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Schändung der Pandora

Es ist vielleicht noch auszurechnen, wie viel Zeit und Blei in der großen Zeit und im neuen Deutschland durch die Ausrottung der meisten Apostrophe in den Druckereien schon für Munitionsbeschaffung und sonstige Kriegsdienstleistung gewonnen wurde. In der Insel-Ausgabe der »Pandora« hat das Verfahren – bei allerlei kunstgewerblicher Entschädigung – die volle Anschaulichkeit einer Tempelschändung. Dieses Sprachheiligtum dürfte auf Goethes Volk ohnedies durch die Weisung des Prometheus Eindruck gemacht haben: »Nur Waffen schafft! Geschaffen habt ihr alles dann«, wobei freilich bereits der Nachsatz: »auch derbster Söhne übermäß'gen Vollgenuß« auf immer stärkere Zweifel stößt. Der deutsche Apostrophenraub, der den Indikativ »ich raub'« nicht mehr vom Imperativ »raub« unterscheiden läßt und gar den Konjunktiv des Imperfekts »ich schrieb'« nicht mehr vom Indikativ »ich schrieb«, macht jede moderne Ausgabe eines Klassikerwerkes schon zur Augenqual, wenn nicht zur vorgestellten Ohrenpein. Abgesehen von der Verwechslungsgefahr, welche manchmal durch den Sinn paralysiert wird, ist das eindeutige Monstrum eines »ich band« unerträglich. Diese Zeitsparmaschinen ahnen nicht die Bedeutung eines im Apostroph nachschwingenden Vokals und setzen auch getrost ein raumhaftes »lang« für das zeithafte »lang'«, ohne daß doch in beiden Fällen »lank« zu sprechen wäre. Der Inseldruck der »Pandora« ist ferner dadurch ausgezeichnet, daß das Ende der Dichtung genau bis zum Rand einer rechten Seite reicht, so daß der keinen Abschluß gewahrende, von keiner Abschlußlinie gewarnte Leser die Rede der Eos fortsetzen möchte und umblättert, um das Fragment weiterzulesen, wodurch das Pathos dieses wundervollen Ausgangs zerknickt wird. Die primitivste, von der stilistischen Notwendigkeit erschaffene Druckerregel, daß ein Abschluß von weither sichtbar sei und ein Werk weder rechts unten noch links oben ende, damit eben der Leser rechtzeitig den geistigen Atem auf das Ende einstelle, wird hier mit einer den erhabenen Schlußton, den Gedanken tötenden Ruppigkeit mißachtet. Der Leser muß vollends glauben, daß noch etwas komme, weil er ja noch Blätter in der Hand hält, welche ihn dann freilich mit einem bloßen »Schema der Fortsetzung« überraschen. Der Umstand, daß die »Pandora« ein Fragment ist, also ein Werk, dessen Abschluß aus keinem dichterischen Plan erfolgt war, könnte den Barbarismus nicht als Absicht rechtfertigen, da der Teil als solcher kein Fragment ist; auch wenn noch einer käme, wäre ja jener zu Ende und dürfte nicht rechts unten zu Ende sein. Es ist nichts als Fühllosigkeit, deutsche Raumgewinnsucht und jene typographische Unfähigkeit, die mir seinerzeit die »Luxusausgabe« der Chinesischen Mauer zu einem sechs Monate währenden Leidenskapitel gemacht hat. Von einem Wiener Sachverständigen mußte die berühmte Leipziger Firma (Poeschel & Trepte, deren dekorativen Leistungen auf der »Bugra« Feuilletons in deutschen Blättern gewidmet wurden und die eine der Nährmütter des bibliophilen Snobismus ist) immer wieder belehrt werden, wie man den Satz mit dem auf jene Art ruinierten Schluß (damals links oben, statt rechts Mitte) umgestalte; wie man Zitate einzustellen habe; daß das Wort »neugeboren« nicht nach »neuge« abzuteilen sei u. dgl. Doch sind dies – abgesehen von der Vernichtung des Schlußgedankens – Dinge, die hauptsächlich nur die Ehre des Druckers berühren. Was aber das Heil des Geistes, die Sicherheit des textlichen Bestandes anlangt, so läßt sich summarisch behaupten, daß in Deutschland das Schicksal der deutschen Klassiker besiegelt ist; denn kein Vermerk »Vor Nachdruck wird gewarnt« (der hier kein materielles Autorrecht mehr zu schützen hätte) bewahrt das geistige Gut vor Einbruch. Welche Instanz aber sollte auch den Dichter gegen die Gefahren des Nachdrucks schützen, den Leser davor warnen, da jedem Greisler dessen Vorteile zustehen? Ist einer dreißig Jahre tot, so fressen ihn, zugunsten der Volksbildung, die Verleger. Bezeichnend für die stumpfe Ahnungslosigkeit der »Herausgeber«, der für Leichenschändung bezahlten Ausgräber, wären hunderte von klassischen Versen und Sätzen. Das eindringliche Beispiel aus Lichtenberg, das durch die Jahrzehnte fortgewälzt wird, habe ich einmal graphisch illustriert; jammervolle Verwüstungen am Worte Goethes, Jean Pauls, Schillers könnte ich zitieren. In der heiligen »Pandora« hat der Inselmensch den Setzer an einem der bedeutendsten Verse sich austoben lassen oder, weil er den Gedanken für einen Druckfehler hielt, bewußt und gewissenhaft die nichtswürdigste Änderung bewerkstelligt. Prometheus ruft den Kriegern zu:

Auf! rasch Vergnügte,
Schnellen Strichs!
Der barsch Besiegte
Habe sichs!

Der Dichter nennt mit einer kostbaren Abbreviatur, die an sich schon dem kriegerischen Wesen gerecht wird, die Nutznießer eines Sturmlebens, worin der Tag gepflückt und halbgenossen vertan wird – eine ganze, in Weinfässer mündende Offensive ist darin –: »rasch Vergnügte«. Dem Drucker oder dem herausgebenden Literaten schien's richtiger und logischer so:

Auf, rasch! Vergnügte,
Schnellen Strichs!

Der barsch besiegte Gedanke habe sichs! Die Krieger sind schlechthin vergnügt, weil's immer feste druff geht. Die Leser gleichfalls. Und ich wette hundert versenkte Tonnen gegen eine, daß diese Wiederherstellung den Insel-Verlag und die nach dessen Vorlage weiterdruckenden Händler nicht hindern wird, die deutschere Version beizubehalten.

*

Die Schuldfrage ist anders zu beantworten. »Wenn Wahn und Bahn der Beste brach / Kommt an und an der Letzte nach.« Der Insel-Druck war der Letzte. Bahnbrecher war die Großherzoglich Weimarische Ausgabe, nach der sich jener bloß gerichtet hat. Dort ist die Schändlichkeit begangen und zwar mit voller Überlegung und Verantwortung der Täter, die sich unter jenen »Lesarten«, die gemeinhin bloß ein Verzeichnis literarhistorischer Unarten sind, der Tat noch rühmen und ausdrücklich zugeben, daß Goethes Handschrift wie auch die erste Ausgabe der »Pandora« die Fassung »Auf! rasch Vergnügte« enthalten habe. Sie haben planvoll verbessert.

Dieser deutschen Angelegenheit wurde ich, als man sich bei uns über den geplanten Verkauf von Kunstwerken entrüstete und eben jene, die Gold für Eisen gegeben hatten, nicht Gobelins für Getreide geben wollten, in der Schrift »Brot und Lüge« gerecht, mit Worten, die nun umso zeitgemäßer sind, als das Geschrei nicht nur auflebt, sondern von den Journalisten auch die Dichter geschützt werden, und zwar gegen die Schändung ihrer Gräber, wofern sie nicht von Literarhistorikern, sondern von unbekannten Tätern verübt wird. Damals schrieb ich:

Ich glaube, daß eine Untersuchung, wie viel Deutsche die Pandora und wie viele den Roten Kampfflieger von Richthofen gelesen haben, ein Resultat hätte, das uns nicht gerade berechtigen könnte, uns in Kulturaffären mausig zu machen. Aber man wende nicht ein, daß Krieg Krieg ist. Wenn das Volk Goethes nicht schon im Frieden gelogen hätte, so hätte es ruhig zugegeben, daß es Geibel für einen weit größeren Dichter hält. Wie könnte man die Unentbehrlichkeit der ewigen Werte für das deutsche Gemüt besser beweisen als durch den Umstand, daß vom Erstdruck des West-östlichen Divan der Verlag Cotta voriges Jahr die letzten Exemplare vom Tausend an einen Liebhaber verkauft hat? Und bedürfte es da noch des erschütterten Blicks auf die Auflagenfülle Heinescher und Baumbachscher Lyrik? Und welche Gefahr müßte denn einem Wortheiligtum drohen, damit das deutsche Kulturbewußtsein in Wallung käme? Die Schmach, ein Kunstwerk aus dem Land zu verkaufen, wo es doch keine war, es hereinzukaufen, möchte jeder Kunstgreisler von unserm Gewissen abwenden. Aber wer protestiert gegen die ruchlose Verwüstung, die den klassischen Wortkunstwerken durch die Tradition der literarhistorischen Lumperei und den ehrfurchtslosen Mechanismus der Nachdrucke angetan wird, durch den frechen Ungeist, der die Sprachschöpfung an der Oberfläche des Sinns identifiziert und korrigiert, und durch ein System, das der Barbarei des Buchschmucks den innern Wert zum Opfer bringt? Welch ärgerer Unglimpf droht denn dem Jagdteppich, als statt in Wien in Paris zu hängen? Hat je ein Konservator anders als durch Ungeschick an dem ihm anvertrauten Schatz gesündigt? Hätte er je wie der Literarhistoriker es gewagt, einen erhaltenen Wert zu zerstören und einen Strich, den er für verfehlt hält, weil seine Stumpfheit eben hier die schöpferische Notwendigkeit nicht spürt, glatt zu überschmieren? An einem der ungeheuersten Verse der Goethe'schen Pandora haben sich die Herausgeber der großen Weimarer Ausgabe dieser Missetat erdreistet, sich unter ausdrücklichem Hinweis auf die Urfassung dazu bekennend, einfach, weil sie die Sprachtiefe für einen Schreibfehler hielten und die schäbige Verstandesmäßigkeit ihrer Interpungierung für die Absicht des Künstlers – »rasch Vergnügte schnellen Strichs«, gleich den Kriegern des Prometheus. Von solchem Hirnriß, der nun für alle folgenden Ausgaben maßgebend blieb und bleibt, von solchem Verbrechen, mit dem sich die deutsche Literaturbildung in ihrer Ohnmacht vor dem Geist noch durch Frechheit behauptet, von solchem Exzeß deutschen Intelligenzknotentums möchte ich sagen, daß er die Kulturschmach von zehn ans Ausland verkauften Tizians, die doch höchstens durch ein Eisenbahnunglück, aber durch keinen Historiker verstümmelt werden können, in Schatten stellt. Möge die deutsche Bildung noch so laut versichern, daß sie ohne Goethe nicht leben kann, ja möge sie es sogar glauben – welche Beziehung hat der deutsche Laie zu einem Vers, wenn der deutsche Fachmann kapabel ist, an dessen Leben Hand anzulegen? Eben noch die, daß er imstande ist, »Uber allen Gipfeln ist Ruh« zu einem U-Boot-Ulk oder zu einem Koofmich-Witz aller Branchen zu verunreinigen. Wenn Güter des Geistes den Empfänger so begnadeten, wie die zurechtgemachte Fabel wähnt, so müßte allein von solcher Wortschöpfung, müßte sich von den vier Zeilen, die Matthias Claudius »Der Tod« betitelt hat, von dem einen Wort »Lebt wohl!« in der Iphigenie eine allgemeine Ehrfurcht über den Kreis jener Menschheit verbreiten, in deren Sprache solche Wunder gewachsen sind, nicht allein zur Heiligung dieser selbst, sondern zur Andacht vor aller Naturkraft und zur Läuterung der Ehre des Lebens, zu seinem Schutz gegen alles, was es herabwürdigt, kurzum zu einer politischen und gesellschaftlichen Führung, die den Deutschen dauernd vor dem Gebrauch von Gasen und Zeitungen bewahrte. Es müßte mehr Stille in dem Hause sein, in dem solche Worte einmal vernommen wurden, und kein Gerassel mehr hörbar, seitdem ein Atemzug der Ewigkeit zur Sprache ward.


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