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XXVII.
Klairant an Klaren.

Ein ausgewechselter Gefangener, der heute zurükgeht, will dir dieses Blättchen schiken. Noch immer, Klara, habe ich keine Antwort von dir. Dein Brief wäre eine stärkende Erquikung in diesen Mühseligkeiten. Die Armee ist unzufrieden mit den Repräsentanten des Volkes. Wir stehen hier müßig an der Schelde, ohne Zelte, ohne Lebensmittel, selbst ohne Waffen; kurz, wir leiden an allem Mangel. La Fayette ist nach Paris gereis't, um, wie er selbst geäussert hat, der Armee die Unterstüzung des Vaterlandes, für das sie kämpft, zu verschaffen, oder seine Stelle niederzulegen. Man sagt einander ins Ohr, gewisse Leute wollten erst la Fayetten, und dann den König stürzen, um die Konstitution zu vernichten. Wozu hätte ich denn die Waffen ergriffen? Um Mördern zu dienen? Ich eilte freudig, jauchzend, hierher; und nun mag ich meine Augen nicht aufheben vor Scham und Verwirrung. Wenn mich jemand fragt: für wen fichst du? bei Gott! ich weiß nichts zu antworten. Ich sehe stumme Vorwürfe in den Bliken meiner Waffenbrüder, die mein Beispiel verführte, und wage es nicht, sie zu trösten. Aber stürzt man die Verfassung, für die ich Soldat ward, so werfe ich die Waffen weg, die dann nur schändend sind, und nehme sie nicht eher wieder, als bis la Fayette uns gegen Paris führt, es an seine Eide zu erinnern.

Ich befinde mich wohl, Klara; eine leichte Wunde, die ich bekam, hat nicht mal eine Spur zurükgelassen. Wir sind durch einen Fluß von dem Feinde getrennt, der ebenso wenig Lust zum Fechten zu haben scheint, als wir. Ach, wenn ich bedenke, daß Tausende an den Grenzen unsres Vaterlandes stehen, daß ehrsüchtige Menschen in Paris sich verschworen haben, uns die Freiheit, die schon anfieng für uns zu schimmern, wieder zu nehmen, wenn ich bedenke, Klara, wie schwer es ist, glüklich zu werden; wie viel ich gewiß noch thun und leiden muß, ehe ich das erreichte, wozu Natur, Liebe und Vernunft mich zu berechtigen scheinen, das Glük dich mein zu nennen. – o, man möchte sich im nächsten Augenblik aus dem widrigen Gedränge retten, alle seine Hoffnungen über das Grab hin werfen, und ihnen ohne Bedenken nachspringen. Was ist denn Freiheit, um die sie streiten? Und wenn ich an jedem Tage zehn, zwölf Stunden für Klaren einen Weinberg bestellte, einen Aker bauete, dann in ihren Armen zur morgenden Arbeit ausruhete, und jede Woche nur einen Tag ganz an ihrer Seite leben könnte: ich wäre dennoch frei und glüklich: frei; denn ich befolgte nur die Gebote der Natur und der Liebe: glüklich; denn ich hätte, was ich wünschte. Ist der Sklav, der seinen höchsten, einzigen Wunsch erreicht hat, in seiner Liebe nicht glüklicher, als Manche auf dem Throne, der sich zu seiner Qual Unmöglichkeiten wünscht? – Klara, meine Arme kann man binden, aber nicht meine Seele. Ich wäre als Sklav am Throne eines Bassa's frei und glüklich, wenn ich nur jeden Tag einmal mein Auge heben dürfte, einen deiner Blike aufzufangen.

Klara, man tobt, man streitet gegeneinander um ein Gut, das man nicht kennt, um Schattenbilder, die man für Glük hält. Ach, unsre einfachen Herzen kennen es. Wären wir doch irgendwo in der Patriarchenwelt, oder bei einem Naturvolke geboren! Wir hätten einander geliebt, uns in dem Schatten eines Baumes eine Hütte gebauet, und da in den einfachen Sitten unverderbter Menschen glüklich gelebt. Weh uns, daß wir einander in dem tobenden Gedränge dieser Unmenschen fanden, die nur Rang anbeten, Gold für Glük halten, Tugend auf das Theater, Liebe in die Romane verbannen, und nur für erdichtetes Unglük Mitleid fühlen! Ist es nicht so?

Ich habe diesen Zettel an das das Bureau François in Koblenz adressirt, weil dein Bruder mir gesagt hat, daß so die Briefe am sichersten gehen. O, ich bitte dich, Klara, schreib mir. Ein Brief von dir wirkt auf mich, wie auf den Unglüklichen, den ein langer Sturm umher geschleudert hat, der Anblik einer grünen Küste. Was, Klara, was wird uns aus dem Sturme retten? Ich bitte dich, Klara; schreib mir bald!

 

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