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XIV.
Klairant an Klaren.

Ich habe deinen lezten Brief, meine Klara, und bin nicht unglüklicher, als ich war. Der Gedanke deiner frommen Liebe nahm sogar meinem Schmerze den Stachel. Du hast für mich gebetet. Klara, dein Gebet ist erhört; denn als ich das las, drängte sich eine erquikende Thräne, die erste seit langer Zeit, aus meinem Auge, und erleichterte mein gedrüktes Herz. Ich weiß nicht, warum der Gedanke: die betende Klara! mich so rührt, so erquikt. Er thut es, meine Klara. Ich fühle tief, daß es eine Täuschung ist; und doch hat diese Täuschung wirklichen Erfolg. Du hast Recht: glükliche Träume ersezen Tage voll Thränen. Klara hat für mich gebetet! Ich werfe seitdem wieder hoffende Blike zum Himmel; mir ist, als hätte dein Gebet mich und die Vorsehung wieder versöhnt. – Es ist seltsam, Klara, aber wahr. Da stehst du vor meiner Seele, strekst deine gefaltenen Hände gen Himmel, und betest für mich. Ich kann diese Vorstellung nicht von mir entfernen; sie tritt, wie mein guter Schuzgeist, zwischen mich und mein Elend. Klara, in meinem Herzen hat der Glaube an die Vorsehung sich wieder gehoben. Gebet? Sonderbar! Wie könnte ein Sterblicher nur auf den Gedanken kommen, wie könnte er das Recht haben, zu beten, zu weinen, zu hoffen, wenn ein blinder Zufall die Welt regierte? Mir ist nichts gewisser, als das: Ein Gebet, Eine Thräne, Eine Hoffnung beweist für die Vorsehung und ihr Erbarmen mehr, als die feinsten Systeme der Philosophen. – Oder war es die Vorstellung der betenden Klara? Klara, wenn ich mir denke, daß du betest – o, ich glaube, dein Gebet müsse das eherne Gewölbe des Himmels sprengen, der ganze Himmel müsse auf dich herabsehen, jeder selige Geist eilen, es zu dem Throne des Höchsten zu bringen. Traum, Wahn! ich sehe das wohl. Und doch – es ist sehr seltsam! – dieser Traum beruhigt mich. Wer könnte der betenden Klara etwas abschlagen? diesen Bliken voll schöner Andacht, diesen gefaltenen Händen, dieser demüthigen Stellung? Und hätte die Vorsehung das Schiksal der Welt dem blinden Zufalle überlassen – o, von diesem Augenblike an müßte sie die Zügel der Regierung wieder in die Hände nehmen, damit Klarens Gebet nicht unerhört bliebe! Nein, ich kann diese Stelle in deinem Briefe nicht ohne lindernde Thränen, ohne neue geheime Hoffnungen lesen. Es ist unmöglich! Ich fühle mich gegen meinen Willen beruhigt, vergieße Thränen, und werfe meine Blike gen Himmel, zu dem dein Gebet aufflog, und der nun nicht länger hart bleibt. In meiner Seele ist der schöne Kampf der siegenden Ruhe und des gemilderten Schmerzes. Ein seltsamer Zustand! Da sez' ich mich an das Bett meines kranken Oheims, und fühle mich nach einigen Minuten, in denen meine Blike nicht immer auf mein Elend gerichtet sind, so ruhig, so glüklich, daß ich es wage, meinen Oheim zu trösten. Ich bin dann so reich an Hoffnungen, daß ich ihm schon wieder davon mittheilen kann; und untersuche ich mich selbst, ziehe ich mein Herz vor den Richterstuhl meines Nachdenkens, so ist Klarens Gebet die Quelle seiner Ruhe und seiner Hoffnungen.

Jezt lasse ich mich an diesen schönen Träumen begnügen; ich drüke sie mit Inbrunst an mein Herz, und bin glüklich, ohne noch zu fragen: wie bin ich es? – Jeden Morgen hebe ich jezt meine Hände für dich zum Himmel auf; und verliehe er meinem Gebete nur die halbe Kraft des deinigen, ich zitterte nicht mehr für dich. Ach, und diese täuschende Ruhe kam in dem rechten Zeitpunkte. Sie führte mich leicht über die bittersten Stunden meines Lebens weg. Ich zittre, es dir zu sagen. Deines Vaters Güter sind verkauft; Pillon gehört nicht mehr ihm, es hat einen andern Besizer. Unser Park, der Schuzort unsrer Liebe, wird in Akerfeld verwandelt. Täglich gehe ich hin, und besuche alle die heiligen Stellen, wo wir so glüklich waren. Unsre Lauben werden umgehauen. Seufzend sehe ich die Axt fliegen, welche die Wohnpläze unsrer Liebe zerstört. Ach, zum erstenmal habe ich es beklagt, daß ich nicht reich genug war, deines Vaters Wohnung und den Garten unsrer Liebe kaufen zu können. Mit stillen Seufzern sehe ich die Dunkelheit der Gebüsche verschwinden, die uns so oft und so still verbargen. Nur die Laube steht noch, in der wir das Fest unsrer beschüzten Liebe feierten; die andern Pläze, das schöne Ulmenbosquet, das du so liebtest, der Schlangengang an der Wiese, alles ist zerstört. Vergebens hat mein Blik um Schonung gebeten; man wagt es nicht, ein Andenken an die verhaßte Pracht deines Standes übrig zu lassen. O Gott! sagte ich zu dem Käufer; der schöne Garten! Er sah mich mitleidig an, runzelte die Stirn, zukte die Achseln, und erwiederte leise: »freilich! Aber ich muß.« Nun size sich noch jede Stunde, die ich von dem Krankenbette wegkommen kann, in unsrer Laube, seufze über die Verwüstung, horche mit Zittern auf die Schläge des Beiles, und jedesmal, wenn ich gehe, nehme ich den rührendsten Abschied von dem lezten Monument unsres Glükes. Nur die Hauptallee bleibt stehen. Was verbrach unsre unschuldige Liebe, daß ihre Freistätte so grausam in den Fall des Adels verwikelt wird? –

Alle übrige Möbeln in deines Vaters Hause sind verkauft. Dein ganzes Zimmer ist mein; dein Bett, deine Stühle, deinen Sofa, deine Harfe, deine Vorhänge, alles hab' ich gerettet. Meine Mutter lachte über meine Kinderei, wie sie es nannte; aber sie half, ohne mein Bitten, sehr treuherzig mein Zimmer in das deinige verwandeln. Und jezt befinde ich mich wohl. Ich habe mir auch nicht eine Kleinigkeit nehmen lassen: deine Vorhänge, sie mögen passen oder nicht, hangen vor meinen Fenstern; mit Entzüken werf' ich mich Abends in dein Bett, und hülle mich in deine Deke; deine Stühle schone ich, als ob sie von Glas wären, und ich zittre, wenn jemand, sich ungestümm auf einen sezt. Als ich auf deine Kleider bot, erröthete ich. Süsette trieb ein Tuch von dir in die Höhe; endlich schwieg sie, und ließ es mir. Der Kommissair und die Bauermädchen lachten. Ich fühlte mich beschämt, und doch hätte ich um keinen Preis schweigen können. Nun hab' ich alles von dir; alles, was mich umgiebt, alles, was ich berühre, war dein. Ich betrachte meine Herrlichkeiten mit freundlichen Bliken, und kann mich kaum Einmal täglich entschliessen, mein Zimmer zu verlassen.

Sieh, so drängt sich mein Glük immer enger zusammen. Bald habe ich nun rund um Chatillon her nichts mehr, als die Trümmer unsrer vorigen Glükseligkeit. Ich sehe gelassen der Verwüstung zu; fehlt doch der Geist, der die todte Schöpfung beseelte: und was kümmert es den, der seinen Pallast in Feuer aufgehen sah, ob die Flamme auch den lezten Balken verzehrt oder nicht? Ich trete, wenn ich jezt mechanisch einmal den Weg nach Pillon gehe, wie in eine neue Schöpfung. Aus dem Fenster deines Zimmers sieht das Gesicht einer alten Frau. Ich schüttle den Kopf, wie ein Greis, der in die Gegend, wo er seine fröhliche Jugend verlebt hat, zurükgekehrt ist, und anstatt des lieblichen Schattens, der ihn einst umgab, einen häßlichen Sumpf findet. Dann fliehe ich wieder nach Chatillon, drüke mein Gesicht in deinen Sofa, und nehme mir vor, nie wieder nach Pillon zugehen; aber bei dem nächsten Wege führt mein Fuß mich abermals mechanisch dahin, wo der Gedanke an mein verlornes Glük so mächtig auf mich eindringt.

So leb' ich jezt, wie ein Träumer in lauter Ideen, zwischen deinen Möbeln, in deinen Briefen, mit deinem theuren Bilde: wie ein Wahnsinniger, der aus seinem Gefängniß einen Pallast macht, sein Strohlager zu einem Throne aufpuzt, und mit seiner erträumten Herrlichkeit den Herzen blutige Thränen entreißt. Und doch bete ich, daß diese Stille lange dauern möge; doch fahre ich bisweilen auf, hebe die Hand gen Himmel, klage mein unversöhnliches Schiksal an, und möchte die lezten Trümmer meines vergangenen Glükes zerschmettern, an die mein Herz allein gebannt ist. Klara, wenn ich von ungefähr, oder mit Vorsaz – ach! so sehr ich davor zittre, so eilt doch meine schwarze Phantasie bisweilen dahin – auf den Gedanken gerathe, daß ich dich niemals wieder sehen werde: dann verfliegt der Traum meiner neuen, wahnsinnigen Hoffnung, und ich stehe in gräßlichem Dunkel da. O, dann möcht' ich alle Thüren, durch die der Mensch aus dem Leben gehen kann, sprengen, um zu erfahren, ob ich dich nicht in den Gefilden, den ungeheuren, dunklen Gefilden der Ewigkeit, finden werde. Dann schweb' ich in den finstern Wüsten der Zukunft; ich finde dich, hange an deinem Halse, und versinke mit dir in den unendlichen Räumen. Du bist ein gestaltloser Geist, du lächelst nicht, du redest nicht; und doch jauchze ich über das fürchterliche Glük: denn ich halte ja Klaren an diesem Herzen, das ohne sie verzweifelt. O, wenn ich doch erst wieder einen Brief von dir hätte!

 

*

 


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