu thun, daß er zum Verhöre käme. Damit ich etwas für ihn zu sagen hätte, erzählte er mir, auf meine Bitte, seine Geschichte.

Wozu sollte ich es läugnen? Ich schäme mich nicht, jedes nicht strafbare Mittel zu benuzen, um das Unglük eines Andern zu enden. Mit nassen Augen und gedrüktem Herzen, gieng ich zu der hübschen Kammerjungfer der schönen Frau von ***, und erzählte ihr im Vorzimmer meine Geschichte. – O, sagte das Mädchen mit Thränen auf den Wangen, die mir nun noch schöner zu seyn schienen, als vorher: »der arme junge Mann! Und er sizt im Gefängnisse, weil er so treu war?« – Weil er so treu war. – »Das ist himmelschreiendes Unrecht! ... Wenn wir ihn nur los hätten!« – Eben das ist mein Wunsch. – »Warten Sie. Die gnädige Frau kennt den ***; der soll ihn wohl los machen.« Sie gieng hinein zu ihrer Gebieterin. Bald wurde ich gerufen, und mußte aufs neue erzählen. Frau von *** hörte aufmerksam zu, und auch sie fragte, als ich fertig war: »wie? weil er seiner Gattin so treu ist?« – Ja, gnädige Frau; und nur auf Sie sezt er alle seine Hoffnung.

Ich mußte manchen Umstand noch einmal und weitläuftiger erzählen. Endlich forderte sie Feder und Tinte, schrieb ein Billet an den ***, und schikte sogleich einen Bedienten damit weg. Nicht lange, so kam die Antwort. Die schöne Frau von *** lächelte, und sagte: »er ist frei! hier!« Sie gab mir einen schriftlichen Befehl an den wachthabenden Offizier, worin dieser angewiesen wurde, Klairant sogleich gehen zu lassen, wohin er wolle. »Auch wird Ihr Gefangener,« sagte die Frau von ***, »einen Paß in bester Form bekommen, der ihn für die Zukunft sichert.« – Ich danke ihr, und wollte gehen; sie hielt mich aber noch auf, und sagte: »ich bin doch neugierig den jungen Mann kennen zu lernen.« – Weil er seiner Geliebten so treu war?! sagte die Kammerjungfer, in einem Tone, der halb Verwunderung ausdrükte, und halb wie eine Frage an ihre Gebieterin klang. Frau von *** sah das Mädchen an, seufzte ein wenig, und sagte: »nein, lassen Sie ihn nur reisen. Es ist besser, daß ich ihn nicht sehe; er wird Eil haben.«

Nach einigen Minuten war Klairant in Freiheit, und ich gieng mit ihm nach Heidelberg. Unterwegs erzählte er mir seine Geschichte ausführlicher, und zeigte mir Klarens Briefe, die er in einer Brieftasche auf der Brust trug. Ich äusserte den Verdacht, daß der Vicomte du Plessis ihn habe aufheben lassen, um ihn von seiner Tochter zu trennen. »Das ist sehr möglich,« erwiederte er seufzend. »Nun, Gott Lob, daß er es nicht früher gethan hat; ... O!« sagte er mit Heftigkeit, und schlug die Hände zusammen: – »nur Einen Augenblik zum Sterben, meintest du, Klara? Ich bin millionenmal gestorben in diesen drei Tagen!«

So sehr er eilte, so folgte ich ihm dennoch, weil ich begierig geworden war, seine Klara zu sehen, die er mir als das reizendste Weib beschrieb. Er blieb vor der Stadt. Ich allein gieng hinein, und erkundigte mich in dem Wirthshause, das er mir genannt hatte, nach der Familie des Vicomte. Man sagte mir, er wäre gestern, eine Stunde nach der Ankunft seiner Tochter, abgereist. Als ich mit dieser Nachricht zu dem armen Klairant kam, sagte er seufzend: »ich dacht' es: denn war ein solches Glük für dieses Leben? O,« – mit aufgehobnen Händen – »welche Tage, Stunden, Minuten! Schon Eine hatte den Werth des Himmels!« – Er ließ den Kopf auf die Brust niedersinken, und verlor sich in stilles Nachdenken, bei dem ihm Thränen über die Wangen flossen. Ich weiß nicht, ob das Andenken an sein Glük, oder sein Gram ihm diese Thränen abpreßte; er lächelte dabei, wie ein Mensch, der einen angenehmen Traum hat.

Ich versuchte, ihn mit Hoffnungen zu trösten. Er sagte aber: »Hoffnungen? daran fehlt es mir nicht. Ich werde, ich muß sie wiedersehen. Aber wie soll ich ihre Abwesenheit ertragen! wie sie die meinige!« – Er nahm die Briefe seiner Klara aus der Tasche, und las mir mit leiser, gedämpfter, schmerzlicher Stimme den Schluß des einen vor; nemlich die Worte:

Ta Claire, cher Clairant, est un être fragile!
Ton sein ou mon tombeau, voilà mon seul asyle! Seite 78.

»Das ist es!« fuhr er fort. »Jeder Augenblik, den ich von ihr getrennt bin, zerreißt einen Faden ihres zarten Lebens. Die Angst um mich, die Härte ihres Vaters, das Leiden ihrer Mutter – ach!« – Er stand auf und troknete sich die Thränen, die häufiger hervorbrachen, mit seinem Taschentuche ab. Ich fragte ihn, wohin er wollte. – »Hier in der Gegend will ich bleiben. Auf dem Wolfsbrunnen sah ich sie zuerst wieder; und da hoffe ich, sie auch diesmal zu finden.« Ich begleitete ihn dahin. »Hier stand sie,« sagte er, und führte mich an das Bassin – »hier stand sie, als ich herauf trat; hier sank ich zu ihren Füssen nieder!«

Klairant zog in eine der Hütten, die unten längs dem Nekar am Wege stehen. Den Tag über war er auf dem Wolfsbrunnen, oder schweifte in der Gegend umher, und suchte seine Geliebte; Abends kam er mit traurigem Kopfschütteln zurük. Ich blieb acht Tage bei ihm, weil sein Schiksal mich äusserst interessirte. Dann verließ ich ihn unter herzlichen Umarmungen, und mit Thränen in den Augen. Beim Abschiede fragte ich ihn: wo werde ich Sie wiedersehen? »Wo?« erwiederte er lächelnd. »Finde ich meine Klara, so verberge ich mich mit ihr, – wo die Grausamen uns nicht verfolgen können. Finde ich sie nicht,« – er wendete sein nasses Auge zum Himmel – »so verlebe ich den kleinen Ueberrest meiner Tage hier, oder in der Hütte des Wildhüters, oder in der Silberschmelze bei Embs. Da war ich glüklich!« Ich verließ ihn, weil mich andre Pflichten riefen. Als ich vierzehn Tage später wieder nach Heidelberg kam, fand ich ihn auf dem Wolfsbrunnen.

Klairant hatte nur allzu sehr Recht, als er befürchtete, daß der Gram Klarens zartes Leben zerreissen würde. Der Offizier brachte Klaren nach Heidelberg zu ihren Eltern. So bald sie sah, daß ihr Weinen und ihre Bitten nichts halfen, wurde sie still, und, wie es schien, sogar ruhig. Sehen Sie wohl? sagte der Offizier; es ist so schwer nicht, sich auf einige Tage von einem Geliebten zu trennen! – Klara lächelte, und erwiederte sanft: »wenn Sie wüßten, mein Herr, was Sie thun, Sie thäten es nicht. Nicht wahr; mein Vater hat mich holen lassen? Ich kenne ihn; er ist hart genug, mich lieber im Sarge zu sehen, als in den Armen der Liebe. Doch Sie, mein Herr, Sie! O gebe der Himmel, daß Sie mein Schiksal nie erfahren!« – Der Offizier wurde gerührt; aber er mußte gehorchen, und tröstete sich mit der Hoffnung, daß es so schlimm nicht seyn würde. Klara versank den lezten Theil der Reise in stillen Kummer, und zuweilen lächelte sie sogar. Nun zweifelte ihr Führer vollends nicht mehr, daß alles gut gehen müßte.

Als der Wagen vor der Wohnung ihres Vaters hielt, fuhr sie ein wenig zusammen. Der Vicomte empfieng sie mit einem stolzen, verachtenden Lächeln. Sie sah ihn bescheiden an, als sie neben ihm aus dem Wagen stieg. Nun? fragte er endlich; bist du deiner Thorheiten müde? – »Ich bin Klairants Frau,« antwortete sie ruhig. – Frau? wie? Frau? Nimmermehr! - »Gewiß, seine Frau, seine angetrauete Frau.« – Klara! Klara! sagte der Vicomte mit erstiktem Zorne. Sie giengen Beide die Treppe hinauf, und der Offizier, der Klaren gebracht hatte, folgte ihnen. Klara! seine Frau! Sag! seine Frau? – »Ich könnte Ihnen den Trauschein zeigen.« – Du seine Frau? Nun, denn, beim Himmel! dann auch bald seine Wittwe! – Klara blieb neben ihrem Vater auf der Treppe stehen, und wendete ihr Gesicht zu ihm hin. Der Vicomte erschrak, als er die schöne, jezt von Leidenschaft glühenden Wangen seiner Tochter auf einmal bleich werden sah; aber noch mehr, als auch ihre Lippen erblaßten, als ihr Auge erlosch, als sie schwankend in seine Arme fiel. Er trug sie mit Hülfe des Offiziers in ein andres Zimmer, um seine Gattin, der die Ankunft ihrer Tochter noch unbekannt war, nicht zu erschreken.

Klara lag leichenblaß, und kalt wie ein Marmorbild, auf dem Bette; und nun rang ihr Vater die Hände. Als sie anfieng die Augen aufzuschlagen, entfernte er sich auf die Bitte des Offiziers. Man gab ihr Arznei, und sie erholte sich. Nach einigen Augenbliken, in denen sie sich zu besinnen schien, bat sie, daß man ihren Vater rufen möchte. Er sah seine Tochter ruhig auf dem Bette sizen, ja, eine Art von Heiterkeit aus ihrem Gesichte strahlen. Diese Folge einer sehr exaltirten Phantasie hielt er für wirkliche Ruhe; und nun war die Furcht, die ihre Ohnmacht bei ihm erregt hatte, auf einmal gänzlich verschwunden. Er sezte sich wieder mit spöttischem Lächeln an das Bett, und machte ihr bittre, schneidende Vorwürfe. Sie hörte eine Weile ruhig zu; dann sagte sie: Vater, ich glaube, wir Beide sind entschlossen, unsern Weg zu gehen. Mir gebietet jezt die Pflicht eben so stark, wie mein Herz. Und Sie? O, wüßten Sie, was ich empfinde, gewiß, Sie ... Alle meine Hoffnungen sind am Ziele meines Weges. Ich muß sie erreichen, – oder verzweifeln. Ich betheure Ihnen, mein Vater, nichts in der Welt kann mich aufhalten. Alles wage ich, um meinen einzigen Wunsch, den Besiz meines Mannes, zu erlangen. Sie sagten, dünkt mich, etwas von Wittwe. Glauben Sie mir, Vater, das werde ich nicht. Man kann Klairant tödten; aber er wird nie eine Wittwe haben: das schwöre ich Ihnen, bei Allem was heilig ist! ... Sagen Sie mir, mein Vater, was ist Ihre Absicht mit meinem Manne?«

Mit deinem Manne? Du elende, niedrige Seele! Mit deinem Manne? Wohl denn! wir spielen jeder sein Spiel; aber, Töchterchen, du hast das deinige schon verloren. – Mit diesen Worten gab er ihr einen Brief von einem Grossen bei der Französischen Armee; und sie las darin: »der junge Mensch soll Ihnen weiter keine Sorge machen. Ihre Tochter wird ihn nicht wieder sehen, sobald ich ihn in meinen Händen habe.« Zitternd legte Klara den Brief zusammen, und gab ihn dem Vicomte mit einem Blike wieder, in welchem er, wenn er nicht sich selbst betäubt hätte, ein zerbrochenes Herz gesehen haben würde. Nach langem Schweigen sagte sie endlich: »und kann ihn nichts retten, mein Vater? auch nicht die Versicherung, daß sein Tod mir das Herz brechen muß?« Der Vicomte lachte höhnend. Wir sind hier nicht auf dem Theater, wo die ungehorsamen Töchter ihre Väter mit solchen Drohungen schreken. Meinethalben magst du sterben, wenn du nicht mit Ehre leben willst! – Klara verhüllte das Gesicht in ihre Deke, und der Vicomte verließ sie.

Am folgenden Morgen brachte er seine Gattin zu Klaren. Sie erstaunte, als sie ihre Tochter erblikte, und sank ihr mit fürchtender Ahnung schweigend an den Busen. »Weinen Sie nicht, meine gute Mutter,« sagte Klara; »ich bin sehr glüklich gewesen! Jezt sehe ich Sie wieder ... und klage nicht.« Diese Ruhe, diese anscheinende Zufriedenheit, täuschte die Mutter; auch konnte sie nicht weiter fragen, da der Vicomte zugegen war. Auf seinen Befehl, mußte Klara sogleich aufstehen und sich ankleiden. Alle Drei sezten sich in einen Wagen, den der Vicomte bestellt hatte, und fuhren nach Schwezingen. Hier traten sie in einem kleinen Hause ab, wo schon alles zu ihrem Empfange in Ordnung war. Klara merkte bald, daß der Vicomte Maßregeln genommen hatte, sie am Entfliehen zu verhindern; denn der Weg zu dem Kämmerchen, das ihr angewiesen wurde, gieng durch sein Zimmer und er blieb immer zu Hause.

Die arme Klara gerieth bald in den unglüklichsten Zustand. Ihre Einbildungskraft, ihre Nerven waren angespannt, alle Kräfte ihrer Seele und ihres Körpers in der verderblichsten Thätigkeit. Sie dachte nur an Klairant, und hielt ihn für verloren. Man denke sich die fürchterliche Angst, welche die beiden Vorstellungen: »gefangen, ermordet,« bei ihr erregten. Und diese Angst mußte sie verbergen: ihren Vater, dem sie jezt den entschiedensten Haß gegen sich zutrauete, wollte sie nicht triumphiren sehen; ihre Mutter, die ohnedies nur Thränen für sie hatte, wollte sie nicht betrüben. Diese fürchterliche Angst, und dieses schmerzliche Bemühen, sie zu verhehlen, nagten wie zwei grausame Geier an ihrem Leben, und mußten es bald vernichten. Klara fühlte das, und freuete sich darüber mitten in ihrem Schmerze. Sie saß stumm, mit fest in einander geschlagenen Händen, da, und lächelte, wie eine entzükte Heilige. Nur von Zeit zu Zeit legte sie die Hand auf ihre Brust, und ihre Miene sagte deutlich, daß sie Schmerzen fühlte. Aber die Mutter ließ sich durch ihr Lächeln täuschen; und sonst bekümmerte sich niemand um die arme Kranke.

Klarens feste Ueberzeugung, daß Klairant gefangen sei, um ermordet zu werden, verhinderte sie an dem Entschlusse, sich ihre Freiheit zu verschaffen. Jugendliche Phantasie, und Schwärmerei der Liebe, der Treue, unterhielten in ihrer Seele den einzigen Wunsch, zu sterben. Sie fühlte ihr Leben schwinden, und gerade das machte ihre Seele heiter.

Schon nach einigen Tagen waren ihre Wangen abgefallen, und eine dunkle heisse Röthe lag bald auf der einen, bald auf der andern. Ihre heftigen Bewegungen, ihre bebende Sprache zeigten, daß sie bald erliegen mußte. Die Mutter fragte mitleidig: bist du krank, meine Tochter? – Klara antwortete jedesmal, freundlich lächelnd: »nein, liebe Mutter; mir ist sehr wohl.« Man ließ den Wurm nagen, weil man ihn nicht bemerkte. Der Vater, der die anscheinende Ergebung seiner Tochter in einem ganz falschen Lichte sah, glaubte sogar, er habe ihre Leidenschaft besiegt, und alles werde sich noch glüklich endigen. Der unglükliche Mann wußte nicht, daß es Herzen giebt, die man nicht nach den gewöhnlichen Regeln beurtheilen darf. Die Natur, deren Gewalt er verspottete, und für die er nichts thun zu müssen glaubte, bestrafte ihn aber bald dafür, daß er alles nur für sein Vorurtheil, die Ehre, gethan hatte.

Kaum war der Vicomte vierzehn Tage in Schwezingen, so erhielt er einen Brief, der ihm den Tod seines Sohnes meldete. Die Nachricht kam ihm so unerwartet, daß er nicht Herr seiner Empfindungen war, und in der schreklichsten Verzweiflung ausrief: o Gott! mein Sohn! mein Sohn! – Die Mutter sank, ohne Eine Thräne zu weinen, in den Lehnstuhl zurük, und jammerte mit gebrochener Stimme: Herr! dein Wille geschehe! Kaum hatte sie das gesagt, so war sie ohne Bewußtseyn.

Der Arzt, den man rufen ließ, schauderte bei dieser Scene des größten Jammers. Der Vicomte starrte auf Einen Flek vor sich hin, seine Gattin lag im Sterben, und Klara lächelte still, heimlich, wie eine Wahnsinnige. Sie küßte, ohne ein Wort zu sagen, die bleichen Lippen ihrer Mutter, warf sich vor ihr auf die Kniee, drükte den Mund auf die kalte Hand, und blieb so liegen, bis die Sterbende zum leztenmal geathmet hatte. Dann sezte sie sich schweigend auf einen Stuhl, dem Leichnam ihrer Mutter gegenüber, sah ihn lächelnd an, und rührte die Lippen, als ob sie Gespräche mit ihm führte. Der Vicomte verschloß sich, weil er den Anblik nicht ertragen konnte, in ein Kabinet, bis seine Gattin beerdigt war. Dann kam er wieder zu Klaren in das Zimmer, faßte ihre Hand, umarmte sie zärtlich, und sagte: nun habe ich nur noch dich, dich allein, meine einzige Hoffnung, meine einzige Freude. Liebe Klara, bist du wieder mein Kind? – Klara warf sich mit einer sonderbaren, leidenschaftlichen Heftigkeit in seine Arme, und rief mehr, als sie es sagte: »ja, mein Vater, ich bin Ihre Klara, ich bin Ihr Kind!« – Nun denn, du versprichst mir also, an den Elenden nicht wieder zu denken? – »An wen?« fragte Klara; »an meinen Mann? meinen geliebten Klairant?« – O geh, Elende, Undankbare! sagte der Vicomte mit heftigem Zorne, und stieß sie von sich –: geh! ich habe kein Kind mehr!

Klara sah ihn mit einem Blike an, mit einem Blike – er selbst nannte ihn jammernd späterhin »unbeschreiblich,« und sagte: ach, ich sehe ihn noch! warum mußte ich einen solchen Blik verkennen! – Sie schauderte zusammen, sezte sich in den Stuhl, auf welchem ihre Mutter gestorben war, und lächelte mit starren Augen. Ihr Vater glaubte noch immer nicht, daß die Leidenschaft seiner Tochter ihr eine tödtliche Krankheit zuziehen könnte, und sah sie in mehreren Tagen kaum eine Minute. Aus Theilnahme kam ungerufen der Arzt noch einigemale wieder. Er bemerkte an Klaren die wechselnde Gesichtsfarbe, hörte die abgebrochenen Töne des zurükgehaltenen Jammers und sah die seltsamen Blike. Nun faßte er im Gespräche, wie von ungefehr, ihre Hand, hielt sie einige Zeit, und sagte dann: Mademoiselle, Sie sind krank. – »So?« erwiederte Klara ganz ruhig; »das glaub' ich wohl.« – Und dabei sind Sie so gelassen? Ich sage Ihnen, Sie sind sehr krank! – »Ich weiß es,« sagte Klara wieder eben so ruhig. Der Arzt erkundigte sich nach ihrem Zustande, und schüttelte bedenklich den Kopf, als sie ihn beschrieben hatte.

Er entdekte Klarens große Gefahr dem Vicomte. Dieser sah ihn mit durchdringenden Bliken an, und sagte höhnisch: ja, ja! sie will mich gern davon überreden! Nun, wenn sie krank ist, so geben Sie ihr Arznei. – Der Arzt kam am Abend wieder, sprach Klaren allein, und wollte ihr Medizin verordnen. Sie sagte wieder sehr ruhig: »mein Vater ist nicht mehr reich, und braucht, was er hat, nothwendig. Ersparen Sie unnüze Ausgaben. Ich würde die Arzneien nicht nehmen, und sie könnten mir auch nicht helfen.« Aber, Mademoiselle, Ihr Leben ist in Gefahr, wenn... – »Ich weiß es; mir ist aber so recht wohl. Glauben Sie mir, ich sterbe gern.«

Der Arzt gieng zu dem Vater. »Herr Vicomte, ich muß Ihnen noch einmal sagen, daß Ihre Tochter in großer Gefahr ist. Ich begreife nur nicht, wie sie dabei so gleichgültig seyn kann. Sie hat ein heftiges Fieber. Die Ursache liegt, glaube ich, in irgend einer Leidenschaft, vielleicht in Gram.« – Ist es wirklich so? fragte der Vicomte, und wurde blaß. – »Ja, Herr Vicomte, und beinahe fürchte ich, das Leben Ihrer Tochter ist nicht mehr zu retten. Ich weiß nicht, wie sie in einem solchem Zustande noch ausser dem Bette seyn kann. Aber die Natur muß unter diesem Kampfe der äussersten Anstrengung nothwendig bald erliegen.«

Erliegen? ... Doch nicht sterben? Um Gottes willen, nicht sterben! – Endlich hatte die Vaterliebe des Vicomte seinen Stolz besiegt. In der Angst erzählte er dem Arzte Klarens Geschichte; und er wurde bleich so oft er in dessen Miene Bedenklichkeit sah. »Herr Vicomte,« sagte der Arzt, »Sie haben ein sehr gefährliches Spiel gewagt. Ihre Tochter stirbt wenn Sie so fortfahren. Gewiß es bleibt Ihnen keine andere Wahl übrig, als ihr nachzugeben, oder ihren Tod mit Muth zu ertragen. Und ... wer weiß, ob es jezt nicht schon zu spät ist!« – Zu spät? sagte der Vater zitternd. O Gott; dann wäre ich erst ein recht unglüklicher Mann!

Er eilte zu seiner Tochter, faßte ängstlich ihre Hand, und sagte: Klara, liebe Klara! sei ruhig mein theuerstes Kind! Werde nur wieder gesund; und Klairant soll dein seyn, mit meiner Bewilligung. Der Arzt ... Nicht wahr, du bist so krank nicht? nicht wahr, mein liebes Kind! – »O, ist es gewiß,« fragte sie in bestürzter Freude: »soll er wieder mein seyn? Wollen Sie uns segnen? Wo ist er, mein Vater? wo ist er?« – Er hat schon längst seine Freiheit wieder. Du sollst ihn sehen, meine Klara. Ich selbst will ihn aufsuchen; er wird ja zu finden seyn.

Um Klaren noch mehr zu überzeugen, ließ er sie einen Brief lesen den er aus dem Hauptquartiere bekommen hatte, und worin die Nachricht von Klairants Freiheit enthalten war. »O,« sagte Klara jezt laut und freudig: »er ist auf dem Wolfsbrunnen, oder bei Lautern. Lassen Sie uns ihn da suchen mein Vater!«

Die Reise wurde auf den folgenden Tag verabredet, und der Vicomte fühlte sich durch die Freude seines Kindes nach langer Zeit zum erstenmale wieder glüklich. Aber – o die menschlichen Hoffnungen! – Klara hatte bisher ihrem Zustande Troz geboten; und gerade in dem Augenblike, der ihr Schiksal so günstig entschied, fühlte sie sich schwach, krank und elend. Die Kraft, welche Verzweiflung und der schwärmerische Wunsch zu sterben ihr gegeben hatten, war verschwunden, und auf einmal brach die Krankheit mit voller Stärke hervor. Gerade der schnelle, unvorbereitete Uebergang von der Verzweiflung zu der schönsten Hoffnung, vom Elende zum höchsten Glük vernichtete die lezten Kräfte ihres Körpers. Das Fieber vermehrte sich, und sie mußte sich zu Bett legen. Sie wollte sich stark stellen, um ihren Klairant mit suchen zu dürfen und früher in seinen Armen zu seyn; aber sie wurde ohnmächtig, als man sie ankleiden wollte, und kaum hatte sie noch Kraft genug einige Zeilen an Klairant zu schreiben. Ihr Vater eilte damit nach Heidelberg, und, ohne einen Augenblik zu verziehen, auf den Wolfsbrunnen.

Er fand den Jüngling unter der Linde sizen und rief ihm zu: Klairant! vergieb mir! Ich bitte dich, komm. Meine Tochter, deine Klara, erwartet dich. – Klairant war erst wie betäubt, und sah dem Vicomte starr ins Gesicht, als zweifelte er an dem, was er hörte; doch bald faßte er sich. Ohne weitere Erklärung zu verlangen, eilte er mit dem Vicomte nach Schwezingen, und auch unterweges fragte und sprach er wenig.

Der Vicomte führte den jungen Mann an seiner Hand zu dem Bette seiner Tochter. Welch eine Scene! Selbst den Arzt rührte sie so stark, daß er sich umwendete und die Augen abtrocknete. Klara strekte ihrem Geliebten die Arme entgegen; ein Strahl der reinsten Freude brach aus ihren Augen hervor, und ihre blasse Wange kleidete sich wieder in eine schöne Rosenfarbe. Ihr Vater hielt sie schon für gerettet, und sogar der Arzt hofte; doch, ach! der lange Gram, die heftige Leidenschaft, die mannichfaltigen Stürme hatten Klaren allzu stark erschüttert. Die neue Kraft, die Klairants Anblik ihr gab, und die seine Liebkosungen in ihre Seele hauchten, dauerte nicht lange: sie war bloß das lezte Aufbliken der Flamme, ganz nahe vor dem Erlöschen.

Klara wurde mit jeder Stunde matter. Sie versagte sich den Schlaf, der sie vielleicht ein wenig erquikt hätte, um nur einige Augenblike länger mit Klairant sprechen zu können. Je mehr ihre Kräfte schwanden, desto stärker wurde die Verzweiflung des Vicomte. Klairant schien das Elend seiner Geliebten mit grossem Muthe zu ertragen, weil er wußte, daß die Aeusserung seiner wahren Gefühle ihr Leiden vermehren würde; aber zuweilen gieng er auf eine halbe Stunde aus ihrem Zimmer in ein anderes, lehnte den Kopf an die Wand, und überließ sich bald dem tiefsten Schmerze, bald der schreklichsten Verzweiflung.

Endlich wurde Klara so schwach, daß sie selbst ihren nahen Tod fühlte, und mit Klairant allein zu seyn wünschte, um in seinen Armen sterben zu können. Sie bat ihren Vater, ein wenig zu ruhen, küßte zärtlich seine Hand, und dankte, daß er sie so glüklich gemacht hätte. – »Siehst du,« sagte sie nun zu Klairant: »wie viele tausend Minuten zum Glük? und nur Eine zum Sterben!« – Nach einigen Stunden fand man Klairant in einer tiefen Ohnmacht neben der Leiche seiner Klara.

*

Man hatte mich von dem Wolfsbrunnen bei Heidelberg, wo ich Klairant suchte, nach Schwezingen gewiesen. Ich kam den Tag nach Klarens Tode dahin, und fand den Unglüklichen in stiller, verzehrender Verzweiflung. »Sie ist todt!« sagte er, als ich ihn fragte, was ihm fehle. »Sie ist todt!« wiederholte er mit unbeschreiblich rührenden, gen Himmel gewendeten Bliken. –

Klairant wies mir ihre Leiche, und ich sagte ihm, sie wäre noch im Tode schön. »O,« erwiederte er; »und ihr Herz! ihr Herz!« Dabei legte er beide Hände auf die Brust. Dann warf er sich neben der Leiche hin, und küßte ihre Stirn, ihre Hände.

Jezt kam der Vater. Er kniete bei seiner Klara nieder, und bat sie mit Thränen, ihm zu verzeihen. Es war eine rührende Scene! – Klairant war aufgestanden, und sagte, halb zu mir, halb zu dem Vicomte: »ihr Herz konnte nur lieben und segnen. Aber, daß sie getödtet ist – o das kann die ewige Barmherzigkeit nicht verzeihen!« Der Vater schien das selbst zu fühlen; er hob die Hände seiner Tochter in die Höhe, als ob sie für ihn beten sollte.

Endlich wurde die Leiche begraben. Nur wir, Klairant und ich, folgten ihr; der Vater hatte dazu nicht Kraft genug. Als wir von dem Kirchhofe zurükkamen, führte Klairant mich in den Kurfürstlichen Garten, gieng schweigend zu dem Tempel des Merkur, und sezte sich da auf die Ruinen. Ich sprach mit ihm von Klaren, von ihren Vollkommenheiten. Er zog ihre Briefe, ihr Bild, ihren Ring hervor, küßte alles, und benezte es mit heissen Thränen – den ersten, die er wieder weinen konnte. Jezt wollte er mir etwas aus Klarens Briefen zeigen. Ich fragte ihn, ob er die seinigen wieder hätte; und er zog sie in einer seidenen Brieftasche hervor. Klara hatte sie immer bei sich getragen, und sie ihm im Sterben gegeben. Ich bat ihn, mich die Briefe lesen zu lassen, und er gab mir beide Pakete. Als ich las, stand er auf, gieng umher, kam dann eilig wieder, und fragte, als ob er aus einem Traume erwachte: »wo ist die Mutter meiner Klara?« Er hatte bei seinem tiefen Schmerze nicht an sie gedacht. Ich sagte ihm, was ich von dem Arzte wußte: bei der Nachricht, daß ihr Sohn niedergehauen sei, habe ein Schlagfluß sie getödtet.

»Klara!« rief er; »und auch ihre Mutter, und mein Freund! O Gott! was soll ich denn noch allein auf der Erde!« Er gieng mit schnellen Schritten an dem Teiche weg, der Moschee zu, und ich sah ihn in den Arkaden die Hände heftig bewegen, als ob er mit sich selbst spräche. Doch bald schien er ruhiger zu werden. Nun glaubte ich, unbesorgt in den Briefen des Unglüklichen weiter lesen zu können, und vertiefte mich darin. Als ich endlich fertig war, suchte ich ihn im Garten, fand ihn aber nicht mehr. Zu Hause, wohin ich nun gieng, war er gewesen. Er hatte den Vicomte schweigend in seine Arme geschlossen, und war dann weggegangen. Auch den Kirchhof hatte er noch besucht, und sich auf das Grab seiner Klara niedergeworfen. Wo er seitdem geblieben wäre, wußte mir niemand zu sagen.

Ich hoffte noch einige Tage vergebens auf ihn. Seine beiden Brieftaschen behielt ich, und sie sind mir ein Heiligthum, das ich ihm aufbewahre. Aber ich fürchte, der unglükliche Klairant wird sie nicht wieder sehen. Ich habe nach Lautern geschrieben, und mich erkundigt, ob er etwa in der Hütte des Wildhüters gewesen sei. Er hat sich wirklich einige Tage da aufgehalten, und ist dann verschwunden. Ich bin selbst nach Embs gereist; doch auch da habe ich nichts von ihm erfahren können. Er ist wohl todt, der arme Klairant; der Gram der ihn drükte, war allzu schwer!

Den Vicomte habe ich seitdem noch einige male gesprochen. Er war in einen finstern Trübsinn versunken, aus dem ihn wohl nur das Grab reissen kann.

Ich size noch oft auf Klarens Grabe, lese die Briefe, die sie und der arme Klairant einander geschrieben haben, und lerne daraus Geduld, und Ergebung in den Willen des Himmels. Wenn ich dann wieder bedenke, daß ihr Herz, ihre Liebe, durch die sie in solches Elend geriethen, sie doch so unaussprechlich glüklich machte: dann danke ich der Vorsehung, daß sie uns so schuf, daß sie einigen Menschen solche starke Empfindungen gab. Ach, wenn nur Andre, Kältere, solche Herzen nicht für eine Fabel halten wollten! – Ich sage oft, was Klarens und Klairants Trost war:

                   

Des destins la chaine rédoutable
Nous entraine à d'éternels malheurs;
Mais l'espoir à jamais sécourable
De ses mains viendra sécher nos pleurs.
Dans nos maux il sera des délices,
Nous aurons des charmantes erreurs,
Nous serons au bord des précipices;
Mais l'amour les couvrira de fleurs.

 

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