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Zwei Dichter

Zum Zweck der deutschen Künstlerhilfe wurden im Unterrichtsministerium belegte Brötchen gegessen und zwar von den prominentesten christlichsozialen Wählern beider Konfessionen, die Spesen dieses »Routs« für die Notleidenden Deutschlands hatten die Notleidenden Österreichs zu bezahlen und fraglich bleibt, ob mehr Geld für jene hereingekommen ist als er diesen gekostet hat. Die Unappetitlichkeit solcher Wiener Veranstaltungen wird freilich durch die Geschmackigkeit der hiebei aufgebotenen Kunst wettgemacht und wie stets fiel auch diesmal von der Muse des Anton Wildgans ein Gustostückl ab, das unter dem Titel »Save our Souls!«, von ihm persönlich serviert, das Fest einleitete. Mein Ratefreund sagt dort, wo er schon sichtlich die Züge unseres Kanzler-Prälaten annimmt, beruhigend:

Wir sind versorgt, das ist in guten Händen,
es liefert uns die Wildgans den Prolog.

Das Vertrauen dieses Vaterlands in seinen Dichter – man spricht in solchen Fällen von einem Nachfahren Grillparzers, der seinerseits schon ein Nachfahr war – ist unerschütterlich und selbst dort, wo Gelegenheit die schlechtesten Reime macht, nicht umzubringen. Sie alle sind nun einmal im Banne eines Dichters, von denen und vor denen da gesagt wird:

Die Menschen, die gekommen, alle sie
Rief eine Kunde auf, erschütternd wie

nämlich durch Flut und Wut der aufgewühlten See der Notruf eines Schiffs in Todesweh. Da gilt es, nicht zu säumen.

Denn unsre Sprache ist es, die es sagt!
Denn unser Blut ist's, das in Seenot klagt!

Aber wenngleich Save our Souls eigentlich nicht unsre Sprache ist, so droht doch auch dieser eine Katastrophe. Zum Beispiel:

Wann immer Unheil auf ein Volk ein bricht,
Dann halten fest der Ordnung Dämme nicht.

Man sieht wirklich, wie

Verzweiflung überstürzt mit grausem Schwall
Die Wehre und verwüstet überall.
Gesetze knicken ein wie sprödes Schilf,
Und jeder denkt: Nun helfe, was da hilft!

Gemeint sind natürlich die Sprachgesetze, nach denen es entweder »die Wehr« oder »das Wehr« gibt und den Plural »die Wehren«, und jeder denkt: Nun reime, was da reimt, selbst wenn das Schilf so spröde ist, daß es weit und breit kein »Schilft« gibt und man doch auch nicht gut einen Indikativ »hilf« bilden kann. Gewiß, Schulmeisterei gegenüber einem Dichter, aber diesem muß man schon seine Hausarbeiten korrigiert zurückgeben. Denn er macht es so:

Das ist die Zeit, da sich der Einzel ne
Hinwegsetzt über's allgemeine Weh.

Und wie sehr es dem Einzelnen, der es doch tadelt, an jeglicher dichterischen Anschauung gebricht, zeigt er so:

Da gilt nur, wer die rohen Fäuste ballt,
Der Finger, der nach fremdem Gute krallt;
Der Fuß,

Nun müßte wohl aus der konkreten Sphäre des Fußes eine Analogie zu dem, was dem Finger eigentümlich ist, kommen. Der Fuß:

der flink einher ist nach Gewinn,

Aber was hat der Fuß in seiner Funktion als Fuß mit Gewinn zu tun, er wäre denn der Zinsfuß? Statt dessen konstruiert der Dichter eine andere Anschauung:

Der Ziffernmund, der plumpe Sachensinn; Und die Gemeinheit, die zum Himmel schreit,

Was tut die?

Geht frech am Tag und wird gebenedeit!

Aber im Hause des Benedikt soll man nicht anzüglich werden. Freilich meint Herr Wildgans etwas ganz anderes, nämlich die Entente.

Denn immer noch, wenn Machtbegier und Haß
Verschworen sich zum großen Aderlaß,

Wenn Krämerneid und Götzendienst am Geld
In dieser Welt ein Blutbad angestellt,

(Gott strafe England, welches das Ultimatum an die Mittelmächte geschickt hat, save our souls, und mir san ja eh die reinen Lamperln)

Dann zahlt die Rechnung frevelhafter Tat
Der Täter nicht, der ihren Vorteil hat!

Wie sollte er? Sondern wer?

Der Arme und der Edle zahlen sie,
Das träumende, versäumende Genie...

Also nicht England, Frankreich, Rußland und Serbien, sondern die deutschen Künstler, gegen die sie Krieg geführt haben und zu deren Gunsten jetzt ein Rout stattfinden muß. Ein deutlicher Fingerzeig zur Lösung des Kriegsschuldproblems, da die Armen und Edlen, die träumenden und versäumenden Genies in den Ententestaaten schon aus dem einfachen Grunde nicht hungern, weil solche dort nicht vorhanden sind, während es wieder in den Staaten der Mittelmächte keine Schieber gibt. Doch so weit, daß die deutsche Seele stirbt, wird es nicht kommen, und Wildgans tröstet:

Noch lebt die Liebe, ohne die das Wort
Des Menschen ist ein schnöder Lautakkord.

Und dafür, daß es nicht zum schnöden Lautakkord werde, sorgt schon Wildgans, der ihn durchaus verschmäht, indem er etwa die deutsche Seele, »die vom Geiste glüht«, mit dem Reime beruhigt:

Und ob sie auch in grimmer Not auf schreit,
Noch ist es Zeit, wenn auch die höchste Zeit!

Diese ausgebildete Reimkunst führt dann zu dem folgenden Mißverständnis:

Deutschland, du Schiff, umgraust von Sterbens Hauch,
Wir kommen, kommen schon! Und sind wir auch
Ein Häuflein nur, ein schwaches Aufgebot –

Das heißt also – da ja der Gedanke eines Verses im Reim gipfeln muß, wenn dieser nicht Kinkerlitzchen, Geklapper, Lautakkord sein soll –: obschon wir wie ihr nur ein Häuflein sind (so wird die Hilfe umso leichter gelingen). Wir kommen schon mit Rout und Reim. Es ist das Kennzeichen des Dilettanten, daß, wenn die Indignation den Vers macht, das im Satz nebensächlichste Wort (wenn auch) den Reim fängt; daß gedanklich Unbetontes in die Vershebung und Betontes in die Senkung kommt:

Noch sind wir nicht so elend, daß uns nicht
Die größre Not auf ruft zur Bruderpflicht.

Die Not, die auf ruft, auf schreit, das Unheil, das ein bricht – das ist nun einmal so bei jenen, die da glauben, ein dürftiger Gedankeninhalt werde gebunden besser ins Ohr geliefert. Es ist wahrlich jene Liebe, bei der sich nie prüft, was sich bindet, und darum ist's auch nicht für die Ewigkeit. Wie ganz und gar im Gegensatz zu meiner Definition des Reims:

Er ist das Ufer, wo sie landen,
sind zwei Gedanken einverstanden

die kürzlich ein Schweizer Kritiker sogar den Ausgesuchtheiten der George, Rilke und – also Werfel entgegengehalten hat. Wenn der Reim aber das Ufer ist, wie erstaunt mag sich dort gar alles finden, was auf einer Wildgansfeder hingeweht wurde, etwa »der Einzelne« und das »allgemeine Weh«, die noch nie einverstanden waren und nun nicht wissen, was sie miteinander anfangen sollen. Er setzt sich darüber hinweg, recht hat er. Gewiß, es geschieht zum wohltätigen Zweck der deutschen Künstlerhilfe, aber der Einzeln é erscheint da nicht minder bemitleidenswert als der allgemeine Zustand, und man möchte – durch das spröde Schilf hindurchdringend – ihm, der offenbar ein deutscher Künstler ist, helfen, ein Gedicht zu machen.

*

Das Höchstmaß dessen, was sich die Ringstraße unter einem solchen vorstellt, dürfte ihr der literarische Sonntag der Neuen Freien Presse erfüllt haben, der ihr »Der Bildner. Meudon, Maison Rodin 1913« von Stefan Zweig brachte. Frisch gepflückt aus dem Insel-Verlag, und schon »Meudon, Maison Rodin« kündigt an, was da an erlesener Schmockerei zu erwarten ist.

Der große Meister ist müde und alt. –

Beginnt das Reimfeuilleton und führt den Vorsatz aus, eine schier nicht zu bändigende Fülle von impressionistischen Adjektiven, wie sie zwischen 1910 und 1920 über die Zeitungsstränge schlugen, hinters Reimgatter zu sperren. Da ist ganz jenes sich Beziehen und Betun, das seit den Zeiten, wo sie wie eine Blume war, die Dinge nicht hinstellt, wie sie sind, sondern wie wenn sie wären. Von Rodins Statuen heißt es: »sie sind«. Aber man erfährt nicht, wie sie sind, sondern nur: sie sind wie. Die Literaturbackfische von heute schreiben schon wieder ganz anders, die können schon ballen. Zweig kann nun auch so, und plötzlich tut er sogar alles von sich und geht auf die Sprache selbst zurück. Er hat einmal von mir gehört, daß ein als Vers isoliertes Wort von eigenster Kraft sein kann. Das macht er nun. Der alte Meister geht durch die Säle.

Aber weiß,
Ein funkelnder Kreis,
Umstehn ihn die Statuen und strahlen von Licht!

Das Rufzeichen ist zugleich Hinweis und Strahl.

Sie rühren sich nicht, sie regen sich nicht,
Sie spüren sich nicht, sie bewegen sich nicht.

Ist das nicht eine Plastik, die die Rodin'sche noch übertrifft? Aber jetzt:

Stumm

was tun sie da?

Ruhen sie aus in unendlichem Ruhm.

Ein Reim muß gewiß nicht rein sein, um gut zu sein. Aber so unrein außen und innen darf er nicht sein, und man kann schon sagen, daß auf einem öderen Gemeinplatz als diesem Ruhm Statuen noch nie gestanden sind.

Ein Lächeln verloren im marmornen Mund,
Stehen sie da, die großen Trophäen

Verschollener Siege, gemeisterter Zeit,
Gefrorne Kristalle Unendlichkeit
.

Jeder Kristall wieder ein Brillant aus dem Kästchen jenes Schmocks, der noch nicht die Idee hatte, sie in Reime gefaßt zu präsentieren.

Wie ein Dürstender beugt er sich über den Stein
In den Brunnen verschollener Jahre hinein.

Das ist so recht der Moment, wo man ähnlich wie bei Hans Müllers gerösteten Erdäpfeln das Wasser im Munde der freilich idealer orientierten Leser der Neuen Freien Presse zusammenlaufen sieht. Sie sind überzeugt, daß dieser Zweig ein großer Dichter ist.

Aber fremd
Stehen die Statuen im Totenhemd.
Sie ehren ihn nicht, sie wehren ihm nicht,
Sie atmen nur Schweigen, sie leben nur Licht.

Hier ist etwas passiert, es müßte heißen: »Sie weben nur Schweigen«, da wären jene auf dem Kopf gestanden, nämlich die Leser der Neuen Freien Presse, nicht die Statuen. Diese hingegen:

Wortlos gereiht
Stehn sie in ihren weißen Gewändern
Unberührt von Vergehn und Verändern
Jenseits der Zeit.

Zweig ist tief. Und was er für Perspektiven hat:

Städte erstanden und andre verdarben,
Gesichter fielen aus Formen und Farben,
Geschlechter erwuchsen, Geschlechter verblühten,
Menschen wurden zu Masken und Mythen,
Alles ward in der mitleidlosen
Mühle der Jahre zerstäubt und zerstoßen –
Nur sie in ihren erstarrten Posen
Dürfen im rastlos Wandernden ruhn,
Weil sie ihr Wesen ewig zu Ende tun.

Ja, Städte und Gesichter haben das eine gemeinsam, daß sie verfallen, während Marmor –. Man soll ein lyrisches Kunstwerk so wenig rationalistisch anfassen, wie Zweig das Rodins. Sonst könnte man einwenden, daß erst nach 1913 in Frankreich Städte verdorben und erstanden sind, daß im Krieg auch ein Werk von Rodin hätte zugrunde gehen können, daß zu solchem Tiefsinn der Betrachtung über die Dauerhaftigkeit der Dinge, die aus Marmor sind, nicht so sehr der Kunstwert als das Material berechtigt, daß aber selbst dieses der versehrenden Wirkung der Zeit ausgesetzt ist und daß man, wenn sie von Volltreffern verschont bleiben, ganz denselben Gedanken vor den Werken Ambros Beis haben kann. Und ist es uns denn nicht, als ob unter den verklärenden Händen Zweigs die Werke Rodins zu eben jenen würden oder günstigsten Falls zu denen eines Künstlerhausbildners?

Gestalteter Stein ist stärker als Zeit!

ruft Zweig

Und selig erkennt er das große Licht
Ob seinen Gestalten: Unsterblichkeit.

Nämlich Rodin. Was könnte über die Dauerhaftigkeit von Kundmanns Pallas Athene Stärkeres gesagt werden? Ein ganzer Heller'scher Buchladen von Impressionen vermag über den echten Kitsch dieser Lyrik nicht hinwegzutäuschen:

Da lächelt der Meister zum erstenmal,
Seit er stumm vor den Steinen steht.
Von Licht und Schweigen orgelt der Saal,
Und sein Herz braust mit in dem großen Choral. –
Wie im Gebet,
Hebt er die Hände,
Die all dies getan,
Und sieht sie, die eigenen, ehrfürchtig an.

»Zum erstenmal, seit er ...« ist eine schlichte Konstatierung. Doch auch wenn die Gestalten nunmehr »hinglänzen durch die stürzende Stunde«, so können solche Literaturneuheiten nichts daran ändern, daß es der älteste Dreck ist, also aus einem Material gestaltet, das nicht lange vorhalten dürfte. Nur einmal findet sich ein Sprachgedanke, der zumal mir etwas zu sagen hat: Rodins Gestalten, die einst in seinen Händen »wie zitternde, unflügge Vögel waren«, sind nun »eine niederverlorene Engelschar,

Die Gott anschweigt mit marmornem Munde.«

Alle Vögel sind schon da: »es schweigt mich an wie eine Sage«. Und ich denke, daß hier, wiewohl nur in einem Zimmer mit Photographien an der Wand, der Raum zwischen dem Vergänglichen und dem Andern von Gedanken erfüllter ist und das Wort bleibender, als wenn Zweig durch Meudon, Maison Rodin schreitet.


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