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7. Capitel.
In der Prairie.

Wie sie so langgestreckt auf dem glühenden Boden lag, das Gesicht in den Armen vergraben, alles Feuer, Lippen und Gaumen brennend, glaubte sie ein Geräusch wie von rieselndem Wasser zu vernehmen. Sie glaubte es nur, redete sich ein, es sei nur eine Hallucination.

Es ist überhaupt manchmal nicht vortheilhaft, ein gebildeter, belesener Culturmensch zu sein, besonders wenn man noch einige Phantasie besitzt.

Bei Ellen musste dieses Geräusch partout eine Gehörs-Hallucination sein. Merkwürdig nur, wie deutlich es klang, gerade als ob – Ellen hob den Kopf – gerade als ob es Wirklichkeit sei. Natürlich, das war auch wirkliches Wasserplätschern, dicht in der Nähe, und Ellen sprang auf.

Zwischen der Strasse und der rechten Felswand befand sich ein tiefer Riss im Gestein, mit der Strasse parallel fortlaufend, und etwa 2 Meter unter Ellen's Füssen entsprang der Wand eine Quelle, in der noch etwas tieferen Spalte abwärts fliessend.

Beim Anblick des Wassers kehrte Ellen's Lebensmuth und ruhige Ueberlegung zurück. Obgleich sie nicht hinabgelangen konnte, sah sie sich doch vom Verschmachtungstode gerettet; ihre ganze Verzweiflung fand sie mit einem Male komisch. Den Gummibecher besass sie nicht mehr, sie hatte nicht einmal einen Bindfaden bei sich. Nun, so zerschnitt sie einfach ihre Jacke oder auch ihr Hemd in Streifen und ließ ihre Mütze oder auch die Rahmentasche an dem so hergestellten Stricke hinab, zog sie mit Wasser gefüllt wieder herauf, und dann musste sie eben die acht Meilen rückwärts zu Fuss gehen, drei Stunden kräftigen Marschirens, wenn sie auf der Karte nicht mit Sicherheit feststellen konnte, einer anderen Ansiedlung näher zu sein.

Im Nu hatte Ellen diesen Plan klar gefasst. Was war eigentlich mit ihr vorgegangen? Lächerlich. Wie kleinmüthig! Sie, welche die ganze Erde allein umradeln wollte, hatte gleich beim ersten bischen Durst die Flinte in's Korn geworfen! Weil sie den Pneumatic nicht dichtmachen konnte! In der nächsten Reparaturwerkstätte wollte sie es lernen, und dann immer mit Bindfaden versehen sein! Wieder um eine Erfahrung bereichert.

Ehe sie ihre Bekleidung in Stücke schnitt, wollte sie doch nachsehen, ob das Wasser nicht an einer anderen Stelle erreichbar sei. Sie blickte nach der Uhr. Eine Viertelstunde wollte sie die Spalte verfolgen. So lange musste sie schlimmstenfalls ihren Durst noch ertragen, sie musste!

Es steckte doch Energie in dem Mädchen. Ellen liess nicht einmal das Rad liegen, nahm die gewichtige Maschine über die Schulter, obgleich der Weg über die grossen Steine eine Klettertour war und der heisse Rahmen ihr förmlich in's Fleisch brannte. Sie wollte!

Die Viertelstunde war noch nicht vergangen, als die immer tiefer werdende Spalte in der Felswand verschwand, mit ihr das Wasser, ohne dass Ellen einen Abstieg gefunden hatte. So musste sie eben zurück, musste die Jacke zerschneiden.

Da – Pferdewiehern, Menschenstimmen!

Ellen hatte gar nicht des Weges geachtet. Dort hörte die Strasse plötzlich auf, dort sah es wenigstens ganz anders aus, die Felsberge, schienen zurück zu treten; sie hatte einen weiten Blick über ein hügeliges Terrain. Das war das Ende des Passes, die Grenzen des ganzen, sich jäh aus der Ebene erhebenden Gebirges, das war die offene Prairie, von der Starke gesprochen – und dort mussten Menschen sein, sie hatte Stimmen gehört.

Nur zehn Minuten brauchte sie zu marschiren, als sich vor ihr plötzlich die wellige Prairie ausbreitete, mit niederliegendem, grauem Gras bedeckt, wie Heu aussehend, nur dass dieses noch im Boden wurzelte.

»Halloh, was ist denn das für ein blutiger Fremder?«

Ellen, jetzt ihr Rad schiebend, sah in einiger Entfernung zwei Reiter, welche sofort auf sie zu galoppirten. Es waren abenteuerliche, wilde Gestalten, die Anzüge so zerfetzt wie die schwarzbraunen Gesichter, an den Füssen drei Zoll lange Sporen, ausser dem Revolver am Gürtel das Bowiemesser in der Scheide, um den Hüften den Lasso – Cowboys. Der eine ritt ein mageres Thier, der andere, ein alter Kerl mit einem pockennarbigen, wüsten Gesicht, ein sehr schönes Pferd, mit dem er in beständigem Kampfe lag. Es sprang, tanzte und bockte, versuchte den Reiter in die Beine zu beissen, aber jedes Mal traf dafür ein Fausthieb die Schnauze, und dies Alles hinderte den Cowboy nicht, seine Aufmerksamkeit der Erscheinung des fremden Menschen zu widmen und sich mit dem Kameraden zu unterhalten. Jeder Huf des unbändigen Thieres trug eine lederne Schlinge, welche Alle in der Hand des Reiters zusammenliefen.

»Das ist ja ein blutiges Mädel!«

»Habt Ihr nicht einen Trunk Wasser?« fragte Ellen.

»Einen blutigen Schuss weit ist blutiges Wasser genug,« lautete die Antwort, und dies genüge, um die Ausdrucksweise der Cowboys zu charakterisiren. Sie konnten kein Hauptwort sagen, ohne ein »blutig« vorzusetzen. Ellen fiel dies nicht besonders auf; auch dem englischen Arbeiter ist dies recht geläufig.

»Sie kommt aus dem Bärenpass. Wo will die hin?«

»Guck, Sam, das ist eine verdammte Mähmaschine. Ne, 's ist wahrhaftig, ein Mädel! Was will die hier mit der Mähmaschine?«

»Habt Ihr nicht Wasser?« wiederholte Ellen. »Ich verschmachte fast vor Durst.«

»Wasser? Ne, hier nicht. Wo kommt Ihr denn her? Seid Ihr allein?«

Zwei andere Cowboys kamen angesprengt. Das gleiche Staunen, dieselben Fragen. Woher? Wohin? Was ist das für ein curioses Ding da?

Ellen hatte einige Geschichten gelesen, welche unter Cowboys spielten. Ein rohes Gesindel, unwissend, aber doch mit schönen Zügen, romantisch, ritterlich, gastfreundlich. Man musste sich ihnen nur verständlich machen.

»Hört doch, Ihr guten Leute, ich habe furchtbaren Durst,« wiederholte Ellen zum dritten Male. Sie übersah ganz, was für Blicke gewechselt wurden.

»Durst? Wir haben auch welchen,« grinste der Alte. »Wer seid Ihr denn eigentlich? Seid Ihr wahrhaftig ein Mädel?«

»'S ist eine Dirne,« kam ihr ein Cowboy zuvor.

»Seid Ihr denn allein?« forschte der Alte weiter.

»Ich bin allein. Ich mache auf dem Bicycle eine Reise um die Erde. Wo ist der Brunnen oder die Quelle, von der Ihr vorhin sprachet?«

Wieder schnelle Blicke, ein verständnissvolles Grinsen. Drei Cowboys sprangen gleichzeitig aus den Sätteln, die Pferde frei stehen lassend. Der vierte, der Alte, brachte mit einem Ruck der Schlingen sein Thier zum Sturz, stand aber selbst auf den Beinen schlug einen Knoten und kümmerte sich nicht mehr um das sich wälzende Ross. Nun steckten sie auch noch die Köpfe zusammen und zischelten, die mit Blut gewürzten Worte wurden lauter.

»Eine feine Dirne – sie ist allein – sie ist aus der Stadt – hat sich verirrt ...«

Da plötzlich, ging Ellen eine fürchterliche Ahnung auf über das, was ihr bevorstehen konnte, vergessen war ihr Durst. Aber die Besinnung, behielt sie doch, vor allen Dingen wollte sie Gleichgiltigkeit zeigen.

»Also Ihr habt kein Wasser? Nun, bis nach Ludgate halte ich es auch noch aus. Nicht wahr, dort ist der Weg nach Ludgate?«

Sie deutete nach Süden, und sie sah den Alten auf sich zukommen, ein vertrauliches Lächeln in dem pockennarbigen Gesicht, und eben so sacht schlichen auch die Anderen herbei.

»Kommt nur mit, wir haben schon Wasser,« grinste er, »in Billy's Hütte – und Whisky ist auch dort. Was, Sam?«

»Plenty Whisky,« feixte Sam.

»Was wollt Ihr von mir?« stiess Ellen mit farblosen Lippen hervor, und ihre zitternde Hand suchte den Revolverkolben.

»Komm nur, wir thun Dir nichts.«

»Zurück, oder ...«

Lachend umdrängten sie die Cowboys. Eine starke Faust, der gezogene Revolver war ihr aus der Hand gerungen, ein Arm umschlang sie. Ellen sah sich verloren.

»Barmherzigkeit! Nehmt mir alles Geld ...«

»Ach was, ziere Dich nicht, Püppchen.«

»Starke, zu Hülfe, Starke!«

»Gieb ihr eins aufs Maul, wenn sie schreien will.«

Grafik7

»Hoch die Hände!!«

Die donnernde Stimme, welche diesen Befehl gab, klang in Ellen's Ohren wie Engelsmusik. Sie wurde freigelassen, acht Hände fuhren in die Höhe.

Sie hatte ihn nicht kommen sehen, als sie seinen Namen gerufen.

Dort lief sein Rad noch, und da stand er, in jeder Hand einen Revolver, auf die Cowboys angeschlagen, und neben ihm kauerte, zum Sprunge geduckt, sein Hund. Er musste in voller Fahrt abgesprungen sein, seine Füsse gruben sich förmlich im Boden ein.

»Miss Howard, nehmen Sie ihnen die Waffen ab – schnell!«

Aber Ellen, obgleich sie die Situation erkannte, war nicht fähig dazu, sie lag auf den Knieen. Es wäre auch zu spät gewesen. Eine Hand zuckte herab, eine andere, alle – – zwei Feuerstrahle mit nur einem Knall; zwei Cowboys stürzten mit durchbohrter Stirn nieder, schon hatte Starke den dritten gefasst, schmetterte ihn zu Boden; ein gelber Streifen sauste durch die Luft, auf der Brust des vierten lag der Hund; ein gellendes Geheul, Hassans furchtbares Gebiss hatte die nach der Waffe greifende Hand zermalmt, und da erhob sich Starke schon wieder; er hatte seinem Manne Füsse und Hände mit dem Lasso gebunden, nahm dem vierten den Revolver ab und fesselte ihm die Füsse.

Alles dies hatte sich in wenigen Augenblicken abgespielt, und Ellen glaubte, eine Vision zu haben. Da lagen zwei Menschen, jeder ein hässliches Loch mitten in der Stirn, das Blut sickerte heraus, die Augen starr, gebrochen, als wenn sie – – nein, es war nicht möglich! Das war wirklich nur eine Hallucination!

»So, nun wollen wir nach Ihrem Maschinchen sehen. Mir scheint, der Hinterreifen ist undicht. Ich bemerkte es gleich, als ich angefahren kam. Entschuldigen Sie nur, dass ich so lange ausblieb. Auch der Bolzen vom anderen Pedal war schon angebrochen, es ging nicht Alles so glatt; auf der Drehbank war auch gerade etwas aufgespannt, da wurden zwei Stunden aus der einen. Richtig, an der abzweigenden Schlucht sagte mir Hassan, dass Sie geradeaus gefahren wären. Na, ich bin ja gerade noch zur rechten Zeit gekommen.«

Er sagte es nicht anders, als wenn er sonst etwas erzählte. Nicht die geringste Bewegung, Alles Ruhe, Gleichgültigkeit.

Ellen aber kam es jetzt zum Bewusstsein, dass sie nicht nur träumte.

»Zum Mörder geworden! Meinetwegen,« brachte Sie ächzend hervor.

Starke holte sein Rad, öffnete die Werkzeugtasche.

»Mörder? Ich? Nein, das bin ich nicht. Hier heisst es einfach: wer ist schneller? ich oder du – – – oho, Sie haben ja ein ganzes Gummilager draufgeklebt, das muss wieder herunter. Nein, Miss Howard, machen Sie sich keine Gewissensbisse, die überlassen Sie mir, und ich habe keine. Habe ich unrecht Blut vergossen, so komme es auf mein Haupt. Hier stehen wir unter den Gesetzen der Prairie. Die Männer wussten,was das Wort »Hände hoch!« bedeutet. Sie haben es riskirt, nach der Waffe zu greifen, und sie haben sich dabei verspekulirt. Hätte ich sie nicht tödtlich getroffen, ich würde mich in ihren Augen unsterblich blamirt haben. Die Ueberlebenden erstatten keine Anzeige, wissen gar nichts von so etwas; für sie habe ich auch nur recht und billig gehandelt, für sie bin ich ein tüchtiger Kerl, höchstens dass sie den Tod ihrer Kameraden zu rächen suchen. Da geht man ihnen einfach aus dem Wege. Also weg mit allen Kopfschmerzen. – So, der wäre geflickt, dieses Pflaster hält ewig.«

Aufmerksam blickte Starke die noch immer Knieende an. Er mochte aus ihren glänzenden Augen und trockenen Lippen erkennen, was ihr vor allen Dingen fehlte, er zog die grosse Lederflasche aus der Tasche und schraubte den Stöpsel ab.

»Haben Sie Durst? Trinken Sie. Es ist Thee mit Citronensäure.«

Die Natur siegte über das Entsetzen. Ellen erhob sich, mit zitternden Händen griff sie nach der Flasche, setzte sie an und trank – und trank – und glaubte, noch nie solch ein Entzücken empfunden zu haben. Neues Leben durchrieselte ihren Körper.

Starke hatte die Instrumente wieder geborgen. Jetzt durchschnitt er die Riemen des gefesselten Pferdes, sprang zurück, um von den Hufen des aufschnellenden Tieres nicht getroffen zu werden, es jagte davon, während die anderen drei ruhig dastanden. Er hetzte sie mit dem Lasso fort.

Die Lederflasche fasste einen ganzen Liter, sie war voll gewesen. Mit einem Zuge konnte Ellen sie nicht leeren, tief aufathmend setzte sie ab, wollte sie zurückgeben.

»Trinken Sie, trinken Sie«, ermunterte Starke, »es wird bald mehr Wasser geben, als wir wünschen. Wir müssen uns beeilen, eine möglichst grosse Strecke zwischen uns und diese Cowboys zu bringen. Tödten darf ich die Wehrlosen natürlich nicht, das ginge gegen mein Gewissen, gegen das Gesetz der Prairie. Die Beiden werden sich schliesslich doch zu befreien wissen, werden ihre Pferde oder andere wiedererlangen, vielleicht auch von Kameraden Hülfe bekommen, und dann werden sie uns verfolgen, und wenn der Regen den Boden aufweicht, sind uns die Berittenen überlegen. Machen Sie sich zur Abfahrt bereit.«

Ellen hob ihr Rad auf, und als er zurückkam, reichte sie ihm die geleerte Flasche. Eines Wortes war sie noch immer nicht mächtig, nicht einmal eines Dankes. Sie wurde noch immer von dem schrecklichen Gedanken beherrscht, was ihr bevorgestanden hätte, wäre Starke nicht gekommen.

Sie hatte die drohenden Anzeichen in der Atmosphäre noch gar nicht beachtet: Ein starker Wind blies aus Süden, wurde aber beständig durch noch stärkere Stösse aus Westen unterbrochen; zwei Windströmungen rangen um die Herrschaft, und im Westen stieg eine schwarze Wand mit schwefelgelbem Saume auf.

»Sie müssen Vorspann nehmen, das geht doch nicht gegen die Bedingungen,« sagte Starke, als er die Lederjacke aufknöpfte, unter welcher auch er einen Lasso um die Hüften trug. Er wickelte ihn ausserhalb der Jacke um den Leib, nahm Maass, dass die Enden gleich lang wurden, und befestigte diese an den Lenkstangen ihres Rades, sie zum Aufsteigen auffordernd.

Noch einen Blick in die starren Augen der Todten, auf die Gefesselten, welche ebenso unbeweglich dalagen, und die Fahrt auf dem zum Tandem zusammengekoppelten Räderpaar begann. Gleich im Anfange merkte Ellen, dass sie allein keinen Schritt vorwärts, gar nicht in den Sattel gekommen wäre. Der Boden war uneben, voll Buckel und Löcher; das sich um die Speichen wickelnde Gras hinderte ungemein; ein Windstoss von vorn bremste die Fahrt ganz ab, der von der Seite drohte sie umzublasen.

Aber dort vorn der Mann, der mit dem Gesicht auf der Lenkstange lag, zog wie eine Dampfmaschine. Er mochte sich nicht zum Flieger eignen, dazu war er zu gross, zu schwer, sein Gang so langsam und wuchtig wie sein ganzes Wesen, aber für seine Durchtrittskraft schien es kein Hinderniss zu geben.

So verging eine Stunde, und der lederne Lasso blieb straff wie Stahl gespannt. Ellen that ihr Möglichstes, ihm das Ziehen zu erleichtern. Der Westwind siegte, er wurde zum Sturm, es ging ihm direct entgegen, Ellen konnte nicht mehr athmen, noch viel weniger treten, und dennoch machten sie wohl noch 4 Meilen in der Stunde.

Höher und höher stieg die schwarze Wand, sie überzog den ganzen Himmel, es wurde Nacht.

Plötzlich trat eine völlige Windstille ein. Dieser Wechsel war zu unheimlich, als dass sich Ellen darüber hätte freuen können, und da ging auch schon ein Heulen und Pfeifen durch die Luft, ein furchtbarer Blitz erhellte die Nacht mit gleichzeitigem Donnerschlag.

Mit einem Ruck wurde Ellen aus dem Sattel geschleudert, der schon abgesprungene Starke fing sie auf, etwas Weiches, Haariges wurde der halb Besinnungslosen in die Hand gedrückt.

»Der Hurican!« schrie er ihr in's Ohr. »Mir nach! Laufen Sie um Ihr Leben! Halten Sie Hassans Schwanz fest!«

Alle Elemente der Hölle schienen entfesselt zu sein, es heulte in allen Tonarten, ein einziges Feuermeer, ein ununterbrochenes Krachen und Schmettern. – Ellen verging Hören und Sehen, sie sah nur Starke mit weiten Sätzen rennen, über jeder Schulter ein Rad; sie rannte schon mit, ohne es zu wissen, den Hundeschweif krampfhaft gepackt, Hassan riss sie mit fort.

Nur einige Minuten ging es so vorwärts, den Sturm von der Seite. Ein neues Flammenmeer zeigte ihr in der Ferne Bäume, und Starke stand.

»Der Wald, der Wald!« schrie sie. »Dort sind, wir geborgen!«

»Um Gottes Willen! Vorwärts, mir nach, jetzt fliegen wir mit dem Winde!«

Er stürmte weiter, in einer anderen Richtung, und Ellen flog wirklich, ihre Füsse berührten kaum den Boden. Ein Hinderniss stellte sich ihr entgegen, es war eine Böschung, sie stürzte, wurde aufgerissen, einige Schritte getragen, wieder hingelegt, oder richtiger hingeworfen, sie fühlte Eisentheile, Speichen, sie lag neben den Maschinen.

»Fürchten Sie nichts, die Gummidecke isolirt!«

Es war das Letzte, was sie von seiner Stimme vernahm, Dunkelheit umgab sie, eine Decke legte sich über sie, dafür aber war das bisherige Krachen und Heulen der Elemente eine Kleinigkeit gewesen gegen das, was jetzt losbrach, unbeschreiblich, gleichzeitig stürzte eine schwere Last auf sie hernieder, es rauschte wie ein Wasserfall.

»Der Weltuntergang!« Das war Ellen's letzter Gedanke, dann verliess sie, vor körperlicher und seelischer Erschöpfung und vor Entsetzen, das Bewusstsein. Doch es war keine krankhafte Ohnmacht, sie fiel in einen tiefen Schlaf.

*

Als sie wieder zu sich kam, fühlte sie sich auf weichem Heu gebettet, sie tastete abermals an Eisentheilen, und dass es so dunkel war, daran musste eine Decke schuld sein – oder es war Nacht. Das kräftige Mädchen brauchte nicht lange Zeit, um völlig bei Besinnung zu sein. Gleich erinnerte sie sich an Alles. Die Elemente wütheten nicht mehr, und sie befand sich noch am Leben. Zuerst gab sie sich allerdings einer behaglichen Empfindung hin. Sie fühlte sich wirklich so behaglich; sie lag so weich gebettet, es war so hübsch warm hier – und sie war dem Verderben entgangen.

Ja, was war denn nun aber aus Starke geworden, aus seinem treuen Hunde, der sie zuletzt kraftvoll gezogen hatte? Sich jetzt dieser Behaglichkeit hinzugeben, das war ja der reine Egoismus.

Sie lüftete die Decke, ein heller Lichtschein – sie schlug die Decke ganz zurück, eine tiefstehende, blendende Sonne – und da – Ellen traute ihren Augen nicht ...

»Guten Morgen, Miss Howard. Haben Sie gut geschlafen? Ungefähr 14 Stunden sind's gewesen.«

Dort im nassen Grase sass breitbeinig Starke, schnitt Stücke von einem kalten Rinderbraten ab, streute Salz darauf und schob die Bissen abwechselnd sich und dem neben ihm kauernden Hunde in den Mund, dies Alles auf einer kleinen Insel. Die Prairie hatte sich in einen unübersehbaren See verwandelt; nur hier und da tauchte der Gipfel eines höheren Hügels als Eiland aus dem Wasser.

»Ja, was ist denn das?«

»Es war ein kleiner Wolkenbruch, nichts weiter, es giebt noch ganz andere. Aber der Hurrican war gut, der liess nichts zu wünschen übrig. Blicken Sie dorthin. Sehen Sie das Gestrüpp? Manchmal einen Baumstamm, Wurzeln und Aeste aus dem Wasser streckend. Das ist der Wald, in dem Sie gestern Zuflucht suchen wollten. Das dürfen Sie nie thun, wenn Gewitter und Sturm im Anzuge sind. Da bringt man selten ein Bein und einen Arm gesund wieder heraus.«

Ellen erkannte das Werk der Zerstörung – ja, Alles zerschmettert, und sie selbst wäre es jetzt ebenfalls – und sie schauderte zusammen. Dann wanderten ihre Blicke zurück zu Starke. Sein lederner Anzug hielt das Wasser nicht, aber feucht war er doch, der Hund noch ganz nass, so nass wie das heuähnliche Gras.

»Und Sie? Sie haben mich mit Ihrer Decke geschützt, während Sie die ganze Nacht im Regen und Sturm zugebracht haben! Sie beschämen mich.«

»Oh, das macht uns nichts, über solche Kleinigkeiten sind wir erhaben,« erklang es gleichgültig zurück. »Erst habe ich beobachtet, wie die Blitze in das Wasser einschlugen, dann bin ich sanft neben Hassan eingeschlafen. Solch eine Gummidecke schaffen Sie sich in der nächsten Stadt auch an, man fühlt ihr Gewicht nicht und sie ist oft unentbehrlich; man sichert sich mit ihr ein trockenes Plätzchen, ehe es zu regnen anfängt, in der Kälte wärmt sie; gegen die Gefahr, vom Blitz getroffen zu werden, giebt es keinen besseren Schutz, und das hat besonders beim Radfahrer etwas zu sagen. Hier in der Prairie, wo meilenweit kein Eisen den Blitz ablenkt, hätten ihn unsere Räder unfehlbar angezogen. Nun frühstücken Sie erst, Proviant haben Sie nicht bei sich, nehmen Sie mit meinem Rinderbraten fürlieb. Als Getränk giebt es Regenwasser, aber auch mit Citronensäure gewürzt. Ich sehe inzwischen nach den Maschinen.«

Er hatte sich erhoben und deckte ihr den Tisch, das zusammengelegte Gummituch, stellte die geöffnete Ledertasche daneben. Unverwandt schaute ihn Ellen an. Heiss stieg ihr das Blut aus dem Herzen in den Kopf, die Gedanken schneller jagen machend. Was hatte sie ihm nicht für Namen gegeben? Am ersten Tage war wohl »Sclavenseele« das letzte Wort gewesen. »Sie sind mir ein Ekel – unverschämter Mensch – aufdringlicher Gesellschafter.«

»Mr. Starke, geben Sie mir Ihre Hand – schlagen Sie mir die Bitte nicht ab.«

»Weshalb?«

»Was wäre aus mir geworden, hätte ich Sie nicht gehabt. Verzeihen Sie, ach, verzeihen Sie meine Undankbarkeit.«

Diesmal nahm er die ihm gebotene Hand, er drückte sie sogar.

»Wenn Sie glauben, einer Verzeihung zu bedürfen, so gebe ich meine Hand gern. Zu danken brauchen Sie mir nicht, ich werde für meine Dienste bezahlt.«

Schliesslich war er doch wieder derselbe. Immer kalt, immer zurückhaltend, ohne Herz. Aber sein Händedruck war dennoch herzlich gewesen. Er konnte eben nicht anders sprechen, und da dies Ellen erkannte, fühlte sie sich nicht gekränkt durch seine kühle Abweisung.

Während sie es sich schmecken liess, ölte er die Maschinen und spannte die Ketten.

»Das Wasser wird sich bald verlaufen haben, und sobald wir nur waten können, muss es sofort weiter gehen,« meinte er dabei. »Erst strömte es mächtig nach dem tieferen Norden, jetzt steht es so ziemlich; die festgebrannte Bodenschicht weicht auf, dann wird die durstige Erde schon schlucken, das Uebrige besorgt die Sonne. In einer Stunde wird Alles wieder trocken sein.«

»Und so lange wollen wir nicht warten, bis es wieder trocken ist?« fragte Ellen, mit einigem Schaudern an eine Watparthie über den sumpfigen Boden denkend.

»Erinnern Sie sich der beiden noch lebenden Cowboys, von denen wir nur 6 - 8 Meilen entfernt sein mögen. Vielleicht sind sie ertrunken – das belastete mein Gewissen sehr wenig, dann sind es eben Tölpel gewesen, die sich nicht zu helfen gewusst haben. Wahrscheinlich aber wussten sie sich eben zu helfen, Einer löste mit den Zähnen die Knoten des Anderen, auch ein Knebel hätte sie nicht lange daran gehindert, und ich möchte meinen Kopf darauf setzen, dass wir sie bald hinter uns haben werden. Verstehen Sie nun? Jetzt sitzen die auch auf einer Insel, und sobald sie die Möglichkeit haben, die ihrige zu verlassen, um ihre Kameraden aufzusuchen, müssen wir von der unsrigen herunter. Da ist jeder gethane Schritt unschätzbar. Von 100 Schritten kann unser Leben abhängen, ob wir z. B. dann die Räder auf einen guten Weg setzen können oder nicht, ehe wir in Schussweite ihrer Revolver sind.«

»Oh mein Gott,« hauchte Ellen mit bleichen Lippen, »so sind wir also noch gar nicht ausser Gefahr.«

»Machen Sie sich keine Sorge, so lange es nicht nöthig ist. Wir werden uns schon durchschlagen. Und wenn sie uns auch kriegen, zum Schiessen lasse ich es dann nicht kommen, und ausserdem habe ich immer noch allerlei Mittelchen in der Tasche. Denken Sie doch, es ist nicht das erste Mal, dass ich ein derartiges Abenteuer erlebe. Nun essen Sie, essen Sie; mit leerem Magen ist der Mensch nichts werth.«

Wirklich, Ellen konnte noch immer mit Appetit essen. Solche Worte, so einfach und sorglos gesprochen, wirkten geradezu herzstärkend. Plötzlich schwand vor ihren Augen jede Gefahr. Was sollte sie denn auch fürchten, wenn sie diesen Mann an ihrer Seite hatte.

Starke hatte sich wieder gesetzt, er band die breiten Lederstreifen ab, welche er als Gamaschen von den Fussgelenken an bis an die Kniee trug, und wickelte sie fester. Dass seine Stiefeln hackenlos waren, hatte Ellen schon bemerkt, und nun sah sie, dass er nur dünne Halbschuhe trug, richtige indianische Mokassins. Wahrhaftig, dann war dies ja ein ...

»Mr. Starke, kennen Sie Cooper's Lederstrumpf?«

»Natürlich kenne ich den, wenn auch nicht persönlich. Als Kind habe ich ihn mehrmals verschlungen. So,« er hatte jeden Mokassin noch besonders mit zwei kurzen Riemen am Fusse befestigt, »nun gestatten Sie, dass ich Ihnen die Beine auszureissen versuche. Halten Sie sich am Grase fest.«

Fassungslos blickte Ellen den auf sie Zukommenden an. Dass er eine gute Portion Humor besass, Witze machen konnte, hatte sie schon mehrmals bemerkt, nur dass er nichts davon durch sein Äusseres verrieth. Gerade dadurch vielleicht wirkten seine trockenen Worte um so komischer. Was wollte er aber jetzt von ihr?

»Halten Sie sich fest,« sagte er nochmals, und ehe sich Ellen versah, hatte er ihren Fuss in der Hand und riss aus Leibeskräften daran, nun hielt sich Ellen von ganz allein fest, und ebenso probirte er dann den anderen Fuss.

»Fest sitzen die Schnürstiefel, Sie werden keinen im Sumpf stecken lassen. Ich rathe Ihnen aber doch, sich Gamaschen und dünne, hackenlose Schuhe anzuschaffen, wie ich sie benutze. Oder ich werde Ihnen nächstens ein Paar anfertigen. Diese starken Stiefel haben beim Radfahren gar keinen Vortheil, und Sie können in ihnen keine 80 Meilen marschieren, ohne sich wunde Füsse zu holen. Werden sie nass, bekommen Sie sie nicht aus und nicht wieder an. Gewöhnen Sie sich an meine Fussbekleidung; sie verbindet alle Vortheile. Lernen Sie wieder so laufen, wie eine weise Natur es uns vorgeschrieben hat, ohne Hacken. Die kleinen Menschlein wollen nur immer grösser erscheinen, als sie sind – besonders die Damen. Wenn Sie nun bereit sind, wollen wir den Wasserspaziergang antreten.«

Ellen war bereit dazu. Er hing sich beide Räder, an denen er vorher seine und Ellen's Schusswaffen und Munition befestigte, über die Schultern, sie folgte ihm; das Wasser ging ihr fast immer bis an die Kniee, manchmal bis an den halben Leib, Hassan schwamm beständig.

»Es ist immer noch besser als es in einer viertel Stunde sein wird,« sagte er mit schlechtem Trost, »jetzt ist der Boden wenigstens noch weich, dann aber, wenn kein Wasser mehr darüber steht, wird er uns wie mit Klammern festhalten. Doch das wird auch vorüber gehen. Können Sie schwimmen? Ja? So bitte ich Sie, als Pfadfinder vorauszugehen. Es ist doch wohl besser, wenn die Räder nicht unter Wasser kommen.«

Das sah Ellen ein. Sie war sogar mit Vergnügen dazu bereit, wenn nur ein Loch käme, in dem sie ... Da war sie auch schon verschwunden und als sie wieder auftauchte, festen Boden suchend, blies sie lustig und lachend das Wasser von sich.

Das war es ja, was sie sich immer gewünscht, solche urwüchsige Romantik zu erleben, das könnte sie in England nicht haben. Schade nur; dass der Gedanke an die Cowboys die Harmlosigkeit des Abenteuers etwas trübte.

Starke hatte Recht. Das Wasser schwand zusehends, der Boden mochte auch steigen; aus dem Waten im Wasser wurde ein solches im Schlamm, und jetzt kam erst die Anstrengung; nach einer halben Stunde drohte Ellen die Kraft in den Knieen zu versagen, sie fühlte schon jetzt die spätere Gliedersteifheit.

»Jeder gewonnene Schritt ist unschätzbar,« wiederholte sie aber für sich Starke's Worte, und sie kämpfte sich tapfer vorwärts.

Auch dies wurde überstanden. Der Boden der Prairie, hier nur mit spärlichen Grasbüscheln bedeckt, nahm jene schlüpfrige Beschaffenheit an, welche Jeder von der schlechten, aufgeweichten Landstrasse her kennt.

»Hier wird es per Rad schneller gehen als zu Fuss,« meinte Starke, die Maschine niedersetzend, »probiren Sie, wie es sich fährt«

Zwei Mal versuchte Ellen vergeblich, in den Sattel zu kommen, das dritte Mal brachte sie auch nur einige Umdrehungen fertig, sie kippte wieder um. Die schmalen Räder drangen doch noch sehr tief in den Schlamm ein.

»Da werden wir wohl wieder Vorspann nehmen müssen,« sagte Starke gutmüthig, den Lasso von den Hüften lösend.

Während er die Lederriemen an die Lenkstange knüpfte und Ellen ihren Revolver an sich nahm, stiess Hassan ein leises Knurren aus. Starke folgte seinem Blicke, Ellen gewahrte nichts, er zog ein kleines Fernrohr aus der Tasche, richtete es rückwärts und stellte es ein. Der Hund knurrte drohender.

»Da sind sie. Vielleicht zwanzig. Hören Sie Hassan erzählen? Er sagt mir, dass es Feinde sind. Sonst könnte ich das nicht wissen. Es könnten ja auch andere Reiter sein. Aber Hassan irrt sich nicht, er wittert es. Jetzt unterscheide ich sie deutlicher. Sie jagen in voller Carriere, haben uns gesehen. Nun auf das Rad und in die Pedale getreten, was das Zeug hält. Wohl beugen Sie den Kopf herab, um die Luft zu durchschneiden, aber in Gedanken halten Sie den Kopf hoch – sie sollen uns nicht bekommen.«

Er hatte sein Rad sofort in der Gewalt, und da er das andere hochzog, kam Ellen leicht auf das ihre.

»Vorwärts! Nicht umgesehen! Lassen Sie den Revolver stecken, Instructionen gebe ich Ihnen später, wenn es nöthig sein sollte.«

Die Locomotive zog an, in den Lederriemen krachte es, schneller und schneller drehten sich die Kurbeln. Der zähe Schlamm konnte diesen Mann nicht hindern. Ellen wurde nur von einem Gedanken beherrscht: wenn jetzt etwas bricht, etwas reisst, sind wir verloren. Sie setzte ihre ganze Kraft ein, um sich möglichst wenig ziehen zu lassen, sie keuchte vor Anstrengung.

Immer fester wurde der sterile Boden, die Strömung des Wassers hatte mit dem Schlamme die Unebenheiten ausgeglichen, immer schneller und schneller ging es. Ellen's Füsse wirbelten nur noch herum, ihre Kraft war erschöpft.

Ein Blockhaus tauchte auf, ein weisser Streifen zog sich durch die braune Prairie – und hinter ihnen ertönte ein gellendes Geheul. Ellen erblasste.

»Das ist die alte Poststrasse, dort am Blockhaus ist die Grenze!« schrie Starke.

Ellen hörte die Aufforderung heraus, noch einmal raffte sie alle Kraft zusammen.

Ein tiefer Graben längs der Strasse, Starke sprang ab, fing sie auf, war mit beiden Rädern hinüber, er schnitt den Riemen ab, Ellen sah hinter sich, dort raste die brüllende Reiterschaar, noch etwa 300 Meter entfernt, sie schwangen die Lassos – da war sie schon wieder mit einem Griff auf ihr Rad gehoben, es wurde fortgestossen, Starke war an ihrer Seite.

Die Strasse war eben und hart wie Stein, es herrschte Windstille, den Sturm erzeugten die Fahrer selbst. Aber ein klapperdürrer, schonungslos angetriebener Prairiegaul, dem das Blut aus den Flanken spritzt, greift anders aus als ein wohlgenährtes Gendarmeriepferd.

Das Blockhaus sauste vorbei, vor Ellen's Augen und Ohren sauste Alles. Nur schattenhaft sah sie grosse Rinderheerden, auch vor ihr jagten Reiter wie Schemen über die Prairie, verschwanden hinter einer Waldecke.

Starke blickte sich um.

»Sie sind über der Grenze,« sagte er ganz ruhig. »Wir haben sie schon nicht mehr hinter uns. Jetzt kommt eine andere Nummer des Programms; dort sammeln sich schon die Ohiojungen. Bremsen Sie, springen Sie ab, Sie sollen etwas zu sehen bekommen, was in Ihrer Erinnerung nicht fehlen darf.«

Er fuhr langsamer und sprang ab, Ellen that desgleichen, stemmte sich auf das Rad, um nicht zusammenzubrechen. Alles war ihr unfassbar.

Nein, verfolgt wurden sie nicht mehr. Warum ritt denn die Reiterschaar jetzt drüben auf der anderen Seite der Landstrasse?

Da brach es hinter jener Waldecke wie ein donnernder Wirbelwind hervor; zwei Dutzend Cowboys, die geschwungenen Revolver blitzten in der Sonne.

»Hip hip hurrah für Ohio!« brüllte es jauchzend auf der einen Seite.

»Hip hip hurrah für Virginia!« antwortete es auf der anderen.

In rasender Flucht jagten die beiden Reitertrupps auf einander zu, jetzt knatterten die Revolver, schon gab es herrenlose Pferde, jetzt prallten sie zusammen; Schüsse fielen nicht mehr, dafür blitzten die breiten Bowiemesser, sie hielten sich zum Ringkampf umschlungen, immer mehr ledige Pferde, die Reiter stürzten, rissen sich aus den Sätteln, kämpften am Boden mit dem Messer weiter ...

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»Was – träume ich denn? Ist das nicht eine richtige Schlacht.« flüsterte Ellen.

»Nein, das ist nur ein unschuldiges Sonntagsnachmittagsvergnügen in der Prairie. Bilden Sie sich einmal fest ein, Sie befänden sich im Theater. Denn für diese dort ist das nichts weiter als eine lustige Comödie, die sie spielen. Bei uns gehen die jungen Leute am Sonntagnachmittage zum Kegelschieben, hier wird, seitdem die Cowboys keine Indianer mehr zum Scalpiren haben, ein fideler Grenzkrieg arrangirt. Es ist nicht so schlimm, wie es aussieht. Es geht dabei auch ganz chevaleresk zu. In einer Entfernung von 20 Galoppsprüngen darf nicht mehr geschossen werden, dann fängt das Bowiemesser an zu arbeiten, wer am Boden liegt, den darf man nicht mehr stechen. Freiwillig legen sie sich natürlich nicht hin, so kitzlich sind die nicht. Dann, wenn das Spielchen aus ist, begraben sie die Todten, nachdem sie ihnen die Silbersporen und Waffen abgenommen haben; lachend schneiden sie sich einander die Kugeln heraus, nähen die Messerschlitze mit Schusterzwirn zu; wer einen caputgeschossenen Finger hat, der hackt ihn sich selber ab und macht einen guten Witz dabei – dann ziehen die beiden feindlichen Parteien brüderlich vereint zum nächsten Storekeeper, setzen die Hinterlassenschaft der Todten in Whisky um, und beim Becherklang machen Sie das Rendez-vous zum fröhlichen Spiel für den kommenden Sonntag aus. O ja, es lässt sich gemüthlich leben in der Prairie. – Doch kommen Sie, der Vorhang wird bald fallen, wir wollen mit der liederlichen Schauspielerbande nicht noch einmal in Berührung kommen, die pumpt einen nur an.«


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