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Vom Plagiat

Der anschlägige Kopf, der mich »St. Crausiscus« nannte und der über Scherz, Satire, Ironie ohne tiefere Bedeutung verfügt und demgemäß unerschöpflich ist an Buchstabenwitzen ohne gedanklichen Fond, also ein rechter Einfallspinsel, hat nachgewiesen, daß die Bestandteile meines Gedichtes »Apokalypse« sich in der Offenbarung Johannis vorfinden. Er hat sich aber für den Beweis, daß mir die Tat zuzutrauen war, eine Stelle in dem Versstück »Nach zwanzig Jahren« entgehen lassen, in der wörtlich zwei Zeilen aus »Hamlet« vorkommen. Ich zähle da alle meine Themen und Motive auf und bereichere sie wie folgt:

Geschlecht und Lüge, Dummheit, Übelstände,
Tonfall und Phrase, Tinte, Technik, Tod,
Krieg und Gesellschaft, Wucher, Politik,
der Übermut der Ämter und die Schmach,
die Unwert schweigendem Verdienst erweist,

Kunst und Natur, die Liebe und der Traum –
vielfacher Antrieb, sei's woher es sei,
der Schöpfung ihre Ehre zu erstatten!

Nun wird es gewiß mehr Leute geben, denen das Zitat bekannt ist – und ich rechne sogar meinen Enthüller dazu –, als solche – und zu ihnen rechne ich ihn nicht –, die verstehen werden, daß mein Gedanke geradezu von dieser Voraussetzung lebt, also darin seinen Wert hat, daß er ein Plagiat ist. Wäre dies nicht der Fall, so wäre der Gedanke wertlos und ich hätte mir bloß ein Schmuckstück angeeignet, das meinen eigenen Besitz beschämt. Aber der Gedanke beruht eben nicht in den zwei Versen, sondern darin, daß sie nicht von mir sind, in der Übernahme, und in der Stelle, an der sie nun stehen. Natürlich ist die Liste der Plagen und Klagen, die Hamlet aufzählt, ein wichtigeres Werk als die Liste meiner Themen und der Sprachwert der beiden Zeilen nicht zu verkennen. Aber es handelt sich hier nicht um diesen, sondern einzig darum, daß auch bei mir jedes Thema eine Beschwerde ist und die noch fehlenden zwei: die bedrückende Staatlichkeit und die totschweigende Öffentlichkeit eine Lücke ließen, in die das Zitat einschlüpfen mußte, weil ja ganz sicher ist, daß von keinem Shakespeare hier etwas stärkeres Neues gefunden werden könnte als dieses Shakespeare-Zitat, aber nicht als Inhalt, sondern weil es das Zitat ist. Der künstlerische Wert dieser Einfügung besteht in der selbstverständlichen Deckung mit den noch zu bezeichnenden Themen und die originale Leistung in der Weglassung der Anführungszeichen. Die Sphäre, in die die Worte eingesetzt sind, ist von der Sphäre, der sie entnommen sind, so verschieden, daß auch nicht die Spur einer innern Identität mehr vorhanden ist, und die äußere, also das Plagiat, ist nichts anderes als die Leistung, die solches bewirkt hat. Aber wahrscheinlich wird es leichter möglich sein, vor einem intellektuellen Forum mit der Begründung, daß es ja doch ein unverkennbares Zitat ist, von dem Vorwurf der Aneignung freigesprochen zu werden als ihm plausibel zu machen, daß eben diese der originale Wert ist und daß sich die Produktion hier nicht in den Worten, sondern in ihrer Anwendung, ihrer Einschöpfung vollzieht. Wie diese den Bestandteil der Sprache, das vorhandene Wort, so kann sie auch den Bestandteil des vorhandenen Kunstwerks, der wieder Stoff wurde, betreffen. Ob sie ihn nun in eine solche gedankliche Beziehung bringt, die schon in dem bloßen Anwenden ihr Leben und ihre Berechtigung bewährt, oder ob sie ihm wie jede Nachdichtung neue Werte abgewinnt, sie wird allemal nur dem verdächtig erscheinen, dessen Respekt vor dem Wort sich nur der Distanz dazu verdankt und dessen Materialkennerschaft nicht weiß, worauf es ankommt und daß die Erlaubnis der Nachschöpfung ausschließlich von deren Wert und von der Notorietät des Originals abhängt. Die Übernahme der Shakespeare-Stelle ist durch den Einfall, sie zu übernehmen, berechtigt; die Verwendung von Bibelmotiven erst durch die Entscheidung, daß sie gelungen ist – eine Entscheidung, wie sie schließlich auch jedem andern Gedicht den Eigenwert bestimmt. Wer den Wert des Stoffes vor Nachdichtung behütet, ist zu solcher Entscheidung ebensowenig befugt wie einer, der den Unwert eines Stoffes behauptet. Da das Buch Josua gegen mein »Gebet an die Sonne von Gibeon« bis heute unbeschützt geblieben ist, mag es dankenswert sein, selbst auf jene Quelle zu verweisen, bei deren Benützung ich mich gleichfalls weniger an Luther als an Leander van Eß gehalten habe. Die Stelle vom »Geschrei« ist aus den Abschnitten 5, 10, 16 und 20 des VI. Cap. bezogen. Die Gegenüberstellung soll den Nachweis meines Plagiats erleichtern: ich habe den Lärm von dort genommen, wo er lebendiger ist als im berichthaften »Feldgeschrei« und wo er fast schon den Dialekt meiner Verkürzung hat.

5 Und wenn man des Halljahrs Horn bläset, und tönet, daß ihr die Posaunen höret, so soll das ganze Volk ein großes Feldgeschrei machen; so werden der Stadt Mauern umfallen, und das Volk soll hinein fallen, ein Jeglicher stracks vor sich.

Und es soll geschehen, wann man das Jobelhorn bläst, wann ihr den Schall der Trompete höret; so soll das ganze Volk ein großes Geschrei erheben; dann wird die Mauer der Stadt umstürzen an ihrer Stelle; und das Volk soll hinaufsteigen, Jeder vor sich hin.

10 Josua aber gebot dem Volk, und sprach: Ihr sollt kein Feldgeschrei machen, noch eure Stimme hören lassen, noch ein Wort aus eurem Munde gehen, bis auf den Tag, wann ich zu euch sagen werde: Machet ein Feldgeschrei; so machet dann ein Feldgeschrei.

Und dem Volke gebot Josua, und sprach: Ihr sollet kein Geschrei erheben und nicht hören lassen eure Stimme; kein Wort soll aus eurem Munde gehen, bis zu dem Tage, wo ich euch sagen werde: Erhebet Geschrei! dann erhebt Geschrei.

16 Und am siebenten Mal, da die Priester die Posaunen bliesen, sprach Josua zum Volk: Machet ein Feldgeschrei, denn der Herr hat euch die Stadt gegeben.

Und es geschah beim siebenten Male, wie die Priester in die Trompeten stießen, da sprach Josua zu dem Volke: Erhebet Geschrei! denn der Herr hat euch die Stadt gegeben.

20 Da machte das Volk ein Feldgeschrei, und bliesen die Posaunen. Denn als das Volk den Hall der Posaunen hörte, machte es ein großes Feldgeschrei. Und die Mauern fielen um, und das Volk erstieg die Stadt, ein Jeglicher stracks vor sich. Also gewannen sie die Stadt.

Da erhob das Volk Geschrei, und man stieß in die Trompeten. Und es geschah, wie das Volk den Schall der Trompeten hörte, erhob es ein großes Geschrei; und es fiel die Mauer auf ihrer Stelle; und das Volk stieg hinauf in die Stadt, ein Jeder vor sich hin, und sie nahmen die Stadt ein.

Das Geschrei ist in die folgenden Strophen übernommen:

Und der eifrige Gott, welcher am siebenten Tag
der Zerstörung nicht ruht, hieß sie vollenden, bis
sie der besiegten Welt den Fuß auf den Nacken gesetzt
und ein Geschrei erheben gedurft.

Denn es ward ihnen gesagt, nicht zu erheben so lang
Geschrei, bis ihnen gesagt, daß sie erheben Geschrei,
dieses hielten sie ein, dann aber gingen sie hin,
Geschrei zu erheben wie ihnen gesagt.

Wie das Geschrei nun erscholl, da fiel die Mauer ein,
und wie das Volk es sah, daß da die Mauer fiel
auf das Geschrei, das Volk ein großes Geschrei erhob,
herzufallen über die Stadt sogleich.

Nichts ähnliches ist bis heute ob dieser Verwendung laut geworden.


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