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11. Capitel.
Auseinandersetzungen und Entdeckungen.

Ellen war während der letzten vier Regentage »abgefallen.« Dieser Ausdruck bezeichnet am besten ihren Zustand. In finsterer Nacht aufstehen, ohne ausgeschlafen zu haben, fröstelnd, in einem plätschernden oder rieselnden Regen treten, vier Stunden lang sich mühsam durch einen zähen Schlamm arbeiten, von einem Wege oft gar keine Spur, die Frühstückspause unter einem triefenden Baume, oder auch den nicht einmal, dann wieder zwei Stunden vorwärts, am Mittage irgendwo, einige Stunden eines todähnlichen Schlafes, noch todtmüder wieder aufgerüttelt, wieder drei Stunden durch Regen und Schlamm, fast immer Gegenwind – es war eine furchtbare Tortur!

Mit dem Vergnügen der Weltreise war es also vorbei, Ellen konnte nicht einmal mehr essen, sie musste sich zu jedem Bissen zwingen, sie war eben übermüdet, und sie glaubte schon, von dem ewig nassen Anzuge sich einen Gelenkrheumatismus geholt zu haben. Nun hielt sie aber trotzdem aus! Sie brach nicht zusammen, sie fiel eben nur ab, es machte ihr kein Vergnügen mehr, apathisch und mechanisch trat sie ihre Meilen ab.

Hätte sie allerdings nicht diesen eisernen Schrittmacher bei sich gehabt, sie würde die Reise wahrscheinlich schon verzweiflungsvoll aufgegeben haben. So gestand sie sich selbst.

Starke blieb, der er immer gewesen. Er war über Regen, Schlamm und Gegenwind erhaben; er machte sie wie im schönsten Sonnenschein auf dies und jenes aufmerksam, wusste ein hübsches Geschichtchen zu erzählen, hatte immer einen trockenen Witz bei der Hand, und wo er zur Pause abstieg, da setzte er sich bequem im dicksten Schmutze nieder, ass mit Andacht seine zwei Pfund Fleisch, und im nächsten Bache oder Teiche spülte er den Schlamm von seiner Lederkleidung und sass wieder gleichmüthig, die dampfende Pfeife im Munde, auf seinem Rade.

»Halten Sie aus, halten Sie aus,« sagte er ein über's andere Mal. »Der Stundenplan wird abgefahren, und wenn vor uns auch ein feuerspeiendes Gebirge entstehen sollte, und von solch' einem bischen Regen werden wir uns doch nicht irritiren lassen. Was gilt die Wette, Miss Howard, dass es wieder zu regnen aufhört und die Sonne wieder scheinen wird?«

Bei solchen humoristischen Worten konnte die zerschlagene Ellen in ihrer Apathie sogar noch lachen.

»Sie haben keinen Gelenkrheumatismus,« fuhr er dann tröstend fort, »das sind nur Muskelschmerzen. Die stellen sich bei jeder ungewohnten, langandauernden Bewegung ein, habe sie auch einmal gehabt. Halten Sie bis nach Indianapolis aus, dann haben Sie fünf Tage gespart, opfern Sie davon zwei, bleiben Sie im Hôtel, bleiben Sie im Bett liegen, pflegen Sie sich, und dann werden Sie staunend erleben, mit welch' ungeheurer Gewalt Ihr Appetit zurückkehrt, wie Sie sich mit einem Male kräftig und energisch fühlen, dass Ihnen jede weitere Strapaze nur noch als ein Kinderspiel erscheint. Nur ein einziges Mal aushalten! Das hier ist die Feuer- oder richtiger die Wasserprobe.«

Und Ellen hielt aus. Immer mehr überkam sie eine eigentümliche Empfindung. Es war ihr zu Muthe wie etwa dem Schiffer auf dem sinkenden Wrack, der nach dem ihm wohlbekannten Stern blickt, und dieser Stern spricht: richte dich nach mir, verzweifle nicht, unter mir ist die rettende Küste – so blickte Ellen auf ihren Begleiter, und er führte sie an das sichere Land.«

Wie Ellen das luxuriöse Hôtelzimmer betrat, wie sie das Bett sah, wie sie sich sagte: vorbei ist die Noth, hier werde ich zwei Tage der behaglichsten Ruhe pflegen – da erwachte sie zum ersten Male wieder aus ihrer Lethargie, und sie dachte an die Zukunft.

»Bitte, Mr. Starke, bleiben Sie noch einen Augenblick, treten Sie ein, ich möchte Sie sprechen, bitte,« wandte sie sich sofort nach dem Betreten des Zimmers an Starke, der sie bis an die Thür begleitet hatte, und er folgte der Aufforderung, schloss die Thür hinter sich, stand vor ihr wie immer regungslos in seiner ganzen Grösse aufgerichtet, wodurch er immer an seine dienende Stellung zu erinnern wusste, was er mit Vorliebe zu thun schien.

»Was befehlen Sie, Miss Howard?«

Ellen hatte ihre Müdigkeit plötzlich ganz vergessen, auch sie blieb stehen, die energische, selbstbewusste Engländerin rang nach Fassung.

»Wo haben Sie die Räder?«

Sie hatte sich während der letzten Zeit nie darum gekümmert.

»Das Meine unten dem Hausknecht übergeben. Das Ihre wollen wir ausrangiren, es würde nicht mehr bis nach Omaha halten. Ich habe durch Sir Munro hier eine neue Maschine bestellt, auch für zwei auswechselbare Kettenräder sorgen lassen.«

»Durch Sir Munro – Sie sind sehr aufmerksam,« brachte Ellen mit immer grösserer Verlegenheit hervor, ihre Gedanken weilten ja ganz wo anders. »Ich werde auch einen neuen Anzug haben müssen. Sie würden ...«.

»Ist gleichfalls schon durch Sir Munro besorgt, wenigstens hoffe ich zuversichtlich, dass er meinen Anordnungen entsprochen hat. Einen Lederanzug gleich dem meinen habe ich nicht für gut befunden, es dauert lange Zeit, ehe man sich daran gewöhnt hat. Es ist wieder ein Lodenanzug, aber ein heller, und wir kommen jetzt auch in eine vom Regen wenig heimgesuchte Gegend.«

Immer wieder Sir Munro, von dem sie nichts wissen mochte. Oder doch, sie hatte ja gerade über ihn sprechen wollen.

»In Indianopolis hatten Sie mir Ihre Entscheidung geben wollen, ob Sie mich weiterbegleiten würden oder nicht – wir sind in Indianopolis.«

Nun war es heraus, und mit angstvoller Spannung hingen ihre Augen an seinen unbeweglichen Zügen. Wie würde die Antwort ausfallen?

»Vorläufig stehe ich noch in Sir Munro's Diensten, und Sie wissen doch, was ich ihn erst zu fragen habe.«

»Ja, Sie wollen nur in den Diensten eines Ehrenmannes stehen. Wenn Sie aber nun davon überzeugt werden, dass dies nicht der Fall ist, wenn Sie sich von ihm verabschieden, werden Sie mich weiterbegleiten?«

»Ich möchte doch noch um einige Bedenkzeit ...«

»Nein nein – wir sind in Indianopolis – ich nehme Sie beim Wort,« unterbrach ihn Ellen hastig. »Was werden Sie dann thun?«

Die Pause, welche Starke bis zu seiner Antwort machte, hielt er fast immer ein.

»Da muss ich zunächst Ihren eigenen Entschluss wissen,« entgegnete er dann. »Ich habe mich von Sir Munro engagiren lassen, um mein Möglichstes zu thun, dass Sie Ihre Wette gewinnen; einen schriftlichen Contract haben wir nicht gemacht, ich halte mein einfaches Wort unverbrüchlich und verlange dies auch von dem, dem ich Vertrauen schenke. Nun aber haben Sie dereinst schon Andeutungen gemacht, dass Sie gar nicht beabsichtigen, die Reise so fortzusetzen, dass Sie Ihre Wette gewinnen. Sie wollen die Fahrt mehr zur Bereicherung Ihrer Kenntnisse benutzen, Ihre Erfahrungen literarisch verwerthen. In diesem Falle, wenn Sie nicht mehr gesinnt sind, alle Ihre Kraft einzusetzen, in 300 Tagen die Fahrt um die Erde zu vollenden, trete ich überhaupt aus Sir Munro's Diensten, denn dann hat sich das ganze Motiv geändert.«

»Was aber werden Sie dann thun? Das haben Sie mir noch immer nicht gesagt. Werden Sie mich dennoch weiter begleiten, auch wenn Sie aus Sir Munro's Diensten treten? Ich – ich – bezahle Sie gut.«

»Und ich muss erst wissen, was Sie vorhaben, ob Sie Ihre Fahrt als Wette durchsetzen oder sie als reine Art von wissenschaftlicher Reise betrachten wollen, dass Sie frei sind, nicht mehr an jene Bedingungen gebunden sind, dass Sie die Wette eben als verloren aufgeben.«

Eine innere Angst schnürte Ellen das Herz zu. Erst war sie erröthet, immer tiefer, und jetzt erbleichte sie. Sie wusste, dass von ihrer Antwort Alles abhing. Welche sollte sie geben? Dieser Mann verachtete eine derartige, zwecklose Wette, er hatte es ihr ja gesagt, wie sie die Fahrt nützlicher gestalten könne; hinwiederum war dieses Mannes Name »Beständigkeit«.

»Ich habe die feste Absicht, meine Wette durchzusetzen.«

»In diesem Falle werde ich Sie als Ihr Diener begleiten, gegen einen Gehalt von täglich 3 Pfund Sterling, wie schon einmal ausgemacht. Allerdings hätten Sie die Wette dann auch verloren, da Sie ja keinen Begleiter haben dürfen, aber für mich ist diese Bedingung ganz bedeutungslos, es ist ja gleichgültig, ob ich Sie für Munro's oder für Ihr Geld begleite, das sind nur Wortdeuteleien. Es handelt sich nur darum, ob Sie die Kraft und die Energie besitzen, meinen Weg um die Erde in 300 Tagen zu machen. Mögen Sie auch das eingesetzte Geld verlieren, worauf es Ihnen ja nicht ankommt, die Ehre bleibt Ihnen doch. – – Das ist Sir Munro's eiliger Schritt auf dem Corridor, ich möchte ihn zuerst allein sprechen.«

Nun mochte er gehen. Als sich die Thüre hinter ihm geschlossen hatte, schlug Ellen die Hände vor das schamerglühende Antlitz und sank in einen Stuhl, himmelhoch jauchzend, zum Tode betrübt: Zum ersten Male erkannte Ellen mit klarer Besinnung, wie es eigentlich mit ihr stand.

So hatte es kommen müssen! Erst fand sie den aufdringlichen Kerl widerwärtig, und jetzt, nach kaum einer Woche mochte sie sich nicht mehr von ihm trennen. Aber wie stand es mit ihm? –

Er war ein freundlicher, aufmerksamer Reisebegleiter, er war eben ein gebildeter Schrittmacher, nichts weiter, dafür wurde er bezahlt, und dies gab er ihr bei jeder Gelegenheit zu verstehen, offenbar immer mit Absicht.

Liebte er sie? Ellen wusste es nicht. Dass sein Hund, der mit Sympathie begabte Hassan, sich immer mehr an sie schmiegte, dafür hatte er eine Entschuldigung.

»Sehen Sie, er gewöhnt sich nach und nach doch auch an einen Fremden, das hätte ich gar nicht gedacht,« sagte er häufig.

Aber einmal hatte sie ihn doch schwach gesehen, damals, in dem Herrnhuter Hause, und wenn seine Röthe nur der Widerschein des erglühenden Himmels gewesen, gestockt hatte seine Stimme, als Hassan plötzlich vertraulich zu ihr gekommen war, und etwa nur vor Staunen, dass der Hund einem Fremden gegenüber sich plötzlich so zeigte, wäre er sicher nicht so verlegen geworden.

Denn er war verlegen gewesen. Und deshalb liebte er sie! Er liebte sie!!

Nun hatte er sich wieder kalt wie Eis gezeigt, eigentlich doch geradezu ungezogen. Wie es mit Ellen stand, musste er wissen. Sie hatte sich schon zu oft verrathen, eben jetzt wieder. Und hätte Ellen nicht die richtige Antwort auf seine Frage errrathen, und hätte er sich nicht mit Sir Munro geeinigt – er war der Mann, sie einfach und sofort zu verlassen.

Das war es eben. Es war ein ganz besonderer Mann. Vor allen Dingen hielt er sie mit Sir Munro für verlobt, oder wenn nicht gerade das, so musste er doch an ein Verhältniss zwischen Beiden glauben; und als Nebenbuhler aufzutreten, einen Anderen zu verdrängen, jetzt, da er den Vortheil auf seiner Seite hatte, das sah diesem Manne ganz unähnlich. So weit konnte Ellen seinen Charakter schon beurtheilen, und solch ein Charakter war nur zu bewundern.

Nun, es würde mit der Zeit anders werden, Ellen war keine raffinirte Coquette, aber des Weibes Macht kannte sie doch, und sie war ein Weib.

Bis nach Indianapolis hatte sie aushalten wollen, und wenn ihr die Kraft versagte, hatte sie sich an der ehernen Gestalt ihres Begleiters immer wieder aufgerichtet. Dann hatte sie ihm sagen wollen, dass sie ihre thörichte Wette nun aufgäbe, sie hatte doch schon bewiesen, was ein Weib leisten könne – und dann hatte sie sich ein herrliches Leben ausgemalt, an seiner Seite frei in der Welt herumradeln zu können, immer dahin, wo der Himmel am blausten ist, unter dem grünsten Baum legt man sich zum Träumen hin, und wenn es regnet, stellt man sich natürlich unter. Der Weltenbummelei wurde noch ein nützlicher, am Ende gar ein wissenschaftlicher Anstrich gegeben, die Liebe kam von ganz allein, und nun so durch das ganze Leben zu radeln und nebenbei berühmt zu werden – ach, es war doch zu herrlich!

Freilich stellte sich bei solchen Träumereien auch immer eine bedrückende Frage ein. Wie würde Starke, dieser beständige Charakter, solch eine plötzliche Willensänderung auffassen? Vorhin hatte es sich gezeigt, wie Recht sie gehabt, und wenn es auch mehr Zufall als Ueberlegung gewesen, dass sie die richtige Antwort gab – sie hatte gewonnen, und Ellen war glücklich. Fast noch 280 Tage hatte sie Zeit. Sie war ein Weib und er ein Mann, und wie er sie, so wollte sie nun ihn besiegen. Auch er sollte sie noch kennen lernen. Vor allen Dingen musste ihm der Glaube genommen werden, sie sei an Sir Munro gebunden.

Mit diesem Entschlusse erhob sie sich. Nur wenige Minuten hatte sie zu den erwägenden Gedanken gebraucht, ihr deuchte es eine sehr lange Zeit, sie war schon so an seine ständige Gesellschaft gewöhnt. Wo blieb er so lange? Sie trat auf den Corridor, hörte von einem Kellner, dass sich der eben angekommene Gast in Sir Munro's Zimmer befände, da hörte sie die Beiden schon sprechen, wenn auch nicht verständlich; ohne anzuklopfen trat sie ein.

*

Der eilige Schritt hatte wirklich von Sir Munro hergerührt, obgleich Starke den doch kaum kennen konnte.

»Ich bitte Sie, eine Minute zuerst mit Ihnen allein in Ihrem Zimmer zu sprechen,« trat Starke dem ob des versäumten Telegramms noch Erregten entgegen.

»Was ist geschehen? Es ist doch nichts passirt?« stiess Munro erschrocken hervor.

»Es ist nichts passirt, ich muss nur von Ihnen eine Erklärung fordern.«

Während sie den Corridor entlang gingen, stellte Munro, nicht wissend, was jener von ihm Anderes als Geld zu fordern habe, noch schnell hundert andere Fragen, Ellen und die Reise betreffend, wie es ihr ginge, ob sie gesund sei, fragte auch schon, ob ihr das Radeln noch Spass mache. Bei dem Regen!

Starke, welcher an seinem Zimmer vorbeigeschritten war, wohl nicht passend findend, dass der Diener den Herrn empfange, antwortete nichts, und in Munro's Zimmer zog er vor den Augen des noch immer Fragenden mit seiner gelassenen Schweigsamkeit ein altes Zeitungsblatt aus der Tasche.

»Wie stellen Sie sich hierzu, Sir Munro?«

Lange Zeit konnte Ellen also nicht zum Nachsinnen gehabt haben. Starke war kein Freund von langer Einleitung, das Lesen des bezeichneten Artikels dauerte bei der Unterredung am längsten.

Kaum konnte Munro mit Ruhe ihn zu Ende lesen, und Starke erkannte dabei schon in seinem Gesicht, was in ihm vorging.

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»Das ist ja die gemeinste Infamie, die mir je vorgekommen ist!« rief er dann in hellem Zorn, das Blatt vor Starke's Füsse schleudernd, als hätte dieser den Brief verfasst. »Wer hat dieses Bubenstück angezettelt? Ueberhaupt ist es ja lächerlich, ich kenne gar keinen Lord Wood; in ganz Grossbritannien giebt es gar keinen Lord Wood.«

»Ihre Erklärung genügt mir,« sagte Starke ruhig, die Zeitung wieder aufhebend.

Anstatt noch weiter von seiner Erregung beherrscht zu werden, stutzte Munro plötzlich und sah den sich Aufrichtenden scharf an.

»Schickt denn Ellen – Miss Howard Sie, deswegen eine Erklärung von mir zu fordern?«

»Nein.«

»Und Sie genügt Ihnen? Bitte, darf ich nun Sie um eine Erklärung bitten?«

»Wenn Sie wirklich eine derartige Wette eingegangen wären, würde ich aus Ihren Diensten treten, dann wären Sie in meinen Augen kein Gentleman.«

»Ah so. Dieser Zug gefällt mir wieder sehr an Ihnen. Also dann würden Sie Miss Howard nicht mehr begleiten?« fragte Munro interessirt.

»Doch.«

»Doch? Ich verstehe nicht.«

»Miss Howard hat mich gebeten, dass ich sie, falls ich aus Ihren Diensten treten müsste, dennoch weiter begleite, und ich habe zugesagt.«

Sir Munro war ein viel zu offener Charakter, um grosse Selbstbeherrschung zu besitzen, während es ihm nicht an scharfer Combinationsgabe fehlte. So drehte er sich jetzt mit einem Male schnell um und ging sich räuspernd nach dem Fenster. Die Unterhaltung hatte in der Nähe der Thür stattgefunden, und dort blieb auch Starke in seiner regungslosen Weise stehen.

»Was hat denn Miss Howard zu dem Berichte da gesagt,« fragte er nach, einer Weile vom Fenster her. »Hat sie mich etwa zu so etwas fähig gehalten?«

»Ja.«

Mit einem Rucke fuhr Munro bei diesem trockenen Ja herum.

»Ja? – – – Hm. – – – Wie haben Sie sich denn mit der Dame unterwegs vertragen? War ihr Ihre Begleitung erwünscht?«

»Nein, wenigstens erst nicht.«

»Und dann? Und jetzt?«

»Wir haben bald gute Freundschaft geschlossen – so darf ich es wohl nennen.«

Munro lächelte, aber es war ein recht gezwungenes, unsicheres Lächeln, seine Stimme nahm auch einen ganz eigenthümlichen Klang an, während er nach einem auf dem Tische liegenden Packete blickte, welches Ellen's bestellten Anzug enthielt.

»Gute Freundschaft?« lächelte er also. »Natürlich, da würden Sie Miss Howard auch noch Schutz und Hülfe angedeihen lassen müssen, wenn ich Sie nicht mehr dafür bezahlte. Ei ei, Mister Starke, Sie stolzer, kalter Mann, haben doch nicht etwa gar unterwegs Ihr Herz verloren ...«

Das Lächeln des Baronets erstarb plötzlich. Mit wuchtigem Schritte, den auch der weiche Teppich nicht dämpfen konnte, ging Starke auf ihn zu und blieb in seiner ganzen Grösse dicht vor dem Erschrockenen stehen.

»Herr, solche Worte verbitte ich mir!« sagte er ganz leise, aber mit schneidender Stimme, und schneidend blitzten die Stahlaugen des Hünen auf den Zwerg hernieder. »Für wen halten Sie mich? Sie haben mir gesagt, dass Miss Howard Ihre Braut ist. Ich stehe in Ihren Diensten, also sind Sie mein Herr, und die erste Pflicht eines Dieners gegen seinen Herrn ist die Treue, und was Sie mir zutrauen ...«

Auch Starke wurde unterbrochen, und es musste etwas Besonderes sein, dass der niedergeschmetterte Munro die Kraft hierzu fand.

»Still,« flüsterte er hastig. »Bitte, verzeihen Sie mir.«

Starke sah seinen veränderten Ausdruck in Gesicht und Auge, wandte sich um – Ellen stand im Thürrahmen.

»Es ist doch erlaubt, einzutreten?« sagte sie, war schon im Zimmer und machte die Thür zu.

Verwirrt eilte Munro ihr entgegen.

»Endlich, Miss Howard ...,« begann er noch im Gehen, und da erfolgte schon wieder eine Unterbrechung.

»Mit welchem Rechte haben Sie mich Ihre Braut genannt, wenn ich fragen darf?«

Dieser Empfang war danach angethan, dass Sir Munro abermals wie niedergeschmettert stehen blieb. Hier gab es nur eines: offen zu sein – und Munro that es. Aber Starkes Gegenwart war ihm dabei unangenehm.«

»Mr. Starke, wollen Sie uns allein lassen.«

»Mr. Starke, Sie bleiben!«

»Ich gehe,« sagte aber Starke und schritt der Thür zu.

»Mr. Starke, bleiben Sie hier!« wiederholte Ellen mit flammenden Augen.

»So bleiben Sie,« sagte auch Munro, und der gehorsame Diener blieb.

»Nun, also, mit welchem Rechte nannten Sie mich diesem Herrn gegenüber Ihre Braut!«

Munro raffte sich auf. Jetzt wusste er Alles. Dieser Mann war treu und redlich wie Gold, an dem war nicht zu zweifeln, er log ja nie; aber Ellen hatte zu diesem Heiden der Landstrasse und Wildniss Neigung gefasst, hatte sich einfach in ihn verliebt. Wohl ging es ihm bei dieser Erkenntnis schmerzend durch's Herz, doch er war ein Mann, wollte sich auch als Mann zeigen.

»Weil ich dazu ein Recht zu haben glaubte, und wenn ich mich irrte, so bitte ich hiermit um Entschuldigung, es wird nie wieder vorkommen.«

Ellen hatte eine ganz andere Antwort erwartet, und sie war im Augenblicke davon so überrascht, dass Sir Munro nach einer kleinen Pause fortfahren konnte.

»Ferner bitte ich um Entschuldigung, dass ich nicht bei Ihrer Ankunft zugegen war. Meine Schuld war es nicht. Ich hatte den Portier beauftragt, jeden ankommenden Brief oder Telegramm mir durch meinen immer im Hôtel anwesenden Diener sofort zuzuschicken ...«

»Während Sie mit Miss Hildyard durch ein unsichtbares Band verbunden waren,« fiel ihm Ellen sarkastisch in's Wort.

»... und der Portier will jetzt nicht wissen, dass ich ihm dies wenigstens zehn Mal gesagt habe,« fuhr Munro unbeirrt fort. »Hier,« er trat an den Tisch und löste die Schnüre des Packets, während Stark schon das an der Wand lehnende Rad einer Prüfung unterwarf, »ist der bestellte Loden-Anzug, zu welchem Ihnen Mr. Starke Maass genommen hat.«

Jetzt trat auch Ellen interessirt näher, die Umhüllung fiel, der Anzug kam zum Vorschein.

»Nanu!« rief Munro.

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»Das ist ja unerhört!« liess sich gleichzeitig Ellen vernehmen.

Ein Sport-Reitanzug zeigte sich, aus gelben Beinkleidern, weisser Weste und rothem Fracke bestehend.

»Sagen Sie mal, Sir Munro, wollen Sie sich eigentlich über mich lustig machen?!« rief Ellen mit vor Entrüstung funkelnden Augen.

»Aber – aber – ich habe ihn doch ganz richtig bestellt,« stotterte der jetzt fassungslos gewordene Baronet, »und – und – Starke hat Ihnen doch ganz genau das Maass genommen?«

»Was ist das nur immer mit dem Maassnehmen?« fragte Ellen stutzig dagegen. »Mr. Starke hat mir nie Maass zu einem Anzuge genommen, ich wusste gar nicht, dass er einen bestellt hätte.«

»Doch,« sagte Starke, »ich taxirte Ihr Maass mit den Augen, das genügt für mich. Haben Sie, Sir Munro, solch einen Reitanzug extra bestellt?«

»I Gott bewahre! Ein Radfahrer-Anzug sollte es sein, aus hellgrauem Lodenstoff, so stand es doch auch auf dem Zettel.«

Munro zeigte in seinem ganzen Wesen eine solche Verblüffung, dass Ellen nicht an seine Schuld glauben konnte, sie fühlte sogar etwas wie Mitleid für ihn.

»Es wird einfach ein Irrthum des Geschäfts sein, mein Anzug ist an eine andere Adresse gekommen.«

Das Packpapier trug einen Zettel mit der Firma, aber nicht Sir Munro's Adresse, und dieser erklärte, das Packet sei vorgestern von einem Jungen hier abgegeben worden. Es war einfach eine Verwechselung. Dick wurde gerufen und mit dem Packete nach jenem Geschäft geschickt.

Während dessen hatte sich Starke wieder mit der Maschine beschäftigt, hob sie, drehte die Kurbeln mit der Hand, lauschte, begann die Kugellager auseinanderzuschrauben, besichtigte die Kugeln, roch daran, wischte mit dem Finger, leckte sogar am Finger, und dies war natürlich so auffällig, dass die beiden Anderen ihm erstaunt zusahen.

»Wa ist denn mit der Maschine, Mr. Starke?«

»Dachte ich's doch, mir fiel gleich der eigentümliche Ton auf. In welchem Geschäft haben Sie die Maschine gekauft und die Verbesserungen ausführen lassen?«

Wieder mit einiger Verwirrung gestand Munro, dies gar nicht zu wissen. Dick hatte Alles besorgt und bezahlt.

»Ist Ihr Diener zuverlässig?«

»Mein Dick? Selbstverständlich. Was ist denn nur aber mit dem Rade los?!«

»Haben Sie einen Feind, Sir Munro, oder kennen Sie sonst einen Menschen, der Ihnen übel will?« forschte Starke unbeirrt weiter.

»Ich habe in meinem ganzen Leben keinen Feind gehabt.«

»Oder Sie, Miss Howard, halten Sie die Dame, mit der Sie die Wette abgeschlossen haben – Lady Barrilon heisst sie wohl – für fähig, Ihnen Hindernisse in den Weg zu legen, dass Sie die Wette verlieren? In sämmtliche Kurbellager ist eine scharfe Säure gegossen worden, ich halte es für Schwefelsäure.«

»Mein Gott!« stiess Ellen hervor, Munro konnte nur ein fassungsloses Gesicht machen, und dann sahen sich die Beiden an, und wenn sie auch nichts sagten, sie verstanden sich doch.

»Dass jenes Fahrradgeschäft, Sir Munro oder sein Diener statt Oel Schwefelsäure verwendet hat, halte ich für ausgeschlossen,« fuhr Starke, sich aufrichtend, in seiner Weise fort. »Ich calculire, hier treibt ein unsichtbares Wesen sein Spiel, das uns übel will. Sir Munro hat den Portier beauftragt, ihm meine Depesche sofort nachzuschicken, und der Portier will nichts davon wissen. Hier dürfte jenes unsichtbare Wesen ebenfalls seine Hand im Spiele haben, mit Geld ist im Lande des Königs Dollar Alles zu erreichen. Und ich calculire auch, das Schneidergeschäft hat den richtigen Anzug geschickt, derselbe Geist hat ihn heimlich mit einem anderen für eine Dame ganz unmöglichen Costüm vertauscht.«

Ehe Fragen gestellt werden konnten, was denn dies Alles für einen Zweck haben könnte, das sei doch ganz sinnlos, kam Dick zurück, mit demselben rothen Reitanzug; dieser sei gar nicht in jenem Schneidergeschäft gefertigt, dagegen sei das bestellte Radfahrercostüm hier im Hotel an Sir Munro richtig abgeliefert worden. Selbst Erklärungen zu fordern, das hielt das amerikanische Geschäft nicht für nöthig, interessirte sich nicht für den Fall, sonst hätte es doch wenigstens einen vom Personal mitgeschickt; sein Geld hatte es ja auch schon bekommen.

Dick, obgleich in noch gar nichts eingeweiht, witterte schon das hier vorliegende Geheimniss; er sah seinen Herrn und die Dame sich mit scheuen Augen anblicken; man hatte einen unsichtbaren Feind gegen sich; man musste ihn entlarven, die genauesten Erkundigungen einziehen, jetzt durfte also nur noch geflüstert werden; doch bevor das Flüstern begann, nahm schon wieder Starke das Wort, mit nur wenig gedämpfter Stimme:

»Es hätte gar keinen Zweck, uns den Kopf zu zerbrechen, wie das Alles geschehen konnte, wer es gethan hat. Offenbar hat sich eine Person Zutritt zu Sir Munro's Zimmer zu verschaffen gewusst, um die dummen Streiche und Vertauschungen auszuführen. Fragen wir jetzt den Portier aus, ziehen wir Erkundigungen in dem Fahrradgeschäft ein, dürften wir die Person wohl herausfinden, dann aber werden wir sie wohl nicht zu fassen bekommen. Nein, wir wollen thun, als betrachteten wir Alles als einen Zufall, Miss Howard benutzt auch dieses Rad, ich werde die Kugellager gut reinigen, die Person soll gar nicht wissen, dass wir es bemerkt haben, und dann sollte ich mich sehr wundern, wenn der Mann, dem es daran gelegen ist, die Fahrt zu verzögern, nicht bald wieder unseren Weg kreuzt – und dann werde ich ihn packen. Uebrigens muss das ja ein erzdummer Mensch sein. Hätte er allein die Maschine zu ruiniren versucht, überhaupt nur eine List probirt, so wären wir vielleicht hineingefallen – aber gleich drei Streiche auf einmal, das ist mehr als menschlicher Verstand vertragen kann. Nein, den haben wir nicht zu fürchten.«

Mit Munro ging eine Verwandlung vor sich; er gab seine einem Geheimniss nachgrübelnde Stellung auf.

»Ihre Rathschläge sind sehr gut, Mr. Starke,« entgegnete er, »und ich meinerseits werde sie befolgen, aber trotz Ihres Scharfsinns sind Sie im Irrthum. Hier handelt es sich nicht darum, Miss Howard's Reise aufzuhalten, sondern um etwas ganz Anderes, und der Betreffende hat wohl gewusst, was er that, als er in so plumper Weise gleich dreierlei Unannehmlichkeiten herbeiführte. Um mich handelt es sich dabei, Miss Howard,« wandte er sich an diese, »gestatten Sie mir ein offenes Wort: man will uns beide auseinanderbringen. Darauf ist es abgesehen. Zuerst wurde meinem Diener die Depesche vorenthalten, damit ich nicht bei Ihrer Ankunft zugegen sein konnte. Daraufhin sollte ich Ihnen statt des Radfahrcostüms einen rothen Parforceanzug überreichen, das machte mich lächerlich, Sie erzürnt gegen mich. Und nach einigen Tagen oder schon Stunden wäre die von mir besorgte Maschine unbrauchbar gewesen. Jetzt geht mir eine Ahnung auf ...«

»Bitte verschonen Sie mich mit Ahnungen,« unterbrach ihn Ellen heftig, »bleiben wir lieber bei der Wirklichkeit. Antworten Sie auf meine Fragen. Sind Sie, mein vorausreisender Beschützer, bei meiner Ankunft zugegen gewesen oder haben Sie mit Damen Haschens gespielt?«

»Ich glaubte ...«

»Haben Sie das Packet selbst in Empfang genommen, haben Sie sich überzeugt, dass mein Anzug wirklich darin ist, haben Sie ihn in Ihrem Zimmer unter sicherem Verschluss verwahrt und gut aufgehangen, dass er nicht geknittert wird?«

»Ich meinte ...«

»Haben Sie die bestellte Maschine selbst besorgt? Haben Sie sich um Alles persönlich bekümmert? Oder haben Sie Alles Ihrem Diener überlassen?«

»Ich vermuthete, dass Dick ...«

»Wenn ich wünschte,« fuhr Ellen unbarmherzig fort, »dass mir Jemand vorausreiste, um auf jeder grösseren Station für meine Bequemlichkeit und schnelles Weiterkommen zu sorgen, so wäre ich viel besser daran, wenn ich einen Beamten von dem Reisebureau Cook und Sohn engagirte. Solch ein Mann ahnt, glaubt, meint und vermuthet nichts, sondern er kann etwas, er hat etwas gelernt, er handelt mit Entschlossenheit und Aufmerksamkeit, er spielt nicht Haschens, schlingt keine unsichtbaren Bänder um Miss Hildyard, sondern er wartet Tag und Nacht, mit offenen Augen auf mich, und wenn ich ankomme, so liegt für mich Alles tadellos bereit, und nicht, dass er das Rad von seinem Diener besorgen lässt und dass Jemand sich in sein Zimmer schleicht und Schwefelsäure hineingiesst. Sir Munro, ich bitte Sie, mir nicht mehr vorauszureisen, es ist mir nicht erwünscht, und Ihre Begleitung bringt mir überhaupt nur Schaden, wie doch jetzt bewiesen worden ist. – – Mr. Starke, bitte, kommen Sie in einer viertel Stunde doch noch einmal auf mein Zimmer.«

Nach dem erst so kalten, schneidenden, höhnischen Tone waren die letzten Worte überaus freundlich gesprochen worden, und damit war Ellen hinaus.


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