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An die Anschrift der Sprachreiniger

Die Literarhistoriker, die den Deutschen ihr »Sprich deutsch!« zurufen, haben, da sie selbst nicht imstande sind, diese Forderung zu erfüllen, auch keine Ahnung, daß sie die andern damit nur bestärken, undeutsch zu sprechen. Denn sie wollen sie bloß vom wohltätigen Gebrauch der Fremdwörter abhalten, der doch allein die deutsche Sprache davor bewahren kann, verhunzt zu werden. Anstatt sich an den unendlichen Ausdrucksmöglichkeiten der deutschen Sprache zu versündigen, ist es hundertmal besser, sich der einfacheren Formen einer fremden zu bedienen. Je mehr Fremdwörter jene gebrauchen, die nie deutsch lernen werden, desto besser. Denn daß sie es eher erlernen würden, wenn ihnen der Gebrauch der Fremdwörter verboten wäre, ist doch eine ausgemachte Dummheit. Wer deutsch kann, hat auch zwischen Fremdwörtern Spielraum, es zu können, und wer es nicht kann, richtet nur im weiteren Gebiet Schaden an. »Sprich deutsch!« ist leicht geraten. Wer kein Fremdwort gebraucht, hat darum noch lange nicht gelernt, der Forderung des Professors Engel zu entsprechen, selbst wenn dieser von der Leistung befriedigt wäre.

Die Fremdwort-Jäger sind allen Ernstes der Meinung, daß sie es in jedem Wortdickicht, in jedem Wortgedicht erlegen können. Aber selbst in einem Wortbericht kann es ihnen schief gehen und so etwas passieren:

Es interessierte, in Herrn Ivos einleitenden Worten zu hören, daß Rilke gegenwärtig auf einem stillen Schlößchen der Schweiz lebe, um, wie der Dichter selbst an eine Wiener Anschrift ungefähr geschrieben habe: durch Besinnung und Leistung auszugleichen, was so viele böse Jahre zerstört haben.

Ist es schon fast eine körperliche Pein, den postalischen Terminus »Adresse« (aller guten Dinge sind drei Fremdwörter) zu »Anschrift« eingedeutscht zu sehen – eine traurige Begleiterscheinung des Umsturzes wie jene Steigerung aller Preise um Zehntausend »vom Hundert« –; und habe ich es wirklich einmal erleben müssen, daß mich jemand – mündlich, ohne daß seine Zunge schamrot wurde – um meine Anschrift bat, worauf ich ihm die postalische Rückseite zuwandte: so ist hier der kühne Versuch unternommen, eine Metapher einzudeutschen. Der Berichterstatter hat nicht die Eingebung gehabt, etwa »an einen Wiener Bekannten« zu sagen, sondern kurz entschlossen die Adresse selbst dort verändert, wo sie gar nicht mehr vom Briefträger gesucht werden muß. Denn es handelt sich nicht mehr um das, was auf einem Kuvert steht, sondern schon um den Empfänger selbst, um die Person. Immerhin liegt hier dem Spaß noch die Tatsache zugrunde, daß ja wirklich einmal ein Brief aus der Schweiz an eine Wiener Anschrift gekommen sein muß, worin versprochen wird, durch Besinnung und Leistung (eigentlich Mehrleistung) einzubringen, was die Kriegsjahre gerade an Rilke zerstört haben (wiewohl übrigens nicht einzusehen wäre, wie dichterische Kraft, wenn sie vorhanden ist, durch die Zeit zerstört werden, und wenn sie nicht vorhanden ist, sich an der Zeit erholen könnte). Aber der Verfasser der Notiz hat vollständig vergessen, daß die Anschrift ihre postalische Funktion bereits erfüllt hat und nur mehr die Adresse übrig blieb, an die ein Ausspruch gerichtet ist. Oder er dachte – wenn er überhaupt etwas dachte –: lieber ein Unsinn auf deutsch als eine welsche Metapher, und griff mit jenem stolzen Behagen, das jetzt für die Niederlage an den Fremdwörtern Revanche übt und in dem eigenen Besitz an Mißgeburten Entschädigung findet, nach dem Wort »Anschrift«. Nun liegt die Sache aber so, daß »Adresse« nicht nur alle jene Bedeutungen hat, die »Anschrift« nie haben kann, sondern daß, was der Deutsche als die übertragene Bedeutung fühlt: Adresse als Ziel einer »Richtung«, einer Beziehung, als das Objekt, an das man »sich wendet« (s'adresser), im Französischen die ursprüngliche ist, hingegen der für die deutsche Vorstellung primäre, der postalische Begriff, der abgeleitete. Der Reformer »übersetzt« einfach diesen und hofft, die ursprüngliche Bedeutung werde schon nachkommen. Dazu ist beachtenswert, wie er ihn übersetzt. Wollte er nur das, was auf dem Briefkuvert geschrieben steht, deutsch bezeichnen, so müßte er » Aufschrift« sagen. Da alle sonstige Bedeutung sich schon gegen diesen Bezug auf die eine konkrete Vorstellung wehrt, so hofft er es mit » Anschrift« zu machen, worin er auch die Richtung der Tätigkeit markiert hat. Das verhatschte Wort möchte somit ausdrücken, daß ich an jemand schreibe, und es will den Träger der Adresse vorstellen statt des Briefkuverts; aber da es doch nicht in der Begriffslinie etwa von »Ansprache« steht, vielmehr dort, wo deren Objekt ist – die Ansprache spreche ich an jemanden, die Anschrift aber schreibe ich nicht an ihn, sondern sie ist das, wohin ich schreibe –, so würde es nichts anderes ausdrücken als daß statt auf einem Kuvert »an ein em« Menschen was aufgeschrieben erscheint. Das ist natürlich kein Mittel, den Inhalt von »Adresse« hereinzubekommen. (Und selbst der Postdienst leidet. Wie übersetzt man den Adressaten? Wiewohl schon die Adresse das ist, was man anschreibt, bleibt jedenfalls nichts übrig, als ihn den Angeschriebenen zu nennen.) Dieses »an« stellt sichtlich den angestrengten Versuch vor, etwas von dem eigentlichen Richtungssinn zur Geltung zu bringen. Im Französischen ist die Briefadresse die mittelbare Bedeutung von »Adresse«, während man im Deutschen sich bei diesem Wort zuerst das Postwesen vorstellt, weshalb man auch bei diesem mit der Reform eingesetzt hat. Man muß aber erst von der andern Bedeutung zurückkehren, wenn man sagen will, daß man sich an jemandes Adresse »wendet«. Was im Französischen die eigentliche Bedeutung ist, ist in der deutschen Vorstellung von »Adresse« eine Metapher. Wenn ich nun für die Briefadresse »Anschrift« setze, womit ich doch das Wort nur in einem engen Geltungsgebiet, sozusagen in einem Postbestellbezirk, und überdies miserabel (elend) verdeutscht habe, und wenn ich dann diesen Begriff, dem noch die volle Anschauung des Geschriebenen tintenfeucht zugrunde liegt, mechanisch auch in alle weiteren, dem Franzosen näheren Bedeutungen von »Adresse« übernehme, so mute ich dem Sprachgebrauch eine rechte Viechsarbeit zu, nämlich eine konkrete Vorstellung zu unterdrücken, um sie in einer weitabliegenden, abstrakteren Sphäre handhaben zu können. Es ist doch einleuchtend, daß ich eher eine abstrakte Bezeichnung, die mir für Adresse einfiele – zum Glück fällt sie mir nicht ein –, auf den Spezialfall anwenden könnte als umgekehrt. Man ermesse nur den Blödsinn, der herauskommt, wenn man das Wort in diesem Sinn, worin es also ein Wesen bezeichnet und ein solches, an das kein Brief gelangt ist und das nicht als der Träger einer Postadresse gedacht wird, sondern als das Objekt, auf welches sich eine Handlung bezieht (das sie »angeht«, auf das sie speziell abgesehen, abgezielt ist), mit »Anschrift« übersetzt, etwa: den Sack schlägt man und an die Anschrift des Esels ist es gerichtet. Sie müßte erst – was ihr in hundert Jahren nicht gelingen kann – zur Metapher des Sprachgebrauchs werden, zur inhaltslosen Floskel, die keine Handschrift mehr wahrnehmen läßt, um die Adresse im außerpostalischen Sinne zu ersetzen. Man wird, damit dies gelinge, wohl die »Adresse« immer mitdenken müssen, die uns zwar auch vor allem an die Post erinnert, die aber doch schon ursprünglich die Bedeutung hat, die sie bei »Anschrift« erst erlangen könnte, wenn man die Vorstellung des Geschriebenen vergewaltigt. Das wäre freilich nicht die wahre Methode, sich die Fremdwörter abzugewöhnen: daß man sie zwar nicht sprechen dürfte, aber denken müßte, um die deutschen Ersatzwörter zu verstehen, und also eigentlich nicht aus dem Welschen, sondern ins Welsche zu übersetzen hätte. Es ist so, als ob man von Wien nach Linz über Salzburg fahren müßte, weil man in St. Pölten zu tun hat, wohin man gelangt, wenn man sich vorstellt, daß man nach Paris fährt.

Die Originalität dieser Eindeutscher, die doch nie über das Erlebnis der Sprache als eines Verkehrsmittels hinauskommen würden, aber eben dieses erschweren möchten, ist ein gar lästiges Hindernis. Als ob die Erneuerung der Sprache von einem Entschluß ausgehen würde und nicht von einem Gedicht! Als ob, was sich einzubürgern hat, von Bürgern bestimmt werden könnte! Solange die Dichter Fremdwörter nicht verschmähen – weil ihnen die darin geborgene Vorstellung kein deutsches eingibt, das mit der Macht der Selbstverständlichkeit dastünde, um in den Sprachgebrauch einzugehen –, so lange müssen sich die Pfuscher gedulden, mögen sie auch der Meinung sein, der Erlebnisgehalt des Fremdworts, der ihm eingeborne und der ihm zugewachsene, werde ihrem Zuspruch oder ihrer nationalen Entrüstung parieren. Die Sprachreiniger sind in Wahrheit nur das, was sie auch außerhalb ihrer Funktion sind: Sprachpeiniger; und es besteht zu wenigstens 50 vom Hundert die Gefahr, daß künftig auch von einer Rede gesagt werden wird, sie sei an eine bestimmte Anschrift gerichtet, zum Beispiel die Mahnung: »Sprich deutsch!« an die meine, von der sie dann allerdings als unbestellbar und mit dem Vermerk zurückkäme: Angeschriebener ins Ausland abgereist.


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