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21. Capitel.
Belagert.

»Eine Stadt!« rief Ellen, und nach einigen Augenblicken Betrachtung gerieth sie förmlich ausser sich. »Starke, Starke, erklären Sie mir das Räthsel – was ist das hier mitten in der Wüste für eine ungeheure Stadt?!«

Eine Wüste war die Gegend zu nennen gewesen, durch welche sie seit zwei Tagen gefahren, Ellen hatte darin noch einmal die Qualen des Durstes kennen gelernt; ohne ihren Führer, welcher Wasser zu finden verstand, würden ihre Gebeine bald in der Sonne gebleicht haben, wie sie solche menschliche Gebeine nebst denen von Pferden und Rindern hier oft genug gesehen hatte. Dann war die Wüste felsig geworden, es wurde ein ganzes Felsengebirge daraus, oft mussten die Räder geschoben und bei Klettertouren über Pässe auch getragen werden, jetzt stand Ellen am Rande eines sich jäh hinabsenkenden Thales, und unter ihr im Scheine der Morgensonne breitete sich eine riesige Stadt aus, unübersehbar, mit stattlichen Häusern, mit ungeheuren Palästen, Kirchen und himmelanstrebenden Domen, dazwischen auch mit zahlreichen kleinen, schlanken Pfeilern und anderen Denkmälern, Alles von hier oben deutlich erkennbar, so weit es sich nicht in der Ferne verlor.

Starke schien sich heimlich an Ellen's grenzenloser Ueberraschung zu weiden, wenigstens hatte er seinen Blick nur immer auf sie gerichtet, nicht auf die zu seinen Füssen liegende Stadt.

»Nun, was ist das?«

»Das ist – das ist – es erinnert an eine maurische Stadt – nein, an das classische Alterthum. Diese zahllosen Statuen! Aber das Leben fehlt. Es sind auch keine Ruinen, Alles steht ja noch. Starke, so sprechen Sie doch nur; was ist das in Nordamerika für eine ausgestorbene, ungeheure Stadt, von deren Vorhandensein ich noch gar nichts gehört habe?!«

»Auch nichts von Petracita?«

Nein, auch davon nichts, und eilends zog Ellen eine auf Leinewand geklebte Karte hervor, auf der sie sich nur allein zurecht finden konnte, weil sie Starke's Weg, den sie nehmen wollte, aus vielen Karten herausgeschnitten und zusammengestellt hatte, ohne ein endloses Band zu haben, sondern ein handliches Format. Auch diese Gegend war noch darauf, der Maassstab ein sehr grosser, aber dennoch nur ein leerer Raum hier angegeben – Desert, Wüste. Generalstabskarten von ganz Nordamerika giebt es freilich noch nicht, aber solch eine Stadt hätte doch darauf sein müssen, wenn sie auch verlassen war.

»Lassen Sie uns hinabsteigen. Vielleicht finden Sie die Erkenntniss selbst, ehe Sie noch die Strassen betreten.«

»Und Sie haben noch nie davon gesprochen?«

»Um Ihnen eine Ueberraschung zu bereiten. Deshalb verliess ich auch die besser fahrbare Landstrasse, um Ihnen dies hier zu zeigen.«

Sie hingen die Räder über die Schulter und begannen den schroffen Abstieg, der unter Starke's Führung keine besondere Gefahr bot. Etwa 60 Meter tief hatten sie hinab zu klettern, ehe sie die Thalsohle erreichten. Aber schon in der Hälfte dieses Weges hatte Ellen andere Entdeckungen gemacht, besonders weil sie nun einem Gebäude näher gekommen war, welches sie für eine höher gelegene Villa gehalten hatte, und sie blieb auf einem kleinen Plateau stehen.

»Hm,« murmelte sie nachdenkend, »alle diese Häuser da unten haben ja recht seltsame oder gar keine Fenster? Und mit den Thüren ist es auch recht mangelhaft bestellt. Nur dort die Kathedrale von Westminster scheint ein regelrechtes Thor zu besitzen, aber sonst – – – Starke, ist es möglich, dass die Natur so etwas schaffen kann? Oder haben da Menschenhände, nachgeholfen?«

»Es ist ein reines Naturgebilde. Dieses Thal, gegen 60 englische Meilen breit und 180 lang, nicht weit vom Fort Lamarie endend, ist fast ganz mit solchen bizarren und dennoch systematischen Felsmassen ausgefüllt. Der Franzose, der es zuerst entdeckte, nannte es Petracita, die Steinstadt. Wenn diese Gegend erst durch eine Eisenbahn aufgeschlossen ist, wird Petracita ein beliebtes Reiseziel von Cook und Sohns Kunden werden, jetzt ist noch nicht daran zu denken, und seitdem die Entstehung dieses Naturwunders endgültig erklärt worden ist, hat es auch für den Forschungs-Reisenden das Interesse verloren. So ist Petracita so ziemlich wieder vergessen worden. Hier floss einst ein mächtiger Strom, jedenfalls mit salzigem Wasser, vielleicht auch war es ein Meeresarm mit Brandung, Ebbe und Fluth. Wenn eine Felsmasse aus verschiedenen Gesteinsarten von verschiedener Löslichkeit schichtenweise zusammengesetzt ist, so nimmt das Wasser natürlich zuerst das am leichtesten Lösliche mit fort, zuletzt bleibt das ganz Unlösliche stehen. So sind diese Häuser, Kirchen, Statuen, Brücken und Bogengänge entstanden, allerdings noch wunderbar genug. Hier kann man die schaffende Natur anbeten.«

Ja auch Ellen's ehrfürchtiges Staunen wuchs nur durch diese Erklärung.

Sie befanden sich, zwischen den Häusern, in den wie asphaltirten Strassen hätten sie wieder das Rad besteigen können. Nun freilich wich die Illusion von richtigen Wohnhäusern, es waren viereckige, runde und sich in mancherlei Gestalten gefallende Felsmassen, aber eigentlich wurde die Ueberraschung nur noch grösser.

Ellen sah eine Thür, trat mit etwas Zagen ein, kam in eine Halle, fand abzweigende Kammern und Säle, mit einiger turnerischer Hebung konnte man eine Treppe erklimmen, sie gelangte in die zweite Etage und vielleicht gab es noch einen Weg in andere Etagen. So hatte das Wasser gearbeitet, wenn auch nicht direct für Menschen. Aber ein phantasievoller Baumeister war es, das wäre etwas für Kinder gewesen. Auf dem sehr schrägen Boden eines Salons konnte man von oben bis nach unten rutschen, dort die Wand hinaufkriechen und kam durch eine Oeffnung in ein finsteres Loch.

Wenn Starke nicht gesagt hätte, er kenne die seltsamsten Formationen und würde sie ihr immer zeigen, Ellen wäre am liebsten den ganzen Tag berumgekrochen. Da konnte man wirklich wieder zum Kinde werden.

Fehlte es nicht an Wasser und wäre der salzhaltige Boden nicht vollständig unfruchtbar, diese natürliche Stadt wäre schon längst bevölkert. Vielleicht kommt doch noch einmal die Zeit.

Der Boden war nicht nur salzhaltig, sondern bestand, wenigstens hier, ganz aus einer Steinsalzkruste, glatt wie ein Tisch, da liess es sich gut drauf fahren. Aber eine fürchterliche Hitze strahlte er aus, schon jetzt in der neunten Stunde, und nachdem Ellen noch einige Sehenswürdigkeiten von aussen und innen besichtigt hatte, wünschte sie, statt der steinernen Naturwunder ständen lieber einfache Bäume da, nur mit dichtem Laubwerk, unter dessen Schatten sie radeln könnte. Es war doch sehr öde hier. Kein Grashalm, kein Kaninchen, kein Vogel, sogar die Insecten schienen zu fehlen – hier wohnte der Tod.

Durch diese Leere fuhren sie nun schon seit drei Stunden.

»Sir Munro nimmt denselben Weg, um uns vom Fort Lamarie aus durch die grosse Salzwüste mit genügendem Wasservorrath zu begleiten?«

»Denselben Weg, ich folge seinen Spuren, welche hier deutlich zu erkennen sind.«

»Starke, ich muss Ihnen gestehen, dass mir Sir Munro mit einem vollen Wasserschlauche jetzt recht angenehm wäre. Unsere Flaschen sind schon seit heute Nacht leer; Sie Gourmand haben mit dem letzten Wasser leichtsinniger Weise noch Thee gemacht und mir klebt die Zunge am Gaumen.«

»Es ist auch sieben Minuten vor elf Uhr und als Ihr Führer bin ich verpflichtet, Ihnen also in sieben Minuten Wasser ...«

Plötzlich bremste Starke mit aller Gewalt und sprang ab, etwas am Boden schien seine Aufmerksamkeit gefesselt zu haben, er kniete sogar nieder. Endlich benahm er sich einmal wirklich wie ein Fährtensucher.

Ehe Ellen vom Rade herunter sein konnte, war sie schon einige Meter weitergefahren, sie kehrte zurück, Starke hatte sich wieder erhoben.

»Kein englisches Wort. Wir sprechen deutsch. Hier ist der Abdruck eines Fusses, ohne dass ein Reiter abgestiegen ist. Lassen Sie sich diese Erklärung genügen.« Und dann setzte er mit derselben lauten Stimme auf Englisch hinzu: »Ich habe mich doch geirrt, es ist keine fremde Fährte, sonst würde der Hund sich anders benehmen und er zeigt nichts an.«

Der Hund! Ellen wusste natürlich nicht, was sie von alledem denken sollte, aber das schoss ihr blitzartig durch den Kopf, dass diesmal Starke etwas eher erkannt hatte als Hassan; hinter ihrem Rücken musste noch etwas vor sich gegangen sein, Starke verstellte sich und forderte sie zur Verstellung auf und Hassan benahm sich so seltsam, er stand ganz theilnahmlos mit gesenktem Kopfe da, zitterte aber dabei leise an allen Gliedern.

Sonst konnte Ellen weder etwas von Menschen- noch Pferdespuren erkennen und sie wusste instinctiv, dass sie jetzt keine Erklärung fordern durfte, sie verstellte sich mit.

»Mein Gott, was haben Sie mir für einen Schreck eingejagt,« lachte sie, während sich ihr Herz dennoch in ängstlicher Beklemmung zusammenschnürte.

»Die ganz frische Fährte eines Indianers, wir könnten beobachtet werden,« flüsterte Starke, als er wieder sein Rad bestieg.

Die Fahrt wurde fortgesetzt, Hassan immer einige Schritte voraus, Ellen bemerkte an ihm immer noch das seltsame Zittern, so theilnahmlos er auch trabte, und, die Erregung unterdrückend, wurde auch sie davon befallen, glaubte sie doch überall feindliche Indianeraugen auf sich gerichtet, hinter jedem Felsblock eine Scalplocke auftauchen und wieder verschwinden zu sehen. Jetzt wurde die stille Todtenstadt noch unheimlicher.

Die sieben Minuten waren bald vergangen. Hier also wollte Starke Wasser verschaffen. Trotz ihrer Aufregung wurde Ellen's Blick von einer langgestreckten und sehr hohen Felsenmasse gefesselt, durch ihre vierkantigen Umrisse erst recht einem Hause gleichend, dazu einige grosse Thüren, freilich rund, sogar sehr viele Fenster.

»Ja ja,« seufzte da Starke, so dass ihn Ellen von allem Anfange an erstaunt ansah, seufzen hatte sie ihn noch nie hören, »ja ja, das ist die sogenannte Cisterne. Fahren Sie etwas langsamer, behalten Sie die Pedale in Ihrer Gewalt. Sehen Sie das zweite Thor, das kleinere zwischen den beiden grossen. Dort springen Sie schnell ab und ebenso schnell hinein mit dem Rade. Verstanden?«

Ellen's Erregung wuchs durch solch' dunkle Worte zur fieberhaften Spannung. Aber verstanden hatte sie, und sie befolgte die Weisung, that, als wollte sie an der bezeichneten Oeffnung vorbeifahren, sprang ab, hatte mit einem Schritte ihre Maschine in's Innere des Ganges gehoben, sofort war Starke ebenso neben ihr, sie nur noch etwas gegen die Wand drängend.

»Haben Sie keine Furcht, ich könnte mich auch sehr irren. Doch Vorsicht ist immer gut. Sie haben ja auch gar keine Furcht, sonst hätten Sie das jetzt nicht so gut gemacht. Was sagt Hassan? Alles ruhig, die Festung ist unbesetzt. Gehen Sie voran, halten Sie sich nur etwas an der Wand.«

Den Rath befolgend, passirte Ellen einige Seitenthüren und gelangte nach etwa dreissig Schritten an eine Treppe, welche, so ungleichmässig die Stufen auch waren, doch von Menschenhänden gemeisselt worden waren. So planmässig und plump zugleich arbeitet die Natur nicht.

Starke sprach zu Hassan, dieser blieb zurück, er übernahm die Führung. Die Treppe führte, nach Hausmaass gemessen, in mehreren Absätzen und Windungen mindestens drei Etagen hoch, bis auf eine kurze ganz dunkle Stelle, bei welcher Starke Ellen's Hand nahm, immer gut erleuchtet.

Dann sah sich Ellen in einem weiten, mit vielen Fenstern versehenen Saal, in der Mitte der Decke befand sich eine grosse Oeffnung, durch welche jetzt die Sonne hereinschien und gerade darunter im Boden des Saales gähnte ein finsteres Loch.

»Das ist die sogenannte Cisterne,« sagte Starke, schon die Lederflasche an das Lasso knüpfend, »überhaupt eine richtige Cisterne. Das Plateau dieses ausgehöhlten Felsens neigt sich überall nach der Mitte – wir werden dann hinaufsteigen – alles Regenwasser fliesst durch diese Oeffnung und strömt offen hier hinab, sammelt sich das ganze Jahr über, bleibt süss und ist vor jeder Verdunstung geschützt. Es fällt hier zwar nur ein halber Meter Regen im Jahre, aber die Fläche des Plateaus beträgt über 1000 Meter, das sind 500 Kubikmeter Wasser, und die könnten jahraus jahrein den Durst vieler grossen Karawanen löschen. Hier hat die Hand des Menschen offenbar nachgeholfen, aber wessen, das ist unbekannt. Trinken Sie, das Wasser ist gut.«

Er hatte erst etwas aus der Flasche in die hohle Hand gegossen und vorsichtig gekostet, ehe er ihr sie mit der letzten Aufforderung reichte.

Ellen leerte die grosse Flasche, nur mehrmals absetzen müssend, weil das Wasser äusserst kalt war.

»Dachten Sie vielleicht an Gift?« fragte sie erst nachträglich.

»Nur gewohnheitsmässig. Wenn man einen Prairieräuber Stronghand vor sich weiss, muss man auf der Hut sein. Doch war meine Vorsicht übertrieben. Die Cisterne ist voll und 500 Kubikmeter Wasser sind nicht so leicht zu vergiften, Blausäure und ähnliche energische Gifte sind hier auch ganz unbekannt, hier wird nur mit giftigen Pflanzen operirt.«

»Wenn aber nun das Wasser nicht verbraucht wird und der Regen fliesst immer nach, wo geht es dann hin?« war Ellen's nächste Frage.

»Hier erfolgt keine Ueberschwemmung, dann fliesst es durch einen Seitenschacht nach draussen ab.«

»Nun sagen Sie mir, Starke, was soll Ihr Verhalten bedeuten!«

»Ich bin nur vorsichtig gewesen, ohne selbst eine Gefahr erkannt zu haben. Ein Indianer hat die Spuren der uns drei Stunden voraus sein mögenden Reiter untersucht, das stimmt, und ich weiss nicht, was eine Rothhaut in diesem todten Thale zu thun hat. Wir aber müssen mit Mr. Jenkins und mit – offen herausgesagt: mit Lady Barrilon rechnen. Dieses Thal mit seinen zahllosen Verstecken ist zwar wie dazu geschaffen, Jemanden aus dem Hinterhalte niederzuknallen, aber gelingen würde das nicht, Hassan wittert jeden Menschen auf Büchsenschussweite, und das dürfte jenes Halbblut wissen. Wenn es jedoch zu einem Kampfe käme, müssten wir uns irgendwo verschanzen. Wo dies auch wäre, sobald es mehrere Gegner sind, würden sie uns regelrecht belagern; und nirgendswo ist Wasser, schon morgen müssten wir uns ergeben. Nur hier ist eine Cisterne, und zugleich ist dieser hohle Felsen eine uneinnehmbare Festung. Alle Gänge führen in einen einzigen; in diesem wacht Hassan, wollte man die Treppe stürmen, würden wir in aller Sicherheit mit jedem Schusse einen Mann wegschiessen, eben so sicher sind wir oben auf der Terrasse, einen höheren Felsen in der Nähe giebt es nicht, Kanonen zum Auffahren haben die Rothhäute noch nicht. Nichts könnte den Gegnern unliebsamer sein, als wenn wir uns gerade hier verschanzten, und gesetzt den Fall, wir werden wirklich bereits von Feinden beobachtet, und sie ahnten, dass wir schon etwas wüssten, so hätten sie uns sofort den Weg nach hier verlegt, und eben deswegen dürften wir sie nichts ahnen lassen.«

So complicirt diese Auseinandersetzung auch war, Ellen begriff sie. Sie trank noch einmal, auch Starke trank, dann erstiegen sie, Räder und die abgeschnallten Tornister zurücklassend, auf einer zweiten Treppe die Plattform des Felsens.

Sie war so beschaffen, wie Starke geschildert hatte, und ausserdem hatte die Natur noch eine Ballustrade darum gezogen, wenn auch in bizarrster Laune. Es war sehr wohl möglich, dass die unbekannten Ureinwohner diese natürliche Festung auch als solche benutzt hatten, innen hatten sie nachgeholfen, aber nicht aussen, um den Feind nicht auf das Fort aufmerksam zu machen.

Alles still, Alles todt. Aber gerade das wirkte so unheimlich, Ellen's Phantasie beschäftigte sich nun einmal mit einer drohenden Gefahr, überall glaubte sie ganz deutlich rothbemalte Gesichter auftauchen und blitzschnell wieder verschwinden zu sehen.

«Da – da – Starke – haben Sie ihn gesehen?« flüsterte sie. »Es war der Kopf eines Indianers.«

»Nein, sicher nicht, das spiegelt Ihnen jetzt nur Ihre Einbildung vor. Ich kenne das. Ein Indianer würde sich auch nicht solch' eine Blösse geben, dass Sie ihn sehen können. Ich glaube selbst nicht daran, dass ein directer Feind in der Nähe ist, möchte aber doch einmal recognosciren. Wollen Sie allein bleiben? In spätestens einer Viertelstunde bin ich zurück, Hassan hält Wache, schlägt er an, bin ich sofort zur Stelle, entfernen thue ich mich nicht, Sie haben nicht das Geringste zu fürchten.«

Mit mehr Courage, als ihr zu Muthe war, versicherte Ellen, dass sie sich auch nicht im geringsten fürchte, allein zu bleiben, und Starke ging, nachdem er ihr auch einige Instructionen gegeben hatte.

Mit klopfendem Herzen blickte Ellen um sich. Diese Todesstille wirkte erdrückend, und der weisse Stein reflectirte die Sonnenstrahlen mit furchtbarer Gluth. Sie brauchte nicht hier oben zu bleiben, konnte sich hinbegeben, wohin sie wollte, nur an Hassan möchte sie nicht vorbeigehen und dann doch lieber sich nicht zu nahe an der Balustrade aufhalten. So hatte Starke gesagt.

Ehe sie sich hinab in den grossen Saal begab, wo es kühler sein musste, that sie es doch, blickte einmal über die Balustrade, wohl vier Etagen tief, und in diesem Augenblick sah sie Starke, bei solch' einer Höhe natürlich sehr klein, wie eine gelbe Schlange auf dem Boden von Stein zu Stein kriechen und schliesslich hinter einem solchen verschwinden. Jetzt also zeigte er sich einmal als echter Lederstrumpf.

Aber sie sollte sich ja nicht an der Balustrade sehen lassen, so zog sie sich wieder zurück und ging die Treppe hinab. Hier war es kühl, doch Ruhe fand sie nicht, wenn sie auch unbeweglich in das schwarze Wasserloch starrte. Sie gewöhnte sich an die Dunkelheit und erkannte die Wasserfläche.

Die Cisterne war also noch durch einen anderen Schacht mit der Aussenwelt verbunden und wenn jetzt nun plötzlich aus dem Wasser ein Indianerkopf ...

Lange hielt sie es nicht aus, sie begab sich ganz hinab, wo Hassan unbeweglich am Fusse der Treppe lag und nach dem hellen Ausgange blickte. Als er ihr Kommen merkte, machte er mit dem Kopfe eine freudige Bewegung und wedelte mit dem Schweife, gab aber keinen Augenblick seine Aufmerksamkeit nach der Thür auf, auch nicht, als sie ihn streichelte.

Nein, sie brauchte nichts zu fürchten, solche Wächter liessen sich nicht täuschen, und der Mann, welcher sich jetzt vielleicht schleichend zwischen Feinden bewegte, war über jede Gefahr erhaben, denn sein Name war Curt Starke.

Beruhigt begab sie sich wieder in das Brunnenzimmer, ordnete den Proviant zum Mittagessen, die festen Schäfte der Gamaschen drückten sie; sie liess sich nieder, um die Lederriemen zu lockern.

Ein leichter Schritt kam, sie kannte ihn, blickte gar nicht auf.

»Leider hat sich meine Vermuthung handgreiflich bestätigt,« sagte Starke's tiefe, metallische Stimme, »man hat wenigstens einen Spion hier angestellt, der uns bei der Cisterne beobachten soll.«

»Handgreiflich? Wie meinen Sie das?« fragte Ellen, ganz mit ihren Schuhen beschäftigt.

»Nun, ich bekam ihn in die Hände. Der rothe Jüngling lag hinter einem Stein und wartete, bis wir wieder herauskämen; vielleicht hätte er seine Beobachtungen auch schon eher in das Hauptquartier des Feindes getragen.«

»Sie hatten ihn sogar in den Händen?« staunte Ellen, jetzt den Kopf zur Seite drehend.

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Mit einem Schreckensschrei sprang sie empor. Das kam gar zu unerwartet. Fast dicht neben ihr lag ein Indianer, ein junger Krieger, in der Scalplocke die Kriegsfeder, im Gürtel noch Messer und Tomahawk, aber an Händen und Füssen mit Lederriemen gebunden und im Munde ein roth und weiss geblümtes Taschentuch.

»Starke – Starke! – um Gottes Willen, was ist denn das?!«

»Ein Indianer. Was für eine Sorte? Er gehört zum Stamm der Schwarzfüsse; stehen in sehr schlechtem Ruf.«

Er bückte sich, zog dem wie ein Todter mit geschlossenen Augen Daliegenden das Taschentuch aus dem Munde, liess es zwischen den Händen knallen, betrachtete es von beiden Seiten ernsthaft, putzte sich, da er eben dazu das Bedürfniss haben mochte, darin die Nase und steckte es in die Hosentasche.

Ellen empfand nicht die unbeabsichtigte Komik dieser Handlungsweise, sie war noch zu sehr starr vor Schreck und Staunen.

»Ja, wie kommt denn der plötzlich hierher?!«

»Wie gesagt, er lag hinter einem Steine, als ich über ihn kam. Ich glaube nicht, dass er noch Gefährten in nächster Nähe hat. Ihn zu fragen hat keinen Zweck, er würde nicht sprechen, und wenn wir ihm die Glieder einzeln abschnitten, zumal da er sich etwas schämen wird, sich auf dem Kriegspfade so übertölpeln lassen zu haben. Freilich ist es fast noch ein Knabe, aber desto lieber würde er jetzt den Martertod erleiden. Natürlich brachte ich ihn mit, vielleicht können wir ihn noch als Geisel ...«

»Das sind Schüsse!!« schrie Ellen und sprang Starke nach, welcher schon die nach der Plattform führende Treppe halb hinauf war.

In weiter Ferne knatterte es wie schwaches Peitschenknallen, gleich darauf aber setzte auch ein durchdringendes Geheul ein.

»Der Kriegsschrei der Schwarzfüsse,« erklärte Starke im pedantischen Lehrmeistertone, während Ellen vor Erregung zitterte, »ich calculire, sie sind mit unseren Reitern zusammengestossen. Gehen Sie nicht so nahe an die Umfassung, besser ist besser. Somaja ist ein tüchtiger Bursche, kann etwas, er wird Spuren von Indianern gesehen und aus anderen Anzeichen errathen haben, dass diese es auf uns abgesehen haben; er ist schnell umgekehrt, um sich mit uns zu vereinigen, das kann den Indianern nicht passen, nun ...,« plötzlich hatte Starke den Kolben des zu einem Gewehr verlängerten Revolvers mit einer blitzschnellen Bewegung an seiner Wange, ein Blitz, ein Knall, »... verlegen sie ihm den Rückweg.«

»Wonach haben Sie geschossen?« flüsterte die erschrockene Ellen.

»Nach einer Scalplocke, welche diesmal wirklich dort hinter jenem runden Felsstück auftauchte nicht nur danach geschossen habe ich, sondern sie vom Kopfe getrennt, um eine kleine Warnung zu geben, was von uns zu erwarten ist. Machen Sie Ihren Revolver bereit. Haben Sie schon einmal auf einen Menschen geschossen? Ohne Gewissensbisse, es sind Feinde, welche auch unser Leben wollen!«

Noch einmal kam es dem Mädchen zum Bewusstsein, was für ein seltsamer, eherner Charakter dieser Mann war, wie er den gefangenen Indianer gebracht hatte, so, wie ein Anderer eine Fliege fängt und sie zerdrückt fortwirft, nicht werth, davon zu sprechen, wie er mitten im trockenen Erzählen die Waffe gebraucht hatte, ohne sich dadurch unterbrechen zu lassen, und plötzlich überkam sie eine wilde Kampfesfreudigkeit, während sie sich doch vornahm, solch eine unerschütterliche Ruhe zu zeigen wie dieser Mann, ihres Freundes würdig.

Neues Gewehr- und Revolvergeknatter, neues Geheul, schon bedeutend näher.

Unten schlug Hassan grimmig an.

»Da kommen sie,« rief Starke schon auf der Treppe, »Sie bleiben, behalten Sie die Treppe im Auge, schiessen Sie auf Jeden, nur auf mich nicht, wenn ich wiederkomme!«

Er war verschwunden. Es herrschte wieder Stille. Dann krachten unten zwei Schüsse aus Starke's Revolver, nur ein schwacher Schrei folgte, in einigen Minuten war er wieder oben, als wäre nichts geschehen.

»Zwei waren es, welche sich einzuschleichen versuchten, ich konnte sie nicht schonen, sie hoben die Waffen, ich kam ihnen zuvor. – Da kommen sie, eins – zwei – drei – nur fünf sind es, alle Gepäckpferde weg – oh weh, auch Sir Munro und sein Diener fehlen!«

Auch Ellen sah in weiter Entfernung die Reiter in voller Carriere zwischen Felsen abwechselnd auftauchen und wieder verschwinden, doch zählen konnte sie sie nicht, noch weniger eine Person unterscheiden, und Ellen hatte keine Zeit zum Grübeln oder Fragen, was aus den Fehlenden, aus Sir Munro geworden sein möge.

Wieder schlug Hassan an, diesmal in ganz anderer Weise, sein Bellen vermischte sich mit dem Kriegsgeheul von Indianern, es wären solche demnach in dichtester Nähe gewesen, jetzt wollten sie die Cisterne mit Gewalt stürmen, ehe diese den sich zurückziehenden Cowboys eine sichere Festung bot, sie wussten, dass sie jetzt nur von einem einzigen Manne vertheidigt wurde.

»Decken Sie die Reiter!« schrie Starke. Er hatte ihr mit einem Griff ihren Revolver aus dem Gürtel gerissen und ihr dafür sein eigenes Gewehr in die Hand gedrückt; dann stürmte er hinab.

Ellen hatte verstanden, was von ihr verlangt wurde: auf etwaige unten im Hinterhalte liegende Indianer schiessen, welche das Gewehr auf die heransprengenden Reiter angeschlagen hatten.

Der hohle Felsen hallte wider von jubelndem Kriegsgebrüll und schmerzlichem Todesschrei, erzeugt von Starke's krachendem Revolver; er hatte die leichtere Arbeit, er schoss die hinter einem scharfen Winkel hervorspringenden Feinde wie Wild weg, ohne sich eine Blösse geben zu brauchen, neben ihm lag Hassan zum Sprunge bereit, während sich Ellen, mit angeschlagenem Gewehr an der Balustrade stehend, feindlichen Kugeln aussetzte, um die Fliehenden zu schützen.

Sie kamen in voller Carriere angejagt. Ja, Sir Munro war nicht unter ihnen. Ellen war plötzlich kalt wie Eis geworden. Eine Kugel pfiff dicht an ihrem Kopfe vorbei, sie hatte es nicht einmal gemerkt. Da richtete sich hinter einem Felsblock ein Indianer auf, das Gewehr an der Backe, auf den Ersten, auf Somaja angeschlagen – Ellen's Revolverbüchse krachte, der Indianer liess das Gewehr fallen, warf beide Arme hoch und schlug rückwärts zu Boden.

Mehr sah Ellen nicht, den Eingang konnte sie von hier aus nicht erblicken und die Reiter müssten ihn erreicht haben, nachdem Starke ihn wieder von Indianern gesäubert hatte. Hufschläge dröhnten, die Cowboys leiteten die Pferde die Treppe herauf. Es wurde noch geschossen, Indianer flohen und verschwanden in den unzähligen Verstecken, ein Cowboy sprang vor, bemächtigte sich des Gewehrs des Indianers, welchen Ellen's Kugel erreicht hatte, sprang wieder zurück – Ellen hatte es kaum beobachtet, ihre starren Augen sahen nur dort unten ihr Opfer liegen – todt – sie hatte einen Menschen getödtet.

»Zurück von der Balustrade, jetzt sind sofort einige Dutzend Gewehre auf alles Lebendige gerichtet, was sich eine Blösse giebt,« sagte Starke's Stimme und sie wurde am Gürtel zurückgezogen.

Er hatte ihr Gewand blutig gemacht, wischte die blutigen Hände an der ledernen Hose ab; er hatte auch mit dem Messer gearbeitet.

»Ich habe ihn erschossen,« flüsterte Ellen mit weissen Lippen.

»Die im Hinterhalte lauernde Rothhaut – ich weiss es, und das war ein grosses Glück, dass Sie ihn so todtsicher trafen, Sie haben dadurch fünf Menschenleben gerettet. Der Bursche besitzt das modernste Repetirgewehr, im Magazin vierzehn Patronen, er hätte in fünf Secunden alle unsere Leute weggeknallt, und dann wäre es auch uns schlimm gegangen.«

Das waren tröstende Worte gewesen, Ellen schüttelte ihr Grauen ab.

»Wir hätten uns mit unserem bischen Proviant doch nur drei Tage halten können,« fuhr Starke fort, »jetzt versorgen uns die fünf Pferde für lange Zeit mit Fleisch, und ich brauche nur acht Tage, um von Fort Lamarie militärische Hülfe herbeizuholen. Es ist Alles genau so gewesen, wie ich gesagt habe, auch Stronghand ist gesehen worden, er hat die Schwarzfüsse gegen uns aufgehetzt, jedenfalls aber erst im Auftrage eines Anderen. Drei Stundenritte von hier gewahrte Somaja verdächtige Spuren von Schwarzfussindianern, und als er auch ein Zeichen von Stronghand's Gegenwart fand, drehte er sofort um. Ich hatte ihm auch entsprechende Instructionen gegeben. Die Rothhäute merkten es sofort, suchten ihnen den Rückweg abzuschneiden, eine Stunde von hier kam es zum Zusammenstoss. Doch der Rückzug gelang. Vier Mann hat er gekostet, alles Gepäck, Somaja hat nur noch ein Ohr und einen bösen Schuss durch den linken Unterarm; Mr. Schade ist der einzige, welcher ohne jede Verletzung davongekommen ist.«

»Und Robin?« hauchte Ellen.

Starke hob leicht die Schultern.

»Sir Munro und sein Diener zählen mit zu den Vermissten. Schicksal unbekannt. Das ist der Krieg. Ein Cowboy behauptet, er habe sich, im Sattel gerade zum Schiessen umwendend, Sir Munro's Pferd zusammenbrechen sehen, der Reiter sei in grossem Bogen abgeschleudert worden. Weiter ist nichts bekannt.«

Ellen, aschgrau geworden, presste stöhnend die Hände gegen die Schläfen.

»Sie wollen militärische Hülfe herbeiholen?« fragte sie dann.

»Ein Ausfall und Durchkommen ist unmöglich, dann sind die Belagerer in demselben Vortheil wie jetzt wir. Ich allein aber kann mich durchschleichen. Lamarie ist das nächste Fort in dieser Einsamkeit, 150 Meilen von hier entfernt, ich mache sie per Dauerlauf in höchstens vier Tagen.«

»Oh Gott! Und Robin?« wiederholte Ellen. »Starke,« fuhr sie hastig und flehend fort, »vielleicht ist er nicht todt – nein, er ist nicht todt! – Versuchen Sie ihn zu retten, ehe Sie an mich denken!«

Prüfend blickte Starke sie an.

»Gewiss, ich werde mich während, meines Marsches über sein Schicksal und das der Anderen vergewissern, und wer noch am Leben ist, den werde ich aus den Händen der Indianer zu befreien suchen. Bitte, helfen Sie mir jetzt die Verwundeten verbinden; es muss Charpie gezupft werden.«

Der grosse Saal hatte sich in einen Pferdestall und Lazareth verwandelt. Doch nur einer der Cowboys lag auf Decken gebettet, er hatte eine Fusswunde, die Anderen standen an den Wandlöchern und beobachteten die Umgegend, selbst Somaja, obgleich der Knochen des linken Unterarms zerschmettert war. Starke hob die Vertheidigungsposition auf; sie war nicht nöthig, und als Wächter genügte Hassan. Mr. Schade, welcher das meiste Glück gehabt hatte, zupfte schon aus seinem Leinenhemd Charpie, Ellen suchte ihre Wäsche hervor und half ihm, Starke schnitt mit seinem Nickfänger und wusch und verband Einen nach dem Anderen mit einer Geschicklicbkeit, als hätte er in seinem Leben nichts weiter gemacht.

Die gedrückte Stimmung, welche unter den sieben Menschen herrschte, war begreiflich. Nur flüsternd wurden Meinungen ausgetauscht. Als dann Mr. Schade nichts mehr zu thun hatte, wickelte sich zwar eine heitere Scene ab, deren Humoristik jetzt aber nicht zur Geltung gelangte.

Auch der gefangene Indianer war hier hereingetragen worden. Starke kam noch gerade zur rechten Zeit, um den Revolver eines Cowboys niederzuschlagen, welcher der verhassten Rothhaut den Garaus machen, ihr vielleicht auch den Scalp nehmen wollte, und in Mr. Schade erwachte der Reporter.

Den Photographenapparat hatte er noch umgehängt, er zog Notizbuch und Bleistift und trat auf den Gefesselten zu.

»Wie heissen Sie? Wann sind Sie geboren?«

Der junge Krieger öffnete nicht einmal die Augen.

»Na, wie Sie heissen!« schrie Mr. Schade erbost, und als Yankee eine Rothhaut wenig hochachtend, gab er dem Daliegenden einen Fusstritt.

Vergebens, der Indianer lag da wie ein Todter.

»Sie wollen nicht? Schade. Dann gestatten Sie, dass ich Sie photographire.«

Er richtete den Gebundenen etwas auf, lehnte ihn mit dem Rücken gegen die Wand und machte seinen Apparat fertig.

»Bitte, ein recht freundliches Gesicht, lächeln Sie etwas. Danke. Never mind. – Nun, Miss Howard, gestatten Sie, dass ich Sie interviewe.«

Aber Ellen hatte noch weniger Lust, von ihren Abenteuern zu erzählen.

»Wann werden Sie uns verlassen?« wandte sie sich an Starke, als dieser mit dem Verbinden fertig war.

»Das Durchschleichen ist natürlich erst in der Nacht möglich; glücklicher Weise haben wir gerade Neumond, sonst müsste ich auch noch eine besonders finstere Nacht abwarten. – Aber, Miss Howard, wenn sich uns solche Hindernisse noch häufig entgegenstellen, dann verlieren Sie Ihre Wette.«

»Sie ist ja bereits verloren, indem ich mich mit Ihrer Begleitung einverstanden erklärte, Sie sogar darum bat. Doch meine Reise um die Erde setze ich fort.«

»So etwas, dass Indianer direct auf uns gehetzt werden, konnte ich nicht voraussehen, sonst hätte ich Sie ohne Aufenthalt sogar durch das Gebiet von sich gegenseitig bekämpfenden Indianern gebracht. Wer ist denn diese Lady Barrilon?«

»Meine gute Freundin, der Alles zuzutrauen ist, wenn sie mich nur vernichten kann. Wir werden uns wiedersehen.«

Ein Cowboy rief, ein rother Parlamentär nahte, statt des grünen Zweiges, seltsamer Weise das Friedenszeichen in der ganzen Welt, nur die Hand auf das Herz legend. Furchtlos näherte er sich dem Eingange, brauchte er doch nicht anerkannt zu werden, blieb noch zehn Meter davon entfernt stehen und blickte hinauf nach den Oeffnungen. Starke trat an eine solche, hinter ihm standen verborgen die sich im besseren Zustande befindlichen Cowboys, die Gegend vor ihnen beobachtend, die den unten getödteten Indianern abgenommenen Gewehre im Anschlage, so auch Ellen.

Was verhandelt wurde, konnte Ellen nicht verstehen. Zu einem günstigen Friedensschlusse kam es jedenfalls nicht, der Indianer ging wieder.

»Freier Abzug,« erklärte ihr dann Starke, »wenn die Gowboys Sie und mich ausliefern. Dies der kurze Inhalt einer blüthenreichen Rede.«

»Auch Sie?«

»Und ob! Obgleich der rothe Parlamentär nichts von einem carrirten Bleichgesicht wissen will, steckt doch ganz sicher der Verfasser von » happy England« dahinter; der Indianer wird es schon wissen, aber die Schwarzfüsse lügen alle wunderbar, ich glaube sogar, daher stammt ihr Name, und wie gern mich Jenkins am Marterpfahle sehen möchte, können Sie sich wohl denken, und nicht minder Stronghand. Den habe ich nämlich einmal bei Gelegenheit ausgepeitscht, oben in Dacotah war es; ich kam dazu, wie er sich an den Marterqualen eines alten Pferdes ergötzte. Er hat die Zeichen meiner Hetzpeitsche noch auf seinem Rücken.«

»Und was antworteten Sie?«

»Was ich antwortete? Die Schwarzfüsse sollten nicht solch possirliche Witze reissen. Nur etwas poetischer in der blumenreichen Siouxsprache ausgedrückt.«

»Und was sagte der Parlamentär zuletzt in so pathetischem Tone?«

»Er sagte, in drei Tagen würden fünf Scalpe an ihren Gürteln hängen; mich will man abhäuten, damit Stronghand eine Decke hat, und die Squaw mit dem goldschimmernden Haar würde dem schluckenden Geier, dem grossen Häuptling der Schwarzfüsse, in seinem Wigwam das Wildpret rösten und ihm das Lager bereiten. – Nein, ich glaube nicht an Prophezeiungen, so lange sie nicht eingetroffen sind, und wenn sie auch noch so feierlich ausgesprochen worden.«

Die Nacht war angebrochen, ohne dass ein Zwischenfall passirt war, ohne dass nur ein Indianer bemerkt worden. Dass aber solche in der Nähe lagen, erzählte auf Befragen Hassan el Saba seinem Herrn.

Draussen verbreiteten die Sterne am klaren Himmel einiges Licht, hier drinnen herrschte die schwärzeste Finsterniss. Dem heissen Octobertage war eine bitterkalte Nacht gefolgt. Die erschöpften Pferde schliefen. Nur ein Mensch schwatzte. Bei Somaja hatte sich schon heftiges Wundfieber eingestellt.

Starke schnallte den Gürtel enger und steckte den für ein Taschenmesser mächtigen Nickfänger aufgeklappt hinein. Der weisse Jäger in den Vereinigten Staaten und Canada kennt das Jagdmesser in Scheide gar nicht mehr, Alles hat den Nickfänger in der Tasche. Es muss wohl praktischer sein.

»Ich gehe,« flüsterte er, und Ellen erhob sich von Somaja's Lager, fand den Sprecher und tastete nach seiner Hand.

»Robin – Sir Munro ...«

»Ich thue, was ich kann. Hoffen Sie, mehr kann ich nicht sagen. Ich bin ein Mensch. Sonst wissen Sie Alles, wie Sie sich während meiner Abwesenheit zu verhalten haben. Die braunen Burschen sind gut und treu, ich habe sie ausgesucht, lassen Sie sich von ihnen berathen, doch Sie behalten das Obercommando. Leben Sie wohl, Miss Howard.«

»Gehen Sie mit Gott,« schluchzte sie leise.

Die Hand wurde ihr entzogen, sie hörte nichts mehr von ihm.

Seltsam, diesen Mann liebte sie, doch um ihn weinte sie nicht, bangte sie nicht. Was sollte denn ihm für eine Gefahr drohen? Den Kugeln, die ihn hätten treffen müssen, wich er aus, seine Waffen waren die schnellsten; wie ein Blitzstrahl brach er durch die Reihen der Feinde, und wer will den Blitz aufhalten?

Aber Sir Munro! Sie sah ihn schon am Marterpfahle stehen, nicht mit schmerzverzerrten, sondern mit todestraurigen Zügen. Und alles das nur ihretwegen! Ja, nur sie allein war Schuld an diesem seinem entsetzlichen Schicksal. Deshalb weinte sie verzweifelt und quälte sich mit Selbstvorwürfen.

So suchte sich Ellen wenigstens einzureden.


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