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24. Capitel.
Ohne Hoffnung.

Aber diese Unterhaltung war nur unterbrochen, nicht abgeschlossen gewesen; wenn sie es nicht ausgemacht hatten, mussten sie auf dasselbe Thema doch immer wieder von selbst kommen, das brachten die ganzen Verhältnisse mit sich, das enge Zusammenleben in der belagerten Festung, wo Tag und Nacht keinen Unterschied erzeugten, jeder Gegenstand erinnerte ja daran.

Munro mochte wirklich nur gegangen sein, weil es ihm oben zu kühl war – freilich etwas unhöflich – und dann hatte er Ellen nur deshalb nicht mehr gesehen, weil es zu dunkel war.

Mit Anbruch des neuen Tages stand Ellen wieder auf dem Söller und betrachtete unten zu ihren Füssen den breiten Streifen, den das abfliessende Wasser gezogen hatte, am Geröll deutlich erkennbar. Die Belagerer würden sich wohl damit verproviantirt haben. Sir Munro trat zu ihr, ohne einen Morgengruss zu haben, der Schlaf hatte eben nicht getrennt.

»Verzeihen Sie mein Benehmen von vorhin,« begann er dann gleich, als seien nicht schon Stunden vergangen; seine Stimmung hatte sich inzwischen aber doch geändert, und bei Tage nimmt auch Alles eine andere Färbung an als in der Nacht, wenn der Mensch der Natur, welche Schlaf gebietet, trotzt.

»Die Eröffnung Ihrer Zukunftspläne musste mir zu unerwartet kommen.«

»Ich glaube und verzeihe Ihnen,« entgegnete Ellen sanft, ebenso versöhnlich gestimmt. »Sehen Sie, wie schön die Sonne aufgeht, wie friedlich die Natur. Kann man da an einen baldigen Tod denken?«

»Das wollen wir auch nicht. Es ist also Ihr fester Entschluss, an Starke's Seite das unstäte Leben fortzusetzen, so wie es dieser Mann führt?«

»Ja,« und Ellen erklärte weiter, wie sie sich dieses Leben vorstellte, nur dass sie ihrem Vorsatz einen wissenschaftlichen Hintergrund gab. Sie brauchte nur Starke's Worte zu wiederholen, wie eine Frau bei solcher Art zu reisen manche Geheimnisse der Ethnographie enthüllen könnte, welche dem männlichen Forschungsreisenden immer verborgen blieben, u. s. w.

»Gestatten Sie dann, dass ich Sie von nun an in engerer Fühlung begleite?«

»Per Rad?«

»Per Rad,« erwiderte er ernsthaft, aber Ellen musste doch lächeln.

»Ich denke, Sie wollen nicht Zeit Ihres Lebens aus Pfützen trinken ...«

»Oh, bitte, Sie haben mir doch schon verziehen! Wenn ich nicht störend wirke, so lassen Sie mich der Dritte in Ihrem Bunde sein.«

»Wie sollten Sie störend wirken? Wenn Sie unser Freundschaftsverhältniss richtig erfassen, so sind Sie überhaupt der Unserige; im anderen Falle werden Sie uns bald langweilig finden und uns verlassen. Woher kommt aber Ihre Sinnesänderung, dass Sie plötzlich geneigt sind, Strapazen auf sich zu nehmen, welche Sie für unnöthig erachten, weil es eine bequemere Eisenbahn giebt?«

»Sie ist so gekommen, wie ich plötzlich das Vergnügen kennen gelernt habe, welche das Radfahren gewährt – weil ich nur das Mittel besitze, immer in Ihrer Nähe zu weilen – weil ich Sie liebe, Ellen.«

»Dann begleiten Sie mich, damit ich Sie von dieser Liebe curire, so wie mich Starke von ... wie mich Starke den Werth der Freundschaft gelehrt hat.«

Das Gespräch drohte schon wieder humoristisch zu werden, und Ellen hatte eigentlich eine ganz andere Entscheidung herbeiführen wollen, aber Munro hätte sich diesmal wohlweislich gehütet, sie wieder zu reizen, und ein herzlicher Handschlag besiegelte die Wiederversöhnung.

»So könnte ich meine komische Vorstellung ja fortsetzen. Aber das Brunnenloch muss zugedeckt werden, jetzt könnte ich wirklich in's Feuer fallen.«

»Sir Munro,« ermahnte Ellen, »unterlassen Sie das Scherzen, bedenken Sie, dass unsere Lage eine ganz verzweifelte ist.«

»Ja, was wollen Sie? Soll ich mich etwa trübsinnig hinlegen? Wir haben doch auch Hoffnung, und wenn sie sich erfüllt, muss ich doch im Stande sein, Sie auf dem Rade begleiten zu können.«

»Bravo, da haben Sie Recht. Vorläufig leben wir noch, und wir wollen keine Zeit unbenutzt verstreichen lassen. Ueben Sie, ich werde mein Tagebuch führen und einen Aufsatz schreiben.«

Munro setzte also seine Uebungen fort, er biss die Zähne zusammen, er war heute steif wie ein Sägebock, und als er zum ersten Male wieder auf dem Sattel sass, verzog er schmerzhaft das Gesicht. Dabei wünschte er bereits nichts sehnlicher als einen Trunk Wasser.

»Das kann ja noch gut werden,« dachte der phlegmatische Engländer.

Ellen verband den Cowboys die Wunden, gewaschen konnten sie nicht mehr werden, dann schrieb sie auf den Knieen, und dabei dachte sie sehnsüchtig an die einzige Flasche Wasser, welche sie umgehängt hatte. Die Cowboys rauchten mit indianischem Gleichmuth, Dick führte seinen Herrn, der Reporter riss Possen.

»Ein Schwarzfuss will sprechen,« rief der auf der Plattform postirte Mestize.

Ellen sprang auf und wies Somaja zurück, sie wolle mit dem Parlamentär unterhandeln, und wenn er nicht Englisch könne, solle ein Anderer kommen, der sie verstände. Von der ersten Oeffnung aus, durch welche sie blickte, konnte sie den Indianer unten stehen sehen. Man musste sehr laut sprechen, fast schreien.

»Deadly Dash,« sagte in forderndem Tone der Indianer. Seine scharfen Augen hatten sofort erkannt, dass dort oben eine andere Person stand, noch dazu ein von den Rothhäuten verachtetes Weib. Man wusste also nichts davon, dass sich ein Mann aus der Festung entfernt hatte.

»Deadly Dash schläft.«

»So wecke ihn,« entgegnete der Indianer in richtigem Englisch.

»Deadly Dash will nicht geweckt sein, um mit einem Schwarzfuss zu sprechen. Die Schwarzfüsse sollen nicht seinen Schlaf stören, er verachtet sie. Was willst Du? Ich bin seine Freundin. Sprich mit mir, oder geh.«

»Seit wann ist die Squaw die Freundin eines Kriegers?«

»Komme herauf, damit ich Dir eine andere Ansicht über mich beibringe.«

Plötzlich machte der Indianer eine Bewegung der Ueberraschung, die ihm als einem Krieger gar nicht erlaubt war. Er musste die Augen eines Falken besitzen.

»Was erblickt Adlerauge? Die Squaw trägt die Klauen des grauen Bären!«

»Du irrst Dich nicht, und komm nur herauf, damit Du kennen lernst, dass ich wirklich einen grauen Bären erlegt habe.«

Der Parlamentär beruhigte sich, er dachte an seinen Auftrag.

»Deadly Dash gehört Stronghand, und der schluckende Geier wird sich freuen, mit einer Squaw zu schlafen, welche den Herrn des Felsens getödtet hat. Die Anderen sind frei, und kein Haar soll ihnen gekrümmt werden.«

»Gebt mir dort mein Gewehr,« sagte Ellen nach rückwärts mit eiserner Ruhe, auf die Revolverbüchse deutend, die ihr Starke gelassen, während er ihren Revolver mitgenommen hatte, und sie wiederholte ihr Verlangen drohend, als ihr nicht gleich gewillfahrt wurde.

»Es ist ein Parlamentär, er ist heilig, auch wenn es ein Indianer ist.«

»Vorläufig, ich weiss es. – Hast Du sonst noch etwas zu sagen?«

»Wenn in drei Tagen nicht Deadly Dash waffenlos vor Stronghand kniet und wenn in drei Tagen nicht die weisse Squaw im Wigwam des schluckenden Geiers das Lager bereitet, hängen in drei Tagen sechs Scalpe an unseren Gürteln und Deadly Dash steht dennoch am Marterpfahl und die goldhaarige Squaw mit der weissen Haut wird dennoch in des Häuptlings Wigwam schlafen.«

»Sonst noch etwas?«

»Ihr habt kein Wasser.«

»Ihr habt kein Wasser?« wiederholte Ellen, als hätte sie sich verhört, und sie löste die Flasche von dem Riemen. »Da,« sie warf die gefüllte Flasche hinab, »da habt Ihr Wasser.«

Die Lederflasche war beim Aufschlagen aus solcher Höhe zerplatzt, das Liter Wasser ergoss sich am Boden und auf den Indianer schien es doch Eindruck zu machen.

»Und nun,« fuhr sie fort, und der wieder aufblickende Indianer sah, wie sie das kurze Gewehr auf ihn anschlug, »nun sage Deinem Häuptling, er soll mich selbst zur Hochzeit abholen, aber ich zähle bis zehn, und wenn Du bis dahin nicht hinter den Felsen verschwunden bist, und Du hast Zeit genug dazu, so erschiesse ich Dich. Hast Du mich verstanden?«

»Adlerauge hat Dich verstanden und er verspottet Dich. Stronghand wird ...«

»Eins – zwei – drei – vier ...»« zählte Ellen ganz langsam, den Kolben an der Wange.

»... Der schluckende Geier ist ein mächtiger Krieger,« fuhr der Schwarzfuss-Indianer unbeirrt fort; lügnerisch mochte er sein, feig war er nicht, er entledigte sich seines Auftrages, »und Du wirst seine erste Frau sein.«

»... fünf – sechs – sieben – acht.«

»... und Du wirst es gut bei ihm haben, er wird Dich nicht schlagen ...«

»... neun – – – – – zehn.«

Grafik28

Ein Feuerstrom aus Ellen's Gewehr, ein Knall, und der Indianer, mit der Hand nach dem Herzen fahrend, schlug rückwärts zu Boden und blieb liegen.

»Ellen, Ellen, was haben Sie gethan!?« schrie Munro ausser sich.

Ellen war sehr bleich, doch ruhig lehnte sie das Gewehr gegen die Wand.

»Was ich verantworten kann, vor Gott und vor menschlichen Richtern.«

Hinter den Felsen erscholl ein vielstimmiges Wuthgeheul, doch es zeigte sich Niemand. Augenblicklich, wie auf Commando, verstummte es auch wieder.

»Viel zu viel Ehre für den Schuft,« brummte Somaja, »jetzt bewundern ihn die Rothhäute nur, und sie hatte ihm ja gesagt, was sie thun würde, warum ist er nicht gegangen.«

»Ich hätte es auch gethan, aber die Flasche Wasser hätte ich lieber selbst ausgetrunken – schade,« meinte der Reporter.

»Für uns acht Menschen hätte es doch nur einen Tropfen bedeutet,« entgegnete Ellen, und dann wandte sie sich gegen die Cowboys. »Leute, wenn ihr durstig seid, so fordert mein Blut, aber nicht, dass ich mich den Indianern lebendig ausliefere.«

»Hipp – hipp – hurrah für die Lady!!« brüllten die Cowboys, bei denen sich die Bewunderung für die That, dass eine weisse Frau einen Indianer mit solch' sicherem Schusse getödtet hatte, erst jetzt Luft machte.

Während Ellen schon wieder schrieb, als wäre nichts geschehen, war Munro noch ganz kopfscheu, blickte furchtsam nach der Schreibenden und ebenso nach dem unten liegenden Todten. Er wusste, dass sie schon einen Indianer in's Jenseits geschickt hatte, ja, man befand sich im Kriege, Ellen hatte gewarnt und genügend Zeit gegeben, sie war furchtbar beleidigt, aber – da lag der Indianer, mit gebrochenem Auge in die Sonne starrend – es war hässlich.

Mit der fröhlichen Radlerei in der Brunnenstube war es vorbei. Es wurde Mittag, sie assen getrocknetes Pferdefleisch; es wurde Abend.

»Ich habe fürchterlichen Durst,« platzte Mr. Schade heraus.

Ellen blickte nach den unbeschäftigten Cowboys, sie gaben sich mit stoischem Gleichmuthe wie immer dem Genusse ihrer Pfeife hin, sie deutete auf den gebundenen Indianer, der noch genau so an der Wand sass, wie ihn der Reporter zum Photographiren hingelehnt hatte, beharrlich die Augen geschlossen, wie ein Todter; es war mit ihm absolut nichts anzufangen, nur die regelmässigen Athemzüge verriethen noch Leben.

»Sehen Sie diesen Mann.«

»Ja, den Mann sehe ich. Delirium habe ich noch nicht. Könnten Sie mit dem nicht einen Austausch bewirken, vielleicht gegen mich?«

»Nein, die Feinde dürfen nicht erfahren, dass Mr. Starke sich entfernt hat, auch nicht, dass der Hund nicht mehr als Wächter am Eingange liegt, und solch' einen Austausch kennen die Indianer nicht, wie mir Starke bereits erklärt hat. Dieser rothe Krieger will sich selbst befreien oder von seinen Kameraden befreit werden, oder er will sterben. Der junge Indianer, ein Knabe noch, durstete schon, als wir uns noch mit Wasser sättigen konnten; er hat jedenfalls schon Durst gelitten, als ihn Starke fing. Das ist ein Mann!«

»Ich bin auch ein Mann.«

»Sie sind ein Waschlappen,« sagte Dick, seinen Gürtel anziehend, um zu zeigen, wie er Hunger und Durst spotte, aber gleich so eng, dass er wie eine eingeschnürte Spinne aussah; man konnte seine Taille mit den Händen umspannen.

»Bitte sehr, ich bin ein Mann, ich muss es doch am besten wissen,« entgegnete der Yankee.

»Nehmen Sie das, es wird Ihren Durst weniger empfindlich machen.«

Starke hatte ihr die Büchse mit Kolapulver zurückgelassen, sie schüttete jedem eine Dosis in die Hand.

»Das schmeckt gar nicht übel, aber Wasser ist's nicht,« meinte der Reporter.

»So gehen Sie doch hinaus und bitten Sie die Indianer um Wasser!« zürnte jetzt Ellen.

»Das werde ich mir diese Nacht noch sehr überlegen.«

Die Nacht war gekommen. Es war ein heisser Tag gewesen und bald vierundzwanzig Stunden ohne einen Tropfen Wasser ist schon eine gewaltige Schwächung für den Menschen.

Bei Somaja stellten sich in der Nacht Delirien ein. An seinem Lager betete Ellen um Regen und um Starke's Rückkehr. Nach dem Aussehen des Himmels war kein Regen zu erwarten, und was sollte Starke thun, wenn der Hund ihn einholte, wenn er sofort umkehrte und allein wiederkam? Gleichgiltig, sie hoffte auf ihn wie auf den rettenden Engel, vor dem Gefahr und Tod entweichen. Aber Flügel besass dieser Engel nicht, nur schnelle Füsse, und diese hatten ihn schon vierundzwanzig Stunden davon getragen, ehe Hassan von hier abgelassen wurde.Vor übermorgen konnte er unmöglich zurück sein – und so lange ohne Wasser!

Der Tag graute. Ein Pferd lag, versuchte aufzustehen und konnte es nicht mehr; die anderen drei liessen die Köpfe hängen. Somaja tobte, er schrie nach Wasser. Und im Brunnenschachte raschelte es, jetzt wussten die Feinde, dass man kein Wasser hatte. Ueber Starke's und des Hundes Abwesenheit durfte wegen lauschender Ohren nur im leisesten Flüsterton gesprochen werden, dagegen wurden diese Namen öfters mit Absicht laut gerufen.

»Wenn ich jetzt einen Eimer Schwefelsäure hätte,« sagte Dick, in den Schacht blickend, »würde ich sie dem da unten über den Kopf giessen.«

»Und ich würde sie trinken,« meinte der Reporter. »Na, ich habe es mir reiflich überlegt. Meine Herrschaften, ich halt's nicht mehr aus. Ich habe mir im Traume den ganzen Niagarafall in den Mund laufen lassen, wenn der jetzt trocken ist, wundern Sie sich nicht. Ich gehe zu den Indianern über und heirathe eine Rothe. Kommen Sie mit? Nein? Schade. Good morning

Und der Yankee ging. Ellen vertrat ihm den Weg, den Revolver in der Hand.

»Was, Sie wollen wirklich gehen?«

»Sie glauben's nicht? Schade. Good morning

»Lieber schiesse ich Sie nieder, ehe ich Sie gehen lasse, Sie – elender Feigling.«

»Und dann schneiden Sie meinen Bauch auf und sehen nach, wie es da drin aussieht, ich bin selbst neugierig darauf. Was habe ich Ihnen denn gethan, dass Sie mich erschiessen wollen? Sie schulden mir überhaupt noch meine Hose, meine Hose will ich wieder haben.«

Ellen konnte nicht mehr lächeln. Es mochte ja sein, dass der Mann den Durst weniger ertragen konnte als die Anderen, er hatte vielleicht schon vorher Durst gehabt, als der Brunnen mitten in der Nacht plötzlich versiechte. Ausserdem war er ein Yankee und ein ganz verrückter dazu.

»Draussen wartet Ihrer der Tod.«

»Hier drinnen auch, ich sterbe vor Durst.«

»Was wollen Sie denn bei den Indianern?«

»Ich trinke mich noch einmal satt, wenn's geht, dann lade ich sie zum Abonnement auf den New-Yorker Spion ein, und dann – kchchch.«

Mr. Schade machte bei jenem schriftlich nicht wiederzugebenden Laute eine Schnittbewegung über seine Kehle.

»So oder so, wir können es nur noch bis morgen früh aushalten,« sagte flüsternd der nicht auf Wache stehende Cowboy, »heute Nacht müssen wir es wagen. Der Wind trocknet uns zu sehr aus.«

Dieser einfache Mann wusste nicht einmal, dass der Mensch Wasserdampf ausathmet, aber die Folgen des Unterschiedes zwischen einem feuchten und einem trockenen Winde kannte er, und er rechnete damit.

»Wird es gelingen?« fragte Ellen.

»Nein. Wir wollen sterben, solange wir noch kämpfen können.«

»Deadly Dash wird kommen.«

»Ja, aber zu spät für uns. Morgen können wir vor Schwäche keine Hand mehr regen. Die Pferde sind schon nichts mehr werth, wir werden zu Fuss ausbrechen, wenn nur Somaja wieder auf den Beinen wäre.«

»Mr. Schade, hören Sie? Warten Sie wenigstens bis heute Abend, dann haben Sie doch noch einige Hoffnung, lebendig durchzukommen.«

»Der Cowboy scheint diese Hoffnung nicht zu haben, und ich möchte meine Haut doch lieber retten. Was nützt mir der Heldentod, wenn ich nicht mehr lebe.«

»Aber ich lasse Sie nicht gehen, Sie verrathen, dass Deadly Dash und Hassan nicht mehr hier sind.«

»Miss Howard, da kennen Sie mich schlecht. Ich will nichts weiter als mich noch einmal satt trinken – zu hören sollen die von mir nichts bekommen.«

Ellen trat zur Seite. Es war mit diesem aus Albernheiten und Halsstarrigkeit zusammengesetzten Yankee doch nicht anzufangen, sie konnten froh sein, ihn los zu werden, und Ellen hatte die Yankees nun zur Genüge kennen gelernt, um ihm zu glauben, dass er kein verrätherischer Ueberläufer sein würde. Es ist ein ganz eigenthümliches Volk, diese Yankees, aus lauter entgegengesetzten Excentricitäten zusammengesetzt, couragirt wie kein anderes Volk, ohne muthig zu sein, von grossartiger Freigebigkeit ohne Herz, praktisch und dabei dem crassesten Aberglauben anhängend, nüchtern und dann wieder total verrückt. In Brooklyn ist eine sogenannte Centrifugal-Bahn aufgestellt, ein Amüsement, ein Wagen saust eine schiefe Ebene herab und folgt der wohl zwanzig Meter hohen Schleife, nur durch die Centrifugalkraft oben festgehalten, und die schüchternste amerikanische Miss setzt sich hinein und lässt sich im Kreise herumschleudern, sie muss doch auch einmal hoch in der Luft mit dem Kopfe nach unten baumeln. Es sieht schauderhaft gefährlich aus, und so etwas ist in einem anderen Lande gar nicht möglich, so etwas bringt nur die Amerikanerin fertig, die Yankee-Lady mit dem unschuldigen Gesichtchen aus Milch und Blut und mit Nerven aus Clavierdraht.

» Good morning, Ladies and Gentlemen,« sagte Mr. Schade, nichts weiter, und den am Riemen hängenden Photographen-Apparat, sein ganzes Gepäck, unter dem Arm, ging er.

Gespannt beobachteten die Zurückbleibenden durch die Wandöffnungen, wie er sorglos, die eine Hand in der Hosentasche, über das freie Terrain nach den Felsen zu schlenderte. Was würde geschehen? Sie hatten die Gewehre im Anschlag, vielleicht konnte der Reporter wenigstens als Köder dienen, dass ein Feind sich eine Blösse gab. Er war zwischen die ersten beiden Felsen gekommen. Hier blieb er stehen und blickte zur Seite.

»Heh, Sie da,« hörte man ihn mit lauter Stimme sagen, »haben Sie nicht ein Glas Wasser? Es kann auch ein Topf sein.«

Ob er wirklich Jemanden sah, war sehr die Frage. Am Ende wollte er die, von denen er sich beobachtet wusste, noch auf seinem Todesgange belustigen.

In New-York wird ein Raubmörder gehenkt. Wie er auf dem Fallbrett steht, wird ihm noch ein letztes Wort vergönnt, und da sagt der Yankee: »Der Cacao von der Firma Soundso ist der beste« – er stürzt und hat im Tode seinen Hinterbliebenen noch eine ansehnliche Summe verdient. Wenn's nicht wahr ist, so ist es doch echt amerikanisch. Aber es dürfte schon wahr sein, denn die Cacaofabrik, deren Name hier aber lieber nicht genannt sei, hat lange Reclame mit dieser Geschichte gemacht.

Ja, Mr. Schade wollte bis zum letzten Augenblick der verrückte Mitarbeiter eines verrückten Blattes bleiben. Er hatte einige Schritte weiter gemacht und blieb wieder stehen, blickte nach der anderen Seite.

»Sie – Sie da! Sind Sie schon auf den New-Yorker Spion abonnirt? Der New-Yorker Spion ist das weitverbreitetste Zukunftsblatt der Erde. Der Spion hat in jeder Stadt und in jedem Dorfe der Welt und Umgegend seinen eigenen Correspondenten. Hier ist eine Probenummer. Ganz besonders mache ich Sie auf den Feuilleton-Roman aufmerk – – – na was machen Sie denn!!«

Wie es geschah, war bei der grossen Entfernung nicht zu sehen. Mr. Schade verschwand plötzlich wie eine hinter die Coulissen gezogene Marionettenfigur nach rückwärts, ohne die Beine in Bewegung zu setzen. Ein Lasso hatte ihn geholt. Er wurde nicht wieder gesehen, auch kein Laut war zu vernehmen. –

Der zweite Tag verging in qualvollem Durste. Die Belagerten brüteten vor sich hin und träumten von Wasserquellen, aus denen sie tranken, tranken, immer tranken. Man braucht nicht in der Wüste zu sein, um eine Fata Morgana zu sehen. Als Somaja seinen langen Fieberanfall überstanden hatte, kam er von selbst; der letzte Kriegsrath wurde abgehalten.

Am Abend sollte eines der völlig unbrauchbar gewordenen Pferde geschlachtet werden, das noch blutige Fleisch wirkte wenigstens etwas erfrischend; dann leise hinaus, einzeln sich zerstreut, und dann – – – die Cowboys sagten ganz ruhig, dass keiner den wachsamen Indianern entkommen würde.

»Ich weiss, dass Starke morgen zurück sein wird,« behauptete Ellen.

»Wenn Hassan nicht eben so still abgefangen worden ist wie jener Mann. Und morgen befinden wir uns schon in den Händen der Rothhäute, wir kennen den Wassermangel.«

»Ihr sollt frei sein, wenn ich mich ausliefere,« nahm Ellen nach einer langen Pause wieder das Wort und Munro schrak auf.

Starke kannte den Charakter des Mannes, den er zum Führer gewählt, in dessen Schutze er das Mädchen zurückliess, und Somaja wiederum hatte seine Leute gewählt. Und diese Cowboys rühmten nicht ihre Tapferkeit und Treue, spanische Vaqueros hätten es mit verschwenderischen Worten gethan – diese hier waren viel zu ehrlich dazu, sie erklärten ganz einfach, dass so etwas gar keinen Zweck hätte, die lügnerischen Schwarzfüsse hielten ihr Wort doch nicht.

»So geht, ich will Euch nicht halten; ich bleibe hier und vertheidige die Festung bis zu meinem letzten Athemzuge,« entschied Ellen und Munro stimmte ihr bei.

»Bis zum letzten Athemzuge,« wiederholte Somaja mit etwas Hohn. »Miss, seid Ihr schon einmal so durstig gewesen, dass Ihr lauter Regenbogen vor Euren Augen seht? Ich bin's gewesen.«

»Ich bleibe – die letzte Patrone im Revolver ist für mich.«

»Seid Ihr schon einmal so durstig gewesen, dass Ihr lauter Menschen um Euch herumspringen seht, nach denen Ihr schiesst? Ich habe schon nach solchem Teufelsspuk geschossen.«

Ellen wusste keine Antwort. Sie fühlte die furchtbare Wahrheit mehr heraus, für welche dem einfachen Manne die deutlicheren Worte fehlten.

»Schiesst Euren Revolver heute Nacht ab,« fuhr Somaja fort, »wenn Ihr noch lebendige Menschen von Teufelsspuk unterscheiden und noch treffen könnt – den letzten Schuss könnt Ihr dann auch noch für Euch aufbewahren, wenn Ihr wollt.«

Der Mann hatte Recht, Ellen war bereit, sich den Hinausschleichenden anzuschliessen. Doch brachte sie es noch so weit, dass sich die Cowboys einverstanden erklärten, erst um vier Uhr, zwei Stunden vor Anbruch der Helligkeit, den Ausfall zu wagen. So krampfhaft klammerte sie sich an die Hoffnung, Starke könnte doch noch zurückkehren.

»Ellen, was wollen Sie thun?« flüsterte Munro.

»Sie haben es gehört. Oder glauben Sie, ich werde lebendig in die Hände eines Indianers kommen?«

Hierauf war nichts zu erwidern.

Im letzten Dämmerlichte wurde ein Pferd getödtet. Die Cowboys verschlangen das noch rauchende Fleisch, tranken das Blut; auch Dick ass – die beiden Engländer vermochten es nicht, obgleich sie es hatten thun wollen; soweit war es mit ihnen noch nicht.

Ellen kauerte in einer Ecke und blickte stier vor sich hin. So also sollte ihre Radreise enden!

»Halt!« rief da Munro gebieterisch. »Diesen Indianer werdet Ihr nicht tödten!«

Somaja, das Messer in der Hand, war in leicht erkennbarer Absicht auf den Gefangenen zugegangen.

»Und warum nicht? Denkt Ihr etwa, die Rothhäute werden uns schonen, wenn sie ihn lebendig finden? Deadly Dash hat befohlen, ihn zu schonen, bisher mag es auch seinen Zweck gehabt haben, jetzt ist's genug, und der rothe Junge wartet schon lange auf seinen Tod – da ... –«

Ellen konnte nur ein Röcheln ausstossen, sie schloss die Augen und hatte es doch schon gesehen. Munro war zurückgestossen worden, ein Schritt, und der an der Wand lehnende Jüngling hatte Somaja's Klinge im Herzen, und mit zwei weiteren Griffen war er scalpirt worden.

Kein Laut war zu hören gewesen. Nur Ellen stöhnte noch. Alles Blut, Tod, Mord. Nun bloss noch versuchen, das bischen Leben zu retten, und wenn es wirklich gelang, sie würde doch hier in dieser Cisterne etwas zurücklassen, was ihr Niemand wieder ersetzen könnte. Auch sie würde hier das Lächeln für immer verlernt haben.

So dachte wenigstens Ellen in diesem Augenblicke unklar. Sie befand sich in einer furchtbar verzweifelten Stimmung. –

Schon seit einigen Stunden herrschte finstere Nacht. Oben hielt kein Cowboy mehr Wache, nur noch unten an der Treppe, Ellen's Uhr in der Hand, sie an den ihn Ablösenden abgebend. Aber ob wirklich noch Jemand wachte?

Auch Ellen war in ihrer Ecke vor Erschöpfung eingeschlafen, im Traume immer grösseren Durst erzeugendes Wasser trinkend. Jetzt gab der Traumgott ihr die gefüllte Wasserkaraffe in ihrem Schlafboudoir in die Hand; wie sie dieselbe zum Trinken ansetzte, that sie sich sehr weh, sie hatte das Glas heftig gegen den Mund gestossen, sie erwachte davon – es lag wirklich etwas Schweres Hartes vor ihrem Munde, ihre Hände wurden von anderen gepackt, ihre Füsse – sie hörte einen Tumult, ein wildes Balgen, Flüche – es wurde wieder still ... überrumpelt! – lebendig gefangen!

Wenn der Neger seine Seele frei von dem in Ketten geschlagenen Körper machen will, so verschluckt er seine Zunge. So hört man wenigstens häufig in Sclavenerzählungen. Daran dachte Ellen im Augenblick, als sie ihre Hände gefesselt fühlte, und hinter der fremden ihren Mund noch verschliessenden Hand legte sie die Zungenspitze weit hinten an den Gaumen an, zog den Atem ein und versuchte die Zunge zu verschlucken – – das Bewusstsein verliess sie.


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