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XVII.
Klara an Klairant.

Unglüklicher, welch ein Sinn liegt in deinen Worten! welch ein schreklicher Sinn! Klairant, was ist dein Vorsaz? Meinst du, ich hätte jene Unterredung vergessen, die uns Beide so mächtig rührte? O, der bloße Gedanke daran könnte mich wahnsinnig machen. Klairant, ich zittre für dich; aber zum erstenmal bin ich auch für dich erröthet. Was wolltest du thun, Unglüklicher? O komm her, stehe deiner treuen, liebenden Klara Rede: was war dein Vorsaz? Sterben? Was ist leichter als das! Glaubst du denn, daß es mir nicht eben so leicht seyn würde, ein scharfes Messer einen Zoll tief in mein Herz zu stossen, und so den Thränen zu entkommen? War das die Treue, die dein Mund mir so oft zuschwor? Siehst du nicht, du Unbesonnener, daß deine Hand so den allergrausamsten Streich auf mein Herz führte? Hattest du mich ganz vergessen, Klairant? Du wolltest entfliehen, du Selbstsüchtiger, und deine Klara mitten in dieser freudenlosen Wüste zurüklassen? War das möglich? Die liebst mich, sagst du; und du siehst doch nicht, daß wir Beide leben, oder zugleich sterben zu müssen? Ruhig warst du? ruhig? Das schwörst du mir bei der ewigen Vorsehung? Mit Ruhe denkst du es, daß deine Klara bei deiner blutigen Leiche steht, mit starren, verzweiflungsvollen Augen sie betrachtet, mit wahnsinnigen Händen ihren Busen zerfleischt, dem Urheber ihres Lebens, der Vorsehung, ihren Eltern, dir und sich selbst flucht, in wilder Höllenangst ihr Leben endet, und durch ihren Tod auch ihre Eltern ermordet? Bei dem Gedanken bist du ruhig? Oder hast du geglaubt, ein Paar unfruchtbare Thränen, durch das Lächeln meiner Eltern, durch die Bitten eines tugendhaften Mannes getroknet, wären alles, womit Klara die entsezliche Nachricht von deinem Tode erfahren würde?

Das Glük deiner Eltern wird dich beruhigen, schreibst du. Kannten sich unsere Herzen so wenig? Oder war dein Herz schon todt, ehe deine wahnsinnige, grausame Hand den Dolch dagegen zükte? So höre! höre und verzweifle!

Hier lieg' ich, im Bette, krank, sterbenskrank, todtenbleich; ein Zittern, das Zittern des Todes, ergreift noch jezt alle meine Glieder. Dann treibt eine glühende Flamme kalten Schweiß stromweise von meiner Stirn; und jezt sind es drei Tage, daß ich dein grausames, fürchterliches Billet bekommen habe. Meine bebende Hand kann kaum die Feder halten. Die ganze Nacht habe ich an diesen unleserlichen Zeilen geschrieben, und der Morgen leuchtet schon wieder durch meine Jalusien. Man hat an meinem Leben gezweifelt, und erst heute that der Arzt den Ausspruch, daß ich gerettet sei. Ich erbrach dein fürchterliches Billet zitternd. Als ich es las, schwankten meine Kniee, mein Auge wurde dunkel; es war mir, als ob der Boden unter meinen Füssen wegschlüpfte, als ob die Hölle sich auf mich herabstürzte, als ob die Schöpfung um mich her zertrümmert würde. Dennoch, mitten in dieser allgemeinen Zerstörung, hatte ich keinen andren Gedanken, als dich. Mit dem Jammergeschrei der Verzweiflung drang ich blindlings durch die Nacht, die mich umgab, dir zu Hülfe. Ich suchte die Treppe, stürzte in meines Vaters Zimmer, und schlug da vor seinen Füssen zu Boden.

Meine Lucie schaudert noch immer zusammen, wenn sie an diese Minute denkt, Meinen Vater hat der Anblik krank gemacht; und meine Mutter – o, meine arme Mutter! – ist vielleicht kränker, als ich. Nur du allein bist ruhig! Man bringt mich zu Bett, und holt einen Arzt; man verzweifelt an meiner Wiederherstellung. Komm ich einen Augenblik zu mir, so ist mir das Leben noch schreklicher, als der Tod. Meine Augen fliegen wild umher, oder sind erstarrt; meine Brust hebt sich fürchterlich hoch; meine Zunge stammelt Worte, die meine Seelenangst bezeugen. Und du bist ruhig? Klairant, ruhig? Und noch lieb' ich dich über alles; noch richte ich mich im Bette auf, falte meine schwachen Hände, und sage mit zärtlicher Stimme und mit lindernden Thränen: Klairant, ich habe dir vergeben! O, nur eine einzige Zeile von deiner Hand; dann will ich vergessen, was du gethan hast. Ja, Klairant; unser Schiksal ist entschieden. Ich bin dein, ewig dein; nie eines Andern! Noch weiß man nichts. Dein Billet hatte ich fallen lassen; doch habe ich es wieder: Lucie hat es gefunden. Man sagt jezt nicht ein Wort. Touai ist zwar wieder hier, und besucht meinen Vater; aber ich habe ihn seit deinem Billet nicht gesehen. Sei ruhig, Klairant, ich bin dein! Keine Gewalt soll mich von dir trennen, keine Ueberredung. Schreib mir bald, Klairant; schreib mir, daß du heiterer bist. Ach, vergieb mir! Ich hätte es voraussehen sollen; denn du sagtest mir ja in jener Unterredung: »und bist du treulos, Klara – bei den leuchtenden Sternen des Himmels! so ist dein Hochzeitstag der Tag meines Todes.« Das wiederholtest du mir zweimal. Ich zitterte, ich lächelte über deinen feierlichen Ernst. Ach, ich hätte es vorauswissen können. Nein, Klairant, ich bin dein, ewig deine Klara!

*

Klara befand sich in einem bedaurenswerthen Zustande, doch Klairant in keinem andren. Seine Empfindung hatte sich nach und nach verbittert. Er hieng mit voller Seele an der neuen Konstitution seines Vaterlandes, und las mit pochendem Herzen, daß die Rechte des Menschen zu der Grundlage einer Staatsverfassung gemacht wurden. Sein Oheim war seit den Dekreten zum Nachtheil der Geistlichkeit ein unversöhnlicher Feind der Konstitution gewordene, seine Eltern halb und halb auch. Selbst sein Freund du Plessis, den der Partheigeist seines Standes an sich zog, haßte die neue Verfassung. Klara allein war mit ihr zufrieden, aber nur, weil ihre Liebe dadurch in Schuz genommen wurde. Klairants Haß gegen den Adel nahm zu, seitdem seine Geliebte nach Deutschland gemußt hatte, wo man sie sogar verführte, sich wieder auf die Seite der Aristokraten hin zu neigen. Er schwieg nun gänzlich von Politik, so viele Mühe ihm das auch kostete, und so wehe es ihm auch that, daß er sein Vaterland gegen die vielen gegründeten Klagen nicht vertheidigen konnte und durfte.

Ob er es gleich nicht gestehen wollte, so hatte dennoch seines alten Oheims Aeusserung: »auch Klara nimmt die Parthei ihres Standes!« tiefen Eindruk auf ihn gemacht. Wenigstens schien seine Liebe ihm unsicher, so lange Klara bei ihrem Vater blieb. Doch war er zu stolz, um sie ganz eigentlich zu bereden, daß sie ihre Eltern verlassen möchte. Er schrieb jenen Brief Siehe VIII. Brief 1. Theil., und erwartete nun mit einer ängstlichen Ungeduld Klarens Antwort.

Während der Zeit verbannte Frankreich den ausgewanderten Adel auf ewig: ein schreklicher Schlag für Klairants Liebe und Hoffnungen! Er unterdrükte die Flamme, die ihn verzehrte, und sein Geist ward finsterer. Klarens Briefe heiterten ihn nicht auf, ob es ihn gleich entzükte, sich so von dem herrlichen Mädchen geliebt zu sehen. Er verzweifelte, daß er je glüklich werden könnte. Seine Geliebte wieder nach Frankreich zurükzubringen, war nun unmöglich; und ihn selbst knüpften zu feste Bande an sein Vaterland, als daß er sie für ein Vielleicht hätte zerreissen können! Wie sollte er seine Liebe zu Klaren mit seiner Liebe zu dem Vaterlande vereinigen? Frankreich verlassen, nach Koblenz gehen, sich dort zu dem Adel schlagen, der jezt damit umgieng sein Vaterland zu bekriegen? Wäre auch Klara der gewisse Preis dieses Schrittes gewesen, er würde doch nicht ohne Abscheu daran gedacht haben. – Oder sollte er auf eine andere Weise nach Koblenz gehen, Klaren entführen, und sich der Rache ihrer Familie aussezen, indeß ihm Frankreich verschlossen wäre: wie konnte er da auf einen glüklichen Ausgang hoffen? Er gerieth in Verzweiflung, und schrieb in dieser Stimmung seinen Brief an Klaren, worin er alles verloren giebt Siehe XIII. Brief 1. Theil. Ihr zweiter Brief Siehe XII. Brief 1. Theil. erheiterte ihn ein wenig: aber seine finstre Schwermuth siegte bald wieder. Jezt blieb er auf seinem Zimmer, legte die Stirn in die Hand, und ließ seine Phantasie in dem Gebiete der Möglichkeit umherschwärmen, ein Mittel zu finden, wie Klara die Seinige werden könnte; doch immer fand er unübersteigliche Hindernisse zwischen sich und seinem Glüke. Man denke an die Heftigkeit seiner so wunderbar genährten Liebe, die seine Seele so tief durchdrungen hatte. Seine Leidenschaft machte ihn finster und verschlossen, ja selbst empfindlich gegen die kleinen Eigenheiten seines Oheims, den er so zärtlich liebte. Er saß stumm da, und grübelte über Schiksal, über Vorsehung, mit der stolzen Eigenliebe eines jugendlichen Herzens, welches so leicht verlangt, daß um seiner Leidenschaft willen die ewige Weisheit ihre Plane ändern soll.

Jezt bekam er den Brief, worin Klara ihm die Entscheidung ihres Schiksals überläßt Siehe den XV. Brief.. Er las ihn, und legte die Hand nachdenkend vor die Stirn. Gern hätte er Klaren in seiner schweigenden Bitterkeit der Untreue beschuldigt. Das konnte er freilich nicht; doch glaubte er, und wohl mit Grund, in ihrem Briefe zu sehen, daß sie halb und halb Neigung hätte, ihren Eltern ein Opfer mit ihrer Liebe zu bringen. Klara mochte wohl erst während des Schreibens, selbst gegen ihr Wissen, auf diesen Gedanken gekommen seyn; denn man überlegt weit ruhiger, wenn man schreibt, als wenn die Phantasie mit der Geschwindigkeit des Blizes fliegt. Sie hat nachher immer geläugnet, daß sie jemals Willens gewesen sei, ihre Liebe aufzuopfern; und wohl hundertmal hat sie versichert, sie wisse nicht, wie sie den Brief habe schreiben können.

Klairant las ihn schweigend, und einmal über das andre. Zu der Schwermuth, in welche seine Grübeleien ihn gebracht hatten, kam nun noch dieser ihn vernichtende Brief. Seine Seele war wie erstarrt, und seine Vorstellungen wurden immer schwärzer, ob man ihm gleich kaum den tausendsten Theil seiner Leiden ansah. Er gieng einige Tage umher, ohne zu einem Entschlusse zu kommen. Endlich stand er eines Abends auf der Stelle, wo sonst der Park gewesen war, und blikte zu dem gestirnten Himmel auf. »Hier war es« – fieng er an, ohne noch zu wissen, was er weiter sagen wollte – ... »hier war es, wo sie mir ewige Treue versprach; und nun giebt sie einem Andern ihre Hand!« – Auf einmal fiel ihm ein, daß er ihr geschworen hatte: am Tage ihrer Hochzeit zu sterben. Er bildete diesen Gedanken auf seinem Zimmer aus, und schrieb dann Klaren den Zettel Siehe den XVI. Brief.. Zwar hatte er die Absicht, sie zu beruhigen: das Herz kann sich indeß nie ganz verbergen; und wer weiß, ob nicht vielleicht noch eine verborgene Hoffnung, oder eins geheime Eitelkeit, seine Feder führte?

Sein Entschluß, zu sterben, wurde fest; doch hatte er Besonnenheit und Edelmuth genug, die Herzen seiner Eltern und aller Menschen, die er liebte, schonen zu wollen. Er sprach von einer Reise nach Paris, um die sein Vater selbst ihn schon gebeten hatte. Auf dieser Reise wollte er unerkannt, unbeweint sterben; und seine Freunde, seine Klara sollten ihn nicht für todt, nur für verschwunden halten. Er verbarg seine Verzweiflung so meisterhaft, daß sein Oheim ihn für gerettet hielt, als er dicht an der Pforte des Todes stand.

Jezt bekam er von der Rosiere Klarens lezten Brief Siehe den XVII. Brief., der auf einmal sein ganzes Wesen umschuf. Das Bild von Klarens Besize, das er sich nicht mehr zu denken wagte, trat aufs neue vor seine Seele, und strahlte ihm entzükende Hoffnung zu. In eben der Zeit aber, da seine finstre, tödtliche Schwermuth vor den Bliken der Liebe floh, brach von einer andern Seite neuer Kummer gewaltsam in sein Herz. Klara war nahe am Tode, und zwar durch ihn, durch seine Unbesonnenheit. Er fühlte sich von Entzüken und Schreken zugleich ergriffen. Man denke an die gewaltsamen Leidenschaften, die schon so lange sein ganzes Wesen zu ihrem Raube gemacht hatten; man denke an den raschen Wechsel der Empfindungen, den Klarens Brief bei ihm erregte: und man wird es nicht wunderbar finden, daß endlich sein Körper unter diesen vielfachen Stössen, unter diesem reißenden Sturme seiner Leidenschaften erliegen mußte. »Ich will sie sehen!« rief er der Rosiere mit wilden Bliken zu, und sprang auf. Eine dunkle Röthe lag auf seinem Gesicht, ein wildes Feuer flammte in seinen Augen. »Ich muß sie sehen!« rief er noch einmal, und legte die Hand auf seine Brust, als ob es ihm an Athem gebräche. Er fieng an ein wenig zu zittern. Die Röthe verlor sich in eine Blässe, die immer leichenhafter wurde; sein Auge erlosch, seine Bewegungen ermatten. »O Gott!« sagte er noch mit dem lezten Reste seiner Kräfte: »ich muß sie sehen!« Dann sank er zurük auf einen Stuhl.

Die Rosiere erschrak, und rief um Hülfe. Bei Klairant war die ganze Stärke seiner zu sehr aufgereizten Seele in dem wilden Kampfe verloren gegangen. Sein Muth, selbst sein Entschluß war dahin; er hatte, als man kam und ihn auf sein Bett brachte, kaum noch die Kraft, wie ein ängstliches Kind zu klagen und zu seufzen. Am Abend lag er im Fieber, und sagte nichts als den Namen Klara!

Die Rosiere las den Brief, der ihm aus der Hand gefallen war; und nun schien ihr Klara eben so sehr des Trostes zu bedürfen, als Klairant. Sie schrieb an ihre ehemalige Gebieterin, und versicherte ihr: »Klairant denke nicht mehr an den Tod. Ihr Brief habe ihn so gerührt, daß er krank davon geworden sei; indeß habe die Krankheit nichts zu bedeuten. Er gehe schon wieder umher; nur sei ihm alles Schreiben von dem Arzte verboten, und so habe er ihr aufgetragen, in seinem Namen zu schreiben.« Eben so erzählte sie Klairant, wenn sie neben seinem Bette saß, daß Klara wieder gesund, und daß ihr Vater jezt nicht mehr so sehr gegen eine Verbindung zwischen ihm und ihr eingenommen sei. Sie behauptete mit solcher Zuversicht, Klara würde noch einmal seine Gattin werden, daß sich wieder ein leuchtender Strahl von lieblicher Hoffnung in sein Auge stahl. Kurz, die einfältige Gutherzigkeit der Rosiere stellte Klara und Klairant wirksamer wieder her, als die Kunst der Aerzte. Sie war um seinet-, er um ihrentwillen krank geworden. Beide wurden durch diesen Beweis ihrer Liebe noch fester an einander gezogen. Ihre Liebe erhielt neue Kräfte; und was sie trennen konnte, wurde ein neues und festeres Band für ihre Herzen.

 

*

 


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