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XXXII.
Klairant an Klaren.

Klara, unser Schiksal ist entschieden. Man hat den König in ein Gefängniß geworfen und seinen Tod beschlossen. Die Tugend ist im Kerker, die Vaterlandsliebe gilt für ein Verbrechen. Das Glük, das sonst die Rachbegierde mildert und selbst die rasendste Wuth besänftigt, hat sie noch stärker entflammt, und treibt die Abscheulichen in Paris zu Gräueln, welche die Menschheit empören.

Die feindliche Armee zieht sich, von Noth entkräftet, auf allen Seiten zurük. Die Kanonade bei Valmy hat entschieden; und Verdun ist schon wieder in den Händen der wilden Republikaner. Seit drei Tagen steht die Armee der Deutschen in unserem Walde längs der Chaussee. Der unaufhörliche Regen hat das ganze Feld zu einem See gemacht, in welchem die Wagen und die Kanonen, mit ihren elenden Pferden, fast schwimmen. Die armen Menschen sind ohne Zelte, ohne Lebensmittel, dem Zorne des Himmels ausgesezt, der noch immer mit Regengüssen das unglükliche Land überschwemmt, welches bald ein Schauplaz der Zerstörung, und wahrscheinlich des blutigsten Bürgerkrieges seyn wird. O, Klara, du solltest jezt die Menschen sehen, die mit so grossen Hoffnungen einem sichern Siege entgegen zu gehen glaubten! An meinem innigen Mitleiden fühle ich, daß ich dennoch mehr Mensch, als Franzose bin.

Auch deinen Bruder habe ich gesehen, Klara. Ach, möge ich es nie wieder erleben, einen Menschen in meine Arme zu drüken, der alles, alles, auch die fernste Hoffnung, auch den Muth zur Hoffnung, verloren hat! Ich liebe ihn; und er ist Klarans Bruder. – Nun bin ich doch wohl so elend, als ein Mensch nur werden kann. Mein Vater erschossen, mein Oheim am Rande des Grabes, meine Mutter von den wiederholten Schreken krank, um mich her zehn Hospitäler, in denen Tausende hülflos jammern, und dort in Paris eine Rotte, die sich verschworen hat, ihr Glük zum Sturze meines Vaterlandes zu nüzen. O, soll mich noch mehr Unglük treffen, so gebe mein Schiksal es mir in dieser Minute! Bei meinem Schmerze könnte ich die Noth der ganzen Erde tragen, ohne sie stärker zu fühlen.

Sieh, Klara, und wenn ich nun die Hände aufhebe – der Himmel bleibt meinen Bitten verschlossen. So verschwinden alle Hoffnungen; so reißt ein Faden des Glükes nach dem andern! Es ist, als wollte der Himmel alle meine Gedanken, Wünsche und Begierden nur auf dich richten; als sollte alles Andre für mich aufhören, damit du mir Alles seyst. Was du für mein Herz schon bist, das sollst du allen Kräften meiner Seele werden: mein Alles, meine Welt. Wohl denn, Klara! Mehr als sonst, kann ich dich nicht lieben; aber jezt will ich dich einzig lieben. Nur du sollst für mich da seyn. Kalt und ruhig wollte ich jezt zusehen, wie der Tod jedes Leben um mich her vernichtete, wenn er nur dich verschonte. Mein Mitleiden hat aufgehört, seitdem ich alles um mich her elend sehe. Der Kampf ist zu Ende, und der Sieg hat mein Vaterland zertreten.

*

Alles um mich her ist ruhig, Klara; ruhig – wie das Grab, wie eine schrekliche Einöde. Nur die Seufzer meines Oheims, die Klagen meiner Mutter, unterbrechen die gräßliche Stille. Ich erwarte nichts mehr, Klara, als noch einen Brief von dir; und den lezten Seufzer meines sterbenden Wohlthäters. Wenn ich dann um ihn geweint, und ihn begraben habe, fliehe ich mit allem, was mein ist, zu dir, und will in deinen Armen vergessen, daß ich ein Mensch bin. In die tiefste Einsamkeit will ich mit dir flüchten. Der Raum, den wir bewohnen, soll mein Vaterland seyn, du sein Schuzgeist, dein Lächeln seine Ruhe, deine Freude sein Glük. Klara, ich will mein vergangenes Leben wie einen Traum vergessen, und mir einbilden, der Seufzer unsrer Liebe sei mein einziges Geschäft, mein einziger Gedanke gewesen. Schreib mir Klara, wo du bist. Unser Schiksal ist entschieden. Wir wollen noch glüklich leben, Troz der Rotte, die deinen Stand, und Troz deinem Stande, der unsere Liebe ächtete. Irgend ein Weg wird deinen Brief zu mir führen; und weißt du keinen andern, so schike ihn in einem Couvert an das Postamt in Basel, wohin auch dieser gehen soll. Ach, Klara, wann werde ich endlich nicht mehr von Seufzern der Sterbenden umringt seyn, und die Seufzer der Liebe wieder hören! Wann werde ich aus dem Abgrunde des Elendes erlöst werden, und bei dir des einzigen Glükes geniessen, das den Menschen bestimmt ward! Du sollst darüber entscheiden. Ich erwarte deine Briefe mit der Ungeduld eines Verzweifelnden.

*

Das war der lezte Brief, den Klara von Klairant erhielt. Er kam gerade zu der Zeit, als in Koblenz die beiden unglüklichen Nachrichten eintrafen, daß der Feldzug an der Maas gänzlich mißlungen, und daß Cüstine von Landau her in Deutschland eingefallen sei. Das Elend aller ausgewanderten Französischen Familien wurde nun unbeschreiblich groß. Alle ihre Hoffnungen waren verschwunden, und sie sahen einer völligen Hülflosigkeit entgegen. Klarens Mutter litt bei ihrer ohnedies schon schwankenden Gesundheit, durch diese Schrekensnachrichten noch stärker, als die übrigen. Ihr Sohn war mit nach Flandern gegangen, und schrieb seinem Vater: es gehe ihm recht gut; er könne seine Bedürfnisse bestreiten. Um dies glaublich zu machen, erdichtete er glükliche Umstände; in der That aber war er noch hülfloser als seine Eltern. Seine heitren Briefe trösteten die Familie; es war ihre Freude, daß doch einer von ihnen ohne Mangel lebte.

Klara schrieb an Klairant mit jeder Gelegenheit, die sie finden konnte. In mehr als Einem Briefe sagte sie: »so lange meine Eltern in diesem Elende sind, wird mich auch deine Stimme nicht aus ihren Armen loken.« Sie bat ihn, noch Geduld zu haben, bis ihr Schiksal eine bessere Wendung bekäme. Aber sie erhielt keine Antwort, weil die Briefe verloren giengen.

Um diese Zeit schien Cüstine von Mainz aus Koblenz zu bedrohen. Alle ausgewanderten Familien eilten aus der Stadt, welche sich durch sie bereichert hatte, und jezt ihrem Feinde flehende Deputirten entgegen schikte. Viele verließen Koblenz, in das sie mit mehreren glänzenden Wagen eingezogen waren, jezt, im Herbste, zu Fuß, ohne zu wissen, wohin sie gehen sollten, und ohne die Sitten, die Sprache des Landes, worin sie nun leben mußten, zu kennen.

Der Vicomte kam schweigend nach Hause, sah mit finstren Bliken auf seine schwache Gattin, und erklärte endlich mit unterdrüktem Schmerze, daß Koblenz ihm und seiner Familie nicht länger Sicherheit gewähre. Die Vicomtesse blikte ängstlich gen Himmel, und seufzte; Klara küßte ihr die Hand, und weinte. »Morgen müssen wir reisen!« sagte der Vicomte. Er hatte noch etwas auf dem Herzen, und gieng, mit sich selbst kämpfend, im Zimmer auf und ab. Endlich reichte er seiner Gattin die Hand, und sagte: »liebe Frau, unser Elend ist groß – noch größer, als du denkst!«

»O, mein Sohn!« »O, mein Bruder!« riefen Mutter und Tochter zugleich, und sanken laut schreiend einander in die Arme. – »Er lebt!« sagte der Vicomte. Nun sahen Beide ihm ins Gesicht, und erwarteten ängstlich, was für ein Unglük er ihnen anzukündigen hätte. »Unser Vermögen ist hin,« hob er zögernd an; »wir werden Mühe haben, uns zu ernähren. Es geht mir durch die Seele, aber – wir müssen unsre Domestiken entlassen.« Klaren stiegen Thränen in die Augen. Sie weinte nicht über den Verlust ihrer Bequemlichkeit; nein, über Lucien, die sie liebte, und noch mehr, die nun unglüklich werden sollte. Ihr Vater suchte sie zu trösten, und bat sie, den beiden noch übrigen Domestiken ihre Entlassung anzukündigen.

Der Bediente nahm, was ihm gehörte, und gieng. Lucie aber weinte schon, als sie nur Klarens Thränen sah; und als sie den Auftrag ihres Fräuleins gehört hatte, blieb sie fest dabei, diese Trennung sei unmöglich. Sie schwor, Klaren nie zu verlassen, lief dann zu dem Vicomte, und sezte ihn in nicht geringe Verlegenheit durch ihre Erklärung, daß sie bei seiner Tochter bleiben wollte. Klara sagte endlich: mein Vater kann dich nicht länger ernähren. Der Vicomte stampfte vor Verdruß auf den Boden. Lucie sagte gerührt: ich verlange ja keinen Lohn. Von dem, was ich mir im Dienst erspart habe, kann ich eine Zeitlang leben; und dann – dann habe ich Arme, mit denen ich Sie, mein theures Fräulein, wohl gegen den Hunger schüzen will. Das nahm der Vicomte beinahe übel; Klara aber schloß das Mädchen zärtlich in ihre Arme, und sagte: ja, Lucie, du sollst bei mir bleiben, und wir wollen um die Wette arbeiten. An Großmuth kann es dir nicht gleichthun; aber an Liebe, meine gute Lucie, an Liebe gewiß. Der Vicomte konnte seine Tochter nicht tadeln, aber er fühlte sich doch durch diese Scene erniedrigt, und verließ das Zimmer.

Am Abend wollte Lucie Klaren ausziehen, und sezte ihren Willen durch, so viel sich diese auch sträubte. Sie entkleidete ihr Fräulein mit ganz ungezwungener Ehrerbietung, wie immer. Nun aber bestand Klara darauf, Lucien auszuziehen, und diese mußte es sich gefallen lassen.

Am folgenden Morgen reiste die Familie ab, den Rhein hinunter, nach Westphalen zu. Auf der ersten Poststation näherte sich ein junger Mensch dem Vicomte beim Aussteigen, und bat ihn um Lucien, die er für seine Braut erklärte. Lucie gestand mit Erröthen, sie habe ihm ihr Herz und ihr Wort gegeben. »Allein die Liebe zu meinem Fräulein ...,« sagte sie zögernd; – »mein Bräutigam ist ja noch jung, und ich auch. Wir können Beide noch warten.« Klara gieng mit Lucien auf die Seite, und fragte: liebst du den jungen Menschen? – »Ja!« – Zärtlich? – »Ja!« – Nun, so mußt du mit ihm gehen. Wie? sagte sie mit gefaltenen Händen: ich sollte einen Augenblik dein Glük verzögern? – Lucie, auch ich liebe. Ach, ich weiß, was Zögern ist.

Lucie gehorchte, zumal da Klara ihr noch überdies sagte: als Frau (der Bräutigam war nehmlich wohlhabend) kannst du mir nüzlicher seyn.

»Ach, ich weiß wohl,« erwiederte Lucie, »daß Sie meine Dienste nicht annehmen werden.« – Gewiß, Lucie, das werd' ich. – »Nun, so beweisen Sie es. Hier ist das Geld, das ich mir erspart habe. Nehmen Sie.« Klara lächelte und küßte das gute Mädchen. Warum nicht, Lucie? Gieb! Und zur Belohnung bestelle diesen Brief. Er ist an meinen Geliebten, einen Bauer, Namens Klairant. Du findest die Adresse auf dem Briefe. – Klara nahm mit einer Umarmung von Lucien Abschied, und diese kehrte nun mit ihrem Geliebten nach Koblenz zurük.

Das seltsame Mädchen! sagte der Vicomte. Ich wünschte, daß ich ihre Anhänglichkeit an uns belohnen könnte. – »Das hab' ich gethan, mein Vater!« – Womit? – »Ich habe diese Börse von ihr angenommen.« – Der Vicomte fuhr auf: abscheulich! Das nennst du belohnen? He! wen schik' ich ihr nach? Ein Dienstmädchen! und soll mir eine Wohlthat erweisen? Das nennst du eine Belohnung? – »Für das Herz dieses Mädchens ist es ganz gewiß eine. Und ich gäbe diese Börse um vieles nicht weg. O; mein Vater, glauben Sie denn, daß nun in Frankreich kein Herz mehr menschlich fühlen wird, weil der Adel aufgehört hat?« Der Vicomte befahl Klaren unwillig, zu schweigen.

Eine Schwachheit der Mutter nöthigte die Familie, schon an diesem Tage in einem kleinen Städtchen liegen zu bleiben. Von hier aus schrieb Klara noch einigemal an Klairant die wehmüthigsten und die liebevollsten Briefe; aber sie erhielt keine Antwort. Endlich schrieb sie an die Rosiere, und legte einen Brief für Klairant ein. Sie bekam von dieser einen Brief, worin es hieß: Klairant sei gesund und munter; er würde schon längst geantwortet haben, wenn er nach dem Tode seiner Mutter nicht eine unglaubliche Menge Geschäfte bekommen hätte.

Das war wieder eine gutherzige, wohlgemeinte Unwahrheit von der Rosiere. Der arme Klairant hoffte schon lange mit immer steigender Ungeduld auf einen Brief von Klaren. Seine Mutter war gestorben, und er verkaufte nun alles, was er hatte, unter dem Vorwande, in ein anderes Departement zu ziehen. Nun hielt er sich bereit, mit seinem Gelde, und mit dem Nachlasse seines Oheims, sobald dieser todt wäre und ein Brief von Klaren ihn riefe, nach Deutschland abzureisen. Seit dem Ende des August hatte er keine Zeile von seiner Geliebten bekommen, und auch seine Briefe an sie giengen verloren, weil sie, bei der damaligen großen Unordnung der Posten am Rhein, höchst seltsame Wege nehmen mußten. Endlich konnte er seine Unruhe nicht länger ertragen. Er stekte eine Summe in Golde zu sich, nahm auf einige Tage von seinem Oheim Abschied, gieng durch Wälder und unwegsame Gegenden bis an die Gränze, und kam glüklich nach Trier. Von da eilte er nach Koblenz. Hier erfuhr er, daß die Familie du Plessis nicht mehr in dieser Stadt sei; aber niemand wußte, wohin sie gegangen war. Er hinterließ bei dem ehemaligen Wirthe des Vicomte einen Brief an Klarens Bruder, den er dringend bat, ihm so bald als möglich von dem Aufenthalte der Familie Nachricht zu geben. Diesen Brief bekam du Plessis, obgleich erst spät; indeß antwortete er eben so wenig darauf, als er Klaren etwas von dem Empfange desselben merken ließ.

Gerade zu der Zeit, als Klairant in Deutschland war, bekam die Rosiere Klarens Brief. Was sollte sie thun? Die arme Klara jammerte in ihrem Briefe an sie über Klairant, und bat sie, ihm zu sagen: er möchte schreiben, wenn er nicht bald hören wollte, daß seine Klara vor Gram gestorben sei. Nun war Klairant gar fort, und die Rosiere konnte weiter nichts von ihm erfahren, als daß er nach Paris gereist wäre, und dort Erlaubniß, sich in einem andern Departement anzukaufen, nachsuchen wollte. Durfte sie das der trostlosen Klara schreiben? Sie gab also vor, was wir wissen, und zwar in der Hoffnung, daß Klairant entweder zurükkommen, oder von seinem neuen Wohnorte aus schreiben würde. Klairant kam wirklich zurük. Die Rosiere erschrak nicht wenig, weil sie unterdessen Klarens Brief an ihn verloren hatte. Sie schwieg nun gänzlich; und Klairant konnte nicht schreiben, weil er nicht wußte, wo Klara sich aufhielt.

Klara bekam die Antwort der Rosiere. »Gesund? munter? kann nicht schreiben wegen vieler Geschäfte?« Sie wurde bleich und starr, als sie den Brief las. »Es ist nicht möglich!« rief sie, und sah ihn aufs neue durch. Da stand in dürren Worten: er ist gesund, munter, und so weiter. Nun faltete sie die Hände über dem Briefe, der in ihrem Schooße lag, lehnte den Kopf hinten über, heftete die großen Augen an die Deke des kalten Kämmerchens, worin sie saß, und dachte nach, bis ihre Gedanken sich verwirrten und ihr Nachsinnen in eine dumpfe Gefühllosigkeit übergieng, die sich endlich in einen Strom von Thränen auflösete. Sie nahm die Feder, und schrieb – o, man hätte mit ihren Klagen dem wildesten Herzen Thränen abpressen können; aber sie zerriß den Brief wieder, weil sie aufs neue rief: »es ist nicht möglich!« Mit jedem Posttage hoffte sie ungeduldiger, und mit jedem fieng sie stärker an zu fürchten, es wäre dennoch wohl möglich, daß Klairant ihre treue Liebe mit dem abscheulichsten Undanke belohnte.

Sie schrieb wohl zwanzig Briefe, und ließ nicht Einen abgehen. Diesen fand sie beim Durchlesen zu bitter: denn es war doch nicht möglich; jenen zu demüthig: denn sie konnte doch nicht um seine Liebe betteln! – Schon nach einigen Wochen, in denen sie noch immer keinen Brief erhielt, war ihre Verzweiflung ein stiller Gram geworden, der ihr ganzes Herz zernagte. Klairants Undankbarkeit that eine seltsame Wirkung auf die arme Klara; sie glaubte mit ihrem Gram der Spott ihres Vaters zu werden, und verbarg ihn daher. Nun wurde sie kalt, untheilnehmend. In ihrer Seele entstand ein gewisser Menschenhaß, der sich aber durch weiter nichts äusserte, als durch ihre Kälte. Sie zeigte keine Erbitterung; vielmehr that sie, was sie zu thun hatte, noch zärtlicher als sonst, und mit immer gleicher Gefälligkeit. Nur in den einsamen Stunden der Nacht weinte sie dem Undankbaren Thränen des schmerzlichsten Andenkens und des zerstörendsten Grames.

Auf einmal kam Touai wieder und brachte Briefe von du Plessis, den er ganz von ungefähr in Holland getroffen hatte. Du Plessis wollte ihm dort gern entkommen; Touai umarmte ihn aber, hielt ihn fest, und drängte sich an ihn, obgleich mit vieler Schonung. Man sprach vom Kriege, von Koblenz, von alten Begebenheiten. Touai erkundigte sich nach dem Vicomte, und dann, hoch erröthend, nach Klaren. Mit Zittern fragte er, ob sie verheirathet sei. Sein Auge funkelte vor Freude, als ihr Bruder ihm »Nein« antwortete, und er schloß freudig den jungen Mann in seine Arme. Beide sahen einander wieder, und das Gespräch kam von neuem auf Klaren. Touai fragte, ob sie noch in Verbindung mit dem jungen Menschen stehe, dessen Briefe er gelesen habe. Du Plessis, den sein Elend niederdrükte, vergaß seinen Freund, dachte nur an seine Eltern, und sagte: ich glaube, die Verbindung ist aufgehoben. Nun bat Touai um du Plessis Beistand, entdekte ihm, daß er Klaren noch immer mit heisser Leidenschaft liebe, und bot ihm sein Vermögen an. Du Plessis sagte: »wenn Klara Ihnen ihre Hand giebt, Touai, dann will ich mit Vergnügen Ihr Schuldner werden. Jezt aber ... Reisen Sie. Ich wünsche Ihnen Glük, und hoffe, bald Nachrichten von Ihnen zu hören.«

Nun kam Touai zu dem Vicomte, und ließ sich in eine Unterredung mit ihm ein. Klara trat in das Zimmer. Touai gieng ihr entgegen und küßte ihre Hand. Sie erblaßte zitternd. Er wünschte vergebens, mit ihr allein zu seyn; der Vicomte gieng nicht weg. Nun wünschte er, wenigstens eine Anspielung auf seine alte Neigung zu hören, um dann weiter sprechen zu können; doch eben so vergebens. Der Vicomte behandelte ihn gerade wie einen Fremden, den man ein Paarmal gesehen hat. Er war zu stolz, um nur den leisesten Verdacht zu veranlassen, als wünsche er noch jezt eine Verbindung seiner Tochter mit einem reichen Manne. Klara gieng nach einigen Minuten wieder weg. Touai, der gern wissen wollte, wie er mit ihrem Vater daran sei, gestand ihm offenherzig die Absicht seiner Reise.

»Meine Lage, Herr Baron,« sagte der Vicomte, »ist jezt so, daß ich überall auf Bedenklichkeiten stosse, die ich sonst nirgends sah. Ich wünschte ehedem die Verbindung meiner Tochter mit Ihnen. Damals war ich, wenigstens in der Hoffnung, noch sehr reich, jezt bin ich ein Bettler. Ich weiß nun nicht, ob ich diese Verbindung noch wünschen darf. Unterstüzen, mein Herr, kann ich Sie jezt nicht, so viele Ehre Ihre Bewerbung meiner Familie auch macht. Meine Tochter ist frei.«

Touai verbeugte sich, und fragte: darf ich Ihre Tochter allein sehen? – Darüber gerieth der Vicomte in Verlegenheit, weil er nur ein einziges Zimmer hatte. Er stand auf, und gieng weg. Nach einigen Augenbliken kam Klara, zitternd wie eine Verbrecherin. Bei diesem Anblike versprach Touai sich nichts Gutes. Er sagte ängstlich: die Versicherung Ihres Bruders, meine edle Freundin, daß Ihre ehemalige Verbindung aufgehoben sei, führt mich aufs neue zu Ihnen. Klara sah ihn mit starren Augen an. Nun war ihr Klairants Untreue gewiß; selbst ihr Bruder wußte sie schon: wie konnte sie jezt noch zweifeln? Touai wartete auf ihre Antwort. Klara stand, mit Entsezen in den Bliken, mit kalten Wangen, da, hob beide Hände auf, und rief: »es ist abscheulich! Ach, mein Herz hatte Recht! Nun ist es möglich, daß ein Kind seine Mutter mit kaltem Blute ermordet! O, Gott! o Gott!« – Sie ließ die Arme fallen, schien vergessen zu haben, daß jemand bei ihr war, und sank, mit großen Thränen in den Augen, auf einen Stuhl.

Touai sezte sich neben sie, nahm ihre Hand, und fragte: ist es wahr, daß Ihre Verbindung abgebrochen ist? – »O, nur allzu wahr!« rief Klara mit zerrissenem Herzen. Touai machte ihr jezt seinen Antrag. Sie sah ihn an, und schwieg, weil in diesem Augenblike tausend Gedanken vor ihrer Seele schwebten. Eine Verbindung mit Touai rächt mich an dem Unwürdigen, und rettet meine Eltern von Mangel: diese beiden Vorstellungen zeigten sich ihr in tausend verschiedenen Bildern. Doch eine ganz leise Stimme, deren Laut ihr Herz wie ein Pfeil durchdrang, sprach noch immer zu Klairants Vortheil. Es war ihr, als ob der Geliebte im Innern ihres Herzens seufzte: ich bin nicht untreu. Sie sah den Baron noch immer starr ins Gesicht, ohne zu antworten. Er lächelte über dies sonderbare Anschauen, und sie lächelte mit. Darf ich, fragte er, dieses Lächeln für eine Vorbedeutung meines Glükes halten? Sie schwieg. Er drükte ihre Hand, und sie erwachte aus ihrem Traume. Nun fragte er noch einmal wollen Sie mich glüklich machen? In Klarens Seele erhob sich ein neuer Kampf, der sich wieder, gleich dem ersten, mit Abscheu vor jeder neuen Verbindung endigte. »Nein,« sagte sie, und zog ihre Hand zurük; »es ist unerhört, es ist abscheulich! Herr Baron, wurde ich betrogen, so bin ich es für mein ganzes Leben; so ist mein Zutrauen hin, meine Liebe todt, mein Wohlwollen vernichtet. »O« – rief sie mit lauter Stimme, mit allen Zeichen des Abscheues – »so bin ich um alle meine Tugenden betrogen! Aber ich will betrogen seyn, ohne zu betriegen! ein Denkmal der unmenschlichsten Undankbarkeit, und zugleich ein Beispiel der unerschütterlichsten Treue. Herr Baron, mein Vater hat mir gesagt, was sie von mir wünschen. Es ist unmöglich. Müßte ich aufhören, ihn zu lieben – o, welcher Mann könnte dann je von mir fordern, daß ich ihn lieben sollte? Nein, ich werde nicht aufhören ihn zu lieben; aber hassen sollte ich jeden andern Mann, um mich zu rächen!« – Sie versank nun in einen stillen, verschlossenen Kummer, und Eine Thräne nach der andern rollte über ihre Wangen. Touai fieng noch einige male an zu reden; sie hörte ihn aber nicht, und saß noch so da, als ihr Vater wieder in das Zimmer trat.

Der Baron sagte nachher dem Vicomte, er habe noch einige Hoffnung, Klarens Hand zu erhalten. Aber nach einigen Besuchen, bei denen ihr Vater ihm Gelegenheit gab, mit ihr allein zu seyn, überzeugte er sich aus ihren Aeusserungen und ihrem Betragen, daß sie ihre Liebe zu Klairant unmöglich besiegen könnte. Herr Vicomte, sagte er eines Abends unter vier Augen, ich danke Ihnen, daß Sie die Güte hatten, mir Hoffnung auf den Besiz Ihrer schönen Tochter zu erlauben; jezt aber gebe ich diese Hoffnung freiwillig auf. Sie liebt; und diese Liebe ist die Quelle ihres Lebens, ihres Daseyns. So viel ich gemerkt habe, Herr Vicomte, ist jezt ein Mißverständniß zwischen den beiden Liebenden. Wenn Ihnen das Leben Ihrer Tochter ... – Der Vicomte unterbrach ihn, bitter lächelnd: »wissen Sie denn, daß der Mensch ein Bauer ist?« – Das weiß ich. – »Meinen Sie vielleicht, weil ich jezt ein Bettler bin, daß ein Bauer ...« – Herr Vicomte, sagte Touai betreten, ich wollte Sie nicht beleidigen, allein ich glaube, Ihre Tochter ist in Gefahr, ein Opfer einer unüberwindlichen, und doch auch sehr natürlichen, Leidenschaft zu werden. – Der Vicomte lachte bitter. »Natürlich? Sie halten es also für natürlich, daß eine du Plessis einen Bauer liebt? Ich nicht, mein Herr. Und darum seh' ich diese Leidenschaft für eine Posse an, die das falsche Mitleiden einer schwachen Mutter, empfindsamer Kammerjungfern, und nun wieder auch das Ihrige, Herr Baron, dem Mädchen als eine Tugend vorstellt. Ich weiß, was einer du Plessis natürlich ist!« – Posse, Herr Vicomte, oder nicht! Wenigstens können Sie darüber Ihre Tochter verlieren. – »Die Krankheit dauert nun schon Jahre lang, Herr Baron. Und Gefahr, oder nicht Gefahr – davon kann nie die Rede seyn, wenn es darauf ankommt, was ich meiner Ehre schuldig bin.« – Die Ehre beurtheilt Jeder aus seinem eigenen Gesichtspunkte, also auch Sie, Herr Vicomte; aber ob die Ehre Sie am Sarge Ihrer Tochter trösten wird: das, dünkt mich, ist die Hauptfrage. Besonders jezt, Herr Vicomte, da Ihr Rang von Ihrer Nation nicht anerkannt wird, das Glük einer Tochter diesem ... – »Herr Baron, es ist grausam, eines Unglüklichen zu spotten, und ihm das Lezte zu verkümmern, was das Schiksal ihm gelassen hat: seine Ehre!« – »Nein, Herr Vicomte, das Schiksal hat Ihnen mehr gelassen: zwei Kinder, deren Wohl Sie über jeden Verlust trösten könnte, und die Sie also glüklich machen sollten, um selbst glüklich zu seyn. Und dann, Herr Vicomte, – ich bitte Sie, auch von mir ein Wort sagen zu dürfen – dann hat der Himmel Ihnen einen Freund gelassen, der Sie anbeten würde, wenn Sie ihm erlaubten, das Elendeste, was er hat, sein Vermögen, mit Ihnen zu theilen, da das Schiksal es ihm verbietet, Sie Vater zu nennen. – Der Vicomte sprang heftig auf. »Kein Wort mehr davon, Herr Baron. Ich bin noch nicht arm genug, mich beschimpfen zu lassen. Nur Eins verspreche ich Ihnen,« sezte er bitter hinzu: »wenn ich Almosen suche, sollen Sie der Erste seyn, bei dem ich anfange, dies schändliche Handwerk zu treiben.«

Touai verbeugte sich, und gieng. Er machte noch einige feine Versuche, den Vicomte mit Geld zu unterstüzen; da sie aber mißlangen, so trug er einem Bekannten in dem Städtchen auf, ihm von Zeit zu Zeit Nachricht von dem Zustande der Familie zu geben, und reiste ab.

Der Vicomte befürchtete in der That schon Mangel. Seine meisten Kostbarkeiten waren verschwunden; und eine kleine Summe Geld, die er noch hatte, reichte, nach seiner Rechnung, kaum auf einige Monate zum Unterhalte seiner Familie hin. Indeß, so groß sein Kummer auch war, so ließ er sich dennoch mit Klarens Grame nicht vergleichen. Sie glaubte von Klairant verlassen zu seyn, und machte sich die bittersten Vorwürfe über den Mangel ihrer Eltern, die sie hatte retten können. Nun aber kam endlich der unglüklichste Tag – Doch wir wollen nicht erzählen, was Klara selbst an ihren Geliebten schreibt.

 

*

 


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