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Subjekt und Prädikat

Wie alles, was zur »Sprachlehre« gehört, und mehr als alles andere, bietet diese Untersuchung die Aussicht einer Mühsal zu keinem größern, keinem geringeren Ergebnis als dem des Einblicks in eine Unbegrenztheit von Beziehungen, die das Wort, und das kleinste unserer Sprache, durchzuleben vermag. Also einer Ahnung davon, daß es in jeder Form seines mechanischen Gebrauchs ein Organismus sei, umgeben und gehalten vom Leben des Geistes. Die Berührung dieses Geheimnisses – und möchte es am Ende die Klärung einbeziehen und würde Bewiesenes erst problematisch –: sie eröffnet den Zugang in ein Wirken der Sprache, das denen, die sie sprechen, bis nun verschlossen war; und hätte man vergebens nachgedacht, so wäre dies der Gewinn. Wie vor allem, was zur Sprachlehre gehört, muß sich der Leser entscheiden, einer zu sein, dem solches die Mühsal lohnt, oder es nicht zu sein.

Es

»Von diesem Wörtchen, welches im Deutschen von einem überaus großen Gebrauche ist« (wie Adelung sagt), wäre immer noch mehr zu sagen: zu dem, was dem Leser von jener Abhandlung zur »Sprachlehre« (1921) im Gedächtnis geblieben ist oder was er zu leichterer Erfassung des nun Folgenden nachholen müßte. »Es« hat sich dort um den Nachweis gehandelt (in solcher Fügung – wie in eben dieser – ist »es« wohl auch dem Grammatiker klar): daß die Schablone den Subjektcharakter des Wörtchens in Fällen wie »Es werde Licht!« verkenne, indem sie ihm auch hier bloß Bedeutung oder Nichtbedeutung eines »dem Subjekt vorangestellten Es« anweist.

Wenn nun dieses führende und nicht bloß vorangehende »Es« in seine Rechte eingesetzt ist, und wenn der Grammatiker zugäbe:

Es geht mir ein Licht auf

so wäre dies freilich nicht der Fall, sofern er glaubte, »Es« spiele hier dieselbe Rolle. Es wäre das Chaos, das wüste Gewirr, das Tohuwabohu, das dem Lichtwerden bekanntlich »vorangeht«. (Während »es« wieder in solchem Satz – wie in eben diesem – als unverkennbares Subjekt einen Gedanken fortsetzt: eine Bestimmung, die auch die Grammatiker nicht leugnen.) Der gewissenhafte Sammler und oft feinfühlige Korrektor Sanders aber ist tatsächlich der Ahnungslosigkeit schuldig, das Licht-Beispiel mit dem Fall »Es zogen drei Burschen« in eine Kategorie zu rücken und das »Es« dort wie hier für einen »Hinweis auf das erst nachfolgende Subjekt« zu halten. Untersuchen wir zur Erfassung des himmelweiten Unterschiedes einige geflügelte oder stehende Redensarten. (Das unverkennbare und anerkannte Subjekt fortsetzender Art bleibe aus dem Spiel.) Die Position des »Es« – also: ob es bloß auf ein Subjekt hinweist oder ein solches selbst schon ist – wird daran ersichtlich werden, ob die Aussage auch ohne das »Es« Subjekt und Prädikat enthielte: da tritt es wohl voran, aber nicht hervor; oder ob sie ohne das »Es« nicht möglich wäre, weil eben von ihm als dem Subjekt etwas ausgesagt, eben sein Inhalt prädikativ entwickelt wird: da tritt es nicht bloß voran, sondern auch hervor. Eine auch ohne das »Es« vollständige Aussage bieten die Beispiele:

Es irrt der Mensch, solang' er strebt

Es erben sich Gesetz und Rechte ...

Es ist ihr ewig Weh und Ach ... zu kurieren

Es kann die Spur ... nicht in Äonen untergehn

Es bildet ein Talent sich in der Stille

Es wächst der Mensch mit seinen größern Zwecken

Es liebt die Welt das Strahlende zu schwärzen

Es führt kein andrer Weg nach Küßnacht

Es lebt kein Schurk' im ganzen Dänemark, der nicht ...

Es wandelt niemand ungestraft unter Palmen

Es war einmal ein König

Es lebe der König

Es möchte kein Hund so länger leben

Hier folgt tatsächlich das Subjekt nach. In vielen dieser Fälle hat freilich die Voranstellung des »Es« ihre gedankliche und dichterische Funktion einer Vorbereitung. In ihm kündigt sich das Subjekt an; es ist an diesem beteiligt. Besonders »Es war einmal ein König« wäre durch die Aussage »Ein König war einmal« nicht ersetzt: erst aus der Zeit hat er hervorzugehen. Am gewichtlosesten in »Es lebe der König«, bedeutet es wieder ein förmliches Zeremoniell der Ranganweisung in:

Es soll der Sänger mit dem König gehen

(wie anstatt »Drum soll« füglich zitiert wird. »Der Sänger soll« wäre eine Zurechtweisung des Subjekts, das nicht will). Ganz dichterisch – wie es aber die Umgangssprache gleich dem Dichter der »Wacht am Rhein« trifft – ist es auch in:

Es braust ein Ruf ...

indem hier das Brausen zuerst gehört wird, das Prädikat vor dem Subjekt (das dann zum Donnerhall wächst). Auch in der österreichischen Nationalhymne:

Es wird ein Wein sein und wir wer'n nimmer sein

indem hier die Unvergänglichkeit vor dem Gegenstand selbst empfunden wird. Ähnlich betont erscheint die Vergänglichkeit in:

Es gibt keinen Wein mehr.

In dieser Aussage oder Absage ist nun eigentlich überhaupt kein Subjekt enthalten, es versteckt sich (wohlweislich); ganz offen tritt es aber hervor in:

Wenn sich der Most auch ganz absurd gebärdet,
Es gibt zuletzt doch noch 'nen Wein.

Reines Subjekt (fast eines der fortsetzenden Art), Zusammenfassung des Sichgebärdens, eigentlich »er« selbst, der Most. »Wein« ist das Objekt, das es geben, nämlich ergeben wird. Hieße es: »Es ist zuletzt doch noch ein Wein«, so wäre dieser das Prädikat. (Das Ding stellt sich als Wein heraus.) In: »Es ist zuletzt ein Wein vorhanden« wäre er jedoch das Subjekt, wie in »Es wird ein Wein sein ...«. Wenn es aber statt dessen hieße: »Es wird einen Wein geben« (nicht: ergeben), wäre er nur scheinbar Objekt (nicht verwandelbar in: gegeben werden), in Wahrheit ein umschriebenes Subjekt (er wird vorhanden sein).

Ohne das »Es« nun wäre die Aussage nicht möglich, weil eben von ihm als dem Subjekt etwas ausgesagt wird, in Fällen wie:

Es war die Nachtigall und nicht die Lerche.

Was da sang und was wir hörten.

Es ist ein Traum.

Oder

Weil es doch nur ein Traum ist.

Was wir da erleben.

Behüt' dich Gott! es wär' zu schön gewesen,

Behüt dich Gott, es hat nicht sollen sein.

Was nicht erlebt wurde. (Hier aber vielleicht einfach fortsetzender Art.)

Es ist Arznei, nicht Gift, was ich dir reiche.

Eben dieses. Der Relativsatz ist das Subjekt, vorweggenommen als das gereichte »Es« (Es, das ich ...). Arznei und Gift sind Prädikat. (Was ich dir reiche, ist ...) So auch:

Es tut mir lang' schon weh,
Daß ich dich in der Gesellschaft seh'.

Eben das tut ihr weh.

Der Bedeutungswechsel tritt klar hervor zwischen:

Es sind viele Stunden her

und

Es waren schöne Stunden.

Beidemal bewirkt das plurale Hauptwort den Plural des Zeitworts. Gleichwohl ist jenes nur im ersten Fall Subjekt, im zweiten jedoch Prädikat. Das Subjekt-Es ist unverkennbar in:

Es ist spät

oder

Wie spät ist es?

Keineswegs tritt »es« jedoch zurück in:

Es regnet.

(Der Wiener Greuelscherz »Sie regnet« spürt das Subjekt der Tätigkeit: die Natur.)

Es ist ein Unterschied

zwischen »il pleut« und dem es-losen »vive le roi«. Wer wollte aber das Subjekt in dieser Feststellung verkennen und meinen, der »Unterschied« sei es? Nein, er ist es nur in dem soeben Gesagten, oben jedoch ist es: Es. (Das eben ist der Unterschied, um den »es« sich handelt – und hier, im Relativsatz, ist »es« das Subjekt.) Und nicht anders in:

Es muß doch Frühling werden.

Nämlich, das, was nicht ausgedrückt, aber groß vorhanden ist: die Gottesschöpfung. (In dem Gedicht »Nächtliche Stunde« trägt es, eben »es«, dreimal das Erlebnis: Tag, Frühling, Tod.) In solchen Fällen nun und ausdrücklich für:

Es tagt

wird es – für die Kategorie der »unpersönlichen Zeitwörter« – von den Grammatikern anerkannt. Wie könnte es dann aber in:

Es wird Tag

etwas anderes, geringeres sein? (Tagt Es ihnen da nicht?) Nur das Prädikat ist verwandelt, doch ganz unzweifelhaft besteht das Subjekt »Es«. Wie in jenem »Es will Abend werden«, das einst der Anfangspunkt der Untersuchung war. Und wie in der Metapher:

Es ist noch nicht aller Tage Abend

(= Dieses scheinbare Ende ist noch nicht das Ende.) Und in dem ungeheuren kleinen Wort:

Es ist vollbracht.

Fällt »Es« einem nicht »wie Schuppen von den Augen«? Zu dem Problem könnte – nach spätere mosaischer Quelle – nur gesagt werden:

Es ist eine alte Geschichte,
Doch bleibt sie immer neu.

Und hoffentlich sagen sie nun nicht mehr:

Ich weiß nicht, was soll es bedeuten.

Wenn trotzdem, so gilt freilich:

Es muß auch solche Käuze geben.

Das bestätigt Sanders, da er kurioser Weise gerade in dieser Einräumung dem »Es« den Subjektcharakter zuerkennt, indem er es für dasselbe wie in »Es regnet«, »Es donnert« u. dgl. hält. In einem Abschnitt, der mir bisher entgangen war und der eben die »unpersönlichen Zeitwörter« behandelt, setzt er tatsächlich, und mit richtigem Gefühl, eine unsichtbare Kraft als den mit »Es« bezeichneten Faktor, dessen Wirksamkeit er in »Es werde Licht« verkannt hat. Dort geht er nun in der Subjektivierung so weit, die »unbekannte Macht, etwa: das Schicksal« mitwirken zu lassen an einem Fall wie: »Es gibt im Menschenleben Augenblicke«, was natürlich bloß der Verführung durch den Vorstellungsinhalt zuzuschreiben ist. Denn in der Rückverwandlung der so äußerlichen Objektbeziehung in die Aussage: »Es sind im Menschenleben Augenblicke vorhanden« hätte er mit Recht nur das bekannte dem Subjekt vorangestellte »Es« gelten lassen. (Dieses hat etwa in »Es war einmal ein König« weit mehr Anteil an einem Schicksal.) Danach erhöht er es auch für den Fall: »Es gibt solche Menschen«; und, verleitet von der Vorstellung, daß die Menschen, die es gibt, »erschaffen« sind, führt er aus: »Das Unbekannte, die Menschen Schaffende läßt solche entstehen«. Wie offenbar doch hier das Sprachdenken durch die stoffliche Assoziation beeinflußt ist! Begrifflich enthält der Satz nichts anderes als: »Es existieren solche Menschen«, welche eben auch in der Konstruktion »Es gibt« kein reines Objekt, sondern nur das umschriebene Subjekt sind. Die unmögliche Subjektivierung »Es sind solche Menschen gegeben« belehrt über den Inhalt des »gibt«, welches kein Schaffen bedeutet. Der Trugschluß führt aber noch zu der Deutung des Zitats der Käuze: daß »das Allwaltende auch solche haben will«. Also wäre es auch an der metaphysischen Auskunft der Köchin beteiligt, daß es Fleisch gibt, wie an dem Bescheid des Kellners, daß es keinen Wein mehr gibt. Wenn dieser »gegeben« wird, wird er »hergegeben«, woran kein Schöpferwille beteiligt ist. Daß es aber »zuletzt doch noch 'nen gibt«, nämlich: ergibt, müßte gewiß auch der Grammatiker auf eine sehr reale Kraft – eben diejenige, die den Most verwandelt – zurückführen, obschon sie ja gleichfalls der allwaltenden Natur zugehört. Gewiß gibt es Dinge zwischen Himmel und Erde, aber es gibt auch Zeitungen im Kaffeehaus, kein Papier auf der Eisenbahn und manchmal etwas zu lachen. »Es gibt Schläge«, in die Subjektbeziehung übersetzt, heißt keineswegs: »Es werden Schläge gegeben«, wiewohl auch diese Form der Bedeutung entsprechen mag, sondern etwa: »Es sind Schläge zu haben«. Dieses »Es gibt«, ob es nun etwas so Reales oder andere Augenblicke im Menschenleben betrifft, zielt auf kein Objekt, sondern gehört noch immer dem Subjekt zu, dessen »Existieren«, »Vorhandensein« u. dgl. nur umschrieben wird. Ganz anders als bei den eigentlichen »unpersönlichen Zeitwörtern«, für die der Grammatiker mit Recht das »Es« als Subjekt anerkennt und bei denen es als tätiges Element gewiß vorstellbar ist.

Es läutet.

Wer denn sonst als »Es«, wo nichts anderes da ist, bevor ich weiß, daß es er oder sie ist. In »Man läutet« wäre ich schon eher auf die Person gefaßt, während ich dort nur das Läuten wahrnehme. Aber Erlebnis und Ursache sind vereinigt in:

Es läuten die Glocken.

Ein alltägliches, allstündliches Gedicht. Der akustische Eindruck geht voran. (Der Glockengießer oder der Volksschüler sagt aus: Die Glocken läuten). Es ist, wie in vielen Zitaten, eine Mischform: das »Es« als die primäre Wahrnehmung dem Subjektcharakter angenähert, das Subjekt »Glocken« entrückt, erst durch das Bewußtsein vermittelt. (Dichterische Funktion wie in den Märchenfällen »Es war einmal ...« oder etwa auch in der schönen Fassung: »Es bildet ein Talent sich in der Stille ...«, die eben mehr als die Aussage bedeutet, daß sich ein Talent in der Stille bildet.)

Das nächste Stadium wäre:

Es war ein Mann, nehmt alles nur in allem ...

Hier ist schon nicht »Mann« das Subjekt, sondern »Es«: Dieser Mann war ein Mann; darum sinngemäß zitiert: »Er war ein Mann ...« (Nicht zu verwechseln mit:

Es war einmal ein Mann.)

Anders dagegen und schwieriger:

Es ist nicht alles Gold, was glänzt.

Subjekt ist nicht »Es«, sondern: alles was glänzt, Prädikat: Gold. Leichter der Trost:

Es muß ja nicht alles von Gold sein ...

Subjekt: alles.

Womit wir beim Sprachphilosophen Karl Vossler angelangt wären. Er unterscheidet »grammatische und psychologische Sprachformen« und hat damit, ob nun die Einteilung von ihm oder von Gabelentz sein mag (der sie noch weniger erfaßt zu haben scheint), zweifellos recht. Aber die Erkenntnis eines »psychologischen Subjekts« sollte hinreichen zu der Bestimmung, daß es eben auch das grammatische sei, und nicht den Grammatikern die Freiheit lassen, es zu verkennen und das Prädikat dafür zu halten. Über das »Es«-Problem, das der eigentliche Ausgangspunkt wäre, um vom Psychischen her die Äußerlichkeit und Fehlerhaftigkeit der grammatikalischen Schablone nachzuweisen, hat sich Vossler (»Gesammelte Aufsätze zur Sprachphilosophie«, 1923) keine Gedanken gemacht. Er ist in einer seiner Betrachtungen – die nach Angabe des Vorworts schon 1910 bis 1919 im »Logos« erschienen sind und die ich vor meiner Betrachtung des »Es« (1921) nicht gekannt habe – dem Problem nahegekommen, ohne es zu berühren:

Wenn Uhland seinen Prolog zum »Herzog Ernst von Schwaben« beginnt: »Ein ernstes Spiel wird euch vorübergehn ...«, so kommt der Grammatiker und zeigt, wie hier »ein ernstes Spiel« das Subjekt und »wird ... vorübergehn« das Prädikat ist. Denn nach seinem hergebrachten Grammatiker-Leisten fragt er: Wer oder was wird euch vorübergehn? – und antwortet: ein ernstes Spiel, welches demnach das Subjekt des Vorübergehens ist. So hat es aber Uhland nicht gemeint. Uhland fragt und antwortet ja gar nicht, sondern kündigt uns an, daß das zu Erwartende, das an uns vorüberziehen wird, den Charakter eines ernsten Spiels trägt. »Wird euch vorübergehn« gilt in seiner Meinung als Subjekt, wozu ein ernstes Spiel das psychologische Prädikat ist. Man kann sich davon am besten überzeugen, wenn man den Uhlandschen Vers in eine möglichst verstandesmäßige Sprachform, etwa in französische Prosa, übersetzt: Ce qui va passer devant vous est une tragédie.

Das Fehlen des se hat wohl nicht der Romanist, sondern der Drucker verschuldet. Aber der Gedanke ist wichtig durch das, was im Wesentlichen fehlt. Zur Not wäre nämlich vorstellbar, daß auch in deutscher Prosa gesetzt sein könnte: Was an euch vorüberziehen wird, ist ein ernstes Spiel; aber zu sagen ist, daß der französische Prosasatz nicht bloß verstandesmäßig, sondern auch dichterisch den Uhlandschen Vers übertrifft, wenn der Dichter ein »ernstes Spiel« aus dem Moment der Ankündigung hervortreten lassen wollte. Denn ein Vers kulminiert im Pathos des Ausgangs und somit wird »ein ernstes Spiel« entwertet, betont jedoch, daß es »vorübergehn« wird: als etwas Flüchtiges, wie ein Zeitvertreib, mithin ganz widersprechend seinem Charakter. Gemeint ist: Was nun kommt, ist ein ernstes Spiel; die Verskraft aber fördert das Gegenteil: Laßt euch durch die Bezeichnung »ernstes Spiel« (etwa auf dem Theaterzettel) nicht irre machen, es wird vorübergehn wie eine Posse. »Vorübergehn« erhält im Vers den Hauptton, der eben dem Wortinhalt gemäß die Vorstellung von etwas anschlägt, was nicht und wobei man nicht verweilt. Das Ungewichtige, das eben nicht »gemeint« war, erlangt Gewicht. Aber ganz recht hat Vossler mit seiner Deutung dessen, was Uhland im Gegenteil gemeint hat: das, was jetzt kommen wird, ist ein ernstes Spiel. Natürlich »fragt und antwortet« der Dichter nicht. Doch der Grammatiker tut es mit Recht, und er könnte, wenn er hier Subjekt und Prädikat so richtig wie Vossler nachwiese, füglich fragen und antworten: »Was ist ein ernstes Spiel? Was euch vorübergehn wird«.

Hier gelangt man zum »Es«, welchem ich auf logisch-psychologischem Wege den Subjektcharakter zugesprochen habe. Denn in der Wendung:

Es ist ein ernstes Spiel, was euch vorübergehn wird

ist die Funktion des »Es« nicht bloß als eines Vorläufers, sondern als Stellvertreters für das Subjekt (»was ... wird«), und somit die eigene Subjekthaftigkeit erkennbar. Der es erkannt hat, war seiner richtigen Entscheidung, logisch und sprachfühlend, nicht gewachsen.

Es ist der Vater ...

In einer Polemik gegen H. Paul, der dem Fragepronomen (Wer hat ...?) mit Recht den Charakter des Prädikats zuerkennt, führt er aus:

Dies mag für das Pronomen der informativen Frage im allgemeinen zutreffen, z.B.: »Wer hat diesen Krug zerbrochen?«, denn hier kann man zerlegen: »Der diesen Krug zerbrochen hat« (psychologisches Subjekt), »wer ist es?« (psychologisches Prädikat).

Ohne Frage; denn diese steht nur für: »ist der X«. Aber das »informative« Moment ist kein verläßliches Kriterium, wie sich zeigen wird, und könnte gerade aus dem Gesichtspunkt Vosslers auf die gegenteilige Möglichkeit weisen. Man sieht also zunächst nur einen zerbrochenen Krug, keinen Täter. Es soll nicht von einem ausgesagt werden, daß er den Krug zerbrochen habe, sondern es soll von einem, der es getan hat, ausgesagt werden, wer er sei. (Ganz wie von dem, »was euch vorübergehen wird«: daß es ein ernstes Spiel sei.) Die Information ergibt: »Der den Krug zerbrochen hat, ist X.« Dieser ist das Prädikat, und er bleibt es zunächst auch noch, wenn ich abschließend sage: »X. ist (also) der, der den Krug zerbrochen hat«. Selbst in dem Geständnis der Antwort

Ich habe den Krug zerbrochen

ist »Ich« das Prädikat: »Der den Krug zerbrochen hat, das bin ich«. Wenn freilich das Verhör einen kleinen Umkreis betrifft – ein Vater, der nebst dem zerbrochenen Krug zwei Jungen vor sich hat –, so wird es schon schwerer sein, den Charakter des Subjekts nicht dem »Wer« beizulegen (Einer von euch hat ...). Vollends, wenn es eine strafende Frage ist, die einen einzigen betrifft: Wer hat ...! (Rufzeichen statt des Fragezeichens) = Du hast ... Gleichwohl würde ich für Frage, Antwort oder Feststellung, den Wechsel zugunsten des psychologischen Moments, den Vossler richtig erkannt hat, gelten lassen: solange der Täter vor der Person steht, und bis irgendeinmal, jenseits der Untersuchung, von der Person ausgesagt wird, daß sie der Täter sei. Aber Vossler ist der Meinung, daß bei Fragen, die »die Antwort in sich« haben, der Wechsel nicht stattfinde. Dann könnte das Beispiel vom Krug zerbrechlich sein. Er wählt nun eines, wo nach seiner Meinung die Frage überhaupt keine ist: eines, wo im Gegensatz zu jenem Fall »Wer« darum als Subjekt aufzufassen sei, weil es sich um eine »rednerische Frage« handle. Es wird sich zeigen, was ein Sprachphilosoph unter einer solchen versteht, welchen Fall er für eine solche hält; und wenn er glaubt, der Fall sei der logischen Entscheidung entrückt, so wird es sich herausstellen, daß er selbst von ihr entfernt war:

Bei der bewegten und rednerischen Frage aber, die keine bestimmte Adresse hat und ihre Antwort in sich selbst birgt, wäre eine solche Zerlegung sinnlos.

Wer reitet so spät durch Nacht und Wind?
Es ist der Vater mit seinem Kind.

Goethe fragt ja nicht deshalb, weil er wissen will, wer der Reiter ist; er fragt eigentlich gar nicht, sondern von einem noch dunklen Subjekte »wer«, das ein Vater mit seinem Kinde ist, erzählt er eine ahnungsvolle Geschichte. An Stelle des »wer?« könnte man, ohne die seelische Grundmeinung zu verfälschen, ein hinweisendes »der« setzen und das Fragezeichen wegnehmen. Dann wäre zwar die grammatische, aber nicht die psychologische Kategorie verstümmelt.

Wieso die grammatische Kategorie, die der Grammatiker in dem Subjekt »der« doch erst recht bejahte, ist nicht klar, aber die psychologische wäre verstümmelt und mit ihr das Gedicht. Selbst wenn hier das »informative« Moment fehlte, und gerade weil es fehlt, wäre, ganz wie beim zerbrochenen Krug, und noch mehr, die Zerlegung des Falles in den Handelnden und die noch unsichtbare Person möglich. Denn die Goethesche Frage ist im sprachlichen Erlebnis, also jenseits der Sphäre einer realen Untersuchung, ganz so eine Frage wie die nach jenem Täter. Eine »bewegte« Frage ist sie gewiß, eine »rednerische« keineswegs, wiewohl sie »keine bestimmte Adresse hat«, ja ihr die Beantwortung durch den, der sie gestellt hat, auf dem Fuße folgt. Nehmen wir getrost an, daß der Dichter niemanden frage und sich nach nichts erkundigen wolle: was jedoch sieht er zunächst und was will er uns vorstellen? Wie dort nur ein Krugzerbrecher vorhanden ist, aber noch keine Person, so ist hier zunächst nur etwas vorhanden, was durch Nacht und Wind reitet, noch weit mehr unerkannt, als was dort verborgen ist. (Mag auch der Dichter vor uns »wissen«, wer es sei; er tut eben, als wüßte er's noch nicht.) Die Erscheinung eines Reitenden, der Reiter, wird sich allmählich – denn Nacht und Wind sind vorgelagert – als der Vater mit seinem Kind herausstellen. Bis dahin bleibt sie »fraglich«. Und mit umso mehr Grund, je mehr man den Fall vom Realen entfernt und im Gebiet der Vision beläßt, tritt die Erforschungsfrage ein, und sie läßt sich »zerlegen«: Der so spät Reitende (psychologisches Subjekt), wer ist es? (psychologisches Prädikat). Oder gemäß dem Grammatiker-Schema: »Wer oder was ist der Reitende?« Antwort: »Wer«. (Und nicht, wie der Grammatiker es verwenden würde: »Wer oder was ist Wer? Der Reitende«.) Ebenso für die Antwort im Gedicht: »Wer oder was ist Es?« »Der Vater« (Und nicht: »Wer oder was ist der Vater? Es.«) Die Frage im Gedicht stellt den »Wer« als reines Prädikat heraus. Ein »dunkles Subjekt« ist auch der Krugzerbrecher, auch er wird sich bald in einen und weit klareren »der« (mit Ruf- statt Fragezeichen) verwandeln, während beim Reitenden das Dunkel die bleibende Sphäre bildet, an die sich keine rednerische, jedoch eine dichterische Frage knüpft, die ganz gewiß eine »eigentliche«, ja die eigentlichste von allen Fragen ist. Der rationalistischen Äußerlichkeit, mit der Vossler diesen Fall begreift, kann nur eine Verwechslung mit dem Subjekt-Wer in den Fällen zugrundeliegen, wo tatsächlich die rhetorische Frage vorhanden ist, welche auch dann nur die Umschreibung für eine nüchterne Aussage bleibt, wenn sie versifiziert ist, und der allerdings das Fragezeichen weggenommen und durch ein Rufzeichen ersetzt werden kann:

Wer zählt die Völker, nennt die Namen ...?

Niemand.

Wer wird nicht einen Klopstock loben ...?

Jeder. Ebenso in einem Jargon, wo mit der Frage geantwortet wird (» Wer denn soll...!«, »No wer wird schon ...!« oder »Was sagt man!«) Obgleich man in ähnlichen Fällen wieder schwanken könnte. Etwa wenn ein soeben Vorausgesagtes eintrifft und man nun fragend feststellte:

Was hab' ich dir gesagt?

Gewiß nur eine rednerische Umschreibung für »das« (wie bei jener strafenden Frage: Wer hat ...!); gleichwohl wäre es möglich, das Gesagte als psychologisches Subjekt und das grammatische Objekt »Was« (oder eben »das«) als Prädikat zu denken, wie dieses im Französischen hervortritt, als wollte es eine reine Frage einleiten:

Qu'est-ce que je te disais?

(Gedacht wäre: Das dir Gesagte ist Das, nämlich das eben Geschehene.) Unverkennbar ist das Fragewort ein Prädikat in:

Wer wagt es, Rittersmann oder Knapp ...?

Der zu tauchen wagt, sei er Rittersmann oder Knapp, wer ist es?

Wer hat Amerika entdeckt?

Vossler bleibe getrost bei seiner Unterscheidung, die ihn berechtigt, hier »Wer« ganz so für das Prädikat zu halten wie die Antwort »Columbus«; welcher dagegen Subjekt wird, wenn von ihm biographisch ausgesagt wird, daß er Amerika entdeckt hat. Auch beim zerbrochenen Krug verwandelt sich der eruierte Wer in ein solches, wenn die Aussage einmal Beichte oder Leumund wird; wenn er der wird, der bekennt (nicht nur gesteht: denn da ist er noch Prädikat) oder dem nachgesagt, also von dem als dem Subjekt ausgesagt wird: daß er einen Krug zerbrochen habe.

»Wer ist da?« »Ein Bote!«

Dieser ist Prädikat wie »Wer«, der Daseiende ist Subjekt. Das ganze Problem liegt zwischen Denkinhalten, die so kleinen Raum haben wie diesen:

Ich bin es

und

Ich bin es.

Jenes: Antwort auf die Frage »Wer ist da?«, dieses: auf die Frage »Bist du es?«. Dort ist Ich das Prädikat (Der da ist, bin ich). Hier ist Ich das Subjekt (Ich bin der, der da ist). In der ganzen Tirade vom Räuber Jaromir ist »ich« Subjekt. Bin der Räuber Jaromir: ich (Subjekt) bin nichts anderes; die Person stellt sich als der Räuber heraus. (Dagegen wäre es in: »Ich bin der Räuber Jaromir« Prädikat, der Räuber Subjekt: kein anderer ist es; der Räuber stellt sich als die Person heraus.) Ebenso die Bertha von ihm:

Ja, er ist's, der mich gerettet.

Das ergibt durch den Ton im Vers wie durch das »Ja« den Sinn, daß die Person, die da ist, als der Retter erkannt wird: »er« ist Subjekt. (Dagegen wäre in » Er ist's, der mich gerettet« Er Prädikat: er und kein anderer hat mich gerettet; der Retter wird als die Person erkannt.)

» Wer ist er?« »Er ist mein Retter

in Frage und Antwort »er« Subjekt. Ebenso:

»Ist er dein Retter?« »Er ist es.«

Dagegen Prädikat (»Wer« und »Er«):

» Wer ist dein Retter?« » Er ist es.«

Wer so spät durch Nacht und Wind reite, mag keine wirkliche Frage sein und ihr die Antwort auf dem Fuße folgen, aber diese – Vision wie jene! – sagt nichts von einem Vater aus, hingegen von einem »Es«, daß es der Vater sei. Auch ohne die Frage wäre er das Prädikat, »Es« das Subjekt. Uhland »fragt« ja noch weniger als Goethe, aber wenn das Vorübergehende ein ernstes Spiel ist, so kann doch gewiß der Reitende der Vater sein, freilich mit dem Unterschied, daß die Goethesche Darstellung versgerecht ist. Es stellt sich immer heraus, daß das Subjekt zwar den Vordergrund der Vorstellung, aber das Prädikat den Hauptton hat, weshalb der Vers, der ihm diesen vorenthält, ein schlechtes Gedicht ist, vollends, wenn er das Subjekt an den Ausgang rückt, der gemäß der Versnatur auch reimlos den Hochpunkt behauptet. Goethe hat so gedichtet, daß der Vers im Prädikat, worin sich die Erscheinung als die Person herausstellt, gipfelt; Uhland aber: daß euch das ernste Spiel, welches doch den Inhalt des Kommenden bedeuten soll, nicht sehr aufhalten wird. Um den Ernst zu betonen, müßte man den Ausklang des Verses fallen lassen: also gleichsam zum Gipfel hinabsteigen. Durch Gedankenwidrigkeit wurde der Vers erlangt – der Gedanke wird durch Verswidrigkeit vermittelt. Was ausgedrückt werden soll, wäre in der Umstellung versgerecht: »Vorübergehn wird euch ein ernstes Spiel« (oder, da dieses Zeitwort den Nebensinn des Vergänglichen nicht loswird: »Was sich nun abspielt, ist ein ernstes Spiel«).

Was ist Es?

Einst wird kommen der Tag, da ...

Hier zeigt die Dichtung den von Vossler richtig erkannten Wechsel von Subjekt und Prädikat, aber auch seine volle Bewältigung im Vers. »Gemeint« ist nicht, daß ein solcher Tag (Subjekt) kommen wird (wie er auch dahingehen oder ausbleiben könnte), sondern daß, was kommen wird, ein solcher Tag (Prädikat) ist; das Einst wird der Tag sein. Dieses spricht der Prophet, jenes würde nur der vorwärts gewendete Historiker aussagen. Was kommen wird (Subjekt ), ist der Tag (Prädikat), der den Untergang Trojas bringt, nicht etwa ein Freudentag.

Auch ohne solche begriffliche Ausführung des Prädikatinhalts ist ein Gebilde, das eine Dichtung des Sprachgebrauchs bedeutet, wie:

Es kommt der Abend

ja selbst

Der Abend kommt

beinahe jenes Wechsels teilhaft, indem ja doch nicht von einem bereits vorrätigen Subjekt »der Abend« ausgesagt wird, daß er kommt (weil es seine Eigenschaft ist, zu kommen, wie er auch dahingehen kann), vielmehr daß, was da kommt, der Abend ist (und nicht etwa eine andere Tageszeit). Es wäre mithin eine Vorstufe zu dem reinen Subjekt-Es in »Es wird Abend« oder jenem »Es will Abend werden«, in welchen Fällen man, um zum innern Subjekt zu gelangen, nicht erst wie dort »zerlegen« muß in ein: »Was es wird (oder werden will), ist Abend«. Hierin zeigt sich deutlich das Subjekt-Es, das in dem Subjekt-Relativsatz abermals enthalten ist, während »Es« in »Es kommt der Abend« bloß der vorbereitende Faktor ist, der an die Kraft des Subjekt-Es noch nicht hinanreicht. (In der Zerlegung »Was kommt, ist der Abend« ist »es« verschwunden.)

Zutreffend ist, daß das Französische dem Problem leichter beikommt. Die Logik, ein Irrlicht der Wege deutschen Sprachdenkens, erhellt dort immer und gleichmäßig die Konstruktion. (Weshalb jeder Franzose französisch und jeder Deutsche gebrochen deutsch spricht.) Man beachte, wie sich die Aussage, der die wesentliche Vorstellung im Deutschen erst entschält werden muß, klar vom Prädikat aus oder auf dieses hin gliedert und schon durch das c'est qui oder c'est que jene »Zerlegung« als Resultat bei sich hat:

c'est le savoir-faire qui te manque (Dir fehlt ...) / c'est vous qui les donnez (Sie geben ...) / Ce n'est pas pour vous que nous ferions des façons (Für Sie werden wir keine ...)/ ce n'est pas vous qui le ferez changer d'avis (Sie werden nicht ...)

Das letzte bekäme im Deutschen seine Klarheit nur durch Ausführlichkeit: »Sie sind nicht der Mann, der imstande wäre ...«

(Musset:) Ah! Ce n'est pas à elle que je demanderais un instant de bonheur; c'est ne pas elle qui me le donnera. (Ihr werde ich keinen ...; sie wird mir keinen ...)

Wie oben: »Sie ist nicht die Frau, von der ...; sie ist nicht die Frau, die ...«. Sogar:

c'est aujourd'hui que le tapissier doit venir toucher sa note (heute soll ...)

Der Gedanke ist ein Heute; es wird nicht vom Tapezierer ausgesagt, daß er heute kommen wird, sondern von seinem Kommen, daß es heute (Prädikat) stattfindet: Begründung dafür, daß Geld vorbereitet sein muß. Immer ist das Prädikat durch das ce herausgehoben und von dem Schein seiner Subjekthaftigkeit abgelöst, die dem Relativsatz zugewiesen wird. Selbst im Titel des Zeitungsberichts:

C'est par jalousie que l'Italien Dalle Ore
tua à Saint-Tropez son compatriote Garonne

Ein Eintretender sagt:

C'est moi.

Wie klar stellt sich hier das eintretende Subjekt »Das« als das Prädikat »ich« heraus! Der eintritt, ist: ich. Wie verbirgt sich dagegen dieses Prädikat in:

Ich bin es!

Es stellt sich nur durch Betonung: » Ich bin es« heraus und wird eben darum für das Subjekt gehalten, welches es doch nur wäre in:

Ich bin es.

Aber wenn selbst gesagt werden dürfte: »Es ist ich«, oder wenigstens »Es bin ich«, so würde der Grammatiker doch sagen, »ich« sei Subjekt. Wie bei »Das bin ich«. Er würde fragen und antworten: »Wer oder was bin ich? Das!« anstatt zu fragen und zu antworten: »Wer oder was ist Das? Ich!« Bei

L'état c'est moi

ist es leicht, Subjekt und Prädikat zu bestimmen, da kann man sich an dem Gegenstandswort anhalten und auf die Reihenfolge verlassen. Aber bei »c'est moi« (wiewohl das Subjekt gleichsam vor dem moi eintritt), wird's schwerer, am schwersten bei »Ich bin es«. Gewährte der deutsche Sprachgeist die logische Konstruktion »Das ist ich«, die Schulgrammatik wäre kaum davon abzubringen, daß das Hauptwort oder das hauptsächliche Wort auch das Subjekt sei. Nun tritt aber noch diese geheimnisvolle Anziehung hinzu, die im Deutschen das Prädikat auf Person und Zahl des Verbums ausübt. Im Französischen heißt es sogar:

c'est nous.

Die Verwandlung, die im Deutschen die logisch erforderte dritte Person der Einzahl des Zeitworts (ist) in die erste und zweite Person (bin, bist) durch die Prädikate »ich, du« erleidet, oder in die erste und zweite Person der Mehrzahl (sind, seid) durch die Prädikate »wir, ihr, sie«, verschafft diesen vollends den Anschein des Subjekts:

Das bin ich, Das bist du

(Bei »Das ist er« erfolgt die Deckung der logischen Rektion von »Das« und der grammatischen von »er«.)

Das sind wir (sie), Das seid ihr.

Dieser Prozeß tritt freilich auch im Französischen bei Substantiven ein. Im Deutschen aber setzt sich die logische dritte Person wieder in dem Relativpronomen durch, das von dem persönlichen Fürwort der ersten oder zweiten Person abhängt:

Ich (Du), der es getan hat

kann stehen für: Ich (Du), der ich (du) es getan habe (hast).

Diese Möglichkeit wie das ganze Prädikat-Problem des persönlichen Fürworts beachtet Vossler nicht, der zwar die Konstruktion

c'est moi qui a fait cela

berührt, doch das »l'état c'est moi« lediglich sozio-mythologisch behandelt. Aber in jeder Form erscheint im Französischen das Prädikative herausgearbeitet:

Il y a dix ans qu'il me sert.

Es soll nicht von einem ausgesagt werden, daß er mir zehn Jahre dient, sondern von zehn Jahren, daß sie seine Dienstzeit ausmachen. Man erbittet

cinq minutes d'entretien

eine Unterredung, für die vorweg die kurze Dauer betont werden soll. Beim Kartenspiel:

Du gibst!

Bedeutung: Du gibst! Der jetzt zu geben hat (Subjekt), bist du (Prädikat):

à toi à donner.

Am anschaulichsten jedoch die Zerlegung der Aussage, die einen Kontrast enthält, ohne ihn auszusprechen. Ein Wärter sagt:

C'est toujours Pierre qu'on demande

warum nicht mich, Nicolas? Da spricht der Neid (on dirait qu'il n'y a que Pierre ici).

Immer wird Pierre verlangt

könnte auch heißen: anstatt daß man ihn in Ruhe läßt; da spräche die Rücksicht (Pierre wäre Subjekt). Es soll aber nicht einfach von ihm ausgesagt werden, daß er immer verlangt wird, sondern es soll gesagt werden, daß derjenige, der verlangt wird, immer Pierre ist und kein anderer. Pierre ist Prädikat. Subjekt ist jenes »ce« (in Stellvertretung für den Verlangten). Es ist die Kategorie der zu verlangenden Wärter, der die Individuen entnommen werden, aus der aber als der Verlangte Pierre hervorgeht. »Es« tritt vor ihm in Erscheinung: ganz wie der Reitende vor dem Vater. Es könnte auch konstruiert werden (und es wäre eine reine Frage, wiewohl ihr die Antwort auf dem Fuße folgt): Wer wird immer verlangt? oder: Der immer verlangt wird, wer ist es? Es ist Pierre. Es ist der Vater mit seinem Kind. Und wie »Es« da die Antwort einleitet, wäre es als »psychologisches Subjekt« leicht zu entdecken gewesen. Aus dieser Antwort aber, die die prädikative Bestimmung des Vaters anzeigt (so klar, wie es das Dunkel zuläßt), geht auch die analoge des »Wer« hervor. Von dem, was zunächst nur als Kategorie »Reitender« wahrzunehmen war, wird ausgesagt, daß es der Vater mit seinem Kind sei. Das Gedicht, das bis dahin bloß Erwartung ausdrückt, »meint« eben nicht: Der Vater reitet, sondern: Der Reitende ist der Vater (wie der französische Satz, der bis dahin nur Unwillen ausdrückt – »toujours« – nicht meint: Pierre wird immer verlangt, sondern: Der immer Verlangte ist Pierre). Vosslers Unterscheidung, zutreffend an dem Vers Uhlands wie an dem Prosabeispiel vom zerbrochenen Krug, hat vor dem dichterischen Gefüge und Gebilde, an dem sie sich erst bewähren könnte, nicht standgehalten und ist an das Problem des »Es« (welches sich erschließt, indem es Aufschluß über das »Wer« gibt) nicht einmal angestoßen.

»Was ist Es?« Der Reiz des Problems ist, daß es sich dem, der sich darein versenkt, öffnet und offen bleibt. Es muß ein Subjekt sein; denn es ist Subjekt der Frage »Was ist Es?«. Ein Sinnbild der Schwierigkeit wäre der Versuch, eben sie grammatisch zu zerlegen. Das ergäbe nicht: »Was ist Was?« Antwort: »Es«. Sondern wieder nur die gleiche Frage: »Was ist Es?« und die Antwort: »Was«, und so ad infinitum, also auf schönem Weg – den's nur zu finden gilt – zu lohnendem Ziel.

Was: der und welcher

Es verknüpft sich da bald mit dem abgründigen Problem des Relativpronomens. Verknüpfung, der Fluch des Sprachdenkens, wurde ja auch diesem zuteil, als es wieder das Problem der verknüpften Präposition einbegriff (» Vom Bäumchen, das andere Blätter hat gewollt«). Es wurde die Verschiedenheit der relativen Beziehungen nachgewiesen und der Versuch gemacht, die Anpassung von »der« und »welcher« an die Typen des determinierten und des attributiven Relativums (in den Verhältnissen der Subordinierung und Koordinierung) zu begründen. Die Wahl von »welcher« sollte sich bei der Entsprechung der aus dem Begriff des Relativsatzes abzuleitenden Frage ergeben. Das Prinzip scheint heute durch die Verführung des gewählten Beispiels da und dort aus der Bahn geraten. Vielleicht erweist es sich probefester in solcher Unterscheidung:

Der Löwe, der entsprungen ist, stammte aus Afrika.
Der Löwe, welcher der König der Tiere ist, brüllt.

Dort ist ein Löwe von einem andern, dem, der nicht entsprungen ist und aus Asien stammt, unterschieden; hier wird die Charakteristik des Löwen als solchen durch ein Attribut ergänzt. Im ersten Fall ergibt sich die entsprechende Frage nicht aus dem Begriff des Relativsatzes, sondern des Hauptsatzes: Welcher Löwe stammt aus Afrika? Antwort: der entsprungen ist. Also: der stammt aus Afrika. Dieses hinweisende »der«, welches schon im Artikel vor Löwe enthalten ist, ergibt das Relativum »der«; das Komma nach Löwe könnte fehlen (»der entsprungene Löwe«). Im zweiten Fall ergibt sich die Frage nicht aus dem Begriff des Hauptsatzes (welcher Löwe brüllt?), sondern aus dem des Relativsatzes: welcher = welches Tier ist der König der Tiere? Statt des Kommas könnte ein Doppelpunkt (auch eine Klammer oder Einschließungsstriche) angebracht sein, denn der Relativsatz ist eine Parenthese (der König der Tiere). (Dieses »welcher« = »ein wie beschaffener« bewährt seine etymologische Verbindung mit qualis, quel.) Natürlich vollzieht sich auch in dem attributivisch aufgefaßten »welcher« eine Determinierung und zwar so: Der Löwe, welches Tier = der Löwe, das(jenige) Tier, das. Die Determinierung geht nicht vom Löwen, sondern vom Ersatzbegriff aus. In diesem Sinne erscheint die Form »derjenige, welcher« begrifflich überfüllt. Die scheinbar attributive Funktion kann aber auch als solche dem Zweck einer Determinierung dienen. Aufschlußreich wäre da das Beispiel:

Ein Kanadier, der noch Europens übertünchte Höflichkeit nicht kannte ...

(Gemeint ist übrigens in Seumes schlichtem Gedicht: die übertünchende Höflichkeit, denn übertüncht ist die Roheit.) Es ist nicht an und für sich determinierend gedacht, indem etwa ein Kanadier vorgestellt wird, der von seinen Landsleuten, die schon von der Kultur beleckt sind, zu unterscheiden wäre, eine Art oder ein Ausnahmskanadier, also: »ein solcher, der ...«. Die Zusammenziehung ergäbe da: »Ein nicht kennender Kanadier«. Der Gegenpol ist nun: »welcher«. Da wäre dem Kanadier etwas Wesentliches zuerkannt. (Wie man etwas Hauptsächliches nebenbei bemerken will: »übrigens«.) Die Zusammenziehung müßte ergeben: »Ein Kanadier, der nicht Kennende« (im Gegensatz nicht zu andern Kanadiern, sondern zu andern Erdenbewohnern, welche Europa schon kennen). Das entspräche dem Gedanken, der ihn als solchen ja vorstellt und ihm ein Attribut, das ihn wohl auch identifizieren könnte, gleichsam in Klammern beilegt. Der Gedanke will aber noch etwas anderes. Er will aus diesem Wesentlichen, das der Relativsatz beifügt, das Erzählte motivieren. (Während doch die Königswürde des Löwen, die ihn gleichfalls identifiziert, nicht geradezu das Brüllen begründen muß.) Solches geschieht zwar nicht unmittelbar im Hauptsatz, aber in der späteren Darstellung. Der Gedanke will den Kanadier – zum Unterschied von andern Erdenbewohnern, welche schon gewitzigt sind und denen solche Enttäuschung an einem Europäer nicht widerfahren könnte, weil sie eben Europa kennen – durch das Attribut determinieren (»nämlich«). Die Zusammenziehung ergibt: »Ein Kanadier, ein (oder: als) nicht Kennender«. Wir hätten also: 1) Derjenige Kanadier, der; 2) Derjenige Mensch, der; 3) Derjenige Mensch, als der (die Bedeutung, die in der Form »als welcher« so häufig bei Schopenhauer vorkommt). Die Frage wäre bei 1): Welchem Kanadier kann so etwas widerfahren? Dem, der noch nicht kannte. Bei 2) wäre die Frage: Welcher Mensch kannte noch nicht Europens übertünchende Höflichkeit? Der Kanadier. Bei 3): Welchem Menschen kann es widerfahren? Einem Kanadier (als solchen). Somit: Wenn der Relativsatz einer begrifflichen Bestimmung dient, so ist die entsprechende Frage aus dem Hauptsatz abzuleiten und mit »der« zu beantworten; Relativum determinierender Art: »der«. Wenn der Relativsatz einer begrifflichen Erläuterung dient, so ist die entsprechende Frage aus ihm selbst abzuleiten und mit dem Substantiv zu beantworten, an das jener angeschlossen ist; Relativum attributiver Art: »welcher«. Stellt der Relativsatz, der an und für sich bloß erläuternder Natur wäre, einen innern Zusammenhang her (kausal oder konzessiv, einem »weil« oder einem »wiewohl« gemäß), so kann die Frage doppelt bezogen sein; beiderlei Relativa.

Mit diesem Problem verknüpft sich nun das »Es«, in Fällen, die ähnlich wie im Französischen konstruiert sind. Etwa, wenn »Er hat den Weg gefunden« so ausgeführt wird:

Er war es, der den Weg gefunden hat.

Das könnte die Aussage von einem Subjekt »Er« sein, dann wäre das Prädikat: daß er es ist, was im weiteren definiert wird: der den Weg gefunden hat. Es würde ihm eine Leistung zugeschrieben; der Relativsatz, der sie bezeichnet, hätte den Hauptton. Es soll aber bedeuten, daß nicht von ihm, sondern von der Leistung gesprochen, daß sie nur ihm zugeschrieben wird, daß derjenige, der den Weg gefunden hat, er und kein anderer sei; dann ist der Relativsatz das Subjekt, von dem ausgesagt wird, daß es Er ist, und dieser das Prädikat, welches den Hauptton hat. Der Kategorie »Wegfinder« wird das Individuum entnommen. »Der den Weg gefunden hat« ist im ersten Fall Fortsetzung des Prädikats »es« (ein solcher, der); im zweiten Fortsetzung des Subjekts »es« (derjenige, der). Dort wird eine Erscheinung begrifflich determiniert, hier ein allgemeiner Begriff auf die Erscheinung bezogen. Im ersten Fall tritt – in der vorausgesetzten Auffassung des Unterschieds von »der« und »welcher« – nur »der« ein, im zweiten auch »welcher« (wohl der Fall 3, attributiv-determinierend). »Er war es, welcher den Weg gefunden hat«: da prägt sich durch ein hineingedachtes »der Mann« oder ein Demonstrativum »der«, »derjenige« (als Begriff der Kategorie) deutlich der Subjektcharakter des Relativsatzes aus. Die Frage, die das Relativum bestimmt, lautet im ersten Fall: Was war er? (Antwort: Ein solcher, der ...); im zweiten: Welcher (Wer) hat ...? (Antwort: Er.)

In beiden Fällen steht freilich ein Individuum einer Kategorie gegenüber, aber was in dem einen Fall Individuum ist, ist im andern Kategorie. Dies wird an der folgenden Schreibung und Betonung anschaulich:

Er war es, der den Weg gefunden hat.
Er war es, welcher den Weg gefunden hat.

Im ersten Fall wird einem allgemeinen Begriff Person der Gattungsbegriff Wegfinder entnommen: zur Unterscheidung von anderen Gattungsbegriffen, die er enthalten könnte, wie etwa Organisator. Solches mögen andere Personen sein. (Zum Beispiel der X. dort.) Dieser da war Wegfinder; ich bezeichne ihn (er war derjenige, der ...). Im zweiten Fall wird dem Gattungsbegriff Wegfinder der Einzelbegriff Person entnommen: zur Unterscheidung von anderen Einzelbegriffen, die er nicht enthält, somit zur Identifizierung des Gattungsbegriffs Wegfinder mit dem Individuum Person. Kein anderer war es, kein anderer hat es getan. (Zum Beispiel der X. dort nicht.) Wegfinder war er; ich erkenne ihn (derjenige der ... war er).

Versuchen wir dasselbe an einem Begriff der äußeren Kategorie, der nicht wie »er« einfach ist, vielmehr schon in sich die Sonderung ermöglicht:

Es war das Zinshaus, in dem er geboren wurde.
Es war das Zinshaus, in welchem er geboren wurde.

Im ersten Fall wird einem allgemeinen Begriff Zinshaus der Gattungsbegriff Geburtshaus entnommen: zur Unterscheidung von anderen Gattungsbegriffen, die er enthalten könnte, wie etwa Vereinshaus. Solches mögen andere Zinshäuser sein. (Zum Beispiel das dort.) Dieses da war Geburtshaus; ich bezeichne es (es war dasjenige Zinshaus, in dem...). Im zweiten Fall wird dem Gattungsbegriff Geburtshaus der Einzelbegriff Zinshaus entnommen: zur Unterscheidung von anderen Einzelbegriffen, die er nicht enthält, somit zur Identifizierung des Gattungsbegriffs Geburtshaus mit dem Individuum Zinshaus. Kein anderes Haus war es, in keinem andern hat es sich begeben. (Zum Beispiel im Palast dort nicht.) Geburtshaus war das Zinshaus; ich erkenne es (dasjenige Haus, in dem ... war das Zinshaus).

Man beachte, wie im ersten Fall »Zinshaus« dieses anderen Zinshäusern gegenübersteht, im zweiten anderen Häusern. »Dasjenige« findet zwar hier wie dort Unterkunft, aber ganz verschiedener Art. Oben ist es die hinweisende Stütze des Prädikats: »dasjenige Zinshaus, in dem«; unten ist es einzuschalten als der Hinweis des Subjekts, als die Kategorie: »Es war das Zinshaus dasjenige Haus, in dem«. (Hier ist auch erkennbar, wie die Form »welcher« sich als die Zusammensetzung aus »derjenige, der«, aber nur im Subjektanschluß, im Anschluß der Kategorie, herausstellt.) Vor »in welchem« habe ich als Begriff der Kategorie »dasjenige Haus« zu denken, während beim einfachen Begriff »Er« (Wegfinder) »derjenige« hinreicht. Die verschiedene Bedeutung von »das« fällt in die Augen; oben Fürwort (dasjenige), unten der bestimmte Artikel. (Dasselbe wäre bei »ein« der Fall: oben = ein solches, unten der unbestimmte Artikel.)

Vielleicht ergibt sich rückwirkend eine Erleichterung des Verständnisses, wenn für Oben und Unten der beiden Beispiele das Folgende aufgestellt wird: Er (Zinshaus) zum Unterschied von anderen Personen (Zinshäusern) die andere Inhalte haben; und zum Unterschied von anderen Personen (Häusern), die diesen Inhalt nicht haben. Der Unterschied ist der, daß in dem einen Fall der Begriff des Hauptsatzes an dem Merkmal des Relativsatzes, in dem andern der Begriff des Relativsatzes an dem Merkmal des Hauptsatzes erfaßt wird; dort hat das Prädikat des Relativsatzes, hier das des Hauptsatzes den Ton: »Pierre ist einer, der immer verlangt wird« und »Es ist immer Pierre, der verlangt wird«. Greifen wir noch auf ein Beispiel zurück, das seinerzeit für die Bestimmung der Relativa gewählt wurde, um es nunmehr mit dem »Es« zu verknüpfen:

Es ist der älteste Wein, den ich getrunken habe.
Es ist der älteste Wein, welchen ich getrunken habe.

Dort sage ich von einem Wein, daß er der älteste der von mir getrunkenen Weine ist; hier von dem Wein, den ich getrunken habe, daß er der älteste ist. (Der Wein ist der älteste von denjenigen, die ich ... und: Derjenige, den ich ... ist der älteste Wein, oder auch: Was ich getrunken habe, ist.) Im ersten Fall ist es die Unterscheidung der von mir getrunkenen Weine, im zweiten die der Weine überhaupt; der erste Begriff erfährt aber noch eine Sonderung in sich: »derjenige älteste, den ich« = »unter denjenigen, die ich ..., derjenige, der der älteste ist«. Gleichwohl verhält es sich wieder so: der Begriff des Hauptsatzes wird dort an dem Merkmal des Relativsatzes erfaßt und der Begriff des Relativsatzes hier an dem Merkmal des Hauptsatzes; dort ist jenes, hier dieses betont. Dort setzt das Relativum das Prädikat fort, hier leitet es das Subjekt ein, welches im Relativsatz enthalten ist, und vor diesem ist als Begriff der Kategorie eingeschaltet zu denken: »der Wein« oder »derjenige«. (Welchen ich getrunken habe, ist der älteste Wein.) An diesem Beispiel nun den oben dargestellten Wechsel der Begriffe durchzudenken, bleibe Lesern überlassen, die nicht nur Lust bekommen haben, zu klettern, sondern auch auf einem Seil zu gehen, das zwei Klippen über einem Abgrund verbindet. Aber sie werden ihre Kräfte noch brauchen. (Verraten sei, daß oben dem allgemeinen Begriff »ältester Wein« der Gattungsbegriff »von mir getrunken« entnommen ist; andere älteste Weine mögen eine andere Verwendung haben, also etwa: der älteste, den ein anderer getrunken, den einer verkauft hat u. dgl. Unten ist dem Gattungsbegriff »von mir getrunken« der Einzelbegriff »ältester Wein« entnommen: ein anderer wäre ein jüngerer.)

Im zweiten Fall nun kann mit streng logischer Konstruktion statt »welcher« – für welches Geschlecht immer – »was« gesetzt werden. Im Lessing-Zitat:

Es ist Arznei, nicht Gift, was ich dir reiche

ist »was ich dir reiche« das Subjekt, von dem ausgesagt wird, daß es Arznei ist und nicht Gift. Der allgemeine Begriff des Gereichten wird auf die Erscheinung zurückgeführt. »Gift, das ich dir reiche« wäre falsch; da der Relativsatz keine nähere Bestimmung des Giftes ist. Der Satz hätte den Sinn: Es (Subjekt) ist nicht das dir gereichte Gift. Der Sinn ist aber: Was (Welches) ich dir reiche, ist nicht Gift. Also nicht: »Arznei ist dasjenige, das ...«, sondern: »dasjenige, was ... ist Arznei«. »Was« ist hier keineswegs durch das sächliche »Gift« bedingt. Es wird namentlich im Anschluß an ein Hauptwort abstrakten Inhalts ohne Rücksicht auf dessen Geschlecht erforderlich sein. Nehmen wir ein abstraktes Femininum:

Es ist seine Haltung, die mir an ihm imponiert

wäre falsch, denn es würde bedeuten, daß von ihr schon die Rede war, die nun zusammenfassend »seine Haltung« genannt und von der ausgesagt wird, daß sie mir imponiere. Das hieße: »Seine Haltung ist diejenige, die ...«; es soll aber heißen: »dasjenige, was ... ist seine Haltung«. Also richtig: »was mir an ihm imponiert«, als das Subjekt, von dem ausgesagt wird, daß es seine Haltung ist. »Welche« würde aus dem Grunde nicht den Subjektcharakter des Relativsatzes herstellen, weil vor diesem kein Begriff der Kategorie einzuschalten wäre: weder »diejenige« noch etwa »die Eigenschaft«. Das zweite trifft zwar dem Sinne nach zu, wäre aber der sprachgedanklichen Natur zuwider. Anders als oben »der Mann« (»derjenige«), wo die Person den Begriff der Kategorie enthält, und »der Wein« (derjenige), der sich aus dem Vielheitsbegriff »der älteste« ermöglicht.

Es kann nur »was« kommen, und das persönliche Relativum ist, so leicht es von der Zunge mitgenommen wird, fehlerhaft. Denn wenn im Deutschen das Prädikat zwar die Kraft hat, Person und Zahl des Verbums zu bestimmen, so kann ihm doch nicht die Kraft innewohnen, sich durch die Anziehung eines Relativpronomens, das dem Subjekt zugehört, zu eben diesem abschwächen zu lassen und es in das Prädikat, also in sich selbst, zu verwandeln. Diese mißbräuchliche Verwandlung führt bei einem pluralen Prädikat dahin, daß der Sinn, wenn er auf den Satz selbst angewiesen bliebe, unauffindbar wird. Es dürfte wenige deutsche Autoren geben, die nicht blind den Relativsatz an das Prädikat auch dort anhängen würden, wo er von ihm nicht abhängt, sondern das neutrale Subjekt bildet, und gewiß nicht viele, die, auf den Fehler hingewiesen, den Unterschied, auch wenn er ihnen erklärt wird, erfassen würden. Kommt man ihnen mit Sprachproblemen, so könnten sie, da sie bekanntlich andere Sorgen haben, richtig antworten:

Es sind die Geschäfte, was uns interessiert.

Sie würden es aber für fehlerhaft halten und korrigieren:

Es sind die Geschäfte, die uns interessieren.

Dies hätte nun den Sinn: Es sind die Geschäfte, die uns interessieren. Damit würden sie sich aber nicht abgeneigt, sondern interessiert zeigen, und es wäre richtig gesagt, wenn Sprachprobleme als Geschäfte bezeichnet würden und etwa vorher von anderen Geschäften (die sie angeblich nicht interessieren), die Rede gewesen wäre. In diesem Fall wäre jedoch entweder »die« – welches kein Artikel, sondern ein hinweisendes Fürwort ist! – oder »interessieren« betont (oder beides). Sie wollen jedoch in Wirklichkeit sagen: Uns interessieren nicht Sprachprobleme, sondern, was uns interessiert, sind Geschäfte. Sie wollen diese von jenen unterscheiden, nicht die Geschäfte untereinander (und gar zugunsten der Sprachprobleme). Nicht: die Geschäfte sind »diejenigen, die uns«; sondern: »dasjenige, was uns« sind die Geschäfte. Warum sagen sie aber dann nicht »Es sind die Geschäfte, was uns interessiert«, was doch der klarste und kräftigste Ausdruck der Abweisung wäre? Weil sie als deutsche Schriftsteller einen jargonhaften Einschlag scheuen? (Vielleicht sagen sie es also doch und treffen fälschlich das Richtige.) Wenn man freilich meint, daß das Relativpronomen von den Geschäften, die man als Hauptwort für das Subjekt hält, abhänge, dann müssen einem »Geschäfte, was« bedenklicher erscheinen als »Geschäfte, die«. Aber Sinn und Konstruktion werden klar, Subjekt und Prädikat werden erkennbar, wenn man im Zweifelsfalle die klanglich empfehlenswerte Umstellung wählt: »Was uns interessiert, sind die Geschäfte«.

Es sind die Kinder, die uns Sorgen machen.
Es sind die Nächte, die eine Qual sind.

Wenn »die« richtig wäre, würde das erste etwa bedeuten: die Kinder, die zurückgeblieben sind, im Gegensatz zu andern, die uns Freude machen; das zweite: die Nächte im Hochsommer, im Gegensatz zu denen im Winter. Gedacht ist aber etwa: Was uns Sorge macht, sind die Kinder, nicht die Eltern; was eine Qual ist, sind die Nächte, nicht die Tage. Da wie dort besteht, wenn für diesen Sinn das bezügliche Fürwort »die« gewählt wird, die alte Gefahr, daß der Artikel »die«, der vor dem Hauptwort »Kinder« und »Nächte« steht, zum hinweisenden Fürwort »diejenigen« wird. Das wäre aber ein anderes »diejenigen«, als das für den Kategoriebegriff stehende, der hier (wie bei den Geschäften) nicht Platz hat. Denn welcher Kategorie sollte der Gedanke: »Welche uns Sorgen machen, sind die Kinder« entsprechen? Die Einschaltung »Familienmitglieder« wäre so äußerlich wie oben (bei: Haltung) »die Eigenschaft«. Es ist natürlich eine stilistische Frage, ob und wann der Vorstellung von Personen ein »was« gesellt werden kann. Syntaktisch ist es hier unerläßlich. (Das Deutsche gewährt hier die logische Möglichkeit, die wieder das Französische nicht hat, wo das Relativum sich mechanisch solchem Hauptwort anpaßt: qui font chagrin. Immerhin bietet es die logische Konstruktion der Voranstellung ce que fait chagrin.) Wie vertrackt der Anschluß von »die« an einen Plural sein kann, der zugleich Mehrheit und Typus ausdrückt, und wie hier vom intendierten Sinn abgewichen wird, zeigt das Beispiel:

Es waren die Parteien, auf die sich die Regierung stützen wollte.

Es soll ausgedrückt werden, daß sie keine Diktatur plante, es kommt aber heraus, daß etwa von Zentrum und Volkspartei die Rede sei. Um den Sinn (»dasjenige, das«) herzustellen, hilft nur »was« (aber nicht etwa weil es »System«, sondern weil es eine wirkende Macht deckt), also: »worauf«. Dagegen konstruiert Bürger allzu richtig:

Die schlechtesten Früchte sind es nicht, woran die Wespen nagen

denn »an denen« fände in dem Sonderungsbegriff (»diejenigen«) seine volle Deckung. Gemeinhin aber wird fälschlich selbst bei einem Abstraktum die Was-Form gemieden, welche nur zugänglicher scheint, wo sie sich mit einem Verhältniswort einläßt:

Es ist das Sprachgefühl, woran es ihnen mangelt.

Nur wenn hier sehr stark die Kategorie »das Gefühl« (im Gegensatz zu einem andern Gefühl) hineinzudenken wäre, ließe eben das Sprachgefühl »an dem« zu.

Häufig genug wird sich die Ergänzung von selbst einstellen und das Relativpronomen mit Recht dem Hauptwort des Prädikats entsprechen, von welchem es allem Anschein zum Trotz nicht abhängt. Es ist dasselbe Relativpronomen und wäre doch ein anderes. Denn:

Es ist nicht derselbe Fall, um den es sich handelt.

Subjekt ist hier »Es« als Vorläufer eines Falles, um den es sich handelt. Das Relativum ist aber nur scheinbar an das Prädikat »ein und derselbe Fall« angeschlossen, wie die meisten Sprecher, Schriftsteller, ja Grammatiker (geschweige Journalisten) vermuten dürften, die gewiß »derselbe Fall« für das Subjekt halten. In Wirklichkeit hängt der Relativsatz, welcher das Subjekt ist, wieder von einem »dasjenige« oder einem elidierten »Fall« ab, der »es« ist und der im »es« präformiert erscheint. (Es sind ja zwei vorhanden.) »Der Fall, um den es sich handelt, ist nicht derselbe Fall.« Hier kann mit Recht das persönliche Relativum gesetzt werden und ohne Gefahr der Mißdeutung (wie bei den »Geschäften«, »Kindern«, »Nächten« und »Parteien«), da die begriffliche Absonderung bereits im Inhalt der Aussage vollzogen ist wie bei dem »ältesten Wein« oder den »schlechtesten Früchten« und der Begriff der Kategorie: »der Fall« oder »derjenige« sich ohneweiters einschaltet. Es besteht nicht die Gefahr, daß von einem bereits besprochenen Falle gemeint sei, er sei nicht »derselbe Fall, um den es sich handelt« (also: »wie der, um den«). Die Elision wird deutlich in der Trennung: »Nicht derselbe Fall ist es, um den ...« Es ist also in Wahrheit der Fall, in dem »welcher« gesetzt werden kann. Äußerlich genauer wäre: »worum« (für: um was). Die Neutralisierung ginge natürlich nicht für den folgenden, der aber gleichfalls den Ersatzbegriff in sich trägt:

Es ist ein und derselbe Mann, den (welchen) ich gesehen habe.

Der Relativsatz hängt wieder von einem elidierten »Mann« oder »derjenige« ab, der durch »Es« vertreten ist. (Getrennt: »Ein und derselbe Mann ist es, welchen ...«) Hier wie oben ist »der« von dem Inhalt des »es« abhängig; nicht von »ein und derselbe Mann«, welcher nicht Subjekt ist. Dieses ist vielmehr wieder der Relativsatz selbst. Zu denken ist nicht (wiewohl es der »Sinn« ist): ich habe einen und denselben gesehen (der es ist! Was? der vorher Dargestellte?), sondern daß ich einen (den Elidierten) zweimal gesehen habe. Ich sehe ja nicht den »einen und denselben«, sondern nur einen, den ich als denselben erkenne. Ebenso:

Es ist ein alter Mann (der Mann,) den ich erblicke.
Es ist die neue Brücke (die Brücke,) über die ich gehe.
Es ist ein schlechtes Buch (das Buch,) das ich lese.

Dies, ohne mich der Gefahr auszusetzen, ich wollte bloß von einem alten Mann sagen, daß ich ihn erblicke, und von einem schlechten Buch, daß ich es lese, während ich doch von einem Mann, den ich erblicke, sagen will, daß er alt, und von einem gelesenen Buch, daß es schlecht sei. Die persönlichen Relativa sind nicht vom alten Mann und vom schlechten Buch abhängig, sondern von den elidierten Kategoremen Mann und Buch, die Relativsätze sind klare Subjekte. (Also: welcher.)

Wie nun aber, wenn keine derartige Möglichkeit begrifflicher Absonderung durch ein Attribut vorhanden ist?

Es ist ein Mann, den ich erblicke

wäre falsch. »Was« ginge nur, wenn der Prozeß der Eindrucksbildung sehr scharf dargestellt würde und das »Es« als etwas Undeutliches hervortreten sollte; dann wäre die logische Konstruktion ein stilistisches Mittel. Sonst wäre es nur in einer umschreibenden Wendung zu finden wie etwa: »Die Person, die ich erblicke, ist ein Mann«. Wohl ginge die einfache Umstellung: »Was ich gelesen habe, ist ein Buch«; aber nur in der Darstellung von etwas Überwirklichem, Traumhaften wäre möglich: Es ist eine Brücke, worüber er geht; es war ein Berg, worauf ich stand.

Es ist der Sohn, den er rief.
Es ist die Tochter, die er rief.

Hier ergibt sich – im Gegensatz zu dem Beispiel von dem erblickten Mann – die begriffliche Absonderung (derjenige, diejenige), wenn der Namensruf im ersten Fall den Sohn von einer andern männlichen Person, etwa dem Diener, im zweiten Fall die Tochter von einer andern weiblichen Person, etwa dem Dienstmädchen, unterscheidet. Falsch wäre das persönliche Relativum, wenn Sohn und Tochter unterschieden werden sollten. (Da »was« nicht möglich, müßte dann anders stilisiert werden.) In jedem Fall wäre falsch:

Es war das Kind, das er rief.

Das hieße nur: Das Kind, das er rief, war es (war da od. dgl.). Eher noch, je nach dem Geschlecht: »den« oder »die«, in scheinbarer »Konstruktion nach dem Sinn«, in Wirklichkeit nach einem gedachten »derjenige« oder »diejenige«, wieder im Gegensatz zu Diener oder Dienstmädchen.

Bei konkreten Inhalten also, bei einer Person oder etwas Personifiziertem ist das persönliche Relativum dann unmißverständlich, wenn sich der elidierte Begriff der Kategorie, an welchen es sich tatsächlich anschließt, von selbst einstellt, indem die begriffliche Absonderung schon im Inhalt vollzogen ist. Das neutrale Relativum wäre hier undenkbar. (Es existiert nur in Fällen, wo kein Individuum, sondern eine Mehrheit oder ein Typus vorgestellt wird:

Was sich liebt, das neckt sich.
Früh übt sich, was ein Meister werden will.

Worin aber das Neutrum nicht etwa von einem »Kleinen«, einem »Kind« bezogen ist. [Hier könnte auch »Wer« stehen.] Der Relativsatz stellt sich deutlich als Subjekt dar, ohne daß freilich eine Verbindung mit einem prädikativen Hauptwort vorläge.)

Falls das Prädikat ein Abstraktum, eine wirkende Kraft, ein Element ist, erweist sich das neutrale Pronomen als unerläßlich, wenn nicht auch hier die Kategorie, ein »der-, die-, dasjenige« oder das analoge Hauptwort eingeschaltet werden kann, von dem der Relativsatz abhängig zu machen wäre. Also:

Es war die Halsstarrigkeit, woran er scheiterte.

Möglich aber:

Es war die Einbildungskraft, die ihn zum Handeln trieb

(als eine Kraft). Doch wieder nicht:

Es ist Gewinnsucht, die ihn kennzeichnet.

Weil hier kein Ersatzbegriff Raum hat (und keineswegs etwa eine von den Süchten).

Ist ein Ersatz durch das Analogon (oder »derjenige«) undenkbar, so kann in solchen Fällen nicht das persönliche Relativum eintreten, sondern nur das neutrale. Andernfalls würde zwischen dieser und jener Form das Moment des Klanges entscheiden (welches beiweitem keine Äußerlichkeit vorstellt), oder die Rücksicht auf die Gefahr eines Mißverständnisses durch irgendwelche falsche Verbindung. Die gefährlichste aber: die mit dem nächstliegenden Hauptwort des Prädikats, die zur Sinnverkehrung führt, wird am wenigsten gescheut, und das persönliche Relativum, das sie bewirkt, mit Vorliebe verwendet. Richtig:

Es ist die Tat, was ich wünsche.

Das heißt: nicht Worte. Fälschlich wird eben dafür gesagt:

Es ist die Tat, die ich wünsche.

Ohne daß ein einzuschaltender Begriff der Kategorie die Sicherung böte. Es wäre der richtige Ausdruck für eine besondere Tat, die ich wünsche. Diese und keine andere, während doch ausgedrückt werden muß, daß die Tat und nichts anderes, die Tat kat'exochen gewünscht wird, das Tun im Gegensatz zum Reden. Hier ist die »Tat« betont, im andern Fall das Wünschen oder »die« vor der Tat (welches zum Demonstrativum wird), oder beides, je nach dem Pathos der Aussage.

Es war das Vergnügen, das er gesucht hat.

Und kein anderes.

Es war das Vergnügen, was er gesucht hat.

Und nichts anderes. Was bestimmt nun in einem Fall der Gleichwertigkeit beider Relativformen die Wahl und den Wechsel:

Und doch ist es dieselbe Beziehung zum Organismus der Sprache, was da und dort Lebendiges und Totes unterscheidet; denn dieselbe Naturgesetzlichkeit ist es, die in jeder Region der Sprache den Sinn dem Sinn vermittelt.

Beidemal ist es dieselbe gedankliche Funktion, was oder die sowohl diese wie jene Form erlaubt. »Was« als das Übergeordnete, als das Subjekt (es), von dem die Beziehung (Prädikat) wie die Naturgesetzlichkeit (Prädikat) ausgesagt wird; »die« als die Ausführung sowohl einer »Beziehung« wie einer »Naturgesetzlichkeit«, die als Begriffe der Kategorie elidiert sind. (Es sind je zwei vorhanden.) Im ersten Satz aber soll die stärkere Form, das Neutrum als der Ausdruck des Elements, die Führung haben, und »was« ist da auch wegen der Gefahr vorzuziehen, daß »die« sich mit dem Hauptwort »Sprache« verbände, welches noch dem Wortkomplex der Beziehung zugehört; im zweiten Satz ist die »Naturgesetzlichkeit« schon konkreter als die »Beziehung« im ersten und klingt darum besser mit dem persönlichen Relativum überein, das von dem leicht einzuschaltenden Analogon abhängt.

Es ist der Geist ...

Die ganze Problematik, die den Subjektcharakter des »Es« und die falsche Verbindung des persönlichen Pronomens mit dem Prädikat betrifft, soll an einem klassischen Beispiel dargestellt werden, dessen Geläufigkeit und Eingänglichkeit sie schwieriger macht. Wenn der Gedanke nicht durch die Umgebung gesichert wäre und die Zitatgewöhnung ihn nicht befestigte, wäre es leichter, seine Alterierung in dem Vers aus »Wallenstein« zu spüren:

Es ist der Geist, der sich den Körper baut.

Verstanden ist es schneller als durchdacht, und die Kompliziertheit des Gebildes dürfte mit der Betrachtung wachsen; aber was sich von selbst versteht, wenn an Sprachbauten Gerüste angelegt werden, ist die Warnung, die Unbefugten den Eintritt verbietet. Das gilt vor allem für diesen Geistbau.

Der Außensinn der Sentenz ist – auch wenn man sie losgelöst von der Umgebung im Monolog betrachtet – unverkennbar; aber was er über die Aussage hinaus ergibt: daß der Geist sich den Körper baut, überläßt er der Deutung. Da kreuzen sich nun zwei Gedanken, und wir wollen sehen, ob beide bewältigt sind, einer oder keiner. Diese beiden Gedanken sind: a) Nur der Geist, nichts anderes baut sich den Körper b) Der Geist baut sich den Körper, und nicht etwa umgekehrt der Körper den Geist.

Wir nehmen an, daß der erste Gedanke der Inhalt des Satzes sei. Dann wäre statt »der« »was« zu denken; denn die Kraft, die das Bauende ist und von der ausgesagt wird, daß sie der Geist sei, kann von naturwegen nur ein Neutrum sein. »Es« ist das vorlaufende Subjekt, stellvertretend für das, was sich usw. Dieses nicht Ausführung des Prädikats, sondern der Inhalt des Subjekts. »Geist« das betonte Prädikat. Aber durch »der« wird der gedankliche Sachverhalt völlig verändert. Wenn nicht Umgebung und Geläufigkeit die Richtung wiesen – doch diese Umstände gehen uns nichts an, wenn wir den Sprachbestand eines Verses zu prüfen haben –, so brächte das persönliche Relativum zweierlei logische Gefahr mit sich: Das »Es« wäre kein vorlaufendes, sondern ein übernommenes Subjekt, aus einer Darstellung des Geistes, von dem bereits die Rede war und von dem nunmehr, etwa abschließend, noch gesagt wird, daß er sich den Körper baue (weil ihm allerlei Fähigkeit hiezu bereits nachgerühmt wurde): der Geist, der, schon begrifflich absolviert, nun noch ein Attribut erhält, das vielleicht sein Wesen zusammenfaßt. Oder – gefährlicher – es wäre von einem besonderen Geist die Rede, in Verbindung mit einer andern Art, von der er nun unterschieden wäre: es ist der Geist, der sich den Körper baut, während ein anderer etwa der bei Goethe ist, »der stets verneint«. (Dann würde »der« zum Demonstrativum, wogegen nur die schwache Sicherung durch die Verssenkung schützte.) Der im Vers genannte Geist wäre so oder so das Prädikat, das ein Subjekt fortsetzt, und der Relativsatz seine Ausführung (während dieser doch in Wahrheit das im »Es« präformierte Subjekt ist). Die zweite Gefahr ist die normale Gefahr des »der«; die erste bewirkt den Sinn, dem »welcher« gerecht wird. Es wäre also die Aussage von dem »Es« als dem Geist oder einem Geist, dem nunmehr, entweder um noch etwas von ihm auszusagen oder um ihn durch ein Merkmal von anderen Geistern zu unterscheiden, die körperbauende Funktion zuerkannt wird. Er hätte die Kraft, die im Relativsatz ausgedrückt wird, aber er wäre nicht sie selbst, mit der ihn zu identifizieren doch der Gedanke des Verses ist. Denn es ist nicht: ein bauender oder der bauende Geist, sondern: der Geist, der Bauende, das Bauende. Während im Goethe-Vers der, der stets verneint, tatsächlich von anderen Geistern, die anderes tun, unterschieden ist (zunächst wohl von einem, der stets bejaht), wird im Schiller-Vers – wie er gedacht, nicht wie er konstruiert ist – der Geist als solcher von anderen Kräften abgesondert, die das nicht können, was er vermag: den Körper bauen. Goethe sagt nicht, daß »der Geist« stets verneint (Ich bin der Geist, welcher ...), sondern nur, daß es ein besonderer Geist ist, der diese Eigenschaft hat. Bei Goethe ist er zwar auch Prädikat, von dem aber der Relativsatz mit »der« richtig abhängt, welcher den »Geist« erst definiert. Daß solches auch im Schiller-Zitat der Fall sein könnte, bildet dessen Gefahr. »Der stets verneint«, das soll sich als Bezeichnung des Geistes an ihn anknüpfen; »der sich den Körper baut«, das soll »den Geist« kat'exochen bedeuten. Jenes wird von »der« bewirkt, dieses könnte nur von »was« bewirkt werden. Dort ist der Relativsatz das determinierende Merkmal, hier die Identität, dort wird beschrieben, hier agnosziert: dort stellt sich ein Geist vor, hier stellt sich etwas als der Geist heraus. Das persönliche Pronomen erschiene nur durch das hineingedachte Maskulinum eines analogen Begriffs (oder »derjenige«) zu halten. Was gäbe es da? »Der Faktor« – das wäre eine Krücke des Sinns, aber kein Organ sprachdenklicher Verbindung. Vorstellbar ist nur die Kraft, das Element, das Prinzip, eben das »Es«, also das »was«. »Es ist derjenige Geist, der« kann ich denken, aber soll ich nicht denken. »Es ist der Geist derjenige, der«: die Unvorstellbarkeit dieser Form zeigt den vorhandenen Fehler an. Der Gedanke ist nicht: »er ist derjenige, der«, sondern: »dasjenige, was, ist er«. Wie in dem Nathan-Zitat: »... nicht Gift, was ich dir reiche«. Wohl ist die klangliche Verbindung »Gift, was« leichter als die von »Geist, was«, aber falsch wäre auch jene, wenn »was« vom Gift abhinge – etwa als dialekthafte Verschlechterung des falschen »Gift, das« –; und die Härte wäre durch die Umstellung vermieden:

Was sich den Körper baut, es ist der Geist.

Damit soll natürlich kein gültiges Gedicht des Gedankens erzielt sein, aber er ist dargestellt und mit ihm der Fehler des »der«. Es handelt sich bisher um ein logisches Problem und nicht um die Frage, ob dem klanglichen Vorzug der Umstellung ein Stilwert zum Opfer fiele, den dann eben nur ein anderes Gedicht ersetzen könnte.

Da sich jedoch die Einheit von Form und Inhalt am Gedicht noch im Mißlingen beweist, so ist dem logischen Problem auch aus der Gesetzlichkeit der Versnatur beizukommen. Versmäßig erzwingt sich die Betonung des Ausgangs, sprachdenklich die des Prädikats. Darum bleibt bei Goethe der Gedanke, daß ein Geist sich prädikativ als der verneinende vorstellt, unverkümmert. Bei Schiller verbinden sich Konstruktion und Verston, um das Subjekt zum Prädikat und den Geist, der das Bauende ist, zu einem zu machen, der bauen kann. Ist nun durch »was« die gedankliche Gefahr der Aussage abgewendet, so würde die Umstellung auch den Fehler im Versbau beseitigen. Er besteht darin, daß die dynamische Verteilung des Gedankens antimetrisch ist, indem, dem Zwang der Versnatur gemäß, den Hauptton das Bauen des Körpers (Subjekt) erhält, wodurch das Gewicht des Prädikats »Geist«, in welchem doch der Gedanke kulminiert, geschwächt wird. Der Vers will:

Es ist der Geist, was sich den Körper baut.

Das ist gedankenwidrig. Der Gedanke will:

Es ist der Geist, was sich den Körper baut.

Das ist verswidrig. Wie bei Uhland (»Was sich nun abspielt, ist ein ernstes Spiel«) erschiene im umgestellten Satz die Gewichtverteilung im Lebensraum des Verses gerechter durchgeführt. Man merke nur, wie durch die Tonkraft des Verses das »der« den Gedanken geradezu in die Gefahr treibt:

Es ist der Geist, der sich den Körper baut

Da bleibt – wenn man nicht informativ wüßte, was gemeint ist – gar nichts als die falsche Deutung, es werde vom Geist ausgesagt, daß er solches kann und – mit verswidriger Betonung des ersten »der« –: daß er sich dadurch von anderen Geistern unterscheidet. Die leichtere, weil schwerer durchzudenkende Gefahr: daß es immer ein und derselbe bestimmte Geist sei (oder auch der Geist als solcher), »welchem« noch ein letztes Attribut verliehen erscheint. Das Merkmal mag da die Identität enthalten, die den Sinn des Verses bildet. Aber die Identifizierung soll umgekehrt erfolgen: nicht der Geist hat mit der Kraft identifiziert zu werden, sondern diese mit ihm. Es wäre beiweitem nicht die Identität, die im Schillerschen Vers jene Ausschließlichkeit bedeutet, an der keine andere Kraft als eben die identifizierte teil hat. Noch immer wäre, wenngleich nicht im Gegensatz zu einem anderen Geistindividuum, von einem oder dem Geist etwas ausgesagt, während doch von etwas ausgesagt werden soll, daß es der Geist sei. Also auch nicht: »welcher« (welchem keine Kategorie entspricht), sondern nur »was«. Die unvermeidliche Gedankenbahn aber, in die jenes »der« führt, ist die der Unterscheidung. Aus: »keine andere Kraft, nur der Geist« wird: »kein anderer Geist, sondern dieser«. Es wäre somit wohl dargetan, daß der Gedanke a) syntaktisch und dichterisch nicht bewältigt ist.

Warum wollte man jedoch die Mängel einer Wortgestalt nachweisen, wenn sich herausstellte, daß sie die Vorzüge einer andern sind? Und sollten nicht Konstruktion und Tongebung, wie sie sind, die taugliche Gestalt des Gedankens b) ergeben? Nur noch etwas Tonkraft für den Geist, die ja der Vers gewährt:

Es ist der Geist, der sich den Körper baut

und wir haben mit dem »der«, welches nun richtig ist, den Ausdruck für den Gedanken, daß »der Geist sich den Körper und nicht etwa umgekehrt der Körper den Geist baut«, ja wir haben ihn in einem Maße, daß die Tonverteilung die Antithese ausdrückt, ohne daß sie ausgesprochen wird. (Sogar das »sich« hat sich seinen schönen Sinn vindiziert, der dem Geist doch für die persönliche Beziehung zum Körper vor jeder andern Kraft zugehört.) Wie kommt es denn aber, daß nun »der« plötzlich richtig ist, da sich doch an dem neutralen Element nicht nur nichts geändert hat, sondern es im Gegenteil jetzt doppelt gedacht ist: »was sich den Körper« und »was sich den Geist« baut? Kann denn nunmehr ein Kategoriebegriff eingeschaltet werden? Freilich kann er. Beinahe ginge jetzt, in der Relation der Kräfte: »der Faktor«. Aber er geht noch immer nicht. Dafür läßt die Darstellung dieses Gegenspiels von Teilen, von Partnern, ein anderes abstraktes Maskulinum zu: den Teil, den Partner. Zwei sind konfrontiert, die ihre Gemeinsamkeit noch dazu im Relativpronomen finden, das Gleichgewicht der Kräfte ist hergestellt, jetzt geht »der Partner«, »der Teil« und darum auch bloß »derjenige«. (Solch ein gemeinsamer Nenner wäre selbst bei verschiedenen Zählern vorhanden, die also verschiedene Relativpronomina hätten. Die starke Vorstellung eines Gegenüber muß es bewirken, nicht die Männlichkeit und Gleichartigkeit des Geschlechts; auch »Seele« würde es mit »Körper«, wie »Geist« mit »Hülle« aufnehmen.) Es ist fast eine Personifikation gegeben, wie in dem folgenden Fall, wo das Verhältnis zweier Gegner, die nicht Personen sind, deutlich zur Anschauung kommt, ohne daß die Antithese ausgesprochen ist, ja ohne daß von einem Widerpart die Rede wäre:

»Der Karnickel hat angefangen!«

Ein Musterbeispiel für die Möglichkeit, daß das scheinbare Subjekt, das vortretende und einzig vorhandene Hauptwort, Prädikat ist. Die Antwort auf die Kriegsschuldfrage, welche ja immer eine »eigentliche Frage« ist und immer den »Wer« zum Prädikat hat, wie die Antwort den »Der«. Der Satz bedeutet also: Derjenige, der angefangen hat (und darum totgebissen wurde), ist »der Karnickel« (Prädikat). Im Französischen:

c'est le lapin qui a commencé!

Es ist der Hase, der den Hund gereizt.

Wäre nun der Gedanke, daß »der Geist derjenige ist, der den Körper ... und nicht umgekehrt«, von Schiller gedacht worden, so wäre es ihm doch nicht gelungen, auch den sich vordrängenden Gedanken, daß »nichts anderes als der Geist, was« es ist, in Einem zu bewältigen. Die beiden Gedanken würden einander ausdrucksmäßig und prosodisch durchkreuzen. Die Doppelantithese wäre ja überhaupt nicht unter das Obdach des einen Verses zu bringen. Der primäre Gedanke, der den Geist betont, hat an und für sich seine Gestalt nicht gefunden, und er ginge durch eine Mitbetonung der Rolle des Körpers (der Rolle, die er nicht hat) verloren. Das Doppelspiel der Gedanken: daß »nichts als der Geist den Körper und dieser nicht den Geist baut«, ist nicht bewältigt und war nicht zu bewältigen. Der Anschluß »was« würde (verswidrig) den ersten sichern, reichte aber nicht auch für den zweiten; der Anschluß »der« reicht nur für den zweiten, denn für beide würde er den Inhalt erfordern: »kein anderer Geist als dieser und nicht der Körper diesen«.

Da nun aber ein solches Übermaß nicht verlangt werden kann und der Gedanke b) den besten Ausdruck findet, so bliebe nur noch die Frage, ob der Dichter ihn gedacht hat. Ein Absolutum der Wortgestalt gibt es nicht, da das Wort noch jenseits seiner eigenen Problematik vielfältige, immer wechselnde Beziehungen mit dem Wort eingeht. Das eben bewirkt den gefährlichen Zauber der Sprache, daß noch die primitivste Aussage zu voller Eindeutigkeit auf ihre Sphäre angewiesen bleibt. Es ist kein Ende der Abenteuer innerhalb der syntaktischen Grenzen und eben an ihnen. Aber ob sie vorhanden sein müssen, wäre der einzige Zweifel, den die Sprache nicht zuläßt. Ein Vers, noch dazu einer, der die Gültigkeit einer Sentenz anzusprechen scheint, darf sich nicht auf die Umgebung verlassen, um seinen Gedanken faßbar zu machen; er darf aber auch nicht isoliert einen Gedanken ergeben, der nicht gedacht war. Das ist hier der Fall. Gegen die Deutung, die den Gedanken und das Wort zu versgerechter Deckung brächte, meldet sich ja sogleich das Bedenken, ob Schiller, anstatt des primär zu entnehmenden idealistischen Sinnes, der dem Geist jene ausschließliche Macht zuschreibt, eine polemische Spitze gegen eine naturwissenschaftliche oder materialistische Weltauffassung anbringen wollte, die Absage an den Standpunkt, daß die Seele vom Wachstum der Zellen abhänge oder – wobei es der Metapher nicht mehr bedürfte – die Persönlichkeit von den sozialen Umständen bedingt sei. Das könnte, jedenfalls das erste, wohl eine Sentenz im Munde Schillers ergeben – im Munde Wallensteins wäre sie ein Anachronismus wie der bekannte Blitzableiter. Ohne jede Spur einer Möglichkeit, daß so etwas zu denken wäre, wird in jenem Monolog ausschließlich die schöpferische Macht des Geistes betont. Denn:

                        – – was
Ein Mann kann wert sein, habt ihr schon erfahren.
Den Schmuck der Zweige habt ihr abgehauen,
Da steh' ich, ein entlaubter Stamm! Doch innen
Im Marke lebt die schaffende Gewalt,
Die sprossend eine Welt aus sich geboren.
Schon einmal galt ich euch statt eines Heers,
Ich Einzelner. Dahingeschmolzen vor
Der schwed'schen Stärke waren eure Heere,
– – Da wandte man die Augen
Auf mich, den Helfer in der Not; – –
Ich sollte aufstehn mit dem Schöpfungswort
Und in die hohlen Läger Menschen sammeln.
Ich tat's. Die Trommel ward gerührt. Mein Name
Ging, wie ein Kriegsgott, durch die Welt. – –
– – Noch fühl' ich mich denselben, der ich war!
Es ist der Geist, der sich den Körper baut,
Und Friedland wird sein Lager um sich füllen.
– – Wenn Haupt und Glieder sich trennen,
Da wird sich zeigen, wo die Seele wohnte.

Am Schluß ist zwar die Ohnmacht von Gliedern ohne Haupt berührt, aber auch da nicht die Vorstellung, daß Glieder Haupt schaffen könnten, als Gegenansicht bestritten. (Die absurde Deutung, daß überhaupt keine Metapher vorliege, indem der Körper einfach der des Sprechers sei, der »sich noch denselben fühlt, der er war«, kommt nicht in Betracht. Sie würde höchstens auf den besonderen Kunstfehler hinweisen, der solche Assoziation herbeigeführt hat: die Vorstellung einer körperlichen Wirklichkeit (»sich fühlen«) war zu vermeiden, sie durfte nicht unmittelbar vor die Metapher treten, deren Grundlage eben die Erfahrung bildet, daß der Leib vom Geist her besteht. Der vorwaltende Sinn reicht in dieser sprachlichen Region auch hier zur Abwehr der Mißdeutung; der Körper Wallensteins ist nicht gemeint, wohl aber, daß sein Geist die Armee belebe.) Der Gedanke ist also ganz und gar als die Bejahung des Geistes geführt: der Kraft, die ausschließlich eine Welt erschaffen könne; mögen so hohe Worte auch bloß dem Geist des Feldherrn gelten und dem Plunder einer Machtwelt, also einer Welt der Zerstörung. Gesagt wird, daß das Ingenium des Führers es ist, was sich das Heer schafft (nicht etwa das Kriegsministerium oder der kaiserliche Wille). Der Gegensatz muß nicht ausgesprochen sein, aber er steckt im Gedanken. Der andere müßte ausgesprochen sein, aber es ist keine Rede davon, keine Widerrede dagegen, daß das Heer sich den Führer machen könnte. Höchstens bliebe noch Raum für die Antithese: daß der Körper sich nicht selbst baut. Aber diese erschließt sich nicht aus der Sentenz, welche mit syntaktischem und prosodischem Mangel tatsächlich den Gedanken a) bezweckt, der bloß den Gegensatz zu einem andern Element enthält, und sie ist, selbst wenn man sie aus der Umgebung erschlossen hat, schwer in die Sentenz hineinzudenken (»nichts als der Geist baut sich den Körper und dieser sich nicht selbst«). Zu der Verknüpfung mit b) jedoch würde solche Partnerschaft des Körpers nicht ausreichen. Der Gedanke, daß dieser sich nicht selbst baut, würde erst existent, wenn der Vergleich durch das Verglichene erläutert wird, wenn die Vorstellung auf die Wirklichkeit zurückgeht: daß eine Armee sich nicht von selbst bildet. So hat denn der Vers die Merkwürdigkeit, daß er einen Gedanken bewältigt, den der Dichter nicht hatte.

Psychologie und Grammatik

Erscheint es nun hier dem Geist nicht mit dem Wortbau gelungen, so ist es eben einer der Fälle, wo der unverkennbare Außensinn durch Versifizierung Klangwert erhält. Mag die Musik auch dem Inhalt widerstreben, so sind doch zwei Tonstützen da, die mit Hilfe eines Konstruktionsfehlers das Gleichgewicht herstellen und das Nachdenken so lange aufhalten, bis sie vor ihm hinfällig werden. Was so manchem Wort die Flügel gibt, ist der Vorzug, vermöge seiner logischen Unebenheit verstanden zu werden. Denn

Der Ton macht die Musik.

Wie ist es zu betonen?

C'est le ton qui fait la musique

zeigt an, wo im Deutschen Subjekt und Prädikat sind. (Es wäre schön, »qui« als Neutrum zu denken: wie ein vorangestelltes »ce que fait ...«) Wie bei jenem Geist ist der Inhalt wieder nicht die Aussage vom Ton, daß er Musik mache, sondern: daß nur der Ton sie macht. Es ist der Ton, was usw. (Oder mit besserer Musik: was sie macht, ist der Ton. Dieser ist Prädikat.) »Der« brächte wieder die Gefahr, daß ein bestimmter Ton, von dem schon die Rede war, sie mache, im Gegensatz zu einem andern (etwa zu dem Lessing'schen, den man »vor Gericht stellen« möchte). Der Satz will aussagen, daß der Ton sie macht und kein anderer »Faktor« (der aber nicht hineinzudenken ist). Wieder nicht: »... er ist derjenige, der«, sondern: »dasjenige, was, ist er«. Hier kommt nur a) und nicht b) in Betracht, da die Antithese, daß nicht die Musik den Ton mache, nicht gedacht sein kann. Den Gefahren jenes Geistes ist auch dieser Ton ausgesetzt, und ein Kategoriebegriff (derjenige) weit und breit nicht zu finden. Aber auch hier hilft der Ton, welcher eben die Gabe hat.

Da war es denn sein Spott – jener herrliche Spott, den auch das Objekt als Frucht genießen mußte –, der mich heilte.

Was sie heilte, war der Spott, der sie genießen ließ. Der an das zweite Prädikat »Spott« richtig angeschlossene Relativsatz läßt deutlich den Konstruktionsfehler des andern hervortreten, der sich fälschlich an das erste Prädikat »Spott« anschließt. Die Gelegenheit, endlich zu einem Subjekt zu gelangen, hat das Objekt des Spottes versäumt. Jenes käme ganz zum Schluß, aber es wäre in einem »was« rein vorhanden. Und nicht bloß als »psychologisches Subjekt«.

Die Unterscheidung zwischen dieser und der grammatischen Form ist dann erst berechtigt, wenn Psychologie und vor allem Logik die richtig erkannte Form in ihr grammatisches Recht einsetzen. Die Sprachphilosophen, die den Unterschied erkannt haben, ohne ihn immer zu spüren, zerbrechen sich dafür überflüssigerweise den Kopf, ob die Verteilung von Subjekt und Prädikat nicht von der »Stellung« alteriert werde, die diese einnehmen. Da rühmt Vossler die Erkenntnis eines andern, der also, offenbar in der Polemik gegen einen dritten, erkannt hat:

Wenn auf die Bemerkung »Müller scheint ein verständiger Mann zu sein« geantwortet wird: »Ein Esel ist er«, so kann dieser »Esel« doch dadurch, daß er vorangestellt wird, nicht zum psychologischen Subjekte werden, sondern bleibt in psychologischer so gut wie in grammatischer Hinsicht das Prädikat.

Goldene Worte (umsomehr, als hier doch auch das grammatische Recht anerkannt wird). Und ebenso bleibt er in beiderlei Hinsicht das Subjekt, wenn jener etwa dupliziert:

Du bist ein Esel!

Der Wechsel der Bedeutung ist hier ohne Rücksicht auf den Wechsel der Stellung vollzogen, und der Esel ist so und so das Subjekt (das psychologische und also grammatische), wie in dem naheliegenden und deutlicheren Beispiel:

... Müllers Esel: das bist du!

Wenn ich nun sage:

Es ist ein Glück, daß wir so verständige Sprachführer haben

so mag es ihnen noch gelingen, »Glück« als das (meinetwegen psychologische) Prädikat zu erkennen; vielleicht auch in der Umkehrung:

Ein Glück ist es, daß ...

und sogar in der Ellipse:

Ein Glück, daß wir ...

Die Stellung kann das Problem nicht berühren, und es wird auch bei Aussagen, die an und für sich doppeldeutig sind, einzig darauf ankommen, welche Beziehung sie darstellen wollen. Die Psychologie wird den Standpunkt aus der Sphäre bestimmen und die Logik wird die Richtung weisen. Weil wir also schon bei Fällen halten, wo der Dumme das Glück hat:

Der Gewinner des Loses ist Müller.
Müller ist der Gewinner des Loses.

Die Stellung ist es nicht, was die Bedeutung bewirkt (»Stellung«: Prädikat). Bei der Lotterie (oben) ist Müller das Prädikat, in der Biographie (unten) das Subjekt. Dort könnte auch ausgerufen werden, Müller sei es; hier könnte auch gesagt werden, Losgewinner sei er gewesen. Wenn er nun einen anspricht: »Ich bin usw.«, so hat sich das Subjekt »Ich« als Prädikat »Gewinner« vorgestellt; wenn die Antwort lautet: »Sie also sind usw.«, so hat sich das Subjekt »Gewinner« als Prädikat »Sie« herausgestellt. Die Frage des Grammatikers, der bei diesem psychischen Sachverhalt auf das Subjekt kommen will, hat nicht zu lauten: »Wer oder was ist Müller?«, sondern ganz normal und der Neugierde gemäß: »Wer ist der Gewinner?« Antwort: »Müller« (Prädikat). Und was wäre nun das Subjekt dieser Frage? Da muß wieder gefragt werden: Wer ist der Gewinner? Antwort: Wer (Prädikat). Und dabei bliebe es ad infinitum (wobei leider nie herauskäme, daß es der Müller ist). Die Stellung ist gleichgültig, und Müller wäre Subjekt geworden, wenn es in der Biographie – lange nach der Lotterie – von ihm hieße:

Auch Gewinner eines Loses war Müller.

Die Bedeutung hängt vom Gedanken ab; nicht von der Stellung, sondern von Beziehung und Betonung:

Der Tanz beginnt.

Da folgt dem Subjekt das Prädikat. Vom Tanz, der schon vorgestellt ist, wird ausgesagt, daß er nun beginne. (Er kann auch enden.) Umgekehrt:

Es beginnt ein Tanz.

Da ist »Es« (das Beginnende) Subjekt und der Tanz Prädikat. Es bedeutet: Was nun beginnt, ist Tanzen. (Es könnte auch anderes beginnen.)

Ein Tanz beginnt.

Da ist, so erstaunlich es sein mag, der Tanz noch immer das Prädikat. Der Satz besteht nur aus diesem. Das Subjekt ist versteckt: es wird getanzt. Was da anhebt, könnte auch (da es ein moderner Tanz ist) Akrobatik sein. (»Das soll ein Tanz sein?«: »Das« ist Subjekt.) Wenn ich das Zitat von Arznei und Gift so zusammenfasse:

Arznei reiche ich dir!

so ist diese noch immer zunächst Prädikat und nur äußerlich Objekt des Reichens; denn es bedeutet: »Was ich dir reiche, ist ...«. Auch in:

Ich reiche dir Arznei!

Da macht eben wirklich der Ton die Musik. Es ist die Antwort an den Mißtrauischen, der gefragt hat, was das Gereichte sei. Eine noch schwierigere Aufgabe für Grammatiker, selbst für Psychologen, wäre die so gestellte:

Eins nur würde mich verdrießen –

wenn es ihnen nicht gelänge, hier das Subjekt zu finden. Darum sei verraten, daß es nicht das betonte Wort ist – denn dieses ist Prädikat –, sondern: »Was mich verdrießen würde« (ist das eine, daß usw. Dies und nichts anderes). Dagegen freut mich

daß sie's nun gefunden haben.

Es ist der Daß-Satz.

Ihr Scharfsinn gefällt mir

(nicht ihre Gelehrtheit. Was mir gefällt, ist ...). Dagegen:

Ihr Scharfsinn gefällt mir

(mißfällt mir nicht. Subjekt: Scharfsinn). Wenn eine erotische Beziehung in der Aussage dargestellt wird:

Ihre Kälte gewann ihn,

so kann die Kälte sowohl Subjekt als Prädikat sein. Entweder war, was ihn gewann, ihre Kälte (und nicht ihre Schönheit); oder ihre Kälte gewann ihn (anstatt ihn abzustoßen).

Mich beruhigt der Ausgang

(nachdem mich die Sache bis dahin beunruhigt hat. Was mich beruhigt, ist ...);

Mich beruhigt der Ausgang

(und erschüttert mich nicht). Das Betonte ist Prädikat: Eins; ihr Scharfsinn; ihre Kälte; der Ausgang. (Auch so zu erkennen: Es ist eins; Es ist ihr Scharfsinn; Es ist ihre Kälte; Es ist der Ausgang.) Subjekt ist: Was mich verdrießen würde; was mir gefällt; was ihn gewann; was mich beruhigt. In allen diesen Fällen wirkt die Antithese: nicht etwas anderes, sondern das. Ganz wie: »Es ist der Geist ...«.

*

Und er baut sich auch den Körper der Grammatik, was ihm noch an dem schwierigsten aller Sprachprobleme, die vielfach mit dem einen verknüpft sind, an dem »Es« gelingen muß, ohne der Gestaltung irgendeinmal ein Opfer der Logik zuzumuten. Denn ist es Gefahr und Genuß der Sprache, daß ihre Gesetzmäßigkeit als ein Wirrsal erscheint, so führt das Denken in ihr zu dem Punkt, wo höchste Mathematik zum Einmaleins wird und ein Labyrinth zur Wandelbahn, mag es sich auch eben dann wieder verschlingen. Dem kleinsten und häufigsten Wort auf den Grund zu kommen – und »es« hat in dieser Untersuchung wahrlich die Vielzahl der Fälle vermehrt –, muß Autoren nicht gelingen; auch dem dieser Schrift nicht. Aber unter den Grammatikern ist es schon dem alten Adelung (der Fälle wie »Es war einmal ein Mann«, »Es sind keine drei Wochen« und »Es wird Ernst« zusammentat) mißlungen. Immerhin hat er erkannt, wie schwierig es sei:

Es ist hier noch bey weitem nicht alles gesagt worden, was von diesem Wörtchen, welches im Deutschen von einem überaus großen Gebrauch ist, gesagt werden könnte. Indessen erhellet schon aus diesem wenigen, wie schlecht dasselbe unsern meisten Sprachlehrern bekannt gewesen.


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