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23. Capitel.
Ohne Wasser.

Ermüdet war Ellen neben dem Lager des fiebernden Somaja eingeschlafen. Als sie erwachte, schien die Sonne schon schräg durch die Wandöffnungen. Sie hatte einmal durchgeschlafen, ohne von dem Stundenplane im Traume gestört zu werden. Somaja ass, Ellen erkannte ihren eigenen Proviant, der sechste und letzte Theil desselben war für sie reservirt worden. Zwei Cowboys hingen den Pferden die Hafersäcke vor, aber nicht lange, bald nahmen sie sie wieder ab; der dritte und der Reporter befanden sich nicht in diesem Raume.

»Deadly Dash ist gegangen,« sagte Somaja.

»Deadly Dash? Wer ist das?« fragte Ellen erstaunt.

»Mr. Starke.«

Während sie am Dacotah krank gelegen, war sie kaum mit den Cowboys zusammengekommen, deshalb hatte sie noch nie diesen Namen gehört.

»Ich weiss es, ich war noch wach, als er ging.«

»Wir könnten es vier Wochen lang hier aushalten. Aber in spätestens acht Tagen schon wird Deadly Dash wieder hier sein und keine Rothhaut wird ihm entkommen.«

Entsetzt sprang Ellen auf. Ganz zufällig hatte sie beobachtet, wie nur vier Pferde den Futtersack erhielten, das eine nicht; mit diesem machten sich die beiden Cowboys zu schaffen; plötzlich stürzte es nieder, furchtbar um sich schlagend, ein Blutstrahl schoss durch den ganzen Raum.

»Es wird geschlachtet,« erklärte Somaja, »Es weht ein starker sehr trockener Wind, das muss benutzt werden, um Fleisch zu trocknen. Da haben wir gleich Proviant für die acht Tage.«

Ellen ging hinauf, um der Schlächterei nicht beizuwohnen. Die Sicherheit, mit welcher der Prairiejäger auf Starke baute, hatte sie äusserst beruhigt. Deadly Dash! Und Deadly Dash würde auch Sir Munro befreien, vielleicht auch die anderen Beiden, denn er hatte ihr versprochen, sein Möglichstes zu thun, wenn sie noch lebten, und Sir Munro lebte noch, sie wusste es, fühlte es.

Wasser und Proviant war vorhanden. Was hatten da die acht Tage Belagerungszustand zu bedeuten? Eine angenehme Ruhepause, ein interessantes Abenteuer mit hübscher Erinnerung. Sie lachte. Jetzt würde es also Pferdefleisch geben, wahrscheinlich roh oder nur mürbe geklopft, denn wo soll man es hier braten. Die Ursache der Reise, die Wette, hatte sie schon fast vergessen. Aber die Lady Barrillon wollte sie doch noch sprechen ...

In der Mitte der Plattform stand Mr. Schade, den Photographenapparat zum Abknipsen bereit; an der Balustrade kroch gebückt der wachehabende Cowboy entlang, das erbeutete Gewehr im Anschlag.

Der Reporter steckte den Apparat in den Kasten und begrüsste Ellen.

»Ich lauere hier nun schon drei Stunden, um eine auf dem Kriegspfad schleichende Rothhaut zu photographiren. Ist absolut nichts zu sehen. Ich glaube überhaupt, es ist gar Niemand mehr da.«

Ellen mochte es auch fast annehmen. Nichts Lebendes zu sehen, kein Laut, kein Stampfen eines Pferdehufes zu hören.

Wo sollten die Belagerer denn Wasser und Proviant herbekommen?

»Daran dachte ich auch. Der Cowboy meint, das wüssten die Indianer schon zu finden, und wenn's auch nur eine Pfütze wäre; das genügte ihnen und hungern könnten die. Die wichen nicht von hier, als bis sie uns lebendig hätten – oder bis wir durch sind. Aber gehen Sie lieber nicht so nahe an den Rand, der Cowboy warnt immer.«

Pfuff! Der Cowboy hatte geschossen, wonach, sagte er nicht, er knurrte verdriesslich und zu sehen war nichts.

Eine Stunde verging, während welcher Ellen die anderen Kammern des hohlen Felsens durchstrich, ohne einen Ausgang zu finden; sie versuchte mit dem gefangenen Indianer anzuknüpfen, dessen Bande gelockert worden waren, der sich aber beharrlich schlafend stellte, Speise und Trank verschmähte; jetzt konnte sie auch zusehen, wie ein Cowboy dem bereits abgehäuteten und zerlegten Pferd lange Fleischstreifen abschnitt. Das Wasser lief ihr dabei freilich nicht gerade im Munde zusammen.

Der andere Cowboy kam die Treppe herauf.

»Der Hund will nicht fressen und nicht saufen, erst knurrte er mich an, dann winselte er. Ich hab's ihm hingelegt, aber er rührt nichts an, ich habe ihn heimlich beobachtet. Als Deadly Dash am Dacotah fort war, hat der Hund sich doch von uns füttern lassen? Ich glaube, der will verhungern.« Ellen erschrak ob ihrer Vergesslichkeit. Hassan war ja der treueste Wächter, und der lag jetzt einsam unten an der Treppe.

Sie eilte hinab und wurde von Hassan mit stürmischem Schwanzwedeln begrüsst. Neben ihm lag rohes Fleisch und stand Starke's ziemlich grosser Theetopf mit Wasser gefüllt, aber der Hund hatte nichts angerührt. Verschmähte er Pferdefleisch?

»Trink und iss doch, Hassan,« sagte sie unter Liebkosungen – und sofort soff und frass der Hund mit ungewöhnlicher Gier.

Ellen konnte nur staunen. Starke hatte ihr kein Wort davon gesagt, wie sie den Hund behandeln solle. Vielleicht, dass er es für selbstverständlich hielt. Wollte Hassan die Nahrung nur aus ihrer Hand nehmen oder doch von ihr, der Stellvertreterin seines Herrn, dazu aufgefordert sein? Warum aber hatte er denn am Dacotahstrome willig von den Cowboys das Futter angenommen? Vielleicht, weil sie selbst damals durch Krankheit unfähig war, ihm dasselbe zu reichen?

Dieser Beduinenhund war und blieb ihr ein Räthsel, gerade so wie sein Herr.

»Sind draussen noch Indianer?« fragte Ellen.

Hassan liess das Stück Fleisch aus dem Munde fallen, sein Auge nahm einen starren Ausdruck an, wie er nach dem Ausgange blickte, und knurrte leise.

»Wird Dein Herr zurückkommen?«

Sofort wechselte der Ausdruck des Auges, Hassan wedelte freudig mit dem Schweif.

Konnte sich denn ein Thier deutlicher ausdrücken? Er musste den Inhalt der Frage unbedingt aus dem Tonfall heraushören. Ellen wollte ihm eine Falle stellen, um sich diesen Beweis zu verschaffen.

»Nicht wahr, ich könnte ganz ruhig hinausgehen,« sagte sie im heitersten Tone.

Vergebens. Hassan blickte sie aufmerksam an, dann knurrte er grimmiger als zuvor, fuhr mit dem Kopfe schnappend nach der Richtung des Ausganges, und Ellen wusste nicht mehr, was sie sagen sollte.

Etwas Anderes fiel ihr ein. Starke hatte doch gesagt, Hassan nähme kein Wässer, in welches irgend ein Mensch absichtlich seine Hand getaucht habe, während es ihn nicht genire, wenn aus Versehen das Wasser mit der Hand in Berührung gekommen sei – ein Räthsel, welches sich auch Starke nicht erklären könne, besonders das nicht, wodurch denn der Hund diesen Unterschied sofort herausfinde, ohne es gesehen zu haben.

Hassan hatte das Gefäss schnell mit einigen Zungenschlägen geleert und schien noch Durst zu haben; bei den Pausen im Fressen leckte er noch mehrmals auf dem Grunde des Topfes. Dieser war sehr voll gewesen, der Cowboy würde ihn wohl schwerlich, wie ein gelernter Kellner, getragen haben, er hatte doch jedenfalls mit den Fingern über den Rand in's Wasser gegriffen. Das hätte also für den stolzen, aber sonst nicht verwöhnten Hund nichts zu sagen gehabt.

Ellen mochte es nicht glauben, dass der Hund solch einen Unterschied, eigentlich doch nur einen psychologischen, instinctiv erkenne.

»Willst Du noch Wasser haben?« fragte sie, und Hassan freute sich jetzt schon.

Sie ging also in die Brunnenstube, den Kessel mitnehmend, füllte ihn am Lasso mit Wasser und tauchte in dieses ihre ganze Hand.

»Er wird es nicht merken, es ist nicht möglich,« sagte sie sich dabei.

Nachdem sie die Hand sorgfältig wieder getrocknet hatte, trug sie den Napf hinab, freudig von Hassan wieder begrüsst.

Der Hund hatte Durst, er wollte sich sofort über das Wasser machen – da, er stutzte, er wich zurück, warf Ellen einen Blick zu und brach in das jämmerlichste Heulen aus, das Ellen je von einem Hunde gehört hatte.

Sie war mehr erschrocken als erstaunt, besonders über diesen Blick des Hundes. Das war kein thierischer gewesen. Ja, sie hatte das Auge eines Mensehen gesehen! Und dieser Hund heulte nicht, er klagte; er weinte schmerzlich. Ellen meinte herausgefunden zu haben, dass Starke an Seelenwanderung glaube. Er hatte Andeutungen gemacht. Aber deswegen gefragt, hatte er sehr kurz erklärt, dass er nicht über Religion spreche, weil er sich nicht zum Apostel berufen fühle. Diese Lehre von der Seelenwanderung – freilich nicht die nach unten, sondern die nach oben, nach der Vollkommenheit – besonders von den sogenannten Theosophen gepflegt, ist viel verbreiteter als die, welche sich nicht darum kümmern, vielleicht annehmen. »Vielleicht hat die Orthodoxie bald mit dieser Secte als mit einer gefährlichen Macht zu rechnen. In Nordamerika bekennen sich schon Hunderttausende zu dieser neuen und doch uralten Lehre von der individuellen Wiedergeburt mit Weiterentwickelung, von der Pflanze zum Thiere, vom Thiere zum Menschen – vom Chaos der Materie bis nach Nirvana. In London haben die Theosophen einen Club, dem die bedeutendsten Männer angehören; dort findet man wahre Nächstenliebe, freilich ohne jede Gefühlsduselei und da fast alle grossen Geister diesem Glauben mehr oder weniger gehuldigt haben – ein Kant, ein Schopenhauer – so werden die kleineren Geister mit allem Geschrei und Hohngelächter diese Entwickelung nicht hemmen.«

Nur so hatte Starke einmal gesprochen, ohne sich selbst als Anhänger dieser Lehre zu bekennen.

Wenn nun etwas Wahres daran war oder wenn hier eine Wahrheit geahnt wurde, so hatte Ellen vielleicht einen »Ueberhund« vor sich, dessen Seele sich bei ihrer nächsten Incarnation nach langem Todesschlafe mit einem menschlichen Körper umhüllte.

Wie der geliebten Person, der man mit einem Scherze wehe gethan hat, bat sie dem Hunde ihr Vergehen ab und Hassan verzieh ihr schnell, leckte ihre Hand und soff das Wasser.

Nachdem sie sich noch einige Zeit mit ihm unterhalten hatte, begab sie sich wieder eben auf den Felsen und schaute zu, wie die Cowboys an einem ausgespannten Lasso die Fleischstreifen zum Trocknen aufhingen. Solches Hin- und Herwandern würde wohl die ganzen acht Tage ausfüllen. Dann konnte sie auch ihr Tagebuch ausführlicher bearbeiten.

Ein Cowboy stiess einen Ruf aus und deutete mit der Hand, Ellen folgte der Richtung, sie glaubte nicht richtig zu sehen, sie beschattete die Augen, aber das Phantom blieb – dort zwischen den Felsen rannte Dick und vor ihm fuhr – es war und blieb Thatsache, fuhr Sir Munro – auf einem Zweirad!

»Es – ist – nicht – möglich!« rief Ellen.

Mit sechs Knoten Fahrt kam er, von dem Winde getrieben, heran.

»Hütet Euch!« schrien die Cowboys, an die Balustrade springend. Die Beiden dort unten waren, wenn es die Indianer auf sie abgesehen hatten, so wie so verloren, sie konnten jene nicht decken, hofften nur einen guten Schuss anzubringen.

Aber Munro sah keine Gefahr, er sah nur die Menschen dort oben auf dem Felsen, deren Stimmen er gehört hatte, darunter auch Ellen.

»Ellen, ich kann's schon ganz – – – – – famos!« jubelte er, war aber auf solches »In-die-Höhe-blicken« noch nicht eingeübt, das etwas wankende Rad verlor vollends die Balance, bei dem »famos« lag Sir Munro bereits neben der Maschine.

»Schnell, hier herein, in die vierte Oeffnung!« schrie Somaja, welcher auf die Plattform, geeilt war.

»Ja ja, ich komme schon – ich kann's aber schon ganz gut.«

Dann waren die Beiden nicht mehr zu sehen, man hätte sich dann über den Rand hinausbiegen müssen, und Ellen wurde daran von Somaja's gesundem Arme gehindert. Hassan schlug freudig an, sein Bellen leitete die Ankömmlinge, Munro schob schon sein Rad durch die Passage, als ihm Ellen entgegen eilte.

»Robin – schnell hierher, hier sind Sie keinen Kugeln mehr ausgesetzt – Robin, ist es möglich?!«

Munro staunte, wo denn eigentlich die Gefahr stecke, welchen Kugeln er ausgesetzt sei – Ellen staunte, alle Anderen staunten. Es gab keine andere Erklärung, als dass die unsichtbaren Feinde die Ankömmlinge eben als unschädlich in die belagerte Festung gelassen hatten, jedenfalls aber nicht wieder hinausliessen. Ganz räthselhaft wurde es jedoch, als dann später Munro seine Begegnung mit Starke erzählte. Dieser musste doch offenbar schon bestimmt gewusst haben, dass die Beiden die Reihen der Indianer ungehindert passiren konnten. Aber woher das Starke wusste, das konnte man später nur von ihm selbst erfahren. Hatte er doch auch kein Wort darüber verloren, dass er etwa auf der Spur der Vermissten gewesen sei.

Jedenfalls waren die Beiden jetzt drin in Sicherheit, und Ellen war glücklich, Munro gesund wiederzusehen, sie that sich keinen Zwang mit Verstellung an. Munro hatte gar viel zu erzählen, nicht minder Ellen, sie brauchten viele Stunden dazu. Nur von dem Spucken des Häuptlings erwähnte Munro nichts, und Dick hatte seine Verschwiegenheit beschworen.

»Und Sie haben jetzt also Ihre Ansicht über das Radfahren geändert,« kam Ellen endlich auch auf dieses Thema, »Sie haben es während Ihrer Flucht schon recht hübsch gelernt.«

»Irren ist menschlich,« begann Munro eine langathmige Erklärung, in der er bewies, dass sich des Menschen Anschauungen immer erweitern und daher ändern; aus dem Wüstling kann ein frommer Asket werden, aus dem Verschwender ein Geizhals, aus dem Spitzbuben ein Tugendbold, aus dem Antiradler ein Radlerfreund, es muss nur der Anstoss dazu kommen, und wenn sogar der Teufel, der doch über alle Schätze der Erde gebietet, manchmal so in Noth kommen kann, dass er Fliegen frisst, dann sei es dem Baronet doch nicht zu verdenken gewesen, wenn er hinten auf solch eine Höllenmaschine geklettert wäre, ehe er sich lebendig schinden liess.

»O ja, das Rad ist unbedingt eine schöne Erfindung, man muss die Geschichte nur einmal probiren, es hebt das Körpergewicht auf, der Mensch wird zum leichtbeschwingten Vogel ...«

»Besonders wenn der Mensch herunterfällt,« spottete Ellen.

»... und eins will ich Ihnen sagen,« fuhr der begeisterte Munro unbeirrt fort, »erinnern Sie sich meiner Worte: Das Rad hat noch eine grosse Zukunft.«

»Was Sie nicht sagen! Sie kommen aber etwas spät mit Ihren prophetischen Worten. Sie haben wohl noch nie eine Radfahrerzeitung in der Hand gehabt.«

»Ich werde mir gleich morgen eine kommen lassen. Jetzt will ich aber erst umlenken lernen und aufsteigen und absteigen, daran hapert's noch bei mir – nur das Herunterfallen kann ich wunderschön – der Saal hier eignet sich ja prachtvoll dazu – denken Sie, Dick konnte sofort auf dem Kopfe stehen, das muss ich auch lernen, Zeit genug habe ich ja dazu – Dick halte das Rad.«

»Und Sie wären wirklich noch nie Rad gefahren, Dick?«

Dick war gleich bereit, seine Aussage zu beschwören.

»Lassen Sie nur, Sie glauben doch an nichts, und ich will Sie nicht zum Meineid verleiten.«

Ellen holte ihr Rad, es war ja auch das von Starke vorhanden, der Reporter und Dick bestiegen es abwechselnd, die Brunnenstube wurde zur fröhlichen Radlerschule, trotz aller draussen lauernden Rothhäute.

Nach längerer Uebung war Munro zum ersten Male hinaufgekommen, gleich darauf klebte er an der Wand.

»Was halten Sie sich denn da an der Wand fest?« lachte Ellen.

»Festhalten? Mich? Ich treibe nur geologische Studien. Das ist Quarz,« er kam wieder frei und schlug anderswo mit den Händen gegen die Wand, »und das ist auch wieder Quarz – merkwürdig, alles Quarz – so, nun kann's weitergehen, links herum. Warten Sie nur, Miss Ellen, in acht Tagen fahre ich mit Ihnen durch Feuer und Wasser ...«

»Werfen Sie sich nach rechts! Springen Sie ab!« schrie Dick, die Katastrophe schon kommen sehend; er sprang hinzu, kam aber zu spät, erwischte nur noch die Maschine, Munro war dem Brunnenloch zu nahe gekommen; nun wirkte dieses erst recht magnetisch, wohl war er schnell abgesprungen, schoss taumelnd vorwärts und verschwand in dem Cisternenschachte. Das Wasser spritzte auf.

»Um Gottes Willen Robin!« rief die tödtlich erschrockene Ellen, an dem Loche auf den Knieen liegend. »Leben Sie noch?«

»Wenn Sie nichts dagegen haben, ja, vorläufig noch,« erscholl es mit Grabesstimme herauf. »Sehen Sie, mit dem Wasser fange ich schon an.«

Alles lachte aus vollem Halse. Dann konnte das Unglück nicht schlimm gewesen sein. Zwei Lassos wurden hinabgelassen, Munro sollte sie sich unter die Arme befestigen.

»Lassen Sie nur, lassen Sie nur, mir gefällt's hier unten ganz gut. Wollen Sie nicht ein bischen mit herunterkommen, Miss Ellen? Hier ist's so hübsch kühl.«

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»Gestatten Sie, dass ich eine Blitzlichtaufnahme mache, bitte, recht freundlich,« rief der Reporter in den finsteren Schlund. Dazu kam er freilich nicht, aber das Lachen wollte kein Ende nehmen, als der triefende Munro wieder das Licht der Welt erblickte. Noch nach Stunden verstieg sich selbst der von Schmerzen geplagte und sonst immer verdriessliche Somaja zu dem Witz, dass das Brunnenwasser doch recht nach Bouillon schmecke.

In solch' heiterer Laune verging der ganze Nachmittag. Ellen war glücklich, einen Gesellschafter gefunden zu haben, mit dem sie sich unterhalten konnte, und es war doch eben Sir Munro, ihr alter Ereund mit seinen schlagfertigen Antworten. Erst die anbrechende Nacht machte der Radlerschule ein Ende, morgen sollte sie fortgesetzt werden. Die Cowboys hatten über das Zusehen und Lachen ganz das Abendbrot vergessen, welches heute noch einer längeren Zubereitung bedurfte, im Finsteren mussten sie die Fleischstreifen mit Steinen mürbe klopfen. Denn das Petroleum der Radlampen wollte man für alle Fälle sparen, erleuchtete Fenster waren überhaupt nicht gut.

Das starke Klopfen dröhnte in dem ganzen Felsen wieder, dazwischen noch immer Scherze und Lachen.

»Still, Hassan bellt!« rief da Ellen, und das Klopfen verstummte.

Hassan schlug an, bellte vielleicht schon lange, man hatte es überhört.

Somaja bestieg die Plattform, Ellen begab sich hinab. Jener gewahrte nichts, und Ellen verstand den Hund nicht, welcher unausgesetzt bellte und die grösste Unruhe zeigte.

Das wurde mit der Zeit unheimlich. Hier drohte offenbar eine Gefahr, Hassan bellte nicht umsonst unausgesetzt so drohend, und die Gefahr war nicht zu erkennen.

»Wir wollen essen,« entschied Ellen, an Starke denkend, der ihr eingeschärft hatte, die Oberleitung nicht aus ihren Händen zu lassen, und in diesem Augenblicke dachte sie auch daran, dass sie die Klauen des erlegten Bären als Ehrenzeichen trüge und dass Starke ein kräftiges Essen als Haupterforderniss betrachtete, um Strapazen und Gefahren mit Gleichmuth zu bestehen.

Es war eine ganz eigentümliche Ideenverbindung, wenn Ellen gleichzeitig auch an ihr Verhältniss zu Starke und zu Sir Munro dachte. Das plötzliche Erkennen einer Gefahr erzeugte sie.

Ihr Entschluss war fertig gewesen, ein weiblicher Rad-Weltbummler zu werden, an seiner Seite, als sein Freund, als sein ständiger Begleiter. Nicht jene andere Liebe mehr, sie wollte entsagen. Das Weib entsagt überhaupt viel leichter als der Mann, und wenn man mit offenen Augen und Ohren durch die Welt geht, merkt man, wie es so viele Jungfrauen giebt, welche den Traualtar nicht als das höchste Ziel ihres Lebens betrachten, welche sich unbestimmt oder mit Bewusstsein nach der Entsagung sehnen, und dabei spielt Stand oder Bildung gar keine Rolle; man findet dieses Sehnen nach Entsagung in allen Schichten, bei der langsamen Norwegerin wie bei der heissblütigen Creolin. Lieben, ja, das müssen sie, sie wollen den Geliebten küssen, immer küssen, aber nicht sich ihm hingeben, nicht durch Heirath – dann möchten sie fliehen und nur noch in der Ferne an ihn denken, ihm schreibend. Und man sollte diese sogenannte platonische Liebe nicht immer lächerlich machen; das ist ein tiefes Geheimniss im Busen des keuschen, ernst angelegten Weibes, und der reifere Geist, der ernst darüber nachdenkt, wird diesem Geheimniss auch auf den Grund sehen: es ist das dunkle Streben nach Erlösung der Menschheit, nach Befreiung von dem Fluche, welcher dem Apfelbiss gefolgt ist.

Dass dieses dumpfe Sehnen nach Entsagung so selten als Wille zur That wird, das ist wiederum eine Folge der Führung einer weisen Natur, und es ist auch ein grosser Unterschied, ob man dabei eine alte Jungfer wird oder ein heiteres Kind bleibt. Aber es giebt schon solche alte Jungfrauen, denen das Bewusstsein, das Ihrige zur Erlösung beigetragen zu haben, im reinsten Glücke aus den Augen strahlt.

Und Ellen besass den hohen Geist und den festen Charakter, eine Entsagung mit lächelnder Freudigkeit durchzuführen. Wenn sie Sir Munro wieder sehen würde, was ein gütiger Gott ihr gewähren möchte, hatte sie ihm mit ernsten Worten ihren Entschluss offenbaren wollen. Ja, sie liebte jenen Anderen, ihm gehörte ihr Herz. Aber Munro brauchte nicht eifersüchtig zu sein. Die allermodernste Nonne – auf dem Rade. Er brauchte sich nicht einmal jener anderen, der höheren Eifersucht hinzugeben. Er konnte ja der Dritte im Bunde sein. Jeden wollte sie als ihren Freund willkommen heissen, der die Ordensregeln unterschrieb. Ein radelndes Kloster.

Himmelstürmender Geistesflug –
Verspottet mir nicht das träumende Kind ...

Nein. Ein tüchtig rechnender, braver Kaufmannslehrling kann dereinst der umsichtige Director einer grossen Actien-Gesellschaft werden. Aber die unsterblichen Apostel der Menschheit konnten fast Alle nicht rechnen, verträumten ihren Vortheil im Waldesschatten oder in der Dachkammer.

Nun war Sir Munro auf dem Rade angekommen, und man hatte gelacht. Das Lachen tödtet, und es hatte auch Ellen's Gedanken getödtet. Jetzt, im Bewusstsein der Gefahr an jenen hohen, eisernen Mann denkend, den sie sich zum idealen Vorbild nahm, kamen sie wieder.

Schweigend assen sie im Finstern. Das unausgesetzte Bellen des Hundes liess einen Scherz über dieses Pferdefleischdinner nicht aufkommen, und dann waren die Beiden doch keine Menschen, welche sich durch schlechte Witze gegenseitig das Essen verderben, und die Cowboys fanden nichs dabei. Allerdings wurde an die Engländer eine starke Anforderung gestellt. Keine andere Nation verabscheut Pferdefleisch so als die englische, in ganz England giebt es keine einzige Rossschlächterei zum Bedarf für Menschen, der Engländer isst überhaupt kein rohes Fleisch. Und nun hier gar rohes Pferdefleisch! Ob Sir Munro wirklich ass, war sehr zweifelhaft. Ellen aber war schon so weit, dass, wenn Starke ihr gesagt hätte, sie müsste mit Eidechsen und Spinnen vorlieb nehmen, sie mit Appetit Eidechsen- und Spinnensalat verzehrt hätte.

Da – ein Ton – auch das schmatzende Kauen eines Cowboys verstummte.

Tick–tick–tick, ging es im Felsen.

»Sie meisseln einen Tunnel,« flüsterte Ellen sofort, wurde aber weder von Somaja noch von den anderen Cowboys verstanden. Das war doch fester Stein, und ganz unbekannt war ihnen, dass Rothhäute auch nur eine Ahnung davon hätten, solchen zu durchbrechen, sie wussten selbst nichts davon, und als ihnen Ellen erklärte, was sie meinte, gaben sie ganz richtig zur Antwort, dass, wenn es wirklich so wäre, die Feinde dadurch doch gar nichts erreichten, dann habe man eben nur einen zweiten Eingang zu bewachen, jeder sichtbar werdende Kopf würde einfach eingeschlagen.

Doch das Durchmeisseln des Felsens ging überhaupt über ihre Begriffe; weil es eben nicht Indianerart war, wussten auch jene nichts davon.

Das unheimliche Ticken währte fort, gewiss, es wurde am Felsen mit eisernen Werkzeugen gearbeitet, das musste auch Somaja zugeben. Aber warum? Wo? Sie lauschten an allen Wänden, in allen Kammern, begaben sich auf die Plattform, hier war es noch viel deutlicher hörbar; doch die Stelle, wo gemeisselt wurde, liess sich nicht feststellen, jeder gab einen anderen Ort an, der Stein pflanzte den Schall zu gut fort, und es war stockfinster. Und Hassan heulte immer wüthender.

Ellen suchte ihn auf. Sehen konnte sie ihn nicht, aber der Hund war ausser sich, er riss sie mit den Zähnen an den Kleidern, er sagte ihr etwas und sie verstand ihn nicht, bis sie endlich begriff. Hassan wollte sie ja die Treppe hinaufziehen.

Sie rief einen Cowboy, dieser kam.

»Der Hund will mir offenbar etwas zeigen, er will fort von hier. Bleibe Du hier, bis wir wiederkommen.«

Sie hatte sich nicht geirrt, augenblicklich verstummte Hassan, sie merkte, dass er die Treppe hinauflief; und folgte ihm schnell.

In der Brunnenstube entzündete sie die Radlaterne mit dem einen weiten Strahl aussendenden Scheinwerfer. Hassan war gar nicht hier. Da aber kam er aus einer der Kammern, er mochte schon durch alle gestrichen sein, sich orientirend, er war ja noch gar nicht hier oben gewesen, er strich an den Wänden entlang, stutzend und immer weiter tretend, bis er sicher war; mit starren Augen und leisem Knurren näherte er sich langsam einer bestimmten Stelle der Wand.

»Hier wird gearbeitet, hier höre ich auch das Pochen am deutlichsten,« flüsterte Ellen das Ohr gegen die Wand gelegt.

Hassan verweilte nicht lange, er suchte weiter, fand die zweite Treppe, Alles folgte ihm, Ellen den Strahl der Lampe mit der Hand verdeckend.

Hier schlich der Hund ganz genau in derselben Richtung nach der Balustrade zu, es war eine bestimmte Stelle auf der östlichen Seite. Jetzt wussten sie mit einem Male Alle, dass gerade hier unten gearbeitet wurde.

Der Felsen war also etwa drei Etagen hoch. Nach kurzer Berathung wurde beschlossen, einmal einen Strahl hinabzuschicken, den Boden musste er doch noch erreichen, und vielleicht konnte man doch etwas über die Natur der Gefahr entdecken. Ellen liess es sich nicht nehmen, selbst die Laterne zu handhaben, die Anderen sollten nur aufs schärfste beobachten. Sie lehnte sich also ebenfalls über die Brüstung, den Strahl noch verdeckend, entfernte die Hand, sie drehte die Lampe und liess den Strahl an der glatten Wand entlang gleiten – da blitzte es dort unten etwas seitwärts in der Finsterniss auf, und noch ehe der Knall folgte, war die Lampe in Ellen's Hand zerschmettert; Alles sprang zurück.

»Es ist merkwürdig,« hatte Starke einmal gesagt, »dass die Indianer, welche den Pfeil mit solch' einer Sicherheit entsenden, wie es nicht einmal in den Indianergeschichten geschildert wird, weil man es doch nicht glauben würde, sich nicht mit der Feuerwaffe vertraut machen können, obgleich sie genug vernarrt in diese sind. Sie bleiben immer recht mittelmässige Gewehrschützen, und bei kleinerer Entfernung, wenn es darauf ankommt, greifen sie noch heute lieber zu Pfeil und Bogen. Die Eichhörnchen in den Nordstaaten werden alle mit dem Pfeil geschossen, nur deshalb, weil der rothe Pelzjäger die flinken Thierchen auch mit dem weitesten Streuschrotschuss nicht treffen kann. Wer aber nun gar einmal eins mit der Kugel erlegt, der ist der besungene Held. Ausnahmen giebt es natürlich.«

Dann war dort unten solch' eine Ausnahme. Und dann wollten die Rothhäute die Eingeschlossenen auch lebendig haben, sonst hätte der sichere Schütze dort unten, welcher auf mindestens hundert Meter Entfernung dem Mädchen die kleine Lampe aus der Hand schoss, schon manchen wegputzen können. Unerklärlich war es nur, warum man dann die beiden neuen Ankömmlinge nicht gleich festgenommen, sie erst ungehindert in die Festung eingelassen hatte, denn dass man hier gut verproviantirt war, wussten doch auch die Belagerer.

Was sollte man hier oben? Einer blieb wie gewöhnlich als Wache zurück, die Anderen begaben sich wieder in die Brunnenstube. Hassan war bereits verschwunden, er löste den Cowboy ganz von selbst ab.

Das tickende Hämmern währte fort und fort, man lauschte unausgesetzt; dass man das Vorhaben des Feindes nicht erkannte, war das Allerunheimlichste dabei, und darüber vergass Ellen wiederum, Sir Munro ihre Zukunftspläne auseinanderzusetzen. An Schlafen dachte natürlich Niemand, selbst Somaja überwand sein sich wieder einstellendes Wundfieber.

Eine Stunde nach Mitternacht setzte das Ticken plötzlich aus. Nein, es war keine Pause, es fing nicht wieder an. Jetzt wurde es erst recht, unheimlich, jetzt hatte der Feind seinen Zweck erreicht. Welchen?

Sie durchstrichen mit der zweiten brennenden Lampe und mit schussbereitem Revolver alle Kammern und Gänge, und sie glaubten doch selbst nicht, dass die Indianer sich auf diese Weise einen Eingang zu verschaffen suchten.

Dann stand Ellen wieder einmal auf der Plattform, neben ihr Munro.

»Was haben Sie?« schrak Ellen zusammen, als er plötzlich nach langem Schweigen ihre Schulter berührte.

»EIlen, durch das Wasser bin ich nun für Sie schon gegangen,« sagte er, trotz der scherzhaften Worte sehr ernst, »was meinen Sie – mir kommt eine Ahnung – diese Indianer kennen doch die Explosionskraft des Pulvers – wenn sie nun unter dem Felsen eine Mine an ...«

Eine furchtbare Detonation erfolgte, dass der ganze Felsen erbebte; aber so leicht war solch ein massiver Berg doch nicht in die Luft zu sprengen, der Boden hielt, es folgte nichts weiter. Ellen war nur vor Schreck erstarrt, und unten schrieen die Cowboys und schlugen die Pferde gegen die Wände.

Da hörte Ellen ein Rauschen, und mit einem Male wusste sie Alles.

»Schöpft Wasser, Wasser! – mit Allem, was ihr habt!« schrie sie, die Treppe hinabstürzend. »Schöpft Wasser, sie lassen den Brunnen ab!«

In der Brunnenstube brannte die Lampe. Die Cowboys mochten noch an den Untergang der Welt glauben; hier unten mochte die Detonation auch noch ganz anders geklungen haben, Ellen allein handelte, war aber doch so verwirrt, dass sie die schon gefüllte Lederflasche am Lasso hinabwarf.

Jetzt hatten die Cowboys die Gefahr erkannt, sie ermannten sich, sprangen herbei, wickelten mit fieberhafter Eile ihre Lassos von den Hüften, knüpften die Ecken einer Lederdecke daran – tief, immer tiefer hinab – diese Lassos sind weit über zwanzig Meter lang und tiefer konnte das Niveau des Erdbodens unmöglich sein, das Wasser konnte also auch nicht weiter abfliessen – und die auf- und abgehobene Decke bekam auch Grund – aber kein Wasser mehr. Demnach musste der Boden der Cisterne noch höher liegen als das Niveau der Umgegend.

Die Cowboys schienen ob dieser Entdeckung erschrockener zu sein als Ellen.

»Nein, es ist nicht gut möglich, dass der Boden so völlig glatt ist, dass das Wasser rein abfliesst,« sagte sie mit erkünstelter Ruhe, »auch die Wände sind überall uneben. Herauf wieder mit der Decke, wir müssen mit den Flaschen jeden Tropfen aus den Löchern zu sammeln suchen; gelingt es nicht, lässt sich Jemand an den zusammengeflochtenen Lassos hinab.«

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Ihr Rath wurde befolgt, eine Flasche ging hinab, man hörte sie auf dem Boden scheuern, Ellen leuchtete mit dem Scheinwerfer hinunter, sie sah den weissen nassen Stein glänzen – und da ein Schatten – eine dunkle Hand – und dem Gowboy wurde von unten der Lasso aus der Faust gerissen.

Nun war nichts mehr zu machen, nun war das Schicksal der Belagerten entschieden. Draussen die Feinde und auch im Felsen selbst, im Cisternenschachte; auch der letzte Rest etwa noch vorhandenen Wassers konnte nicht mehr benutzt werden, wer sich hinabliess, glitt ja den Indianern direct in die Hände. Nur noch eine einzige Flasche mit Wasser für die acht Personen – und dann das Blut der schon hungernden Pferde.

Wie die Indianer die Sprengung ausgeführt hatten, wurde gar nicht erörtert, es hatte ja keinen Zweck. Jedenfalls mussten sie oder einer von ihnen genau wissen, wie das Innere des Felsens, die Cisterne, beschaffen war, oder man hatte durch Klopfen herausgefunden, wo die Wand des Wasserbassins am dünnsten war, am nächsten dem Niveau des Erdbodens; stark konnte sie dort nicht gewesen sein, sie hatten in etwa vier Stunden ein Loch gemeisselt und mit Pulver gefüllt; die Sprengung hatte die Scheidewand zertrümmert, und das Ausflussloch war mindestens so gross, dass ein Mann hindurchkriechen konnte. Da sind 500 Cubikmeter Wasser schnell abgelaufen. Der Canal konnte ja aber noch viel grösser sein.

Ellen hatte die Lampe wieder verlöscht, ein minutenlanges Schweigen trat ein.

»Deadly Dash wird zurückkommen und diesen Frevel furchtbar rächen – sie haben den Wüstenbrunnen zerstört, der Tod treffe sie,« brach Somaja endlich das Schweigen, es lag etwas von furchtbarer Feierlichkeit darin, und Ellen erwachte aus ihren Träumen.

»Wie lange können wir es ohne Wasser aushalten?«

»Bis Deadly Dash zurückkommt sicher nicht. Nicht einmal drei Tage. Dann sind wir alle matt wie die Fliegen, und soweit lasse ich's nicht kommen.«

»Was wollt Ihr damit sagen?«

»Mit dem Blute der Pferde ist nicht zu rechnen, das stillt gar nicht den Durst. Ehe mein Thier crepirt und ehe ich matt wie eine Fliege bin, breche ich aus – so oder so.«

»Und was ist unser Schicksal, wenn wir uns ergeben?«

Der Prairiejäger konnte noch lachen, wahrscheinlich machte er im Dunkeln die Bewegung des Scalpirens.

»Das natürlich. Zuerst aber werden sie uns ein bischen kitzeln.«

Ellen hatte genug herausgehört. Aber sie glaubte nicht daran, wenigstens nicht für ihre eigene Person. Dieser indianische Ueberfall wurde von anderer Seite geleitet; nur auf sie war es abgesehen; allerdings konnten die Scalpe ihrer Beschützer als Preis für die Hülfe den Indianern mit versprochen worden sein. Auf den Schwur, bei Auslieferung von Deadly Dash und Ellen sollten die Anderen freien Abzug haben, war bei den Indianern doch nicht zu bauen.

Dann hatte Ellen zuletzt auch noch etwas Anderes überlegt. Zu der Sprengung des Felsens gehörten doch immerhin einige bergmännische oder technische Kenntnisse. Sollte unter ihnen nicht Jemand sein, der mit so etwas Bescheid wusste? Vielleicht gar Jenkins?

»Wie kommt es aber, dass sie da Sir Munro und seinen Diener ungehindert passiren liessen, wenn sie es auf unseren Martertod abgesehen haben?«

»Ich weiss nicht,« knurrte Somaja, »ich weiss auch nicht, dass Deadly Dash nicht daran gedacht hat, wie sie die Cisterne auslaufen lassen können.«

Auch dieser Prairiejäger schien Starke für ein höheres Wesen zu halten, der Alles wissen musste und zum Schutze seiner Untergebenen verpflichtet war.

Der Hund schlug an.

»Es ist nichts, jetzt droht uns nichts Anderes mehr als der Durst; die Indianer versuchen jetzt nichts Anderes mehr, sie werden sich zurückschleichen, das merkt der Hund,« meinte Somaja.

Ellen antwortete nicht, sie war in Gedanken versunken, und doch galten diese dem Hunde, welcher sich schnell wieder beruhigt hatte.

»Der Hund! Wir sind gerettet!« fuhr sie plötzlich aus ihrem Sinnen empor.

Von allen Seiten erschollen zweifelnde Fragen, wieso, durch was denn.

»Sollte Hassan nicht der Fährte seines Herrn folgen können? Still, nicht so laut.«

»Natürlich kann er das,« flüsterte Somaja zurück. »Ha, ich verstehe! Hassan kann sich auch durchschleichen. Aber ob er uns verstehen wird, wenn wir ihn fortschicken wollen? Er wird seinen Posten nicht verlassen. Ja, wenn Deadly Dash hier wäre!«

»Mich wird er schon verstehen,« entgegnete Ellen, schnell wieder die Lampe anzündend. »Sam, gehe hinab, deute ihm an, dass Du unten bleiben willst, er soll herauf kommen. Das kluge Thier wird sofort begreifen, oder ich verkenne ihn ganz. Aber vorsichtig, dass auch kein heimlicher Beobachter etwas davon merken könnte. Und schnell einen Streifen Leder zurechtgeschnitten, den ich ihm um den Hals binde.«

Papier hatte Ellen bei sich, sie liess den Strahl der Laterne auf eine glatte Stelle der Wand fallen, legte dort den Zettel an und kritzelte einige Zeilen darauf, kurz meldend, was passirt sei – ohne Wasser.

Sie war noch nicht fertig, als schon Hassan neben ihr stand, aufmerksam zusehend.

»Somaja glaubt, drei Tage aushalten zu können. Die Cowboys wollen im Kampfe sterben. Jetzt hoffen wir auf Sie. Ihre treue Freundin Ellen Howard.«

So lauteten die Schlussworte. Mehr brauchte es nicht. Wenn Starke die Botschaft erhielt, würde er wissen, was er zu thun habe.

Der Riemen war fertig, jeder Cowboy führte eine Art von Packnadel mit sich, der Zettel wurde besonders in einen Lederlappen genäht und an dem Riemen und an Hassans Halse befestigt.

Das Weitere übernahm Ellen allein. Sie machte Hassan durch Worte und Zeichen klar, was man von ihm verlange, wie man eben zu einem Hunde spricht, den man auf die Fährte seines Herrn oder einer anderen Person hetzen will, und Hassan verstand sofort, die Erklärung dauerte ihm sogar zu lange, er wurde ungeduldig – so dumm bin ich doch nicht – und geräuschlos verschwand er, und er würde sich auch durch die Reihen derer zu schleichen wissen, die er als seine Feinde betrachtete, sich nicht einmal von einem blicken lassen; war es doch schon wunderbar genug, wie er sich unten an der Treppe niemals eine Blösse gab.

Alles athmete erleichtert auf; eine feierliche Stille trat ein. Es war, als sei ein Engel erschienen und wieder gegangen, um Hülfe herbei zu holen.

»Nun sind wir gerettet,« brach Ellen endlich das Schweigen.

»Dass Hassan Ihren Freund findet, daran zweifle ich, nachdem, was ich soeben beobachtet habe, nicht mehr,« nahm Sir Munro das Wort. »Ich verstehe nur nicht, wie er uns vor acht Tagen befreien soll, wenn Fort Lamarie die nächste Station ist, wo bewaffnete Hülfe zu holen ist, und wenn er so lange zum Hin- und Hermarschiren braucht. Sollte aber nun Starke sofort umkehren, um uns zu befreien, so müsste er doch geradezu einen Indianer nach dem anderen abfertigen, und das hätte er doch dann gleich thun können.«

Es hatte etwas Bitterkeit in den Worten des Sprechers gelegen, besonders in den ersten, da er auch das »Ihren Freund« stärker betonte. Munro mochte die Unterschrift gelesen haben.

»Er wird zurückkommen und uns retten, ehe ich – – – ehe wir verschmachten,« sagte Ellen einfach und doch mit festester Ueberzeugung.

»Ist denn dieser Starke Ihr – – – ist er denn ein Gott?«

Auch Munro hatte sich verbessert, vielleicht mit Absicht.

»Er ist mein Freund, er wird mich nicht verlassen. Kommen Sie mit hinauf, es ist mir zu eng hier unten für das, was ich Ihnen zu sagen habe.«

Munro folgte ihr. Unter den Sternen sollte die Auseinandersetzung erfolgen. Sie blickte hinab. Die tiefste Stille herrschte, Hassan war nicht bemerkt worden, er musste jetzt schon weit entfernt sein.

»Starke und ich, wir haben einen Freundschaftsbund für's Leben geschlossen,« wandte sich dann Ellen an den Baronet.

»Sie lieben Starke,« sagte dieser gerade heraus.

Es waren zwei Engländer, die sich über so etwas unterhielten und es waren zwei sehr gleichartige Charaktere. Trotzdem aber wird in England die Liebessache eigentlich viel idealer aufgefasst als in dem sentimentalen Deutschland. Auf die Frage, »Was bekommt Ihre Tochter mit?« würde in England der Freiersmann gleich hinausfliegen. Solch' eine Frage ist in England eine Schmach. Kein Bett bekommt sie mit; an baares Geld gar nicht zu denken, der englische Geschäftsmann rückt keinen Penny heraus, man kennt es nicht. Du musst Deine Frau ausstatten und ernähren können, sonst heirathe nicht. Und dass Verführung und das » break of promise«, das Brechen des Eheversprechens, so furchtbar hart bestraft wird – der Betreffende ist gewöhnlich ruinirt, dem Arbeiter wird der Wochenlohn abgepfändet, die Polizei weiss ihn immer wieder zu finden, er muss aus seinem Heimathslande flüchten – das ist auch gewiss eine gerechte Ansicht des englischen Gesetzes über solche Vergehen. Denn das englische Mädchen, das schon einmal verlobt gewesen ist, bekommt selten noch einen Mann. Deshalb soll es entschädigt werden: » I am engaged« – das hat noch eine ganz andere Bedeutung als nur: ich bin verlobt. –

Ellen wollte auffahren – »und wenn es so wäre?« – aber sie beherrschte sich.

»Nein, ich liebe ihn nicht, oder doch nicht so, dass Jemand eifersüchtig auf ihn zu sein brauchte,« entgegnete sie also statt dessen. »Und Sie hätten Recht, wenn Sie, Theilnahme für mich fühlend, zwischen ihn und mich treten würden. Denn dieser Mann ist nicht zur Liebe geschaffen und ich würde mich unglücklich machen. Doch Sie brauchen keine Sorge zu haben. Ich liebe ihn nicht anders als wie seinen Hund.«

Ellen hatte sich schon recht gut die Ausdrucksweise ihres Ideals angeeignet, betrachtete auch schon seinen Hund als gleichgestelltes Wesen.

»Wie seinen Hund. So. Das beruhigt mich,« meinte Robin trocken. »Ja ja, ich weiss schon, wodurch es Ihnen dieser Mann angethan hat, unterliege ich doch selbst seinem Zauber. Also für's ganze Leben haben Sie mit ihm Freundschaft geschlossen?«

»Für's ganze Leben.«

»Das ist sehr lange. Dann, Miss Ellen, gestatten Sie, dass ich hier oben – es zieht hier recht– dass, wenn die Sache so beschaffen ist, ich Ihnen nochmals meine Liebe ge ...«

»Ich danke dafür – ich meine, ich weiss es zu würdigen, wenn ein Mann wie Sie seine Liebe anträgt, und ich weiss auch, Sie sind ein guter Mensch. Aber – ich – bleibe – ledig.«

Munro blieb einige Zeit die Antwort schuldig, er schlug seinen Rockkragen hoch.

»Ach – ach – ach nein! Wie lange?«

Munro war ein Tolpatsch. Man konnte sich aber auch sehr in ihm irren. Plötzlich, ehe Ellen wieder zu Worte kam, hatte er sich vor ihr auf ein Knie gelassen und ihre Hand ergriffen.

»Ellen, ich liebe Dich, und ich möchte Dich glücklich machen,« sagte er in ganz anderem, in seinem wärmsten Tone.

Das hatte er gutgemacht, das wirkte doch. Ellen wurde augenblicklich gerührt, verlor die Fassung; aber jener andere Mann stand zu fest zwischen ihnen, und sie sah ihn leibhaftig vor sich stehen.

»Zu spät,« murmelte sie, wie schon einmal, »ich kann nicht mehr – meine Zukunft ist bereits entschieden. Der Freundschaftsbund ist für das ganze Leben geschlossen, ich werde Starke begleiten.«

Ebenso schnell war Munro's Sentimentalität vorüber; er hatte sich schon wieder erhoben.

»Er begleitet Sie, wollen Sie sagen, während Ihrer Reise um die Erde.«

»Wir beide sind fortab Gefährten – für immer.«

»Ach, jetzt beginne ich zu verstehen. Sie wollen auch ein Weltenbummler werden.«

»Meinetwegen nennen Sie es so,« entgegnete Ellen, schon etwas gereizt, »ich verbinde einen wissenschaftlichen Zweck dabei.«

»Viel Vergnügen! Also Sie haben beschlossen, Ihr ganzes Leben lang auf der nackten Erde zu schlafen, aus Pfützen zu trinken ...«

»Wenn es sein muss, jawohl!« rief Ellen, immer heftiger werdend. Der Spott klang doch zu deutlich hindurch und Munro blieb dabei ganz höflich.

»Und diese Entsagung aus Freundschaft zu Starke?«

»Jawohl denn, da Sie es doch so gerne hören möchten: nicht aus Neigung zu solch' einem Leben, sondern nur aus Freundschaft zu Starke.«

»Und wie lange werden Sie das aushalten?«

»Für immer, für immer – bis mich eine Kugel trifft! Und nun gehen Sie, machen Sie, dass Sie aus meinen Augen kommen, ich hasse Sie, ich wollte Sie auffordern, unserem Freundschaftsbunde beizutreten, Sie sind es nicht werth, Ihr kleiner Geist ...«

»I, ich werde mich hüten, mein ganzes Leben lang aus Pfützen zu trinken und getrocknete Pferde zu kauen. Good luck for you. Wir sprechen uns wieder ... ich gebe hinab, es ist mir oben zu kühl für das, was Sie mir da zu sagen haben.«

Und er ging. So schnell und auf solche Weise endete die von Ellen in Güte geplante Auseinandersetzung. Und er ging so siegessicher! Ellen ärgerte sich gewaltig über ihre dummen Thränen.


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