Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Das Komma

ist unbeträchtlich genug, um die Nichtigkeit und die Wichtigkeit alles Sprechens über die Sprache anschaulich zu machen. Seine Wichtigkeit wird im Gebiet jener handgreiflich logischen Verschiebung vorweg einleuchten, von der man schon in der Schule an dem Beispiel eines Orakelspruchs gelernt hat, wie sie die Tatsachenwelt zu bewegen vermag. Daß nach einem falschen Komma im Strafgesetz Fehlurteile möglich sind, davon will man auch schon gehört haben. Schwieriger und ein stilproblematischer Grenzfall ist das Folgende. Die Neue Freie Presse hatte, pietätloser gegen ihren Vater, als ich gegen Peter Altenberg, von meinem Prozeß um die Grabrede Notiz genommen und geschrieben:

Die Klage inkriminierte, daß in dem Artikel dem Kläger der Vorwurf gemacht worden sei, er habe den Reinertrag der in Broschürenform herausgegebenen Grabrede, die er bei Bestattung des Dichters Peter Altenberg gehalten habe, entgegen seiner Ankündigung nicht wohltätigen Zwecken zugeführt, sondern für sich verwendet.

Ich berichtigte und schrieb:

... Wahr ist vielmehr, daß ein derartiger Vorwurf einer falschen Ankündigung und somit einer betrügerischen Handlung nicht erhoben und nicht inkriminiert wurde. Wahr ist, daß der Angeklagte nur behauptet hat, der Kläger habe die Grabrede verkauft und unter Verschweigung der dem Angeklagten bekannten Tatsache, daß Peter Altenberg Hungers gestorben sei, aus der Pietät Gewinn gezogen.

Die Zeitung hatte somit aus einer Ehrenbeleidigung eine Verleumdung gemacht, die von staatswegen zu verfolgen war und durch keine Abbitte aus der Welt geschafft worden wäre. Denn im Fall der Beleidigung konnte der Angeklagte sagen, er sei schlecht informiert gewesen und jene Ankündigung, von der er nichts gewußt habe, habe ihn eines Besseren belehrt. Im Fall der Verleumdung aber hätte er die Absicht gehabt, eben jene Ankündigung als lügenhaft und betrügerisch darzustellen. Indes, die Behauptung, daß eine Verleumdung gegen mich verübt worden sei – indem ich den Ertrag der Pietät nicht nur für mich verwendet, sondern dies auch »entgegen meiner Ankündigung« getan, also die Öffentlichkeit belogen und die Vereine betrogen haben sollte –, war keineswegs auf eine falsche oder ungenaue Kenntnis des Prozeßinhalts, vielmehr nur auf stilistisches Unvermögen zurückzuführen. Der Berichterstatter wollte das Vorbringen einer Ankündigung, der ich zuwidergehandelt haben soll, nicht dem Angeklagten zuschieben, also ihn zum Verleumder machen, sondern den tatsächlichen Vorwurf des Angeklagten meiner eigenen Ankündigung, die Beleidigung dem wahren Sachverhalt entgegenstellen. Er wollte nicht sagen, jener hätte behauptet, daß ich entgegen der Ankündigung gehandelt habe, sondern er wollte nur sagen, jener habe behauptet, daß ich so und so gehandelt habe, während ich doch selbst das Gegenteil behauptet hätte. Er hatte aber nicht das Talent, diese Darstellung in einem Satz zusammenzufassen. Hier nun wäre ein wenn auch unzulänglicher Behelf die Anbringung zweier Kommata gewesen, von denen das eine, vor »entgegen«, dank der Satzteilung ja schon vorhanden ist und das zweite nach dem Wort »Ankündigung« zu stehen hätte. Zwar würde dies noch immer nicht deutlich genug die Materie des Vorwurfs von dem Inhalt des Berichts absondern, ja unter Umständen, je nach der Einstellung des Lesers, sogar als Hervorhebung des verleumderischen Moments wirken. Immerhin hätte eine Überlegung die Absicht des Berichterstatters, hier einschaltend selbst zu sprechen, hinreichend dargetan.

Eine rein stilistische Entscheidung erfordert die Frage, ob die einschaltenden Beistriche in der folgenden Stelle anzubringen seien:

Von den 5090 Exemplaren der Postkarte »Volkshymne«, die wie es heißt anläßlich der Reise Karls wieder mehr verlangt wurde ...

Läge wirklich die Absicht vor, eine Information zu verzeichnen, so wäre »wie es heißt« einzuschalten gewesen. Dieser Nebensatz hat aber hier nur die Beiläufigkeit einer adverbialen Bestimmung, wie etwa »angeblich«.

In Nr. 544/545 der Fackel (»Die Welt ohne Blatt«) wird auf S. 3, Z. 16 v. u., durch das Fehlen eines Kommas eine Lockerung des Satzgefüges bewirkt, die nach allen Richtungen hin eine Gedankenverschiebung zu falschen Zielen anbahnt. Es wird von der Papierdrosselung gesprochen und davon, daß die Angelegenheiten meines Worts und meiner Wirkung auch ohne die Unterstützung der Presse, die sich anmaßt, öffentliche Interessen zu befriedigen, ihre Geltung erlangt haben und sie ohne jede Rücksicht darauf, ob die Zeitungen mehr Papier oder weniger bekommen, auch behaupten werden.

Ja, ich möchte so unbescheiden sein zu sagen, daß gerade diese Interessen, und ihre Befriedigung vor der breitesten Öffentlichkeit, ein Beispiel für die vollkommene Überflüssigkeit der Presse, selbst in ihrem reduziertesten Umfang darstellen.

Hier fehlt nach »Umfang« ein Komma. Die Fülle der Beistriche hätte vielleicht empfohlen, »selbst in ihrem reduziertesten Umfang« zwischen Gedankenstriche zu setzen. Vielleicht auch, die Beistriche vor »und« und nach »Öffentlichkeit« trotz dem Verlust dieser Nuance der Steigerung wegzulassen, um den Objektcharakter von »ein Beispiel« zu sichern. Nun wird dieses zunächst als Apposition gelesen, als ein Nominativ, gleichgeordnet dem Subjekt »Interessen«, was ja dem äußern Sinn nicht zuwider ist, aber freilich das Verbum »darstellen« sinnlos, weil objektlos macht. Nach »Umfang« gehört aber schon aus dem Grund ein Teilungszeichen, weil der mit »selbst« eingeleitete Satzteil zu »Presse« gehört, auf die sich »ihrem« bezieht. Jetzt bezieht es sich auf »Interessen«, was leider wieder einen Sinn, wenn auch einen falschen, ergibt. Es ist vom reduziertesten Umfang der Presse die Rede, der noch überflüssig sei, wenn es die Förderung meiner Sache gilt, und nicht davon, daß diese Interessen selbst in ihrem reduziertesten Umfang ein Beispiel für die Überflüssigkeit der Presse darstellen, was gewiß an und für sich nicht unrichtig wäre, aber irgendwie doch der »breitesten Öffentlichkeit« widerspräche. Durch das Fehlen des Kommas oder eines analogen Zeichens wird also bewirkt, daß die Interessen ein Beispiel nicht darstellen, sondern ein Beispiel sind, und zwar in ihrem reduziertesten Umfang, anstatt in dem der Presse. – Wie man somit sieht, gehört dieses Beispiel zu jenen Interessen, bei denen der Leser die vollkommene Überflüssigkeit am liebsten auf sie selbst beziehen wird. Denn hier erscheint bloß ein künstlerisches Gut und kein edlerer Teil verletzt. Zum Glück hängt aber die Entscheidung über die Wichtigkeit solcher Interessen mehr vom Schreiber ab. Bedroht hier das fehlende Komma den Satz nur im sprachlogischen Zusammenhang, so kann die Frage selbst, ob es anzubringen sei, sehr wohl einer rein künstlerischen Erwägung entspringen, und insbesondere könnte der geringfügige Unterschied zwischen einem Komma und einem Strichpunkt Spielraum für mehr Zweifel haben, als einen durchschnittlichen Romanschriftsteller in einem Kapitel zu beschleichen pflegen. Doch gilt ja, wer sich beim Schreiben Gedanken macht, für einen Pedanten; denn der Autor hat es mit dem Prätor gemeinsam, daß er minima non curat, sondern diese dem Drucker überläßt, und die Hauptsache ist auch in der Kunst, daß man gesund ist und keine Kopfschmerzen hat.


 << zurück weiter >>