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XXII.
Klara an Klairant.

War ich vergnügt, als ich deinen Brief las, oder war ich traurig? Ich weiß es nicht, Klairant. Bei allen deinen schönen Hoffnungen traten mir – ich weiß nicht, wie es zugieng – Thränen in die Augen; und Hoffnungen sollte man doch nicht mit nassen Augen empfangen. Die Versicherungen deiner Liebe, bester Klairant, haben meinem armen Herzen wohl gethan; aber andre Hoffnungen als deine Liebe, Hoffnungen auf die Zukunft, wollen nicht recht mehr für mich passen. Es ist, als ob eine weissagende Kraft in meiner Seele sie alle von meinem Herzen zurükstießen. Sag, auf was soll ich Arme hoffen? Lese ich deine Brief – und ich muß ihn fast immer in den Händen haben, wenn ich nicht unruhig werden soll –: so scheint es mir so wahr, was du sagst, daß es unmöglich ist, uns hier zu verbergen: Seh' ich aber wieder die hohen, steilen Felsen, an welche die Häuser gelehnt sind, und welche so hoch über alle Gebäude wegragen, und denke ich mir mitten darin eine Höhle, in der wir leben könnten; – ach! ich halte es nicht für unmöglich, jede Nacht den Felsen herabzuklettern, Lebensmittel auf einige Tage einzukaufen und vor dem Anbruche des Morgens in unsern glüklichen Winkel zurükzuschlüpfen. Ich weiß nicht, Klairant, wie es zugeht; aber jedesmal fällt mir eine Geschichte ein, die du mir einmal vorlasest, von einer Geliebten, (ich glaube, sie hieß Eponine) die über acht Jahre mit ihrem Geliebten unter der Erde in einem dunkeln Felsengewölbe zubrachte. – Vergieb mir, Klairant, wenn ich Unrecht thue; ich mag vielleicht krank seyn. Aber sieh, wenn mir die Geschichte einfällt, dann schlage ich die Hände geduldig zusammen, und jammere darüber, daß es uns nicht möglich ist. Ich denke dann immer, mir sollt' es wohl möglich seyn, mein ganzes Leben mit dir unter der Erde zuzubringen, wenn du nur einwilligen wolltest. Warum geht es aber nicht? frage ich mich selbst. Dann fällt mir wohl ein, daß du nicht willst, weil ich noch glüklicher werden soll; aber, aber das Glük, das Glük, lieber Klairant! Man sollte ja das kleinste annehmen, das einem sich darbietet; denn man kann ja doch nicht wissen, ob der Augenblik jemals wieder kommt.

Pressy's Braut ist hier, weil sie baden soll. »Ach!« sagt sie oft zu mir; »geben Sie Acht, man wird mich in Embs begraben.« Dann erzählt sie mir, daß sie längst hätte Pressy's Gattin seyn können; und sezt mit einem Seufzer hinzu: »aber ich wollte noch glüklicher seyn; wollte an Einem Tage mit meiner Schwester heirathen. Wir verschoben Beide den Tag unseres Glükes; und nun ist er verschwunden.« Das arme, kranke Mädchen ist mein einziger Umgang. Sie verschob den Tag ihres Glükes, und muß nun sterben, ohne ihn erlebt zu haben! Sieh, Klairant, das mag es denn auch wohl seyn, was mich so ängstlich macht. Lese ich deinen Brief, so werde ich wieder ganz heiter; nur dauert es nicht lange. Ich fürchte immer, daß keine deiner schönen Hoffnungen erfüllt werden wird.

Wie fängst du es an, Klairant, dein Vaterland so heiß zu lieben? Ach, ich weiß nichts, gar nichts auf der weiten Welt zu lieben, als dich, dich allein, Klairant. Nimm es mir nicht übel – wenn ich so lese, wie zärtlich du dein Vaterland liebst, mit welcher Innigkeit du davon redest, so komme ich allemal auf die Worte in meiner Rolle:

                  Ta patrie! Ah barbare! en est-il donc sans moi Dein Vaterland? Ach, Grausamer! hast du eins ohne mich??

Ich tadle mich selbst, daß ich dir den Vorwurf mache; doch in eben dem Augenblike öffnen sich meine Lippen wieder, und flistern den Vers: Ta patrie! Ah barbare! Ach, Klairant, es ist wohl schön, sein Vaterland zu lieben: aber ich bin gar zu traurig. Ich liebe nur dich, und du bist entfernt. – Du weißt nicht alles; ich wollte nicht gern klagen, um dein Glük nicht zu stören. Mein Vater wird mit jedem Tage kälter gegen mich. Nur meine Mutter nimmt mich in ihren Schuz; sie muß aber dafür den Zorn, den Unwillen meines Vaters tragen, der mir gilt. Mein Bruder ist wieder in Koblenz. Ach, ich bin jezt sehr verlassen! Lucie ist die Einzige, die sich meiner annimmt; aber was kann sie anders als mit mir weinen? Ich werde von Tage zu Tage furchtsamer. Deine Versicherungen haben mich nicht muthiger gemacht; denn unser Vaterland – ach, Klairant, das meinige ist in deinen Armen. Leb wohl und glüklich. »Klairant neben Klaren!« O, wenn der erste Augenblik, da du mich wieder siehst, auch mein lezter wäre! Wenn das seyn soll, so sei es nur bald!

                   

Ta Claire, cher Clairant! est un être fragile:
Ton sein ou mon tombeau, voilà mon seul asyle
Deine Klara, lieber Klairant, ist ein sterbliches Wesen: dein Herz, oder ihr Grab, ist ihr einziger Zufluchtsort!!

Klairant las diesen Brief von Klaren, und der Gram, der ihn geschrieben hatte, theilte sich ihm mit. Er drükte ihn an seine beklemmte Brust, las ihn wieder, und Klarens sanfte Vorwürfe giengen ihm durch das Herz. Die beiden Verse am Ende drangen wie Feuerflammen in seine Seele, und der Gedanke an sein Vaterland verschwand aus ihr. Er sah nur seine Klara, todtenbleich, abgezehrt, dem Grabe zusinken, und bebte vor Furcht, sie nicht wieder zu sehen. Diese Empfindungen stürmten heftig in seiner Seele. Er nahm in ein Paar Zeilen von seinem Vater auf einige Tage oder Wochen Abschied, stekte Geld ein, gieng Rebenwege durch Gehölze, durch Felder und kam glüklich, ohne entdekt zu werden, über die Gränze. Kein Gedanke an sein Vaterland, keine Ueberlegung hielt ihn auf. Er eilte nach Trier, blieb dort nur so lange, bis er wieder einige Kräfte gesammelt hatte, und gieng dann den Weg nach Koblenz. Im Martinsthale fand er die Stelle, wo Klara gesessen hatte; hier, wo er gleichsam wieder mit ihr vereinigt war, sezte er sich hin, und las ihre Briefe noch einmal. In Koblenz stand er am Rhein vor dem Hause still, wo Klara gewohnt hatte, und wo er noch jezt die Blumentöpfe, die ihm zum Zeichen hatten dienen sollen, vor dem Fenster sah. Er sezte sich gegenüber auf die Mauer, die den Rhein einfaßt, und betrachtete das Fenster. Die Nacht, in der er Klaren hatte abholen sollen, stellte sich seiner Seele lebendig dar. Seine Geliebte kam aus dem Hause, flog ihm entgegen, und er führte sie in seinen Armen fort. Jezt verwünschte er seine damaligen Bedenklichkeiten, die seine Klara krank gemacht hatten. Der Vers:

                  Ton sein ou mon tombeau, voilà mon seil asyle!

fiel mit Gewalt auf sein Herz. Langsam hob er seine Hände zu Klarens Fenster auf, als ob er sie da stehen sähe, und murmelte leise den Vers:

                  Ta patrie? Ah barbare! en est-il donc sans moi?

»Nein, nein!« rief er dann laut: »mein Vaterland ist verloren! du, du bist meine einzige Hoffnung!« Bei den lezten Worten sprang er rasch auf, und blikte mit ausgestrekten Armen über den Rhein, nach Klaren hin.

In diesem Augenblike stürzte ein junges Frauenzimmer herbei, ergriff Klairants Arm mit Heftigkeit, und rief Französisch: »Unglüklicher! was wollen Sie thun?« Es war die Tochter des Hauses, worin Klara mit ihrer Familie gewohnt hatte, und jezt ihr Bruder wieder wohnte. Sie sah, als sie am Fenster stand, daß ein schöner, junger Mann vor ihrem Hause stehen blieb, und es mit Wildheit in den Augen, in den Bewegungen betrachtete. Aus Theilnahme und Neugierde gieng sie vor die Thür, und sah nun den jungen Mann sich auf den Rand der Mauer sezen, Thränen vergiessen, und mit den Zeichen des tiefsten Kummers in sich versinken. Dann sprang er rasch auf, breitete die Hände dem Rhein entgegen, und rief: »du, du bist meine einzige Hoffnung!« Sehr natürlich glaubte sie nun, er wolle sich in den Rhein stürzen. Sie sprang hinzu, und zog ihn mit allen ihren Kräften vom Ufer weg in das Haus.

Klairant wußte nicht, wie ihm geschah, und blikte das Mädchen, das ihn fortriß, mit Erstaunen an. Auf der Hausflur sagte sie noch einmal: um Gottes willen, unglüklicher Mann! besinnen Sie Sich! – »Klairant! Klairant!« rief du Plessis in diesem Augenblike, und warf sich in die Arme seines Freundes, der noch immer nicht wieder zu sich selbst gekommen war. Das Mädchen sagte zu dem jungen du Plessis: Sie kennen ihn?... Er wollte sich eben ermorden! – »Ermorden?« rief du Plessis; »ermorden wolltest du dich? Unglüklicher! hast du Klaren vergessen?« – Klairant sah Beide mit Erstaunen an, und fragte langsam: ermorden? Ich weiß von nichts! – Das Mädchen erzählte, was sie gesehen und gehört hatte, und sezte hinzu: nun sagen Sie selbst, Herr du Plessis!

»Ah, Mamsell,« antwortete dieser lächelnd, »glauben Sie mir, nicht ein Sprung in, sondern über den Rhein ist seine einzige Hoffnung.« Das Mädchen erwiederte: aber das ist ja unmöglich! – »Freilich!« sagte du Plessis; »gebe der Himmel, daß ich ihn davon überzeuge!«

Nun führte er Klairant auf sein Zimmer, und fragte ihn über die Absicht seiner Reise. Klairant sah ihn starr, bedenklich an, schwieg, und schüttelte, schmerzlich lächelnd, den Kopf. Du Plessis schlang seinen Arm um ihn, und sagte zärtlich: »so, so mit dir, fürchte ich den Bettelstab nicht; und du hast Mißtrauen gegen deinen Freund?« – Klairant reichte ihm mit einem ernsten Blike Klarens lezten Brief. Du Plessis las ihn zweimal, und sagte: »nicht wahr, deine Brust soll ihr Zufluchtsort seyn? – Klairant seufzte. »Seufze nicht!« sagte du Plessis mit der alten Herzlichkeit, die der Anblik seines Jugendfreundes ihm gänzlich wiedergegeben hatte: »du sollst Klaren sehen; ich will sie in deine Arme führen.«

Schon eine Stunde nachher sassen Beide in einem Wagen, und machten sich auf den Weg. Vor Embs mußte Klairant aussteigen. Du Plessis bezeichnete ihm im Gebüsch eine Stelle, wo er warten sollte, und fuhr nun allein in das Städtchen hinunter.

Klairant gerieth bei der Vorstellung, daß er wieder so nahe bei Klaren wäre, in die heftigste Bewegung, und die Zeit gieng ihm unerträglich langsam vorüber. Du Plessis bat seine Schwester, einen Spaziergang mit ihm zu machen, und führte sie durch Embs den Berg hinauf. Sie gieng schweigend neben ihm her. Er fieng mehrere Gespräche an; sie antwortete aber nur halb, und was sie sagte, zeigte den stillen Gram, der an ihrem Herzen nagte: es waren bedeutende Bemerkungen über das Absterben der Natur, über die Herbstfarbe der fallenden Blätter. Ihr Bruder befürchtete für sie Nachtheil von der unerwarteten Freude, die sie haben sollte, und suchte sie auf Klairant's Gegenwart vorzubereiten. Anfangs gab sie nicht Acht auf das, was er sagte; als sie aber seine Absicht merkte, flog eine hohe Röthe auf ihr Gesicht: ihre Augen funkelten, ihre Arme zitterten, und ihr Fuß eilte mit Ungestüm den steilen Berg hinan.

»Klairant,« sagte ihr Bruder, »kann vielleicht in einigen Tagen hier seyn, ja wohl noch früher.« – Wo ist er? rief Klara, und faßte ihres Bruders Arm mit Heftigkeit, wo ist er? – »Liebste Klara«... – Wo ist er? Wo bist du? Klairant! o Klairant! rief Klara mit hochklopfendem Busen.

Klairant stürzte, als er die Stimme hörte, aus dem Gebüsche hervor, und eilte die Höhe hinunter. Klara breitete, sobald sie ihn sah, die Arme aus; sie wollte fort, blieb aber in einer halben Ohnmacht stehen, und lehnte sich an ihren Bruder. Auch Klairants Schritte stokten, und es rollten Thränen aus seinen Augen. Klairant! rief jezt Klara mit einem herzlichen, seelenzerschmetternden Tone. Und nun flogen Beide, als ob dieß Wort sie entzaubert hätte, einander entgegen, riefen zugleich: »Klara!« »Klairant!« und standen da in bewegungsloser Umarmung. Nur die Ströme von Thränen, die aus ihren Augen rollten und sich auf ihren Wangen mischten, zeigten, daß sie noch lebten. Allmählich kamen doch aber Seufzer aus ihren Lippen hervor, und dann halbe Worte. Endlich wurde die Freude sanfter, das Entzüken weniger stürmisch. Klairant sank an einen Baum, und seine geliebte Klara neben ihn. »Sieh!« rief Klara, und zeigte auf die Gegend umher. »Hier bist du nun! ach Klairant! und Klara ist gerettet! Siehst du wohl, daß ich Recht hatte? Ich will dir Thäler zeigen, wohin keine menschliche Macht reicht. Wie glüklich wollen wir seyn! der ganzen Welt verborgen! nun, Klairant, nie wieder getrennt!«

Klairants Augen folgten mit schnellen Bliken dem Finger Klarens, der ihm eine Karte seiner Glükseligkeit zeichnete. Leise, mit fröhlichem Zittern, sagte er ihre heftig gesprochenen Worte alle nach. »Gerettet!... Thäler!... unsre Liebe!... ja, glüklich!... verborgen!« Bei jedem Worte drükte er sie mit Heftigkeit an sich. Ja, Klara! rief er dann plözlich, sprang auf, sah sie mit dunkelglühenden Bliken an, und sagte eilig, so eilig, als ob der Tod ihm die Worte zu nehmen drohte: ja Klara! recht! wir wollen uns retten! Wo ist der Ort? Komm! – Er schlang seinen Arm um ihren Leib, und Beide standen da, als ob sie eben einen Wettlauf anstellen wollten.

»Wo denkt ihr hin?« rief du Plessis auf einmal, und trat ihnen in den Weg. »Habt ihr den Verstand verloren?« Er faßte Klairant bei beiden Schultern, schüttelte ihn, und fragte: »Könnt ihr mich denn noch wohl vorher anhören, ehe ihr anfangt zu laufen?« Sie sahen ihn starr an. »Wohin wollt ihr? Da in irgend ein Thal, wie ich verstehe: wo keine Menschen wohnen, wohin niemand euch nachkommen kann. Ich liesse das gelten im Sommer, wo die Nächte warm sind, zum Spaß einmal. Aber bedenkt doch, daß es Oktober ist, wo ihr in einer Nacht erfriert! Kommt der November, so liegen die Thäler voll Schnee; und wenn ihr den ja überlebtet, so müßtet ihr doch im Februar oder März, wenn der Schnee schmilzt, ertrinken! Klairant, ist das vernünftig? Zeig mir doch deine Börse! Wenn die so gut versehen ist, wie dein Hirnschedel, so möge sich Gott euer erbarmen! Seid ihr wahnsinnig? Wollt ihr euch diese Nacht auf das nasse Gras legen? Wohl! Aber was soll denn Klara morgen anziehen? Oder meinst du, ihr Vater wird ihr morgen ein anderes Kleid bringen?«

Da standen Beide bestürzt. Man fieng an zu überlegen; und Troz der Allmacht der Liebe, auf welche Klara und Klairant sich beriefen, gelang es du Plessis dennoch, ihnen nach und nach begreiflich zu machen, daß es diesen Abend nicht möglich wäre, zu entlaufen, und eben so wenig, sich in dieser Gegend zu verbergen. Klara weinte; denn Klairant überlegte. Sie schmählte mit ihm und mit ihrem Bruder; aber dennoch erhielt Klairant Befehl, diese Nacht in der Silberschmelze so gut hinzubringen, als er könnte, und morgen Nachmittag Klaren mit ihrem Bruder auf dem Hügel zu erwarten, wo man »den einfältigen Handel mit dem Weglaufen (so sagte du Plessis troz Klarens Thränen) näher überlegen wollte.

Man nahm Abschied von einander; denn Klara zitterte vor Frost wie ein Pappelblatt, weil sie nur auf einen Spaziergang im Sonnenscheine gerechnet und ihren Mantel nicht mitgenommen hatte. Jezt war es Abend. Auf dem Rükwege machte Klara noch tausend Plane, wie sie entfliehen könnte, ohne entdekt zu werden. »Ja, ja,« sagte ihr Bruder bei jedem; »das geht vielleicht.« Aber sogleich zerstörte er den Plan durch einen Einwurf. Endlich faßte Klara auf einmal ihres Bruders Arm, kehrte sich zu ihm, sah ihn ruhig an, und sagte: wenn denn nichts geht, so flüchte ich mit Klairant in das Grab! Ihr Bruder erschrak vor dem Tone und dem Gesichte, womit sie das sagte. Nun runzelte er die Stirn, und schalt heimlich auf die verzweifelte Liebe, die immer an das Grab appellirt. Er führte seine Schwester nach Hause, wo sie die Nacht in ihrem Bette, ohne Schlummer und mit fröhlicher Unruhe, lag.

Auch du Plessis schlief sehr unruhig, weil Klarens lezte Worte ihm aufgefallen waren. Aber noch unruhiger wurde er, als er am folgenden Morgen zu Klairant auf die Silberhütte kam, wo dieser wirklich ein Stübchen gefunden hatte. Er gieng mit seinem Freunde im Thale auf und nieder. »Ein Glük war es,« sagte er, »daß der Zufall mich zu dir führte; denn ich glaube, Klairant, ohne mich wärest du wirklich mit Klaren davon gelaufen.«

O gewiß, das wär' ich! das wär' ich!

»Und nun sag, um des Himmels willen! wohin? wohin, Klairant!«

Wohin Zufall und Liebe uns gebracht hätten; und wer weiß...

»Wer weiß? Im Oktober? ohne Obdach, ohne Kleidung? Wahrhaftig, diesen Morgen hättest du ganz demüthig dem Vater die entführte Tochter wieder zurükbringen müssen.«

Wie? ich? Nimmermehr! Wäre es einmal geschehen – nun, ein Dorf oder eine Hütte hätte uns aufgenommen.

»Und euch auch wieder ausgeliefert. Du kennst Deutschland nicht, Klairant!«

So führt ja ein Weg nach Frankreich?...

»Und deine Geliebte unter die Guillotine! Klairant, es giebt jezt noch keinen Ort, der euch rettet!«

Klairant lächelte, und legte die Hand auf die Schulter seines Freundes. Doch! es giebt einen!

»Und der wäre?«

Ich umfasse Klaren, sie mich, und so sinken wir Beide in den Rhein; der hat noch nie seine Hülfe abgeschlagen.

Du Plessis ließ sich Klarens Briefe zeigen, die Klairant natürlicher Weise mitgenommen hatte, und schüttelte beim Lesen den Kopf. Jezt sah er wohl, daß sein Vater Unrecht hatte, der ihm einmal auf eine Bitte für Klaren zur Antwort gab: »Die Liebe ist so gut sterblich, wie alles Andre auf der Erde. Ein Gebäude fällt vom Stehen, die Liebe durch die Zeit.« Ich muß es, dachte du Plessis, anders angreifen. Er versprach Klairant, daß er diesen Nachmittag Klaren zu ihm bringen wollte, und hielt Wort; aber er war mit seinem Plane auch schon in Ordnung.

Er sezte sich mit den beiden Liebenden auf einen Baumstamm. Nun suchte er ihre ohnehin schon gewekte Heiterkeit bis zu guter Laune zu bringen; und es gelang ihm. Auf einmal ergriff er Klarens und Klairants Hand, legte sie in einander, und sagte halb scherzend: »wenn eure Liebe die Einwilligung eines Menschen braucht, so habt ihr die meinige. Ich sehe, eure Liebe ist unüberwindlich. Es wäre abscheulich, wenn ihr gezwungen seyn solltet, die ganze Glükseligkeit eures Lebens dem hartnäkigen Vorurtheile eines Mannes aufzuopfern. Klairant, nimm meine Schwester. Ihr Bruder giebt sie dir, und von Herzen.« Klara sank mit gerührter Freude an die Brust ihres Geliebten, und hielt mit dem einen Arm ihren Bruder umschlungen. »Aber nun,« fieng Plessis aufs neue an; »was wollt ihr, meine Lieben? Glüklich seyn? Wohl, so laßt euch rathen.« Er hatte sich ihre Herzen jezt vollkommen geneigt gemacht. Nun zeigte er ihnen das Thörichte ihrer Plane; und selbst Klara sah das jezt, weil sie eine neue Hoffnung, ein wirkliches Glük vor sich hatte. »Klara, was fehlt dir denn? Klairant bleibt hier, so lange wir in dieser Gegend sind, und du siehst ihn alle Tage; was willst du mehr? Mögen wir nach Frankreich zurükkehren, oder nicht – eine Veränderung muß doch vorgehen; und jede kann euch nur neue Hoffnungen bringen. Erbittre unsern Vater nicht, liebe Klara! Die Zeit giebt dir sicherere Erwartungen, als eine unbesonnene Flucht, die euch Beide unglüklich machen könnte.«

Klara und Klairant versprachen feierlich, keine Unbesonnenheit zu begehen, und geduldig zu warten; dagegen aber versprach du Plessis, sich ihrer, wenn es die Noth erforderte, sogar öffentlich anzunehmen. Man versiegelte den Bund mit zärtlichen Umarmungen; und nun ließ du Plessis die Liebenden allein. Sie waren auch unter dem fallenden Laube der Eichen und Buchen in einem Deutschen Walde glüklich. Die Stunden verflossen ihnen wie Minuten, und du Plessis kam noch immer zu früh, als er Klaren an den Rükweg erinnerte.

Die Rosen der Jugend fiengen wieder an, auf Klarens Wangen zu blühen, und ein heitrer Muthwille lag wieder in ihren Bliken. Der Arzt schrieb dieß Besserbefinden der Bewegung zu; und die Mutter sagte mit Freude: geh mein Kind, geh! Klara gieng alle Tage, und kam jedesmal heitrer und fröhlicher zurük. War das Wetter übel, so sprach sie Klairant nahe vor dem Fleken unter einer grossen Eiche, wenigstens einige Augenblike. Ihre Augen fiengen erst wieder an zu weinen, als ihr Vater den Aufenthalt in Embs zu kalt fand, und davon sprach, daß er nach Mainz ziehen wollte.

Die Reise dahin wurde beschlossen. Klara sah ihren Geliebten zum leztenmale, und nahm von ihm auf eine Art Abschied, die man sich leicht denken kann. Klairant, der seinen Hoffnungen doch nicht ganz traute, gab ihr noch zulezt den Rath, so viel Deutsch zu lernen, als sie könnte.

Klara reiste nach Mainz ab, und Klairant kehrte traurig nach Frankreich zurük. Er erzählte von Paris, das er nie gesehen hatte, und niemand ahnete, wo er gewesen war.

So hatte Beider Liebe nun wieder neue Hoffnungen, und also auch neues Leben, bekommen. Der Vicomte glaubte zum zweitenmale, aber wieder irrig, Klara wäre von der ihm verhaßten Liebe geheilt. Die Gesellschaften in Mainz erheiterten sie, weil da überall von der nahen Entscheidung des großen Streites zwischen den Bürgern Frankreichs und dem ausgewanderten Adel geredet wurde; ihr Bruder hatte nehmlich ihre Hoffnungen auf diesen Zeitpunkt hingewiesen. Wer jezt sah, mit welcher angespannten Aufmerksamkeit in Gesicht und Stellung sie zuhörte, und wie angenehm sie lächelte, so oft man von dem nahen Einmarsch in Frankreich sprach, der hätte ihr gewiß nicht zugetrauet, daß sie ihres Titels und Ranges so überdrüßig war. Sie konnte selbst den Waffenübungen des Adels mit großer Heiterkeit zusehen; denn sie zeigten ihr doch, daß die Entscheidung ihres Schiksals näher kam. Es stiegen ihr Thränen in die Augen, wenn etwa einmal von Verzögerungen, von Hindernissen gesprochen wurde.

Klara war schon früher von dem glüklichen Erfolge bei den Planen des Ausgewanderten Adels eben so sehr überzeugt, wie Klairant von dem Gegentheil. Ganz natürlich: denn Alles, was sie umgab, sprach von diesem glüklichen Erfolge mit der größten Sicherheit, bewies durch Berechnungen, Briefe und Vorfälle, daß nothwendig eine Gegenrevolution geschehen müsse, und erklärte jeden, der nur den mindesten Zweifel dagegen äusserte, für einen Rasenden. Wie erstaunte Klara nun, als Klairant in seinen Unterredungen mit ihr diese Hoffnungen verlachte, und sie in das Reich der Unmöglichkeiten verwies; als er gerade eben das, was Andre für diese Hoffnungen sagten, gegen sie anführte, und die Unordnungen im Reiche, die Wuth der Einwohner, die heftige Partheisucht, die Ueberspannung aller Köpfe den Felsen nannte, an dem selbst die vernünftigste Gewalt scheitern müsse, weil sie Gewalt sei. »Du kennst das jezige Frankreich nicht,« sagte Klairant, »und darum siehst du es in einem falschen Lichte. Denke doch an uns selbst! Dein Vater kennt die Liebe nicht: er brauchte alle Mittel, welche Ansehen, Gewalt und Macht ihm gaben; und eben dadurch hat er unsre Liebe bis zur Verzweiflung gehoben.«

Klara begriff nicht, wie ihre fromme, gerechte Liebe mit einem zerrütteten, blutigen Lande zu vergleichen wäre, und sie blieb dabei, daß der Adel Frankreich erobern und die neue Verfassung umstossen würde. »Dann aber, Klairant,« fragte sie, »was sollen wir ...« – Der Fall kommt nicht; verlaß dich darauf! – »Aber, Klairant, gesezt er käme!« – Dies »Gesezt er käme,« sagte sie so oft, daß Klairant endlich antwortete: nun, wohl! dann verkauf' ich, was ich habe, und wir leben in Deutschland, England oder Italien.

Klara, die in dem andren Falle tausend Schwierigkeiten sah, hoffte wegen ihres Glükes diesen desto leidenschaftlicher und gewisser. Sie hätte es gern gesehen, wenn die Emigrirten jezt gleich nach der Gränze von Frankreich aufgebrochen wären. »Man bricht auf,« dachte sie; »und mein Vater läßt mich unterdessen hier in Sicherheit. Dann kommt Klairant; wir entfliehen, und sind glüklich.« Und auf diesen Fall, meinte sie, hätte Klairant ihr auch den Rath gegeben, Deutsch zu lernen. Diese Hoffnungen erhielten sie heiterer, als sie selbst vermuthete, obgleich durch die Aufmerksamkeit an den Gränzen ihr Briefwechsel mit Klairant jezt erschwert wurde, der übrigens unter dem Schuze ihres Bruders noch immer fortgieng.

 

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