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XXV.
Klara an Klairant.

Noch immer habe ich keine Antwort von dir. Wir wohnen wieder in Koblenz, lieber Klairant, und in unsrem alten Logis am Rhein. O, wie freue ich mich, Klairant, daß ich wieder bei Menschen bin, die mich, und jezt auch dich lieb haben! Du kannst dir nicht vorstellen, Klairant, was ich fühlte, als die Tochter vom Hause mir sagte, daß sie dich kennte. Ich habe lange nicht eine so reine Freude gehabt. Gleich den Tag nach unsrer Ankunft kam sie zu mir auf mein Zimmer, und fieng an zu erzählen, wie es ihr mit dir gegangen war, doch ohne deinen Namen zu nennen. Sie sagte mir: ein junger Mann hätte da auf dem Steine gesessen, und mit Thränen in den Augen nach meinem Fenster hinauf gesehen. »Ein junger Mann?« fragte ich; »nach meinem Fenster?« Nun erzählte sie weiter: du wärest dann auf einmal ausgesprungen, und hättest dich wollen in den Rhein stürzen. Noch immer wußt' ich nicht, von wem die Rede war. Zulezt aber sah sie mich starr an, und sagte: und dieser junge Mann hieß Klairant!

»Klairant?« rief ich, »Klairant?« und in dem Augenblike war mir alles deutlich. Ich umarmte das Mädchen und tanzte mit ihr umher, weil die Freude, das Entzüken, mich wirbelnd machte. Klairant hieß er! sagte sie; und ich antwortete: »ja, Klairant war es!« Nun aber erkundigte ich mich nach den näheren Umständen; und so wie sie erzählte, kamen mir Thränen in die Augen. Ich danke dir, Klairant, für deine Liebe, deine Treue. Sie hat mich tief gerührt. O, ich kann es mir sehr deutlich vorstellen, wie du auf dem Steine gesessen und an mich gedacht hast. Jezt size ich alle Abende auf demselben Steine, und denke an dich. Dann kommt das Mädchen aus dem Hause gehüpft, und zischelt mir ins Ohr: der junge Mann, der hier saß, hieß Klairant! Sie nekt mich unaufhörlich mit dir: bald hat sie noch Spuren von Thränen auf dem Steine gefunden; bald zeigt sie mir ein Blatt Papier, das du verloren haben sollst. Ich Thörin weiß, daß sie Possen treibt; aber dennoch hasche ich wie ein Kind nach dem Papiere, und blike auf dem Steine umher. Ach, und wenn sie sich dann zu mir sezt und anfängt dich zu loben! Zuerst thue ich, als ob es mir gleichgültig wäre; dann aber (denn sie hört nicht auf) muß ich doch aufstehen und sie umarmen. Das Mädchen hat den wahren Weg zu meinem Herzen gefunden.

Sieh, und welchen Vortheil ich schon von meinem Deutschreden habe! Ist mein Vater oder meine Mutter zugegen, geschwind ein Paar Worte, die sie nicht verstehen, über den jungen Mann, und sein interessantes Gesicht! Mein Vater sieht es gern, wenn ich Deutsch rede. Das erste Mal, als er es von mir hörte, wunderte er sich nicht wenig. Ich sprach auf unsrer Rheinfahrt mit dem Schiffer und ließ mir von ihm die Oerter nennen, an denen wir vorbeifuhren. – Hätte ich doch beinahe vergessen, dir von unserer schönen Wasserreise zu erzählen! Wir fuhren von Mainz in einem fremden Wagen ab (unsern eigenen haben wir nicht mehr). Schon auf der ersten Station wurde meiner Mutter übel, weil sie das Stossen des Wagens nicht aushalten konnte. Mein Vater war in Verlegenheit, bis die Wirthin, bei der wir abgetreten waren, die Fahrt auf dem Rhein vorschlug. Mir wurde bange bei dem Vorschlage; aber die Wirthin, mit der ich nachher noch allein sprach, versicherte, daß nicht die kleinste Gefahr bei dieser Reise wäre.

Wir nahmen einen Nachen, eine Art von bequemer Gondel, in der wohl zwanzig Personen bequem seyn können. Meine Mutter bekam einen Lehnstuhl; wir übrigen (es waren unser ungefähr zwölf) sezten uns auf Bänke, die an der Seite des Nachens befestiget sind. Als wir an den Hafen giengen, sagte ein Bekannter zu mir: Sie werden es nicht bereuen, die Fahrt gemacht zu haben. Und er hatte Recht. Zu wiederholen, Klairant, was ich gesehen, was ich empfunden habe, ist mir nicht möglich; der Gegenstände waren zu viel. Sieh, man fährt so schnell hinunter, als ob sechs Pferde in vollem Gallop einen zögen; und noch schneller: denn man legt alle Stunden zwei Meilen ( lieues) zurük. O, ich hätte ganz Auge seyn mögen bei allen den reizenden Gegenständen! Man fährt nicht fünf Minuten, so sieht man auf den Felsen, die den Rhein wie eine Wand einschliessen, eine alte verfallene Burg, dann wieder eine, und so unaufhörlich. »Ist es nicht,« fragte ein junger Franzose, der mit auf dem Nachen war, und zeigte auf eine Menge verfallener Schlösser – »ist es nicht, als ob auch hier eine Revolution gewesen wäre?« Es antwortete niemand. Unser alter Jakob, den er bei seiner Frage in der Reihe herum mit ansah, nikte treuherzig mit dem Kopfe, und sagte: ja, ja! denn es sollen auch lauter Raubschlösser gewesen seyn, wie... – Ich glaube, er hätte ganz treuherzig hinzugesezt: »wie in Frankreich;« wenn der junge Mensch bei dem Worte Raubschlösser nicht aufgefahren wäre. Mein Vater stellte die Ruhe wieder her, und es wurde nicht weiter an die Revolution gedacht.

Du glaubst nicht, wie schön die Ufer sind! Ungeheure Felsenhöhen, von tausendfachen Formen, und alle mit Weingärten oder Waldung besezt, pressen den Rhein wie in eine Rinne zusammen. Zwischen dieser Felsenhöhle strömt er schnell dahin, in lauter Krümmungen, die auch das schärfste Auge täuschen. Sieh, vor dir schließt die Felsenwand den Rhein. Er hat keinen Ausgang, und scheint ein weiter See, den Felsen umgeben. Die Täuschung ist so groß, daß man darauf schwören sollte, man müsse umkehren Il faut se convaincre par soi-même, qu'il y a une route.. Man glaubt nicht eher, daß ein Weg durch die Felsen geht, als bis man nahe bei den lezten ist, und nun zwischen neuen den Strom vor sich sieht. Oft ist dieser bei einer Krümmung so schnell, daß man befürchtet, an den gegenüberstehenden Felsen zerschmettert zu werden. So eben schöpft man vor Angst die Brust voll Athem, strekt die Arme der gefährlichen Stelle entgegen, auf welche der Nachen unwiderstehlich hingetrieben wird, und will aufschreien; aber auf einmal fliegt der Nachen um den Felsen hin, und der breite Strom liegt aufs neue wie ein ungeheurer Spiegel vor den Augen da.

Und nun betrachte wieder die schmalen Ufer! Da liegt Dorf an Dorf, Stadt an Stadt: jedes nur eine Reihe Häuser mit einem schmalen Gange davor; jedes zwischen dem ungeheuren Strome und den unersteiglichen Felsenmassen, die schreklich herab drohen. Oben auf den Felsen stehen alte Ruinen, oder gar neue Dörfer und Städte, terrassenweise über einander. Der Anblik war einzig, Menschen in diesen dem Auge ganz unfruchtbar scheinenden Felsen so nahe aufeinander wohnend, so fröhlich, so glüklich, zu sehen. Kinder, die vor den Hütten spielten, begleiteten mit Geschrei und Händeklatschen das vorüberfliegende Fahrzeug.

An einem Städtchen, oder einer Festung Wahrscheinlich St. Goar und die Festung Rheinfels., oder an beiden, (denn eins schien unter dem andern zu liegen) bat ein rechtlicher Mann meinen Vater um Erlaubniß, mitfahren zu dürfen. Das war mir lieb; denn nun brauchte ich mir von den Schiffern, die uns ruderten, nicht länger Mährchen erzählen zu lassen. So sagte der eine von einem Thurme, der mitten im Rheine steht: ein Fürst wäre dahin geflohen, um einer Menge Mäuse zu entkommen, die ihn, ich weiß nicht warum, verfolgt hätten. Von einem niedlich gebauten Schlosse, das im Rheine zu schwimmen scheint, und auf dem ich schon tausendmal mit dir wohnen zu können gewünscht habe, behauptete er: dahin wären ehedem die Kurfürstinnen von der Pfalz gebracht worden, um ihr Wochenbett zu halten. Von jeder Burg wußte er ein Mährchen zu erzählen, das grotesk genug war. Ich lächelte über seine Gespenstergeschichten, und nun suchte er, wie das ja die Art solcher Leute ist, mich mit den gefährlichen Stellen im Rheine zu schreken. Wirklich kamen ein Paar, wo der Rhein seine Rolle übernahm, und mit heftigem Gebrause von ehemaligen Gefahren an diesen Stellen erzählte.

Die ganze Gegend mit den ungeheuren Felsen auf beiden Seiten, mit den zerfallenen, schauerlichen Burgen, half seinen Fabeln doch so viel, daß sie eine feierliche Stimmung bewirkten; und so war der Seele jede auch noch so wunderbare Erdichtung willkommen. Die seltsamsten, mährchenhaftesten Erzählungen erhielten hier durch die Wunder, welche die Natur gebauet hat, eine Art von Wahrheit. Alles, was man hier sah, war ungeheuer; und so paßten die Fabeln zu dem gegenwärtigen Anblik. Selbst mein Vater, der von dem ganzen Geschwäze nicht ein Wort verstand, sagte, indem er auf alte Ruinen zeigte: »hier müßte man die Geschichte von Karls des Großen Zeiten lesen!«

Du kannst leicht denken, was ich hier that. Brach ein Thal durch die Felsenwand hervor (und das war oft der Fall), so wünschte ich mich hinaus in diese Kluft. Da stand eine einzelne Hütte in der Schluft des Felsens; hier ein Paar blühende Bäume, dort eine ganze Gruppe. Dann, Klairant, wünschte ich mich hinaus mit dir unter die blühenden Bäume. Ach, die Zeit sollte uns dann so schnell hinfliegen, wie der Nachen, auf dem ich saß und wünschte. Mit lauter Freude wollten wir ihr nachsehen, und glüklich seyn! – An dem Felsen hiengen einzelne Menschen, welche ihre Reben behakten. Sie wendeten sich zu uns, sahen einen Augenblik nach uns hin, sezten dann ruhig ihre Arbeit wieder fort, und wir waren vergessen. So, eben so, würden wir den Kummer ruhig vorübergehen lassen, einen Augenblik wollten wir ihn ansehen, und dann ruhig wieder zu unserer Glükseligkeit zurükkehren, um sie desto reizender in finden. Ja, Klairant! denn ist nicht die Liebe unser Glük? und würde nicht der Kummer nur in der Ferne bei uns vorüberfliegen? Klairant, wann wird die Zeit kommen?

Auf der zweiten Hälfte der Reise lernte ich mehr von den Gegenständen kennen. Der Schiffer fieng seine Mährchen aufs neue an; aber der Reisende, den wir mitgenommen hatten, führte jezt den Faden fort, den jener, wie es schien, nur ungern fahren ließ. Zuerst machte er mich aufmerksam auf die Aehnlichkeit der Felsen, die einander gegenüber stehen. Das ist wirklich seltsam. Es scheint, als ob das eine Ufer nur eine Kopie des anderen wäre. Ziehen die Felsen sich hier von dem einen zurük, so thun sie es am andren auch. Hier steht ein Felsen, wie ein Kegel; und gegenüber gewiß ein völlig gleicher. Hier läuft der Felsen in einem langen Rüken hin und dort eben so. Daher stehen bei nahe immer Dorf und Dorf, Stadt und Stadt einander gegenüber. Der Reisende sagte mir nun: wahrscheinlich habe der Strom sich sein Bett in diesen Felsen selbst gebrochen. Ich sann der Idee nach, und stellte mir lebhaft den Augenblik vor, da der Strom in die Felsen, die ihn von allen Seiten umgeben, eingepreßt ist. Er wächst, braust, schäumt, wirft schmetternd Welle auf Welle an das, was ihm im Wege liegt, steigt höher, dringt endlich in eine Spalte, zerreißt den Felsen bis zu seinem Fuß, und wühlt seinen Grund auf. Der himmelhohe Felsen zittert, schwankt; der Strom stößt, schlägt, wüthet, zerschmettert, bis er ihn stürzt. Schäumend springt er eher mit Felsstüken empor, rollt in wilder Zerstörung dahin, schleudert entwurzelte Eichen, ungeheure Granitmassen auf seiner neuen Bahn mit sich fort. Wüthend zerreißt er mit der Gewalt seines Sieges den Weg, den er nehmen will, stürzt den zerbrochenen Felsen vor sich hin, und schafft sich durch seinen Ueberwundenen neue Siege. Klairant, ich möchte das gemahlt haben, was mein Auge sah; es müßte ein erhabenes Gemählde seyn! – Um mir seine Behauptung glaublich in machen, erzählte mir der Mann von den fürchterlichen Wirkungen des Flusses im Frühjahr. Und doch wohnen Menschen an seinen Ufern, und sind glüklich!

Mein Vater bemerkte meine Bewegung, und fragte, was mich so gerührt habe. Ich erzählte ihm, was ich gehört, und noch mehr, wie ich mir es vorgestellt hatte. Man sprach nun im Allgemeinen von den fürchterlichen Wirkungen der Natur. »Denen,« sagte meine Mutter, »ist doch keine Gewalt unter den Menschen zu vergleichen!« Jeder nikte mit dem Kopfe, als ob er diese Anmerkung bestätigte. Nur ein alter, hagerer Mann, den bis jezt niemand bemerkt hatte, sagte: »warum nicht? Mich dünkt, der Ehrgeiz und die Liebe brechen sich mit noch zerstörenderer Gewalt ihrer Bahnen.« Jeder wendete den Kopf in den Winkel hin, woher die Anmerkung kam. »Wenn,« fuhr der Mann fort, »manches Mitglied der Nationalversammlung, oder« – er schien etwas zu unterdrüken – »hier auf dem Schiffe wäre, so würde es meine Behauptung von dem Ehrgeize bestätigen; und Sie, Mademoiselle« – damit wendete er sich zu mir – »vertheidigen wohl die Gewalt der Liebe.« Ich erröthete über und über. Mein Vater unterbrach das Gespräch mit finsterer Stirn; ich aber warf von Zeit zu Zeit einen freundlichen Blik auf den alten hageren Mann in dem Winkel. Findest du nicht auch, daß er Recht hat? Sonderbar, daß ich nicht selbst auf den Gedanken kam! Ich sann nun wohl eine halbe Stunde darüber nach, und fühlte immer mehr, Klairant, daß der Rhein, der sich in Felsen ein Bett bricht, das wahre Bild unserer Liebe ist.

Näher nach Koblenz zu, werden die Ufer immer sanfter, und es erstrekt sich schon ein Thal mit Bäumen landeinwärts. Zwischen sanften Hügeln bricht schon ein kleiner Bach hervor, und ergießt sich in den Rhein. Die großen Naturscenen haben nun aufgehört; aber noch immer bleiben die Ufer merkwürdig. Rechts liegt ein Städchen, wo ein Deutscher Kaiser von den versammelten Fürsten des Reiches abgesezt worden ist; und gerade gegenüber, in einem Kreise sehr schöner Bäume, steht der Königsstuhl, auf welchem ehemals alle Deutschen Kaiser gekrönt wurden: ein Saal, der ganz frei auf acht Säulen ruhet. Und nun kam, ganz nahe bei diesen feierlich großen Gegenständen, die Lahn aus ihren Gebirgen hervor, und goß sich in den Rhein – die Lahn, Klairant, an deren Ufern, in deren schönen Thälern, ich dich so oft gesehen habe! – »Das ist die Lahn,« sagte mein Lehrer. Die Lahn? rief ich, und gewiß leuchteten meine Augen vor Freude. Ich schlug die Deke, welche über das Schiff herunter hieng, ganz auf, um die demüthige Lahn, die mit ihrem sanften, spiegelhellen Laufe so recht zu meinem Herzen paßt, daher kommen zu sehen und mit inniger Dankbarkeit zu empfangen. Ach, Klairant, wie groß war mein Glük, als ich noch fröhlich längs ihr hin gieng, um in deine Arme zu eilen! Weißt du noch, wie ich mich einmal in einem schmalen Fischerkahne mit meinem Bruder übersezen ließ? Da sah ich dich schon am jenseitigen Ufer hinter einer Eiche stehen, und zitterte so heftig, daß der Kahn schwankte. Ich wollte aufspringen, und wäre in das Wasser gestürzt, wenn mein Bruder mich nicht gehalten hätte. Wie könnte ich die Lahn nicht lieben, an deren stillem Ufer ich so glükliche Tage lebte! Wann Klairant, werden sie wieder zurükkehren, diese Tage, da du hinter einem Gebüsche stehst, und auf mich hoffst; da ich dich erblike, und dennoch still an dem Baume weggehe, der dich verbirgt, weil ich noch zu nahe an der Stadt bin; da ich den steilsten Hügel hinanklettere, und in Dornen fasse, um geschwinder hinaufzukommen, einen Pulsschlag eher an deiner Brust zu seyn und dir aufs neue zu sagen: »Klairant, ich liebe dich,« und von dir zu hören: »Klara, meine Geliebte!« Weißt du noch, wie du meine Hand bluten sahest, die Dornen herauszogest, mir Vorwürfe machtest, und mir dabei die Hand zärtlich drüktest? O, ich wünschte, daß ich ein Paar Blutstropfen mehr möchte hervorpressen können, um noch einmal das alles zu hören; und gern hätte ich meine Hände aufs neue in die Dornen geschlagen. Weißt du noch, wie du dich den Abend, als es so stark regnete, vor unser Haus wagtest? Ich war den Tag über traurig gewesen, und wollte mich gerade auskleiden lassen, als ich auf einmal mein Lieblingslied hörte. Nun entschlüpfte ich meiner Lucie, lief an das Fenster, eilte die Treppe hinunter, öffnete leise die Hausthür, drükte dich an meine Brust, und blieb so einige Minuten im Regen stehen. Als ich wieder zurükkam, und Lucie nichts sagte, da merkte ich wohl, daß sie alles wußte, und glühete vor Scham; denn ich war, wie ich erst jezt bemerkte, halb entkleidet. Ich erröthete am folgenden Tage, als ich dich wieder sah; aber du hattest auf meine Kleidung nicht gesehen. Du wußtest nicht, warum ich den Tag über so heiter war; jezt weißt du es, lieber Klairant.

An das alles erinnere ich mich noch so oft, so lebhaft, und dann bin ich traurig, daß diese schönen Tage vorüber sind. Ach, sonst konnte ich doch allein auf meinem Zimmer sizen, und darüber nachsinnen; dann vergaß ich, wie weit du von mir entfernt warst. Doch jezt! wir haben nur ein einziges Zimmer, meine Eltern und ich; und so kann ich fast nie einen Augenblik ungestört an dich denken. Stüze ich den Kopf, so sagt meine Mutter: »Klara, dir fehlt doch nichts?« und dabei ist ihr Blik so freundlich mitleidig, daß es unverantwortlich wäre, wenn ich mich nicht zwänge, meinen Kummer zu verbergen. Mache ich aber eine freundliche Miene, so kann ich nicht an dich denken, und dennoch die Miene behalten. Wenn unseres Wirths Tochter heraufkommt, so geht es besser. Dann plaudern wir von dem jungen Manne, der sich in den Rhein stürzen wollte. Wir sezen uns in ein vier Fuß langes und breites Kabinet, das ich jezt mein Zimmer nenne, und worin Lucie arbeitet; da bleiben wir ganze Stunden, und zuweilen so lange, bis ich denn endlich zu Bette gehe. Dann erst kann ich recht ungestört an dich denken; und immer gehen meine Gedanken an dich in Träume von dir über.

Mein Bruder kommt aus Flandern zurük, und wird vielleicht unter dem Prinzen von Condé dienen. Mein Vater ist jezt unruhiger als je, doch nicht mehr über mich. Macht die Lage unsres Vaterlandes ihn besorgt? Oder wäre es wohl gar – ach, ich zittre, daran zu denken – wäre es Mangel? Auch unsre Pferde sind nun verkauft; überall sehe ich Einschränkungen: in der Wohnung, in der Kleidung und dem Tische. Doch haben wir ja noch immer vier Domestiken, und meine Mutter hat noch ihren Schmuk. Mangel kann also meinen Vater nicht unruhig machen; er ist es nur aus Vorsorge, aus Behutsamkeit. Wenn er Mangel litte – o Klairant! ich wäre die Unglüklichste von allen; denn ich hätte – Doch ich will nicht daran denken. Werde du nur nicht unglüklich, lieber Klairant! Ach, zuweilen bin ich so besorgt um euch alle, daß mir das Herz vor Traurigkeit brechen möchte. Und wenn es auch Mangel wäre; nun, mein Vater bekommt ja seine Güter wieder. Sein Park wird ihn freilich schmerzen; aber er ist ja dann wieder so reich, daß er den Park, und auch mich, vergessen kann. Ja, auch mich. Aber, Klairant, wenn er Mangel litte – o Gott! meinst du, daß ich ihn auch dann verlassen könnte? Zuweilen denke ich mit Zittern an Fälle, die – Nein, Klairant; es wird alles gut gehen. Brach doch der Rhein sich einen Weg durch ungeheure Felsen! und es sollte unserer Liebe an Bahnen fehlen?

 

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