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XV.
Klara an Klairant.

Ja, Klairant, der Schlag ist gefallen, und schreklicher, als du denkst! Troze dem Schiksal nicht; es hat Wege, schrekliche Wege, dein Herz, das du für erstarret hältst, in der geheimsten Quelle des Gefühls zu treffen. Es hat Mittel, dein Auge an die Zukunft zu fesseln, die du nicht sehen willst. Klairant, troze dem Schiksal nicht, das du nicht kennst! Wir sind arm geworden, die Nationalversammlung hat meines Vaters Güter verkauft; unser ganzes Vermögen besteht in dem, was wir gerettet haben. Thorheit! Thorheit! Tausende sind ärmer, als wir, und glüklich. Meine Hände können arbeiten, wie die Hände der Millionen, welche sich durch Arbeit ernähren; ach! und wie wollt ich mein Geschik segnen, wenn die schwerste Arbeit die Bedingung meiner Zufriedenheit würde! – Unser Vaterland hat uns auf ewig aus seinen Gränzen verbannt. O Klairant, leuchtet in Frankreich allein die Sonne? wohnt die Zufriedenheit nur in seinen Gränzen? In deinem Arm, an deiner Brust, will ich in den wüsten Schneefeldern des Norden leben, und glüklich seyn! Arm und verbannt? Nein, das sollte mich nicht erschüttert haben. Es ist anders, Klairant; es ist anders!

Mein Herz zittert in einer unbeschreiblichen Angst vor den Thränen meiner Mutter, vor dem stummen und beredten Grame meines Vaters. Nein, ich erschreke nicht vor der Armuth, nicht vor deiner Verzweiflung. Klairant! soll ich es dir sagen? O, wenn man mein Leben forderte – ich kann sterben, wie du. Aber man fordert mehr: meine Hand, meine Liebe!

Wie gern wollt' ich mit dir nur in der Vergangenheit leben! wie gern alle meine Gefühle, meine Gedanken, mein Daseyn in den engen Kreis des Gartens beschränken, der uns ehmals so glüklich machte! wie gern würd' ich jezt, wie dein Mönch, in das Grab eines finstern, schweigenden Klosters gehen! Mit Entzüken wollt' ich hinter mir die Thür zurasseln hören, und wenn sie mich auf ewig von Klairant trennte. Wie gern wollt' ich da meine Kindheit wiederholen, keinen Blik aufschlagen, keinen Wunsch haben, keine Veränderung hoffen, als das Grab! Ach, ich wollte mich an Einem Bilde mein Leben hindurch begnügen, und keine Klage, kein Seufzer sollte nach mehreren verlangen! Nein, man will mich nicht unglüklich, man will mich treulos machen. Klairant! wer ist beklagenswerther: du oder deine Klara?

Touai heißt er. Wir waren in jenen Tagen, die mir so unglüklich schienen, und deren Ruhe ich mir jezt zurükwünsche, in den Tagen, wo ich auf dich hoffte, in einer Gesellschaft. Auch Touai war da, den die Unruhen in seinem Vaterlande, Flandern, vertrieben haben. Schon oft war ich mit ihm in Gesellschaft gewesen, und er hatte deine Klara nicht bemerkt. Ich stand oder saß immer allein ruhig in einem Winkel; mein Gram wagte sich nicht unter die Freude, mein Kummer scheute das Lachen. Niemand störte mich mehr; denn immer waren Seufzer meine Antworten, und starre Blike, einzelne Sylben alles, womit ich selbst den gutherzigsten Versuch, mich aufzuheitern, belohnen konnte. Man ließ mich allein, und ich war zufrieden. So saß ich auch diesen Abend, noch trauriger, noch verschlossener, als sonst, denn ich hatte schon zwei Tage vergebens auf deine Ankunft gehoft. Auf einmal führte ein junges Mädchen lachend und scherzend den Baron Touai auf mich zu, stellte ihm einen Stuhl neben den meinigen hin, sagte mit einer Verbeugung: »hier!« und gieng.

Touai sezte sich. Ich blikte ihn an, und er sagte sehr bescheiden, sehr artig: »ich bin heute nicht so guter Laune, wie gewöhnlich, weil ein Zufall mich verstimmt hat. Man verweis't mich dort aus dem frohen Zirkel, und führt mich zu Ihnen. Hier, sagte man mir, würde ich eine Gesellschafterin für meinen Ernst finden. Aber« – sezte er sehr bescheiden hinzu, und küßte mir die Hand – »ich bin schon nicht mehr unzufrieden; denn ich finde, daß dies der beste Plaz war, den man mir anweisen konnte, um mich heiter zu machen.« Dafür mußte ich mich wohl verneigen. »Ich wünschte,« fuhr er fort, »um Ihnen für meine Zufriedenheit zu danken, daß ich dazu beitragen könnte, Sie zu erheitern.« Was ich antwortete, weiß ich nicht; wohl aber, daß mein Auge naß wurde. Der Gedanke, daß kein Mensch mich erheitern könne, fiel auf mein Herz. »Sie haben üble Laune?« fragte er. Ich mußte also etwas Bitteres gesagt haben, was davon herrühren mochte, daß er mich gestört hatte. Ueber diesen Vorwurf erröthete ich; denn du weißt, wie sehr mir alle üble Laune zuwider ist. Ich habe keine üble Laune, antwortete ich sanft; aber ich bin nicht glüklich.

Er sah mich an, und schwieg eine Zeitlang. Dann sagte er mit Theilnahme: »und Ihr Kummer erlaubt keinen Vertrauten, oder... Ich bin ein ehrlicher Mann!« Dabei legte er die Hand auf die Brust, und beugte sich so zu mir herüber. »Es ist unbescheiden,« fuhr er in dieser Stellung fort; »aber ich mag wohl einmal lieber unbescheiden, als unzufrieden mit mir selbst seyn. Ist Ihr Kummer von der Art, daß ein ehrlicher Mann, der Achtung für sich, und also auch für das weibliche Geschlecht hat, ihn wissen kann, so ...« Ich lächelte, und schüttelte verneinend den Kopf. – »Offenherzig, ich getraue mir viel zu können,« sagte er dann mit einem bescheidenen Selbstgefühl. »Ich bin stolz auf mein Herz, und würde zum erstenmal auch stolz auf Reichthum und den Einfluß einer angesehenen Familie werden, wenn Ihr Unglük von der Art wäre, daß...« – Er suchte hier Worte. Ich fiel ein, um von ihm los zu kommen: mein Kummer liegt in der Erinnerung. Das Unglük selbst ist vorüber, und dann ist Klagen unbescheiden. – Er verbeugte sich, ward roth, brach ab, und gieng, als er einige Augenblike von gewöhnlichen Dingen gesprochen hatte. Indeß, er kam oft in die Gegend, wo ich saß, und ich bemerkte, daß er mich nicht aus den Augen verlor. Das war mir unangenehm. Um seine Aufmerksamkeit von mir abzuwenden, stand ich auf, und zwang mich, heitrer zu scheinen, als ich war. Ich stellte mich zu dem Parlamentsrath aus Toulouse, dem Freunde meines Vaters, und sprach so aufmerksam, als ich konnte. Auf einmal trat auch Touai zu uns, und fiel in unser Gespräch so ein, daß ich sah, er mußte es gehört haben.

Als wir giengen, bot er mir den Arm, führte mich an den Wagen, und war von mir vergessen. Am folgenden Tage brachte mein Bruder ihn zu uns. Touai sprach mit mir, ohne alle Auszeichnung, kam aber von nun an oft, und endlich alle Tage. Mein Vater fieng an ihn hoch zu schäzen; meine Mutter liebte ihn, und mein Bruder sprach mit Bewunderung von seinem edlen Charakter. Ich ward unruhig; denn ich sah seine Bewerbungen um mich, ob sie gleich so unmerklich waren, daß sie selbst meiner Mutter entgiengen. Vor einigen Tagen, als er wieder bei uns war, bekam mein Vater mit einem Kurier einen Brief aus Paris. Er wurde beim Lesen unruhig, wollte es verbergen, und warf – der Himmel mag wissen, wie es zugieng – von ungefähr einen Blik auf mich. Dieser einzige Blik sezte mein ganzes Wesen in Aufruhr; ich glaubte der Brief könnte keinen Andern betreffen, als dich. Du warst nicht gekommen, ich hatte keine Nachricht von dir; meine unbeschreibliche Angst, der Blik meines Vaters – Ganz ausser mir, rief ich: Gott! sagen Sie, lieber Vater, was ist es? – Er erschrak über mich, und wurde blaß. Meine Mutter, die nichts gesehen hatte, stand mit einem ängstlichen Schrei auf, und schloß meinen Vater in ihre Arme. Wahrscheinlich verlor er durch unser Geschrei die Besinnung; er drükte mich an seine Brust, und sagte leise: »wir sind unglüklich! Faßt euch! Ich bin ein Bettler; die Unmenschen haben mein Vermögen eingezogen.« Es fiel mir wie eine schwere Last vom Herzen; ein langer Seufzer machte mir Luft, und ich vergoß einen Strom von Thränen.

Touai hatte, als mein Vater kaum anfieng, den Brief zu lesen, seinen Hut genommen, wahrscheinlich, weil er dessen Unruhe bemerkte. Jezt stand er unentschlossen da, und sah bald mich, bald meinen Vater an. Nach einem Augenblike gieng er auf diesen zu, und sagte bescheiden: Herr Vicomte, ein Ungefähr hat mich zum Zeugen Ihrer Unruhe gemacht. Ich nehme so innigen Antheil an Ihrem Schiksale, als ob es mich selbst getroffen hätte. Allein... – (Er zitterte, als er das sagte; seine Unruhe zeigte sich in Stimme und Stellung) – Ihre Tochter... Ihre reizende Tochter... Machen Sie dieses Unglük zu meinem Glüke... nehmen Sie mich in Ihre liebenswürdige Familie auf. Geben Sie mir die Erlaubniß, Ihrer Tochter meine ehrfurchtvolle Liebe... – Er zitterte heftig bei diesen Worten; dann warf er sich ungestüm um den Hals meines Vaters, und rief: seyn Sie mein Vater! – Mein Vater war heftig erschüttert; und ich, wie vernichtet.

Touai küßte meine zitternde Hand, und sagte mit sanftem Tone: ich habe Sie erschrekt, das wollte ich nicht. Aber noch muß ich Ihnen sagen, daß ich, seitdem ich Sie zum erstenmal gesehen habe, nichts von dem Himmel bitte, als das Glük, Sie mein nennen zu dürfen. Ich bin unabhängig, – mit diesen Worten wendete er sich an meinen Vater – und habe die Einwilligung meiner Verwandten. Zum erstenmale sage ich das, Herr Vicomte, ich bin reich, sehr reich, aber auch mehr als das: ein ehrlicher Mann. Ich liebe Ihre Tochter; – er wendete sich wieder halb an mich, und es rollten Thränen über seine Wangen – allein wenn sie mir ihre Hand abschlägt, so erlauben Sie mir wenigstens den Trost, eine Familie, für die ich mit Vergnügen mein Leben aufopfern würde, vor Mangel zu schüzen. Ich bin zu bewegt. Erlauben Sie, daß ich gehe; jezt könnt' ich eine verneinende Antwort nicht mit Muth anhören. Zwar wann könnt' ich das? Aber... – Er verbeugte sich tief, und gieng.

So erzählte es mir nachher mein Bruder; ich selbst war wie vernichtet, und hörte nichts. Kaum hatte er sich entfernt, so warfen meine Eltern ihre Blike auf mich. Mein Vater kam zu mir, und schloß mich schweigend in seine Arme, und sagte tief bewegt, beinahe mit einem Schluchzen: Klara, ich bin ein Bettler. Touai ist ein sehr edler Mann. – Dann wendete er sich schnell von mir, und gieng in ein Nebenzimmer. Meine Mutter ergriff meine Hand. Ich hob die Augen, und fiel mit einem Tone des Schmerzes in ihre Arme; denn ihr Blik sah aus, als ob sie sich vor mir niederwerfen wollte. Und was wäre aus deiner Klara geworden, wenn ihre Mutter vor ihr geknieet hätte? Ich sank vor ihr nieder, verbarg mein Gesicht in ihren Schoos, umarmte ihre Knie, und schloß mich fest an sie, ach! nur um zu hindern, daß sie nicht niederfallen möchte. Mein Bruder hatte Mühe, mich aufzurichten. Sieh! nun standen wir da, auch mein Vater in der Thür – alle tief erschüttert und schweigend. Ich mußte den Blik von meinem Vater abwenden; denn er hatte die Stellung eines leidenden Mannes, der nach langem Ringen mit dem Unglük endlich darunter erliegt, und nur mit einem Blike Hülfe fordert. Erst, als ich auf meinem Zimmer allein war, hielt ich mich für gerettet; und dennoch umringten mich die Seufzer meines Vaters, dennoch forderten laute, mächtige Stimmen von mir Gehorsam und übertäubten beinahe den Zuruf meiner Liebe. Klairant, kann ich es dir läugnen? Die Stimme des Blutes ist so mächtig, wie die Stimme der Liebe. Jezt fühlte ich zum erstenmal die Pein innerer Vorwürfe; und zitterte vor dem Anblik meines Vaters; Ein Ton von meiner Mutter sezte mich in quälende Angst. Ich fürchtete den Anblik der Natur; nur schüchtern hob ich den Abend meine Augen zu den Sternen auf, und jezt erst wußte ich, was Unglük, was Elend heißt.

Am folgenden Morgen kam meine Mutter ganz früh, als ich noch im Bette lag, zu mir. Ich fühlte, daß ich blaß wurde. Sie sezte sich auf mein Bett, und sah mich mit Bliken an, die mein ganzes Wesen durchdrangen: mit einer betrübten Zärtlichkeit, mit einer furchtsamen, unruhigen Ungewißheit. Mehr als Einmal öffnete sie die Lippen, etwas zu sagen. Die Worte erstarben ihr; aber sie war so gütig, mir die Angst, die sie stumm machte, unter einem Lächeln verbergen zu wollen. Jezt öffnete mein Vater die Thür. Ich verbarg mein Gesicht an der Brust meiner Mutter, und weinte. Er faßte ihre Hand, zog sie von dem Bette auf, und sagte mit einer bebenden, freundlichen Stimme: »nein, beredet soll Klara nicht werden. Laß sie, laß sie! Armuth ist kein Unglük. Klara, du sollst keinen Vorwurf von deinem Vater hören, dein Herz wähle was es wolle. Sieh, dann wollen wir, deine Mutter, ich und du, Deutschland durchziehen, unser Brod vor den Hütten suchen, und uns alle Drei mit Freundlichkeit täuschen. Wenn wir die Nacht unter einem Baume liegen, von Kälte und Regen erstarrt – dann wollen wir uns überreden, daß wir dennoch glüklich sind; und versagt Deutschland uns Brod, weil es uns haßt, so kehren wir nach Frankreich zurük. Ich bringe dann meinen grauen Kopf unsern Feinden dar. Ihr Beiden sollt mich anklagen, daß ich euch mit Gewalt gezwungen habe, Frankreich zu verlassen, und ich will es bestätigen. Mein Blut fließt, und ihr – o, die Unmenschen werden euch doch wenigstens sättigen; und thun sie das, so will ich gern sterben. Sieh, Klara, ich bin entschlossen, ohne alle Klage dahin zu gehen, wohin du uns führst. Ruhig vertraue ich meinem Kinde mein Schiksal an. Führst du mich an das Blutgerüst – wohl denn! ich will lächelnd sagen: es war Liebe, die mich dahin führte.« Er drükte einen sanften Kuß auf meine Lippen, und dann gieng er mit meiner Mutter.

Klairant, wirf einen Blik, nur Einen, auf die Empfindungen meines Herzens, wenn du wissen willst, daß es noch anderes Elend giebt, als dein Herz kennt. Und wenn ich auch für dich weiter nichts gethan hätte, als daß ich mich nicht in die Arme meines Vaters warf, und ausrief: ich will Touai meine Hand geben; so wäre es genug, mehr als du je für deine Klara thun kannst. Klairant, du müßtest ungerecht seyn, wenn du das nicht fühltest!

Ach, wenn ich nun bei ihnen bin, wenn ich die Blike sehe, die sie auf mich werfen! Solche wirft nur eine Mutter auf den Arzt, der über das Leben ihres einzigen Kindes entscheiden soll. Mit diesen unwiderstehlichen Bliken betrachten sie mich. Ein kleines, halbes, gezwungenes Lächeln von mir ist wie ein belebender Sonnenschein, und macht sie heiter; eine Falte auf meiner Stirn bringt meine Mutter zum Zittern. – So schleichen unsere Tage jezt hin. Stumm, traurig, gehen wir neben einander weg, wie Menschen in einem Hause, worin ein geliebter Kranke dem Tode nahe ist. Unsere Liebkosungen sind nur Zeichen: lächelt der Eine, so lächelt der Andere wehmüthig mit; aber in allen Augen stehen Thränen, und machen das Lächeln zu einer Lüge.

Das ist mein Zustand, Klairant, mein unglüklicher Zustand! Touai reiste noch an eben dem Tage ab, da das Elend anfieng. Er hat meinem Bruder sagen lassen, daß er in vierzehn Tagen zurükkommen würde. Acht sind schon vorüber. – Ach, Klairant! Klairant! ich habe Muth, wie irgend ein Mädchen; aber – O, du solltest ihre Blike sehen, du solltest nur einen Händedruk von meiner Mutter fühlen; und sie giebt mir Hunderte! Ihre Hand zittert. Ihr Blik will lächeln; aber es dringen Thränen hervor, die sie mir vergebens zu verbergen sucht. O, du solltest nur Einen Blik auf meinen Vater werfen; nur ein einziges mal hören, wie dein Freund Plessis mit zwei Worten: »Klara, es ist dein Vater!« mich erschüttert. Alles ist gegen unsere Liebe im Bunde, selbst – selbst – ach, Klairant! selbst das Gewissen deiner Klara.

Da lieg ich die Nächte, kein Schlummer kommt in mein Ange, das in die Nacht hinein starrt. Ich überlege und rechne. Da steht Liebe gegen Liebe, Pflicht gegen Pflicht, Treue gegen Treue. Jezt höre ich die Stimme meiner Eltern mich anklagen; dann fährt dein Seufzen durch meine Brust. Mein Unglük? o, daran denk' ich nicht. Das Grab wäre mir jezt willkommen. Oft vergehen mir die Sinne; ich fürchte wahnsinnig zu werden. Und dabei schleicht sich ganz heimlich der abscheuliche Gedanke mit ein: vielleicht träumtest du dann sie Alle glüklich! Ich bin das Opfer: das weiß ich; und es erschüttert mich nicht. Aber mein Ausspruch soll über die entscheiden, die ich liebe; das ist grausam, sehr grausam!

Klairant, du hast meine Empfindungen richtig ausgedrükt. Wie wenig ist mir das Leben! Nein, unsre Herzen sind nicht aus alltäglichem Stoffe geformt. Ich warte mit schmerzlicher Sehnsucht auf deine Antwort; sie soll – nicht mein Glük; denn das ist dahin – nein, meine Handlungen entscheiden. Dir will ich folgen. Was du auch wählst, es soll mir seyn, wie das unvermeidliche Urtheil des ewigen Schiksals. Dann laß uns getrost dem Zuge unsres Verhängnisses folgen. Was du auch wählst – wir wollen dem Ausspruche gehorchen, wie Verzweifelte, denen Elend und Glük gleich ist. Das Schiksal hat uns Beide auf den fürchterlichen Punkt gestellt, daß uns nichts mehr übrig bleibt, als die einzige Wehr: Verzweiflung.

Klairant, ich lese nichts mehr als eine Stelle in deinen Briefen, und die ist Balsam für mein zerrissenes Herz. »Es sind Schiksale möglich, die uns hindern können, je mit einander zu leben. Aber ich fühle, das kann nicht lange dauern. Der Gram würde mein Leben verkürzen, das ohne dich eine drükende Last ist; und am Grabe brechen sich ja die Wellen des menschlichen Elendes. Ueber das Grab hinaus reicht es nicht; und dann find' ich ja das Herz meiner Klara.« Sieh, das lese ich jeden Tag zehnmal. Etwas Wahreres hast du nie geschrieben. Wir werden vor Gram sterben; und dann siehst du das treue Herz deiner Klara wieder! Klairant, ich habe mich auf die Kniee geworfen, und die Stelle mit dem felsenfesten Gefühle gelesen, daß nichts in der Welt, selbst die Ewigkeit nicht, unsre Herzen trennen kann!

Nun, Klairant, wähle, für mich und dich! Du hast mein Herz, und sollst auch mein Schiksal bestimmen. Wähle! Ich zittre; aber ich bin gehorsam. Ach, der Befehl zu sterben, wäre mir der liebste. Wähle, Klairant. Mein Leiden soll dein Werk seyn, damit ich es mit Geduld ertrage. Leb wohl, leb ewig wohl!

 

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