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XVIII.
Klara an Klairant.

Klairant, unser Schiksal ist nun entschieden. Ich bin dein! Touai, der edle, großmüthige Touai, ist abgereist, und ich bin wieder frei, wie zuvor. Mit einem raschen Schritte habe ich alles zerstört, was unsrer Liebe im Wege stand. Ach, Klairant, wenn ich bedenke, daß du, du – Nein, ich mag keinen Blik mehr auf diese schrekliche Vorstellung werfen. Du hast kommen wollen, schreibt mir die gute Rosiere. Es ist besser, daß du es nicht gethan hast. Mein Klairant, so bist du bald wieder hergestellt, kannst bald wieder selbst deiner Klara schreiben? Du glaubst nicht, wie mich alles das gerührt hat! O, wie lieb' ich dich jezt, da ich weiß, daß du für mich sterben wolltest! Ich bin so taumelnd vor Freude, so verwirrt von den tausend Gedanken über die Zukunft, die durch meine Seele fliegen. Nun gehe es, wie es gehe; trennen wird uns nie eine menschliche Macht. Das fühlt selbst mein Vater jezt, ob er es gleich nicht sagt. Mein Bruder bewundert unsere Liebe; und hienge es von ihm ab, so würde unsre Treue mit dem schönsten Lohne gekrönt. Laß es kommen, wie es will: ich athme doch jezt wieder frei; und wer weiß, wer weiß, wie bald – Ach nein! ich habe an meinem jezigen Glüke genug, und mag keine neuen Hoffnungen. Glaube mir, mein Vater versucht es gewiß nicht wieder, mich treulos zu machen. Nein, er hat unsre Liebe kennen gelernt; er kennt dein, er kennt mein Herz, und meinen Muth.

Es waren noch ängstliche Stunden; aber nun sind sie vorüber, und ich bin glüklich. Wie sich alles so seltsam fügen mußte! Sieh, da lag ich so matt, so kummervoll, so ängstlich. Wenn sich die Thür öffnete, fuhr ich zusammen; denn ich glaubte, nun würde ich die Nachricht von deinem Tode hören. Was meine Eltern von meiner Krankheit dachten, weiß ich nicht. Meine Mutter saß da und weinte; mein Vater betrachtete mich oft mit einem bedenklichen Kopfschütteln. Beide sprachen von Touai nicht ein Wort; eben so wenig von dir. Nun schrieb ich in einer Nacht meinen Brief an dich. Lucie verschafte mir auf mein Bitten alles zum Schreiben Nöthige, denn der Arzt hatte es mir untersagt. Ich schrieb; und von diesem Augenblik an war ich nun auch so fest entschlossen, dein zu seyn, daß es mir vorkam, als ob ich verwandelt wäre. Sonst hatte ich doch noch immer vor meinem Vater gezittert, und das Gespräch von dir vermieden; denn so oft er deinen Namen hörte, wurde seine Stirn finster. Aber jezt? Gott weiß, woher ich den Muth nahm. Ich war jezt so gewiß, dein zu seyn, endlich dein werden zu müssen, daß ich nicht die mindeste Unruhe mehr empfand. Als ich deinen Brief gesiegelt, und Lucie ihn auf die Post gebracht hatte, war mir so wohl, daß dem guten Mädchen Freudenthränen in den Augen standen. Ich trank den Morgen meinen Thee mit unbeschreiblichem Vergnügen; ich sang sogar mit meiner matten Stimme, und würde alle unsre Lieder gesungen haben, wenn mir nicht der Athem so kurz gewesen wäre. Mir war so wohl, so wohl!

Da kam meine Mutter. Ich reichte ihr lächelnd die Hand, und sie umarmte mich freudig. Auch mein Vater kam, und erstaunte über meine Heiterkeit. Er winkte meiner Mutter heimlich zu, als sie eine Frage nach der Ursache meiner Krankheit that. Sieh, ich hätte ihr alles gerade und offen gesagt; aber auf den Wink meines Vaters endete sie das Gespräch anders, und auch ich schwieg. Ich war aber fest entschlossen, von nun an gar kein Geheimnis mehr aus meiner Liebe zu machen. Vielleicht würde vieles anders seyn, wenn ich immer offen und aufrichtig gewesen wäre!

Nachmittags kam mein Vater, und fragte mich bittend: ob ich nicht dem Baron Touai erlauben wollte, mich zu sehen. »Er ist so besorgt um meine Klara,« sezte er hinzu. – Ich hatte nichts dawider. Touai trat wirklich mit einem besorgten Gesichte herein; aber er lächelte, sobald er mich erblikte. »O,« sagte er gerührt; »ich danke Ihnen, daß Sie mir erlaubt haben, Sie zu sehen; nun bin ich doch nicht mehr ganz so bekümmert.« Ich sprach sehr freundlich mit dem edlen Manne. Den folgenden Tag kam er wieder, sezte sich an mein Bett, und plauderte sehr heiter. Meine Mutter gieng auf einen Wink meines Vaters hinaus, und bald nachher wurde er selbst gerufen. Touai stand auf; ich sah aber an meines Vaters Blike, daß er wünschte, Touai möchte nicht weggehen. Nun fragte ich lächelnd: soll ich ganz allein bleiben? und Touai sezte sich mit sichtbarem Vergnügen wieder an mein Bett.

Ich war zu nichts entschlossen, dachte bei meiner Frage nichts, wollte nur meinen Vater überzeugen, daß die Erfüllung seines Wunsches unmöglich wäre. Touai wurde verlegen, unruhig; endlich nahm er meine Hand, und sagte sanft: »wenn Sie die Güte haben wollen, nicht zu glauben, daß ich Sie dränge, so möchte ich wohl eine Frage an Sie thun.« Ich unterbrach ihn: Ehe Sie fragen, erlauben Sie, daß ich Ihnen etwas erzähle. Er sah mich starr an. Nun erzählte ich ihm ganz aufrichtig, ohne etwas zu verschweigen, die Geschichte unsrer Liebe. Dann gab ich ihm deine Briefe. Er wollte sie einsteken; ich bat ihn aber, sie jezt zu lesen. Ich sah an seinem Gesichte, während er las, nur eine leichte Unruhe, zuweilen eine Art von Rührung. Als er mir die Briefe zurükgab, küßte er lächelnd meine Hand, und sagte: »so ist die Frage, die ich thun wollte, unnüz!« Er schien sich zu sammeln. Verzeihen Sie, sagte ich, daß ich nicht gleich Anfangs so aufrichtig war; aber jezt bin ich fest entschlossen, es gegen jeden edlen Mann zu seyn. Er küßte meine Hand zum zweitenmal, und sagte: »aufrichtig? Wollen Sie auch mir Aufrichtigkeit erlauben?« Ich verbeugte mich. »Von diesem Augenblik an nehme ich, so schwer es meinem Herzen auch seyn mag, meine Hoffnungen zurük, wie jeder rechtschaffene Mann in meiner Stelle es thun würde. Ich rede nicht mehr für mich; ich rede für Sie selbst. – Ihr Vater scheint mit dieser Liebe nicht zufrieden zu seyn.« – Ich seufzte – »Und glauben Sie nicht, daß es von Ihrem Geliebten edler wäre, eine Leidenschaft zu unterdrüken, die Sie beseufzen, als...« – O, unterbrach ich ihn lebhaft; wenn es möglich wäre, diese Liebe zu unterdrüken, diese heisse Liebe... –

»Mir wenigstens,« fiel er mit einem sanften, gutherzigen Lächeln ein, »muß es möglich werden; und die Wünsche ihrer Verwandten sind für mich. Doch,« sagte er dann beruhigend, »ich kenn den Mann nicht, den Sie lieben. Seine Briefe hat die Leidenschaft eingegeben; sie sind also nicht der Spiegel seines Charakters. So viel aber weiß ich, meine Theure, daß eine Leidenschaft nicht glüklich machen kann, weil sie nicht dauert; und ich hoffe, Sie lieben mehr den Charakter Ihres Freundes, als seine Leidenschaft.« Ich verstand ihn nicht recht. Nun erkundigte er sich nach dir sehr genau, sehr angelegentlich, und fragte ganz bestimmt: was mir an dir am meisten gefiele. Ich erzählte von dir, und fragte dann: ob ich nicht Recht hätte, dich über alles zu lieben. Er antwortete lächelnd: »das kann wohl nur die Zeit und die Erfüllung Ihres Wunsches entscheiden. Ein schönes Herz handelt fast immer richtig, allein es ist gemeiniglich der schlechteste Vertheidiger seiner Handlungen. Sie lieben Ihren Freund... Ich sehe Bekümmernisse für Sie in der Zukunft; Sie scheinen aber den Muth zu haben, sie alle überwinden zu wollen. Beharrlichkeit, ein steter Wille, kann Sie freilich zum Ziele bringen. Was wäre der Liebe unmöglich! Nur Schade, daß sie oft sich selbst zerstört, eben wenn sie das Ziel erreicht!« Er schwieg einen Augenblik, und sah mir dabei zärtlich traurig in die Augen. »Ich bin nicht glüklich,« fieng er wieder an; »denn ich liebte Sie. O, könnte ich mich nur überzeugen, daß Sie glüklich wären, daß Sie, wenn Sie Ihre Wünsche erreicht haben, glüklich seyn werden: dann wüßte ich doch, wofür ich aufgeopfert ward!« Ich weiß nicht, was mich in seinen Worten rührte; die Augen fiengen an mir naß zu werden. »O,« fuhr er fort, »daß dann nur ein äusserer Umstand Thränen in diese schönen Augen loken möge! Leben Sie wohl! Hier gebe ich Ihnen meine Adresse. Wenn einmal eine Stunde kommt, wo Muth, Freundschaft und Geld Sie retten kann, so machen Sie Gebrauch davon.« Er verbeugte sich tief, und wollte gehen; aber er blieb noch einige Augenblike, weil mein Vater herein trat, und gieng dann, wie es schien, sehr ruhig.

Nach einigen Tagen machte er seinen Abschiedsbesuch bei uns, und verließ Koblenz. Als er weg war, wendete sich mein Vater zu mir, und fragte, ein wenig empfindlich: »weißt du nicht, Klara, warum Touai seine Bewerbung um dich abgebrochen hat?« – Ja; ich habe ihm gesagt, daß mein Herz nicht mehr frei ist. – Er wendete sich ab; dann fragte er: »hast du ihm den Pächterssohn genannt?« – Ja; er hat Klairants Briefe gelesen. – »Welche Briefe? Schreibt er dir noch jezt?« Nun trat er auf mich zu, und fragte mit einem freundlichen Blike: »Klara, ist es nicht möglich, daß du ...?« – Es ist unmöglich, mein Vater, unmöglich, daß ich je einem Andern gehören kann, als Klairant: davon sollte Sie meine Krankheit überzeugt haben. – »Deine Krankheit? wie so?« – Ich gab ihm dein leztes Billet. Er las es, behielt es lange Zeit vor den Augen, gab es mir dann wieder, und warf einen rathenden Blik auf mich. Nun nahm er das Billet noch einmal, zeigte mir darin die Stelle: »das Glük deiner Eltern wird dich beruhigen;« und sagte gerührt: »soll es mich nicht schmerzen, Klara? Ein Fremder, sogar Klairant, fühlt das; und nur das Herz meines Kindes fühlt es nicht!« Nach einer Pause fragte er: »war dieß Billet die Ursache deiner Krankheit?« – Ja! – »Nun denn,« sagte er erbittert, »wenn diese unselige Leidenschaft dein jungfräuliches Gefühl so gänzlich zerstört hat, so darf ich mich freilich nicht wundern, daß deine Liebe zu uns dahin ist. Ihm that ich Unrecht; wahrhaftig, großes Unrecht; das seh' ich erst jezt. Ich nannte ihn deinen Verführer!« – Er wendete sich schnell um, und gieng. Ich wußte nicht sogleich, was er damit sagen wollte. Jezt seh' ich wohl, daß er dein Billet nicht verstand. Er meinte, du hättest meiner Hand entsagt, und darüber wäre ich krank geworden. Ich freuete mich über den unschädlichen Irrthum; denn er rechtfertigte dich.

Am Abend kam mein Vater zu mir auf mein Zimmer. Er sezte sich, blikte mich eine Weile unruhig an, und sagte endlich: »du scheinst deiner Sache so gewiß zu seyn, Klara. Darf ich die Briefe sehen, die er dir geschrieben hat?« Ich holte sie hervor, und er las sie langsam, einen nach dem andern. Bald schien er während des Lesens unruhig, bald erbittert. Ach, mich dünkte, die rührende Sprache deiner Liebe und deines Grams müßten eine bessere Wirkung auf ihn thun! – Er legte die Briefe zusammen, und gab sie mir zurük. Dabei lächelte er mit einer Art von Spott, der in meinem Herzen die Empfindung des Kummers über die Unruhe, die ich ihm machte, wieder zerstörte. Endlich sagte er: »wie ich sehe, Klara, hast du deinen Plan geändert; du glaubst, deine Wünsche nicht mehr verbergen zu dürfen. Aber sei nichts halb; rede einmal ganz aufrichtig! Bildest du dir ein, es wäre je möglich, meine Bewilligung zu dieser unseligen Liebe zu erhalten? Meinst du, Elend, Mangel, Kummer können mich so weit erniedrigen, daß ich ihm deine Hand gäbe?« Ich sagte leise, mit Thränen in den Augen: ja, mein Vater; ich hoffte, meine Liebe, mein Gram, mein Elend müßten endlich Ihr Herz rühren. Ich glaubte, Sie würden Ihre Klara lieber weniger glüklich sehen wollen, als gar nicht; und noch jezt hoffe ich, Sie werden es Klairant einmal erlauben, mein Leben zu retten. Denn, mein Vater, dieser Gram, diese Unruhe, dieses Toben in meiner Brust muß endlich mein Leben zerstören; muß... – Er lächelte bitter, und drükte meine Hände, die ich aufgehoben hatte, mit einer gewissen Heftigkeit auf meinen Schooß zurük. »Nein, mein Kind« sagte er dann; »die Liebe ist keine tödtliche Krankheit. Aber wenn sie es auch wäre... nein, Klara, auf meine Einwilligung rechne nie. Selbst wenn ich so schwach seyn könnte, einer neuen Betriegerei zu glauben, so schwach, ihn selbst an dein Bett zu führen, um dich vom Tode zu retten: dennoch darfst du nicht darauf hoffen. In dem Augenblike, da ich seine Hand in die deinige legte, würde ich ihm fluchen; den ersten Augenblik der Besonnenheit würde ich benuzen, eure Verbindung wieder zu trennen. Nein, Klara, auf meine Einwilligung rechne nie!«

Mein Vater war heftig geworden. Er hielt noch immer meine Hand, und preßte sie in der seinigen, daß es mich schmerzte. »Aus seinen Briefen sehe ich,« fuhr er fort, »daß du mit ihm nach Frankreich hast entfliehen wollen. Ich kann dich nicht hüten, Klara, kann es nicht hindern, wenn du davon gehen willst; auch darf ich es nicht, das weißt du, weil ich meine und deine Ehre liebe. Eben so wenig mag und kann ich es hindern, daß du ihm, und daß er dir schreibt. Aber, Klara, wahrhaftig! die Liebe ist ebenso kurzsichtig, wie die Vorsicht des Vaters. Entfliehen kannst du; doch wo willst du dich verbergen, wo den Räuber meiner Tochter und meiner Ehre, ohne daß ich dir folgen könnte? Geh immerhin nach Frankreich! Meinst du, daß mir dessen Gränzen verschlossen sind? Bei meinem Leben, Klara! das Gesez, das mir den Tod drohet, soll mich nicht zurük halten! Ich werde dich, ich werde ihn finden; in deinen Armen oder mit dir am Altare: gleichviel! Wo ich den Räuber des Meinigen entdeke, da trifft ihn meine Rache. Er mag mir zeigen, was die Liebe kann; ich zeige ihm dagegen, was ein Vater darf. Das Uebrige ist ein Trauerspiel, worüber du keine Thräne weinen wirst; denn du hast für deinen Vater nichts, auch nicht einmal eine Thräne, ein Gebet: alles gehört dem Menschen, von dem du bezaubert bist. Klara, so hast du vielleicht die Sache noch nicht angesehen. Darüber jammere nun erst mit ihm! Klage deinen harten Vater bei ihm an; aber sag ihm auch, daß er sich hüten soll, seine Hand an die Tochter des Vicomte du Plessis zu legen: denn – bei allem was mir heilig ist! – und wenn er sich mit dir in der National-Versammlung verstekte, ich würde ihn auch da suchen, da, wo mein Tod unvermeidlich wäre. Nichts, Klara, als mein Tod, kann dir die Erlaubniß verschaffen, seinen Namen anzunehmen; und auch noch die lezte Bitte deines sterbenden Vaters soll dich von ihm trennen, oder doch dein Leben mit einem reuevollen Andenken verbittern.«

Klairant, diesen Sturm habe ich ausgehalten! Die Stimme meines Vaters wurde immer feierlicher, je länger er sprach, und zulezt mischte sich sogar ein Ton von Wehmuth hinein. Mein Herz war zerrissen, und ich zitterte vor seinen Drohungen; aber meine Liebe zu dir fühlte ich nicht minder, und wünschte nicht einmal, ihm gehorchen zu können. Das that mir selbst sehr weh, indeß beruhigte ich mich darüber. Sieh, in allem was mein Vater sagte, war doch auch nicht Ein Grund, Eine scheinbare Ursache, warum ich unsere Liebe hätte verdammenswerth finden können. Er sagte eigentlich nur: »ich will nicht, weil ich nicht will.« Kann das unruhig machen? Ich zittre vor seinen Drohungen; aber seine ganze Vorstellung hat auch nicht die mindeste Unruhe in meiner Brust zurükgelassen. Die wenigen Worte, die Touai mir sagte: »ich hoffe, Sie lieben mehr den Karakter Ihres Freundes, als seine Leidenschaft;« die hatten mich unruhig gemacht, ich hörte nicht eher auf, es zu seyn, als bis ich zuverläßig wußte, daß ich wegen deines Edelmuthes, wegen deiner Tugenden liebe.

Seitdem nun – o, ich weiß nicht, wie ich es dir klagen soll! – bin ich wie eine Fremde in meines Vaters Hause. Es thut mir weh, sehr weh! Meine Mutter drükt mich, wenn sie mit mir allein ist, zuweilen heftig in ihre Arme, aber als ob es ihr verboten wäre. Mir gehen immer die Augen über, wenn sie es thut. Wir halten einander umfaßt, ohne uns anzusehen; wir schluchzen Beide, und lassen uns wieder los, ohne uns erklärt zu haben. Ach, will denn mein Vater mir auch das Herz meiner Mutter nehmen? – Sieh, so leben wir jezt, ohne das gegenseitige Vertrauen, das allein meinen Vater berechtigen kann, Gehorsam von mir zu fordern: wie Fremde! wie Fremde! Manchmal, Klairant, bin ich so innig betrübt, daß ich alle Theilnahme an dem, was um mich her vorgeht, verliere. Ach, es ist so seltsam: das Gefühl, nicht geliebt zu seyn, mischt sich in Alles, was ich thue, empfinde und denke, ja selbst in die Gegenstände, die mich umringen. Der Himmel ist mir nicht mehr so blau, die Gegend nicht mehr so schön. Die ganze Natur sieht so mürrisch, so unzufrieden, so trauernd aus, seitdem ich weiß, daß ich nicht mehr geliebt bin. Ich kehre ängstlich in unser Haus zurük, öffne zitternd die Thür zu meines Vaters Zimmer, und habe nicht mehr den Muth mitzusprechen, oder etwas anzugreifen. Zum Essen muß man mich immer nöthigen. Ich fühle, daß ich jezt für ein Geschenk meiner Eltern dankbarer bin, als ehemals; aber Vertrauen, Liebe, sollte doch wohl mehr die Empfindung eines Kindes seyn, als Dankbarkeit.

Neulich – du glaubst nicht, wie weh es mir that! – wir sollten den Prinzen unsre Aufwartung machen. Ich dachte mit Angst an den Tag, denn es fehlte mir ein passender Kopfpuz zu dem Kleide, das ich anziehen sollte. Als der Tag kam, machte ich es mit meinen Haaren, so gut ich konnte, und gieng dann zu meinen Eltern hinein. Meiner Mutter fiel der Kopfpuz sogleich auf. Ich gestand ängstlich, daß ich keinen andern hätte. – »Aber, Klara, warum sagst du das nicht?« – Die Frage preßte mir Thränen aus; und, von Betrübniß überwältigt, antwortete ich mit niedergeschlagenen Augen: o, Gott! darf ich es Ihnen denn noch sagen, wenn mir etwas fehlt? Mich selbst erschütterte meine Frage. Ich beugte mich auf die Hand meiner Mutter, und benezte sie mit Thränen. Sie hob mich auf, drükte mich an ihre Brust, und – sagte nicht, nein, sie rief ganz laut: »Klara, Klara! Du bist mein Kind, mein geliebtes Kind, meine theure Tochter!« Bei diesen Worten schluchzte sie, und konnte sich gar nicht zufrieden geben. Sie wußte nicht, wie sie mir ihre Liebe genug beweisen sollte. Ihre Hände, die mich umschlungen hielten, zitterten auf meinem Rüken. »Ja,« rief sie laut; »du bist mein Kind, von nun an wieder mein liebes Kind!« Selbst mein Vater war gerührt. Er stand erst mürrisch da; doch bald trat er auf mich zu, und streichelte mir die Wange. Er schwieg; aber sein Blik zeigte deutlich genug, was sein Entschluß, oder seine Vaterwürde ihm mit Worten zu sagen verbot. »So,« sagte er endlich, »können wir uns nicht sehen lassen.« Nun sezte er sich auf den Sofa, und zog meine Mutter zu sich. Ich blieb in der Ferne stehen. Er sah erst mich an, und dann neben sich nieder. Endlich bot er mir die Hand, und zog auch mich auf den Sofa.

Hier sassen wir nun alle Drei, stumm, traurig, ohne Muth zu reden. Es war eine peinliche Minute, in der meines Vaters Gesicht sich nach und nach verfinsterte. Er gieng in sein Kabinet, blieb da, den Rüken zu uns gewendet, stehen, und seufzte so laut, daß wir es hören konnten. Meine Mutter gieng im Zimmer auf und ab, und rang die Hände. Ich stellte mich an das Fenster, und wünschte, mit Thränen in den Augen, daß der Rhein mich verschlingen möchte. Ach, Klairant, wenn Herzen, die zu gegenseitiger Liebe bestimmt sind, sich vor einander verschließen – die Empfindung davon ist drükender, als Haß, als offenbare Feindschaft! Ich gieng hinaus. Erst nachher sah ich ein, daß ich mich meinem Vater hätte zu Füssen werfen sollen; vielleicht würde dieser Augenblik ihn gerührt haben.

Nun ist wieder alles, wie vorher. Jeder von uns weiß, daß er Unrecht thut; und dennoch –! Klairant, deine Klara ist nicht glüklich; aber was würde sie seyn, wenn sie dich nicht liebte? Ach, so oft ich mir das vorstelle, verläßt mich alles, sogar meine Gedanken, sogar ich selbst. Nein, ich sollte nicht klagen, so lange ich dich liebe!

 

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