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XXXI.
Klairant an Klaren.

Um mich her tobt der Krieg, und ich size noch immer an dem Krankenbette meines Oheims. Ich danke Gott für die Stimmung meiner Seele; denn sei es, wie es sei – es ist doch mein Vaterland. Chatillon steht leer; in Pillon und Mangienne sind nur noch Weiber, Kinder und Greise: die jungen Leute liegen in den Wäldern. Als sich die ersten Truppen sehen liessen – ich hatte bestellt, daß es meinem kranken Oheim verschwiegen werden sollte – trat eine alte Frau, die einzige auf der Abtei, mit todtenbleichem Gesichte, mit großen, vor Angst starren Augen, und mit bebenden Knieen in das Zimmer. Ich gieng hinaus. Der Hof war voll Husaren. »Meine Herren,« sagte ich Deutsch; »ich ersuche Sie, so menschlich zu seyn, hier auf dem Hofe wo möglich das Lärmen zu vermeiden. Mein Oheim, der Prior dieser Abtei, liegt auf den Tod krank. Alles was zu Ihrer Bequemlichkeit dienen kann, nehmen Sie Sich. Dort, das grosse Haus an der Chaussee, ist das meinige; seyn Sie so gütig, dem den Vorzug zu gönnen. Sie werden niemanden finden; die Furcht hat Alle verjagt.« – Die alte Frau stand hinter mir. Ich gab ihr den Schlüssel zu unserm Hause, und sagte: »meine Mutter ist auf der Abtei. Schließe sie den Herren auf. Ich werde selbst zu Ihnen kommen, sobald ich nicht mehr bei meinem kranken Oheim nöthig bin.« So wurde ich mit ihnen fertig, und es gieng alles recht gut. Die Hauptarmee bezog den Tag nachher ein Lager bei Pillon. Meine Mutter hatte auf mein Zureden ihr Haus wieder bezogen. Ich saß ruhig bei meinem Oheim, und gieng ab und zu. Es fielen weiter keine Unordnungen vor, als die im Kriege unvermeidlich sind. Ich mußte sogar einige Officier in der Kirche der Abtei umher führen. Man besah die Bibliothek, schwazte über unsre Konstitution, die nicht mehr existirt, und schalt auf die Emigrirten. Ich schwieg zu allem. So gieng der Tag hin. Am folgenden Morgen kam denn endlich dein Bruder du Plessis, und mit ihm ein Schwarm von Ausgewanderten. Meine Mutter rief mich. Ich eilte ihm entgegen, verbeugte mich gegen ihn, weil man ihn umringt hatte, und fieng an: Herr du Plessis ...

»Nicht so, Klairant, nicht so!« sagte er, und schlang seine Arme um mich. »Meine Herren, dies ist der Freund meiner Jugend. Und soll ich Ihnen nochmehr sagen? Er hat einen großen Theil meines Vermögens gerettet.« Sie traten mit mir ein. Ich fragte, ob er in Pillon gewesen wäre. Er schüttelte den Kopf, und flisterte mir zu: »wenn alles gut geht, so seh ich es noch oft genug; und geht es anders, dann hab' ich es schon zu viel gesehen.« Ich brachte den lezten Wein, den ich noch hatte, und sie tranken darin auch deine Gesundheit, Klara. Du Plessis gieng einen Augenblik zu meinem Oheim. Dann war er ein halbes Stündchen mit mir allein im Klostergarten. Wir vergossen Beide Thränen. Ich befragte ihn auf sein Gewissen über seine Hoffnungen. »So, so!« antwortete er; »ich fürchte, man hat zu sehr auf die Linientruppen gerechnet! Hoffnungen, Freund, sind das Glük des menschlichen Herzens; aber bei wichtigen Dingen sollte man thun, als ob es keine in der Welt gäbe. Sie machen verwegen, und dann, wenn sie unerfüllt bleiben, mißtrauisch. Ich kenne Dümouriez nicht; aber man sollte doch auf Einen Menschen nie alle seine Hoffnungen sezen.« Dann sprachen wir von dir, liebe Klara. Er schloß mich herzlich in seine Arme, und sagte mit Innigkeit: »wenn mein Schiksal mich auch weiter nichts gelehrt hätte, so habe ich doch gelernt, daß Freundschaft mehr ist, mehr thut und giebt, als Politik. Ich ehre eure Liebe; denn Klara war vielleicht die Einzige in Koblenz, die das allgemeine Unglük unsres Standes mit Gleichgültigkeit ertrug. Selbst die Thränen, die sie um dich weinte, waren ihr süsser als uns die süssesten Hoffnungen. »Wenn« – sezte er gerührt hinzu – »wenn mein Schiksal mit mir versöhnt ist, dann, Klairant, soll dein und meiner Schwester Glük meine erste Handlung seyn.« Du kannst leicht denken, Klara, wie mich das rührte.

Er gieng mit mir auf mein Zimmer. Als er deine Möblen bemerkte, lächelte er mir zu, und sagte: »jezt weiß ich, was dich so an Chatillon fesselt.« Ich sah ihn ungern von mir Abschied nehmen; ja, ich habe ihn schon einmal im Lager aufgesucht, so wenig es mir auch unter den Menschen gefällt, die mit Entzüken von dem Verderben ihres Vaterlandes reden. Man belagert Verdun; und auch das wird übergehen, meint dein Bruder. Ich hatte eine sehr ernsthafte Unterredung mit ihm, die denn freilich, wie alle Unterredungen der Art, uns erhizte, ohne etwas zu helfen. Ob ich ihn gleich mit dem Geiste der Nation bekannt gemacht habe, so nährt er doch noch immer seine Hoffnungen; er will sie nicht aufgeben, und erbittert sich gegen den Freund, der ihn gern von dem Abgrunde wegreissen möchte, dem er so nahe ist.

Dieser Feldzug kostet dir und deinen Eltern? fragte ich – »Viel, sehr viel!« antwortete er. – O, Plessis! ihr solltet nicht die lezten Trümmer eures Glükes an unmögliche Hoffnungen verschwenden. Wie? wenn nun dieser Feldzug mißlänge – und du selbst läugnest doch die Möglichkeit nicht – wie ...? – »Dann,« sagte er bitter und spottend, »dann sezen wir unsere Hoffnung auf dich.« – O, rief ich, und schlug gerührt die Hände zusammen – o, bei Gott, diese Hoffnung wurde euch nicht betriegen! Plessis, Plessis, ich würde mein Leben mit dir theilen. – »So weit,« erwiederte er kalt und fremd – »so weit sind wir noch nicht!«

Sieh, Klara, so ist es, so ist es selbst mit deinem Bruder! Er verstand mich nicht; er verwarf das Herz, das ihm entgegen kam, mit allem Stolze seines Ranges. Auch in seinem Herzen liegt dieser Stolz verborgen, vielleicht ihm selbst unbewußt. Die leichteste Berührung macht ihn lebendig. Und wie? frag' ich nun – wie, wenn wir ihm alle unsre Hoffnungen anvertrauet hätten, und sein Stolz auch dann erwachte? Nein, Klara, wir dürfen nichts hoffen, als von uns selbst. Und sag mir nur, wie hast du es angefangen, mich so zu lieben? so! Denn welch ein Unterschied zwischen deinem Bruder und dir! Er sagt, wenn ich bei ihm bin, zu jedem: dies ist der Freund meiner Jugend. Aber in dem Tone der Worte, in seinem Blike dabei, liegt, ich weiß nicht was. »Sieh, das thu' ich für dich!« höre und lese ich darin. Ich soll empfinden, wie groß er handelt, daß er mich erkennt. Wie ganz anders, Klara, wenn du mich hier in einer Gesellschaft erbliktest, würdest du ausrufen: mein Klairant! mein Geliebter! Es kostete dir Ueberwindung, das nicht zu sagen. Nein, Klara, dein Bruder versteht mich nicht, wie das ja meistens bei den Menschen der Fall ist.

*

Verdün ist eingenommen, und die Armee über die Maas gegangen. Ich habe deinem Bruder Lebewohl gesagt. Er hofft, noch länger in dieser Gegend zu bleiben; denn das Corps, bei dem er steht, soll, glaubt er, den Paß bei Biesme beobachten. Die Hauptarmee wird über Bar le Düc vorrüken. Meinen Oheim habe ich, so krank er auch ist, nach Pillon bringen lassen, wo auch ich mich jezt aufhalte. Man hatte die Kirche der Abtei zu einem Heumagazine gemacht. Durch Unvorsichtigkeit entstand Feuer, und die Kirche brannte ab. Die Abtei ist zwar gerettet; aber meinem Oheim kann der Schreken das Leben kosten. Es waren Hessische und Oestreichische Truppen, die hier lagen. Ich bin ruhig, Klara, so viele Mühe es mir auch kostet. Ist Ihnen etwas begegnet? fragte mich ein Offizier, als ich meinen Oheim von der Abtei heruntertragen ließ. Eine Kleinigkeit, antwortete ich lächelnd: die Feuersbrunst wird einem alten guten Manne wahrscheinlich das Leben kosten! Der Offizier war so gefällig, mir einen Wagen anzubieten, daß ich meinen Oheim darin transportiren könnte. Nun wohne ich hier in Pillon.

Auch deine arme Madame Drouet ist in grosser Gefahr gewesen; indeß ist sie glüklich gerettet. Eines Morgens ganz früh kommen Husaren nach St. Michel, um ihren Mann abzuholen. Er ist nicht da. Man will es nicht glauben, und drohet. Madame Drouet hält sich und ihre Töchter für verloren. Sie verläßt ganz ohne Besinnung das Zimmer, und stürzt sich in den Brunnen auf ihrem Hofe. Man hat sie gerettet, und es soll sich wieder mit ihr bessern. – Ach, die im Kriege unvermeidlichen Grausamkeiten machen ihn zu einem entsezlichen Ungeheuer. Wehe dem Menschen, der diese Grausamkeiten noch durch ein hartes Wort vermehren kann! Und nun dieser Krieg, den nicht Ehr-, nicht Eroberungssucht, den die Rachbegierde führt! Oft lege ich mitten in einem Geschäfte die Hand an die Stirn, und frage mich selbst, ob ich wache, ob ich unter Menschen bin. Die jüngste Tochter der Madame Drouet war hier. Wenn sie den Unfall ihrer Mutter erzählte, wurde sie noch jedesmal bleich, wie ein Todter. »Und mein Vater war wahrhaftig nicht im Hause!« so schwor sie mit eben so vielem Eifer, als ob sie noch von den Husaren umringt wäre. – Ich höre das an, lächle, als ob es mich nicht angienge, und antworte keine Sylbe; aber meine Brust ist voll Schmerz, so voll, daß sie zerspringen möchte. Was sind doch alle menschlichen Hoffnungen!

*

Die Armee steht in Grandpré. Alle Dörfer sind beinahe leer, wenigstens die über der Maas. Die Wälder sind voll bewaffneter Landleute. Man hofft nur auf etwas Entscheidendes, um von allen Seiten loszubrechen.

Ich habe du Plessis einige Lebensmittel gebracht, woran es ganz fehlt. Einige Flaschen Wein waren ihm am willkommensten. Er begleitete mich nach Romagne, wo ich wegen des abscheulichen Wetters und Weges bleiben mußte. Ich bat ihn, mit nach Pillon zu gehen; er schlug es ab. So zieht jeden sein Schiksal! – Da stehen sie, Dumouriez und die feindlichen Armeen, an den Felsen und an den Bergen von Grandpré wie feindliche Geister. Sie verlangen den Sieg, um Frankreich verderben zu können. Wer wird ihn davon tragen? – Ich danke dem Himmel, daß ich nicht mehr in Chatillon bin. Auch meine Mutter ist wieder hierher geflohen; mein Vater läßt nichts von sich hören. Es gehen unzählige Wagen durch Chatillon zur Armee. Alles flieht nach Clermont in die Wälder. – Ist es doch, als wollte der Himmel Frankreich mit einer Wasserfluth verderben, ehe die höllische Rotte in Paris, oder der Feind es thut.

*

Dumouriez ist geschlagen, Grandpré genommen. Ich habe einen Zettel von deinem Bruder, und einen Brief an deinen Vater. Er nennt Dumouriez einen Verräther, und verwünscht sein Dasein. Ich habe ihm Lebensmittel geschikt. Er ist gesund, schreibt er mir. Ein halbes Wunder; denn zwei Drittel der Armee sind krank: so höre ich von Bauern, die entflohen waren und zurükgekommen sind. Dümouriezs Armee verstärkt sich mit jeder Stunde. Er zieht sich gegen Chalons. Einige sagen auch: er marschire nach Flandern, um dort einen Einfall zu thun. Alles ist bestürzt über das Vorrüken der Feinde. Auch Thionville, Lille und Landau sollen genommen seyn. Eine Nachricht widerspricht der andern. – Alles verwünscht die Emigrirten. Das Mitleiden mit ihrem Schiksale, das sich hin und wieder zu regen anfieng, verwandelt sich in glühenden Haß. O, Klara, oft ist es mir, als sähe ich den Allmächtigen, wie er die Welt in Trümmer schlägt. Mein armes Vaterland! Ach, Klara, soll ich gelassen zusehen, wie der Feind – Entsezlich!

Ich gehe umher wie ein Blödsinniger; ich lächle, wenn ich von der Uebergabe unserer ersten Festungen höre, wie ein Rasender. Ach, es ist mein Vaterland! Und da les' ich nun den Zettel deines Bruders. Auch er klagt über sein unglükliches Schiksal. Sind wir denn Alle unglüklich? oder ist in der entsezlichen Zerrüttung aller Dinge die Erfüllung heisser Wünsche kein Glük mehr? –

Ich schließe unter dem Donner der Kanonen, der mit dem Geplätscher des schreklichen Regens und mit meinen Empfindungen eine so entsezliche Harmonie macht, daß ich – daß ich –

Leb' wohl, Klara! Weine über den Fall deines Vaterlandes! – Mitten in meinem Schmerze fühle ich dennoch, wie sehr ich dich liebe! Klara, warum leben wir Beide zu einer Zeit, da ich, auch an deinem Herzen, ganz dein, ganz glüklich, dennoch seufzen müßte! Ach, daß ich meine Arme mitten unter den Trümmern meines Vaterlandes nach dir ausstreken muß! Leb wohl!

 

*

 


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