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16. Capitel.
Die letzte Stadt.

Ellen gab am Schalter ein Telegramm ab: »Lady-Champion-Club, London W. Allright. Ellen Howard.« Mehr brauchte sie nicht zu sagen, das schrieb ja der Telegraphenbeamte mit Blaustift auf das Formular: Omaha-City, 1. October, 9 Uhr Vormittags.

Sie bezahlte und dann seufzte sie leise, als sie durch den geräumigen Saal schritt.

Es war Markttag, die Hauptstrasse sehr belebt, neben der Treppe des Postgebäudes an der Häuserwand stand Starke mit den beiden Rädern, als zweiter Wächter lag Hassan davor.

»Vor 30 Jahren stand der Name Omaha noch nicht auf der genauesten Landkarte, kein Conversations-Lexikon wusste etwas davon, und nun – kommen Sie, ich will Ihnen etwas zeigen, ich bin schon drüben gewesen.«

Mit diesen Worten empfing er die Zurückkehrende, sagte zu Hassan etwas auf Arabisch, der Hund blieb bei den Rädern und Ellen folgte Starke über die Strasse. Es gab sehr schöne Schaufenster; eines war besonders stark von Strassenpassanten, meist Damen, belagert, Starke drängte sich durch, machte für Ellen Platz und sofort stiess diese einen Ruf der Ueberraschung aus.

Es war ein Juwelierladen, doch das Auge wurde nur von einem prachtvollen im Etui liegenden Diamantenhalsbande gefesselt, mehr sah es nicht.

»Nur 20 000 Dollars, unter Selbstkostenpreis.«

»Herrlich! Prachtvoll! Unvergleichlich! Wie schön! Ach!« So seufzte Ellen und so seufzten alle Anderen von Evas Geschlecht, ob sie nun einen Hut für 25 Dollar oder eine Kappe für 25 Cents auf dem Kopfe hatten.

»Aber wer soll das hier nur kaufen?« flüsterte dann Ellen.

»Omaha ist zwar nur ein Städtchen, aber kein englisches oder deutsches, hier sind wir in Amerika. Ich kann mir die Sache recht gut erklären. Das ist doch offenbar auf Bestellung gearbeitet. Reiche Leute giebt es in Amerika überall, auch in Omaha-City, und da hat solch ein Millionär einmal mit einer Speculation, die er schon für verloren erachtet, noch ein recht gutes Geschäft gemacht, er denkt: ich will meiner Frau auch eine Freude bereiten – geht zum Juwelier, bestellt ein Diamantenhalsband und zahlt die Hälfte an. Ueber Nacht ist der gute Mann bankerott – das geht hier noch schneller als das Reichwerden – und er ist froh, wenn er nur einen Theil der Anzahlung als Reugeld lassen muss. Nun stellt es der Goldschmied einige Tage hier aus, vielleicht findet sich doch ein Käufer, wenn nicht, geht er nach New-York, dort wird er es sofort los. Es scheint den Preis wirklich werth zu sein; eine geschmackvolle Anordnung der verschiedenen Schliffe, eine gediegene Fassung, soweit es sich von hier aus beurtheilen lässt.«

»Ich könnte es kaufen,« flüsterte Ellen wieder traumverloren.«

Alle Hutfedern begannen aufgeregt zu nicken, ein Rucken und Zucken ging durch die ganze weibliche Versammlung – denn ein Arm tauchte hinter den Stellagen auf, eine weisse Hand fasste das Etui und verschwand mit dem funkelnden Schmuck. Die Sonne war untergegangen.

»Jetzt wird es verkauft,« ging es stöhnend von Mund zu Mund.

»Frau General Hendrik ist es.«

»Ach, die kann ja keine 20 000 Kartoffeln kaufen.«

»Und die Frau Major Meyer ist auch drin, wissen Sie, die in der Maquartstreet links.«

»Die soll erst ihren Fleischer bezahlen.«

»Mir schuldet sie auch noch die Semmeln.«

»Frau General Hendrik, ist das die, die am Flusse die Schifferwirthschaft hat?«

»Freilich, und ihre Tochter hat ein kurzes Bein. Aber das kann ich sagen, wenn die das Halsband kauft, dann erzähle ich etwas von ihr, dass – – –!«

Die weisse Hand mit Etui und Halsband tauchte wieder auf, Alles seufzte erleichtert auf. Auch Ellen hatte wie hypnotisirt auf die leere, finstere Stelle gestiert.

»Ich könnte es kaufen,« flüsterte sie nochmals.

»Ich weiss es. Kommen Sie doch einmal herein, betrachten Sie es sich in der Nähe.«

Wie gebannt folgte Ellen, sie betraten den Laden; auf Starke's Wunsch holte der Geschäftsinhaber nach einem prüfenden Blick auf die Beiden das Halsband wieder aus dem Schaufenster heraus. Mochten es auch recht staubige Kunden sein, dieser Juwelier konnte schon echt von unecht unterscheiden, und wenn die Dame im schmutzigen Radfahrercostüm auch nur einen oxydirten Kupferring trug, das hatte für ihn nichts zu sagen, das war besser als ein falscher Diamant.

Zuerst nahm Starke die Kette, liess sie im Sonnenlicht wie flüssiges Feuer durch die Hände rollen, betrachtete sorgfältig jeden einzelnen Diamanten, abwechselnd in Treppen-, Rosetten- und Brillantschnitt gruppirt, was ganz besonders ein wunderbares Farbenspiel hervorbrachte, er öffnete seinen Rock, nahm aus der Westentasche ein Vergrösserungsglas und klemmte es sich in das Auge, und der Juwelier lächelte nicht, denn er bemerkte, dass dieser sonnverbrannte Mann im ledernen Anzuge nicht nach der Stempelmarke suchte – dann hätte er sehr wenig von Diamanten verstanden, wenn er etwa glaubte, das könnte kein echtes Gold sein – nein, er prüfte unter dem Mikroskop die Fassung, und überhaupt, schon wie er die Kette angriff, das verrieth dem Goldschmied den Sachverständigen.

»Er ist es werth, nehmen Sie ihn,« sagte Starke, das Glas aus dem Auge in die Hand fallen lassend und den Schmuck Ellen gebend.

Ellen's Augen leuchteten, ihre Hände zitterten, als sie die Kette empfing. Warum? So zittert der Kunstliebhaber, wenn er von einem alten Kupferstich den Èpreuve d'artiste, den ersten Abzug von der Platte, vielleicht auch der Sammler, wenn er eine alte Sachsenmarke in die Hand nimmt.

»Ich muss den Herrschaften bemerken,« sagte der Juwelier, welcher sehr unruhig aussah, und er blickte nach der Uhr, »dass ich sofortige Baarzahlung verlange. Ich bin durch den Schmuck in grosse Verlegenheit gekommen – es steckt mehr als mein Vermögen darin – und heute ist der Erste, auch ich habe Zahlungen zu leisten.«

»Sofortige Baarzahlung?« murmelte Ellen, anscheinend ganz sinnestrunken. »Ach nein, das geht doch nicht, so viel habe ich doch nicht bei mir. Aber gut bin ich Ihnen wie die Bank von England, telegraphiren Sie ...«

»Es thut mir leid. Ich habe schon sicherere Angebote bekommen, aber – ich kann nicht. Vor einer halben Stunde war ein Gentleman hier, er ist sicher wie Gold, aber ich gehe nicht ab von meinem Princip. Um zehn Uhr will er wieder hier sein mit den 20 000 Dollars.«

Ellen machte ein todestrauriges Gesicht und seufzte, als ob es ihr letzter Athemzug sei. Ihre Vorbereitungen vor der Reise waren sehr überstürzt gewesen, sie hatte mit ihrem Bankier nur das Nothwendigste besprechen können. Ihre Creditbriefe lauteten auf Bankhäuser in allen grösseren Städten, sogar in solchen, die weit ab von ihrer Tour lagen; nach St. Louis z. B. kam sie ja gar nicht, aber Omaha-City und andere fehlten. Ja, Starke hatte ihr schon wiederholt mit Geld aushelfen müssen, denn grössere Summen wollte sie nicht bei sich tragen. Freilich hätte sie bei Vorweis ihrer Creditbriefe auch hier von einem Bankhause einige tausend Dollars erhalten, aber nicht mehr heute, da wurden auch erst telegraphische Erkundigungen in London eingezogen. Und vollends 20 000 Dollars, daran war gar nicht zu denken. Und eine Depesche an den Londoner Bankier: weisen Sie mir sofort telegraphisch eine halbe Million an – das geht wohl in Jugendschriften, aber nicht in der Geschäftspraxis. So weist der Bankier nicht einmal fünf Groschen an, er will die Unterschrift haben. Vielleicht kann es anders werden, wenn erst die graphische Telegraphie im Gange ist.

Kurz, Ellen sah keine Möglichkeit, vor Ablauf einer Woche sich solch eine Summe zu verschaffen.

»Sie haben jenem Gentleman den Schmuck schon versprochen?« fragte Starke.

»Nun, dann könnte ich ihn Ihnen doch nicht mehr anbieten.«

»Aber um zehn Uhr will er doch wieder hier sein ...«

»Vielleicht, vielleicht, auch nicht. Ich habe ihm nichts versprochen. Es ist ein New-Yorker Gentleman, es scheint ihm gerade so wie Ihnen zu gehen. Er will sehen, die 20 000 Dollars zu bekommen, und hat gesagt, er wollte um zehn wieder hier sein. Aber das geht mich gar nichts an. Wer den Schmuck bezahlt, hat ihn.«

» All right, er gehört mir.«

Starke legte das Halsband in das Etui, schloss es und übergab es Ellen.

»Sie erlauben doch wenigstens, dass ich zum Bezahlen in die Tasche greife?«

Ellen staunte, und der Juwelier war etwas verblüfft.

»Natürlich, natürlich – Sie kaufen den Schmuck?«

»Wie ich gesagt, und ich bezahle sofort baar. Also Sie erlauben wenigstens, dass ich erst mein Portemonnaie ziehe? Nun, ich habe mein Portemonnaie hier auf einer Bank. Mann, machen Sie doch nicht solche Umstände! Ich sage Ihnen, ich kaufe den Schmuck und bezahle ihn baar innerhalb einer viertel, einer halben Stunde. Es wäre doch lächerlich, wollte innerhalb der halben Stunde ein Anderer kommen, der nun mehr Recht hätte als ich. Ist der Schmuck mein?«

Der Juwelier sah ein, dass dies ein glattes Geschäft war.

»Wenn es so ist – einverstanden.«

»Miss Howard – sind die beiden Gentlemen dort Ihre Commis? – sie sind Zeugen: ich habe das Diamantenhalsband für 20 000 Dollars gekauft. Es könnte sein, dass das Bankhaus mir innerhalb einer halben Stunde solch eine Summe nicht baar auszahlen kann. Auf welches Bankhaus in Omaha City wollen Sie eine Anweisung haben?«

»Auf die New-Yorker Hypothekenbank, die ist gut wie Gold. Gleich hier oben an der Ecke.«

» All right, ich eile sofort hin. Miss Howard, nur noch ein Wort zu Ihnen, damit Sie sich des Schmuckes inzwischen erfreuen können, denn vorläufig gehört er mir. Soll ich Ihnen die 20 000 Dollars leihen?«

»Sie?« brachte die vor Staunen starre Ellen endlich hervor.

»Antworten Sie doch kurz. Aber ich nehme 5 Procent, für den Tag ausgerechnet. Denn ich habe mein Geld zu 5 Procent angelegt, und da ich das herausziehe, müssen Sie mir diese geben. Pro Tag 12 Mark Zinsen, das ist eine ganze Kleinigkeit mehr als 5 Procent, was ich für die Spesen berechne. Einverstanden?«

»Ich bin damit einverstanden.«

» All right, das Halsband gehört Ihnen. Schriftlich machen wir es dann ab. Ich denke, schon in zehn Minuten zurück sein zu können.«

Er war hinaus. Nun hätte sich Ellen des glänzenden Schmuckes freuen können; sie liess die blitzenden Steine auch durch die Finger gleiten, doch die rechte Freude war es nicht mehr, eine bittere Empfindung mischte sich dazwischen, und sie war überhaupt schon seit einiger Zeit manchmal sehr melancholisch, besonders wenn sie Abends in dem einsamen Hotelzimmer allein war.

Was war mit ihr? Wer war dieser Mann? Wie sollte das enden?

Nein, es war kein Mensch mit einem Herzen. Ein Automat mit einem wunderbaren Mechanismus, einem Gehirn vergleichbar: es befahl, und die Glieder gehorchten. Nur lachen und Weinen konnte dieser Automat nicht, eben weil der Künstler das Herz nicht nachzuahmen vermocht hatte.

Und sie liebte diesen menschlichen Automaten! Nur noch 280 Tage, dann würde er ihr nicht mehr gehören, laut Contract, dann würde sie ihn einer anderen Person abtreten müssen, vielleicht auch wieder einer Dame, und er würde ihr gegenüber auch wieder der gefällige, aufmerksame, höfliche und kalte Automat sein, und die Andere würde ihn wahrscheinlich auch wieder so lieben.

Was sollte daraus werden? Sollte sie ihm etwa um den Hals fallen? Sie glaubte nicht mehr daran, ihn erwärmen zu können, denn er besass ja kein Herz.

Aber wenn es gelänge!! Wenn ihm eine Seele einzuhauchen wäre! Es blieb Ellen's schöner Traum – und der schöne Traum machte sie immer unglücklicher. Die ganze Weltreise war ihr schon längst verleidet. Sie sah das Ende kommen, wie er die Rechnung präsentirte, ein höflicher Abschied, und er ging. Sie hatte schon mehrmals vorgehabt, die Reise aufzugeben, nur darum, weil sie sich doch einmal von ihm trennen musste – aber das war es eben, vor diesem Ende zitterte sie; sie wünschte, dass die Fahrt ewig dauern, dass sie nie aus diesem schönen Traume erwachen möge.

Liebte er sie denn? Sie glaubte es und hatte doch keinen anderen Grund dafür als einmal eine leichte Verlegenheit von ihm – und dann noch das Verhalten seines Hundes zu ihr. Aber was war das? Und wenn er sie liebte, dann beherrschte er sich eben, weil er sich nicht binden wollte.

Gab es denn gar nichts, um den kalten Mann zu fesseln? Ihr Reichthum? Sie hatte ihm einmal ihre Vermögensverhältnisse klargelegt, so im vertraulichen Gespräch, wie es einem Weibe so schwer sei, ein solches Vermögen allein zu verwalten. Was kümmerte der sich darum! Nun zeigte er ihr auch noch, dass er selbst über grosse Capitalien verfügte.

Hoffnungslos, schmerzlich, und dabei dennoch glücklich – durch seine Gegenwart im Traume. So mag sich der, welcher einen Gewinn in der Lotterie gemacht hat, einmal eine kurze Zeit für einen reichen Mann halten; ist das Geld vergeudet, kehrt er wieder zu seiner alten Beschäftigung zurück –

Stürmisch trat ein geckenhaft gekleideter junger Herr in den Laden, ein New-Yorker Dandy; wenn er sprach, sah man die zwischen den Zähnen eingesetzten Diamanten blitzen, an der Uhrkette hatte er eine kleine in federnde Goldspiralen gefasste Schildkröte hängen, eine lebendige, eine schändliche Thierquälerei.

»Ich habe sie, 20 000 Dollars,« rief er, eine Brieftasche auf die Ladentafel werfend.

Der Juwelier bedeutete, das Halsband sei soeben verkauft worden. Mit bösen Augen musterte der Dandy die Dame im Radfahrercostüm. 1000 Dollars mehr, er bat, sprach von einer Braut, ging bis zu 5000 Dollars höher, doch Ellen bedauerte, und dann sagte der Yankee ein »Goddamned«, biss mit den Diamantenzähnen ein Stück Kautabak ab und ging. Aufgeregt wird der Yankee nur in den Wahltagen, sonst nie.

Erst jetzt konnte sich Ellen wieder des kostbaren Schmuckes erfreuen, die Dazwischenkunft des Dandys und sein Mehrbieten hatten ihr den Werth in die Erinnerung zurückgebracht. Wer von ihren Freundinnen besass wohl solch ein Halsband? Keine. Theuerer vielleicht, aber nicht so schön, so geschmackvoll, so edel.

Die zehn Minuten konnten noch nicht vergangen sein, als Starke schon wiederkam und dem Juwelier ein Papier gab.

»Acceptiren Sie dies?«

Der Geschäftsinhaber las die Anweisung, hielt sie gegen das Licht und machte dann – ganz gegen amerikanische Sitte – eine tiefe Verbeugung.

»Nun haben Sie wohl noch die Güte, Quittung und Garantieschein auszustellen und dann als Zeuge zu dienen für die Schuldverschreibung, welche mir diese Dame ausstellen wird. – Das Etui stecke ich der Sicherheit halber einstweilen zu mir, Miss Howard, es könnte Ihnen auf der Strasse etwas passiren.«

Wieder fügte er solch einen bitteren Tropfen hinzu; gleich hier in einem Hinterzimmer musste sie bestätigen, von Curt Starke 20 000 Dollars geliehen zu haben, gegen 5 Procent Zinsen, diese für jeden Tag berechnet. War dies alles nöthig? War dies nicht recht kleinlich? Oder – hatte er einen bestimmten Zweck; war er absichtlich so geschäftsmässig ihr gegenüber, um sein Innerstes zu verbergen?

Und wiederum war es Starke ganz ähnlich, dass er dann gleich den schlechten Eindruck verwischte.

»Es ist nur der Ordnung wegen; verzeihen Sie, ein Wucherer bin ich nicht,« sagte er, als er das Papier von ihr in Empfang nahm. »Wie schon erwähnt, mein Geld ist zu 5 Procent angelegt, und da kann ich wohl fordern, wenn ich es ausleihe, das bin ich sogar meinen Erben schuldig. Wer in kleinen Dingen ordentlich und pünktlich ist, verdient auch in grossen Sachen Vertrauen.«

»Sie haben Erben?« fragte Ellen aufmerksam.

»Man muss doch über seine eventuelle Hinterlassenschaft verfügen,« war seine ausweichende Antwort.

Sie gingen. Neben der Treppe zum Postgebäude standen wohlbehalten die beiden Räder, Hassan lag davor, ein zahlreiches Publicum bewunderte dieses Sicherheitsschloss, wie es kein besseres geben konnte.

»Nun erklären Sie mir aber, Mr. Starke,« machte Ellen, zur Offenheit nun schon erzogen, ihrem Staunen noch nachträglich Luft, als sie die Räder durch die belebte Strasse schoben, »wie kommen Sie zu dieser Summe?«

»Ich habe einen ganz eigenthümlichen Creditbrief in Verbindung mit einem ebenso merkwürdigen Passepartout, welches mich überall legitimirt; und wenn es im entferntesten Winkel der Erde ist, jeder Kaufmann – vorausgesetzt natürlich, dass er überhaupt die Bankverhältnisse kennt – wird mir, wenn er kann, seine Geldbörse öffnen. Diese Combination ist meine eigene Erfindung, d. h. indirect, die Legitimation hat mir ohne meinen Willen ein grauer Geselle ausgestellt. Ich bin einmal, es ist sogar gar nicht weit von hier, mit einem Grizlybären in Collision gerathen, der hat mir ein Andenken hinterlassen, eine Narbe, und so bin ich auf dem Kreditbriefe meines Bankiers photographirt, das ist eine Legitimation, die so leicht niemand nachmachen oder missbrauchen kann. Einer Dame freilich kann ich die Photographie nicht gut zeigen.«

»Das ist allerdings originell,« lachte Ellen etwas verlegen, und besorgt setzte sie hinzu: »Es war eine schlimme Verwundung, die Ihnen der Bär beibrachte?«

»Wenigstens eine ganz anständige Narbe,« sagte Starke, mit der Hand leicht über die linke Schulter und Brust fahrend.

»Ich dachte gar nicht, dass Sie verwundet werden könnten.«

»Warum denn nicht?« fragte ihr Begleiter, sie dabei anblickend, allerdings ohne ein Zeichen des Staunens, dessen er gar nicht fähig war.

»Weil ... ich machte nur Scherz. Ja, Mr. Starke, verzeihen Sie, aber ich bin wirklich zu sehr überrascht – Sie sind ja ein reicher Mann! Wenn Sie ohne Weiteres auf Ihren Creditbrief 20 000 Dollars bekommen können, in zehn Minuten, dann müssen Sie auch noch bedeutend mehr haben, mindestens Millionär, vielfacher Millionär sein! Verzeihen Sie meine Neugierde, aber ...«

»Ja, ich habe mir Vermögen erworben. Wenn man, wie ich, fortwährend in der Welt umherreist, und man hält die Augen offen, und – mit die Hauptsache – man hat immer baares Geld in der Hand, ist dies nicht schwer. Mir ist es noch in Südafrika passirt, dass ich für eine Hand voll grosser Diamanten eine Hand voll Tabak gegeben habe. Das war freilich der stärkste Fall. Mit Raritäten, mit Alterthümern, bei Ausgrabungen, da ist etwas zu verdienen. Oben in Sibirien sah ich in der Hütte eines Pelzjägers einen grossen Mammuthzahn, sehr hübsch zu einer Tabakspfeife geschnitzt, also ein ganz riesiges Ding; ein russischer Kaufmann war auch dabei, er bot dem Tschuktschen hundert, tausend, dreitausend Rubel – ich hatte einen amerikanischen Doppeladler bei mir, und ich bekam den Zahn, der Russe konnte ihm so viel Goldrubel zeigen als er wollte, mein Doppeladler war am grössten und sah am schönsten aus. Dann habe ich die Tabakspfeife aus vorsündfluthlichem Elfenbein an einen Engländer für 600 Pfund Sterling verkauft.«

»Ei ei, Sie sind ja ein Kaufmann! Das hätte ich Ihnen gar nicht zugetraut.«

»Nicht so, wie Sie meinen. Der Juwelier ist offenbar in grosser Geldverlegenheit; ich bin fest überzeugt, ich hätte ihm wenigstens 1000 Dollars abhandeln können. Aber das thue ich nicht, auch nicht aus Gefälligkeit für einen Anderen; die Kette ist noch mehr werth. Mehr als verlangt wird, gebe ich allerdings auch nicht. Eben so wenig habe ich den Tschuktschen übervortheilt, für ihn hatte der blanke Doppeladler positiv mehr Werth als tausend Rubel Papiergeld.«

Ellen erzählte ihm, wie der Dandy ihr 5000 Dollars mehr geboten hatte.

»Sehen Sie, da hätten Sie in fünf Minuten ebenso viele tausend Dollars verdienen können, das ist der Vortheil, wenn man stets über Geld verfügt. Und ich sage Ihnen, in New-York, in London, auch in San Francisco können Sie das Collier sofort für 30 000 Dollars wieder verkaufen. Es sind aussergewöhnlich edle Diamanten mit wunderschöner Fassung. Ich habe eine Beschreibung des berühmten Halsbandes der Königin gelesen – Sie wissen, die bekannte Schwindelei, welche die Joanne de Lamothe mit der Marie Antoinette trieb, es sollte wohl zwei Millionen Livres kosten – die Steine mögen grösser, doch schöner kann es nicht gewesen sein. Suchen Sie nur einen Liebhaber.«

»Ich werde es für mich behalten.«

Starke bezeichnete ihr das Hotel, in welchem sie auch heute den ganzen Tag der Ruhe pflegen würden, nur er selbst müsste noch einige Sachen besorgen. Denn nur noch einige wenige Meilen durch civilisirte Gegend, dann betraten sie den Kriegspfad, nämlich die durch das fast völlig menschenleere Nebraska den Plattefluss entlang führende Heeresstrasse, welche in Amerika »Path of war« heisst, und zwar mit vollem Rechte.

*

Sir Munro befand sich nicht mehr in Omaha. Nach Starke's Instructionen, besonders auch mit Adressen versehen, hatte er inzwischen eine Expedition gebildet, bestehend aus zwei Führern und einem halben Dutzend anderer Begleiter, verwegener, aber zuverlässiger Burschen, vertraut mit dem Prairieleben Nebraskas, einer Art von Cowboys. Gestern Nachmittag hatte er Starke's letztes Telegramm empfangen, heute Morgen mit Sonnenaufgang hatte er mit der Expedition Omaha verlassen, ausgerüstet mit zwei Rädern, noch mehr Ersatztheilen und anderen Gegenständen, darunter z. B. ein zusammenlegbares Boot aus Leder.

Denn jetzt hörte das gemüthliche Fahren von Station zu Station auf, die Table d'hôte, das weiche Bett, auch das »Aus dem Brunnen trinken«. Wurde jetzt die Maschine unheilbar defect, konnte man sie drei bis vier Wochen lang zu Fuss schieben, oder man musste zurück, einen Verlust von vielen Tagen bedeutete es also immer. Indianern würde man wohl genug begegnen, aber die jagen den Büffel noch nicht per Rad. Die Expedition sollte womöglich immer einen Tag vorausreiten, es gab für sie vielerlei zu thun; der Mestize Somaja, ein Prairiejäger, den Starke aus weiter Ferne nach Omaha zu Sir Munro zu citiren gewusst hatte, leitete Alles, und seine erste Aufgabe war, über den Dacotah, einen Nebenfluss des Plattestromes, aber selbst ein grosser Strom und in dieser Jahreszeit auch noch sehr angeschwollen, die beste Ueberfahrt zu finden und dort das aufgeschlagene Boot bereit zu halten. Der kräftige, erfahrene Mann konnte wohl seine Maschine hinüberschaffen, konnte sich erst ein Floss aus gefällten Baumstämmen zimmern. Ellen aber sah immer mehr ein, mit welcher todsicherer Gewissheit sie ihre Wette verloren hätte, ohne solch einen Begleiter.

Schon viel hatte ihr Starke erzählt, durch was für ein Land sie kommen würden. Der Staat Nebraska ist fast noch einmal so gross wie Deutschland und der am schwächsten bevölkerte in Nordamerika, kaum eine halbe Million Einwohner, und die drängen sich in Omaha, Lincoln und in einigen anderen Städtchen und Ortschaften zusammen. Der Prairieboden ist wenig fruchtbar, es herrscht Wassermangel, und wenn es nun auch in solch einem ungeheuren Gebiete reizende Oasen mit üppigem, gutbewässertem Boden giebt, meilenweite Districte, warum soll man sie besiedeln, so lange man für dasselbe Geld anderswo noch genug des besten Regierungslandes bekommt, wo man für die Erzeugnisse directen Absatz hat oder wo es doch gute Verkehrswege giebt. Denn das Land in ganz Nordamerika ist von der Regierung zu zwei Preisen festgesetzt: entweder kostet der Acre, 4000 Quadratmeter, anderthalb Dollar, oder zweiundeinhalb Dollar, je nach Beschaffenheit und Wasserverhältnissen. Auf der Karte sieht man wohl durch Nebraska einige Eisenbahnen gehen, darunter auch die erste Pacific, aber was ist das bei einem Lande von 18 000 deutschen Quadratmeilen! Und da die Colonisten fehlen, giebt es auch gar keine Stationen.

So ist Nebraska und das benachbarte Süd-Dacotah das fast unbeschränkte Jagdgebiet der Sioux – ein französischer Name; die Anglo-Amerikaner nennen sie Nadowessiers, sie sich selbst Dacotahs.

Es wird den Kindern von ihren Erziehern eingeprägt, die Zeiten der Trapper und Waldläufer, eines Lederstrumpfs und eines letzten Mohikaners seien schon längst und unwiderruflich dahin. Das ist recht gut gemeint und vorsichtig; der abenteuerlustige Junge soll nicht durchbrennen, um Indianerhäuptling werden zu wollen. Aber wahr ist es nicht, und wenn es die Lehrer selbst glauben, so möchte man ihnen sagen: jawohl kommt nur hin.

Zunächst eine Frage. In London werden alljährlich ungefähr 10 000 nordamerikanische Bärenfelle verauctionirt. (Der Verfasser ist in dieser Branche gewesen.) Wo kommen diese Bären denn her? In zoologischen Gärten werden sie nicht gezüchtet. Die werden von Trappers und mehr noch von Indianern geschossen, und manches schöne Exemplar ist durch Messerstiche oder Tomahawkhiebe minderwerthig geworden – da hat Onkel Jonathan den Jäger zwischen seinen Klauen gehabt.

Im Jahre 1825 beschloss der Congress zu Washington, alle unsesshaften Rothhäute nach einem gewissen Districte zu verpflanzen. Es geschah; einige Stämme fügten sich freiwillig, andere mussten dazu gezwungen werden, zuletzt, 1842, die Seminolen nach blutigem Widerstande. Dies ist das heutige, den Blassgesichtern verschlossene Indianer-Territorium, umgrenzt von Kansas, Arkansas, Missouri und Texas. Es beherbergt jetzt ungefähr noch 120 000 Rothhäute, und diese können sich auf dem beschränkten Gebiete allerdings nicht mehr allein von der Jagd ernähren, sie werden von der Regierung mit Nahrungsmitteln unterstützt.

An die Sioux war der Antrag nicht ergangen. Ihr Land war es nicht werth, um mit diesem streitbaren, zahlreichen Volke deswegen einen Kampf zu beginnen. So wurde am 23. Sept. 1851 zu Fort Lamarie zwischen Vertretern der Union und vierzig Siouxhäuptlingen der sogenannte »ewige Friedens- und Freundschaftsvertrag« beschworen. Als aber einige Jahre darauf die Union ihre »ewige Freundschaft« kündigte – man hatte nämlich in Nebraska reiche Kohlenlager endeckt – da bekamen die amerikanischen Miliztruppen von den sich einmal vereinigenden Siouxstämmen die schmählichsten Hiebe.

Seitdem hat man sie in Ruhe gelassen, und mehr verlangen die Sioux auch gar nicht. Es sind überhaupt ganz vernünftige Leute. Sie zerstören keine Schienenstränge, durchschneiden nicht den Telegraphendraht, überfallen nicht einmal Ansiedler – sie wollen nur der Jagd obliegen können und sich selbst gegenseitig in aller Gemüthlichkeit die Kopfhaut abziehen dürfen.

Bis dahin, bis der letzte Sioux dem vorletzten den Scalp genommen hat, wartet man geduldig. Denn leider ist gerade der Sioux kein grosser Freund des Feuerwassers, sonst würde es bedeutend schneller gehen.

Jetzt mögen es noch etwa 5000 sein, also kommen auf jeden Mann, jede Frau und jedes Kind mehr als drei deutsche Quadratmeilen, und da sage man nicht, ein Familienvater könne sein Wigwam nicht mit Wildpret versorgen. Die 10 000 Bären, welche alljährlich getödtet werden, fressen auch kein Heu; im Herbste wandert alles Wild aus Canada bis hinab nach Nebraska, und überhaupt genügte schon das zahllose Geflügel des sumpfigen Platterivers, um die Indianer zu ernähren; Ebenso ist es gar nicht wahr, wie man so häufig hört und liest, dass der Büffel, der echte Bison, im Aussterben begriffen oder womöglich gar schon ausgestorben sei. Mit den früheren Mengen lassen sich die jetzigen freilich nicht mehr vergleichen. Aber noch heute erblickt der auf der Pacific Reisende unübersehbare Bisonheerden, oder man braucht sich ja auch nur die Verzeichnisse der grossen Pelz- undLederauctionen kommen zu lassen, und noch heute nimmt der Sioux dem erlegten Tiere nur Buckel, Zunge und Fell ab, das Andere bleibt liegen, und zwar benutzt er auf der Büffeljagd, obgleich mit Hinterlader versehen, noch immer nur Pfeil und Bogen – es mag ihm ritterlicher dünken, es soll auch mit einem religiösen Cultus zusammenhängen. –

Nordamerika ist früher von einer anderen Race, schon auf ziemlich hoher Cultur stehend, bevölkert gewesen. Die Indianer, wie sie die ersten Europäer kennen lernten und wie sie noch jetzt existiren, sind erobernd von Norden her eingedrungen, und haben diese Urbevölkerung mit der Zeit ausgerottet, und zwar müssen die letzten Vernichtungskämpfe eben zu der Zeit stattgefunden haben, als die ersten Europäer an der Ostküste festen Fuss fassten. Man hat zahlreiche Ruinen von Festungen und anderen Bauwerken gefunden, von Canada an bis nach Florida immer den ganz gleichen Geist verrathend; Einzelnes ist an Grossartigkeit mit den ägyptischen Pyramiden und Sphynxen zu vergleichen, aber wieder grundverschieden von den Bauten der südamerikanischen und mexikanischen Urbevölkerung. So liegt im Staate Mississippi bei Brush-Creek eine aus Backsteinen gemauerte Schlange, 300 Meter lang und 2 Meter im Durchmesser, elegante Windungen beschreibend, und im geöffneten Rachen hält sie ein grosses Ei. Doch hierüber kann man im Conversations-Lexicon unter »Amerikanische Alterthümer« nachlesen.

Uns interessirt nur die uralte Heeresstrasse, welche unsere beiden Radfahrer nehmen. Europa besitzt kein solch colossales Werk der Chaussee-Baukunst. Sie folgt dem Platteriver, von den Indianern Nebraska genannt, von dem Felsengebirge an bis nach Omaha, also bis an den Missouri, ist mit glatten, gebrannten, unverwüstlichen Thonziegeln gepflastert, noch vollkommen gut erhalten, jetzt natürlich mit einer Grasnarbe bedeckt. Das ist der echte berühmte Kriegspfad, von dem die Ausdrücke alle herstammen, welche in Jugendschriften eine so grosse Rolle spielen. Es mag auch eine Armeestrasse jenes unbekannten Volkes gewesen sein, um sie mögen mit den eindringenden Indianern die blutigsten Kämpfe stattgefunden haben; eine dunkle Erinnerung daran lebt heute noch in sämmtlichen Indianerstämmen Nordamerikas, und jetzt ist der » Path of war« noch ganz besonders die Scheide zwischen den nördlichen und südlichen Siouxstämmen, an bestimmten Stellen der Strasse legen die Abgesandten ihre Zeichen nieder, und wenn der Kriegspfad überschritten wird, dann geht es los.

Dieser Strasse ist einst der Auswandererstrom nach Westen gefolgt. Die Pacificbahn hat sie nicht benutzt; die Flussübergänge sind nicht günstig. Nur der Indianer-Agent, d. h. ein Hausirer, zugleich stets von der Regierung besoldeter Spion, treibt seinen Planwagen auf der vereinsamten Strasse und der moderne Globetrotter benutzt sie zu Fuss und zu Rad und kommt unangefochten zwischen den wilden Indianerstämmen hindurch, eben weil er sich auf dem Kriegspfade befindet, welcher von den Rothhäuten respectvoll gemieden wird und betreten diese ihn selbst, dann erfährt er dies schon an der Grenze; wagt er freilich dann noch, durch Nebraska zu reisen, so kann er sich seinen Scalp nur gleich selber abziehen. ...

So wusste Starke gar viel zu erzählen, immer Neues, von dem Ellen noch nie gehört. An Stoff zur Unterhaltung während der Reise fehlte es nicht.

Zunächst kam wieder das Hôtel daran, und dann liess Ellen in Starke's Gegenwart wieder die blitzende Kette durch die Finger laufen.

»Sie werden sie doch nach London schicken wollen. An wen? Ueberlassen Sie mir das Einpacken und Adressiren.«

»An meinen Bankier,« entgegnete Ellen, nachdenklich mit dem Geschmeide spielend. »Ich glaube, Sie verstehen mehr von solch' einem Kunstwerke des Goldschmiedes als ich.«

»Mehr verstehen vielleicht, doch solche Freude wie Sie habe ich nicht daran.«

»Freude? Ja ja, ich weiss schon, was Sie meinen – die künstlerische Arbeit hätte für Sie grossen Werth.«

»Nicht so sehr. Derartigen modernen Schmuck sammle ich nicht.«

Wusste er, was sie beabsichtigte? Fast schien es so, sie wollte ihm die Kette schenken, sie ihm in die Hand drücken, schon kämpfte sie mit sich – und schon parirte er. Noch einen Versuch machte sie, ob sie es wagen dürfe; eine Abweisung hätte sie nicht verschmerzt.

»Wem würden Sie das Halsband schenken, wenn es Ihnen gehörte?« Und sie erglühte. Deutlicher hatte sie nicht sein können.

»Ich wüsste Niemanden, ich würde es wieder verkaufen und ein gutes Geschäft dabei machen.«

»Packen Sie es ein, Hands und Compagnie, Strand 16,« sagte sie mit müder Stimme, ihm das Halsband gebend.

»Hands und Compagnie,« wiederholte der gefühllose Barbar, »kenne ich, ein sehr solides Haus. – Sind Sie hungrig, Miss Howard?«

»Nicht sehr.«

»Ich rathe Ihnen, nichts zu geniessen, legen Sie sich gleich hin, schlafen Sie einmal bis morgen früh durch und ...«

»Ach um Gottes Willen!« rief Ellen erschrocken. »Müde bin ich wohl, schlafen möchte ich wohl, aber – einmal und nicht wieder, ich mag nicht mehr im Traume radeln, das ist eine grössere Strafe als Tretmühle.«

»Wenn ich Ihnen den Rath gebe, gebe ich Ihnen auch das Mittel dazu, sich einen tiefen, traumlosen Schlaf zu verschaffen. Kein Opium oder dergleichen, es ist ganz unschuldig. Verlassen Sie sich auf mich alten Praktiker. Bitte, wollen Sie sich noch zehn Minuten gedulden.«

Die zehn Minuten waren doch nicht verstrichen, als er schon wieder ihr Zimmer betrat, in der Hand ein halb mit Wasser gefülltes Glas, in welchem er mit einem Löffelchen ein Pulver zerrührte.«

Ellen's Augen waren geröthet, sie machte mit dem Taschentuche noch eine hastige Bewegung. Er merkte natürlich nichts. »Trinken Sie das.«

»Ein Schlafpulver? Ich liebe so etwas wirklich nicht.«

»O nein, das würde ich Ihnen auch nicht geben. Es ist Guru, auch Kola genannt, eine im Innern Afrikas wachsende Nuss. Die Beduinen wiegen sie mit Gold auf, um Hunger und Durst mit beispielloser Ausdauer zu ertragen, um nach nervenzerreibenden Wüstenritten fieberlos schlafen zu können. Wenn aber die Kola schädlich wäre, würden die Beduinen sie nicht auch ihren Pferden eingeben. Trinken Sie, Miss Howard.«

Bald hätte Ellen, die Augen noch voll Thränen, ihm in's Gesicht gelacht. Er wusste selbst nicht, wie humoristisch er sein konnte, immer mit seiner unverwüstlichen Ernsthaftigkeit.

Sie trank die noch einmal aufgerührte Mischung, das im Wasser feinvertheilte Pulver schmeckte angenehm bitter, gewürzhaft und aromatisch. Starke ging, er wolle den Schmuck einpacken und zur Post bringen. Ellen entkleidete sich und legte sich hin, in der festen Ueberzeugung, trotz der Kola nach dem Einschlafen sofort eine qualvolle Radtour anzutreten, denn nach dem Stundenplane gehörte sie jetzt eben auf's Rad und nicht in's Bett – aber sie war entschlafen, ehe sie es wusste, sie träumte nicht, sie wachte nicht eher auf, als bis Starke's Stimme sie am anderen Tage früh halb vier Uhr weckte, und da fühlte sie sich wie neugeboren.

*

Am Abende desselben Tages, am 1. October, hatte der Lady-Champion-Club seine General-Versammlung, und da die Pfirsiche reiften, gab es Pfirsichbowle, und Lady Oliva Hobwell hatte sich wieder einmal gründlich bezecht. Was sie schwatzte, wusste sie selber nicht, aber schwatzen that sie fürchterlich.

Das Telegramm aus Omaha war angekommen, gleichzeitig hatte Lady Oliva aus Springfield den Brief erhalten, in welchem Ellen das Abenteuer mit Mr. Jenkin erzählte, wie er im Teiche geschwommen und wie Starke die sechs Räder zerknackt hatte. Die tolle Lady hatte, als sie noch nüchtern gewesen, den Brief vorgelesen, sie freute sich königlich, war ganz aus dem Häuschen, und sie hatte auch Grund, sich so zu freuen; sie hatte thatsächlich ein förmliches Wettbureau aufgemacht, doch nur Wetten gegen Ellen Howard annehmend, ein sachverständiges Publicum hatte sofort darauf gesetzt, dass die Radfahrerin die Rundreise nicht in 300 Tagen vollenden könne, und wenn sie jetzt zu zahlen gehabt hätte, so wäre ihre Kasse tüchtig geschröpft worden. Nun aber war gerade das Gegentheil der Fall. Doch was machte sich die Erbin des siebenten Theiles von London aus Gewinn oder Verlust von einigen lumpigen Millionen.

Der Profane, der einmal wirklich reiche Leute sehen will, Engländer, Yankees und Russen, welche nicht wissen, was sie mit ihrem Gelde machen sollen, der muss nach Monte Carlo gehen. Diese Dampfyachten; diese Kraftfahrzeuge; Fahrräder aus goldplattirtem Elfenbein, die Achsen thatsächlich zwischen rundgeschliffenen Diamanten laufend; Photographenapparate aus Platin; ein Ohrring verloren, 50 000 Francs Belohnung, am nächsten Tage sind es schon 25 000 mehr ...

Ueberhaupt hatte Lady Oliva ja gesagt, die armen Leute, welche immer auf die Pferde verlieren, sollten auch einmal gewinnen.

Sie schwatzte also, dass Niemand anders zu Worte kommen konnte. Soeben wurde ihr gesagt, dass ihre Equipage vorgefahren sei.

»Wer hat denn die bestellt! Na, Miss Le–Le–Le–Leanor, Sie denken wohl, ich bin bezecht?- 1200 Meilen in 23 Tagen! Meine Herrschaften, ich sterbe vor Seligkeit. Erst aber schenken Sie mir noch ein Glas Bo–Bo–Bowle ein. Ich habe erst neun Gläser, ich muss noch 1191 Gläser trinken. Auf jede Meile ein Glas. Ach, Lady Judith, schenken Sie mir doch ein, Sie sind mir die Allerliebste von der ganzen Bande, und Sie thun es doch auch am allerliebsten. Danke, danke, die Pfipfipfipfipfi – hol's der Geier – die Pfipfipfipfi – na aber so was! – die Pfipfipfirsiche können Sie selber essen, Gott sei Dank, endlich war's raus. Da unten steht ja meine Equiquiquipapage? Wie kommt denn die hierher? Pst, halloh, Jim, fahr herauf, ich will lieber hier oben einsteigen. Herr Gott, jeder Schimmel hat ja acht Beine! Und Sie, Lady Judith, Sie haben ja mit einem Male zwei Gesichter! Das eine ist ganz gelb, das andere ist ganz grün. Apropopopopos, theuerste Judith, was kosten sechs der billigsten Schschundräder? Ich will keine kaufen, ich meine nur so. Halloh, Judith, mein Papa sagt, gestern wären an der Börse indische Gwalioractien angeboten worden. Sie paddeln doch auch da unten in dem Bleidreck herum. Kaufen Sie, kaufen Sie die Actien! Oder es sind doch nicht etwa gar Ihre? Nanu, was ist denn das, jetzt wird ja Ihr linkes Gesicht mit einem Male ganz blau! – Jawohl, Miss Leleleanor, ich gehe schon von ganz alleine. – Gute Nacht, gute Nacht, ihr alten Mädchen. Gute Nacht, meine einzige Freundin, meine theuerste Judith, träumen Sie recht hübsch von mir. Machen Sie nicht bald wieder einmal Schlllagsahne? – Na, passt auf, dass ich nicht die Treppe hinunterfalle. Herr Gott, wenn jetzt mein Papa zu Hause ist – aber da werde ich morgen früh hübsch gesund aussehen, mit rothen dicken Bäckchen.«

Glücklich wurde sie hinuntergebracht und in den Wagen gepackt. Aber man wusste überhaupt nicht, ob sie wirklich solch einen unverschämten Spitz weghatte oder ob sie sich nur so stellte. Die Zurückgebliebenen lachten. Trotz ihrer schnellen, spitzen Zunge hatte sie keine Feindin. Doch, eine – Lady Judith stöhnte vor Wuth, und da die Oliva nicht noch in derselben Nacht starb, so kann an der ganzen schwarzen Magie kein wahres Wort sein.


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