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3. Capitel.
Ein Weltenbummler.

Vor der Villa hielt Sir Munro's Equipage; auf dem Bocke sass der Rosselenker, ein Diener hielt den geöffneten Schlag.

»Hôtel Alexander,« sagte der Einsteigende, und auch der Diener stieg auf den Bock.

Wenn ein Diener auf den Bock klettert, so ist das von keiner grossen Bedeutung; aber dieser kleine, schmächtige Mahn in Livree kletterte nicht, sondern er stieg hinauf, und wie er es that, das war wenigstens merkwürdig. Er benutzte nämlich nicht die beiden Tritte, sondern er hob den einen Fuss, immer höher, bis in Kopfeshöhe, so setzte er ihn oben auf den Bock hinauf, und dann sass er selbst oben. Wer dies beobachtet hatte, und er wollte es zu Hause nachzumachen versuchen, der hätte gefunden, dass er es nicht fertig brachte.

Munro war so in Gedanken versunken, dass er nicht merkte, wie der Wagen schon das Hôtel erreicht hatte und wie es vor dem Portal von Menschen wimmelte, welche alle oben nach den Fenstern starrten. Erst als der Wagen hielt und der Diener den Schlag aufriss, erwachte er und sprang heraus.

Neben der Portierloge stand ein Garcon in der beliebten Kellnerstellung von unnachahmlicher Grazie: die Beine so breit als möglich, den Bauch herausgereckt, vor den Beinen die mit beiden Händen auseinander gespannte Serviette: – »Ich bin Ich, und was kann aus mir noch Alles werden!«

»Nicht wahr, in diesem Hôtel wohnt Mr. Stout, der Erdumradler?«

»Mr. Starke ist sein Name, Curt Starke, er will nicht anders genannt sein,« beeilte sich der Garcon zu sagen, nachdem er die Beine zusammengeklappt hatte. »Jawohl, er logirt hier, ich bin sein Zimmerkellner.«

»Anwesend? Ich möchte den Herrn sprechen.«

»Bedauere. Mr. Starke empfängt keinen Besuch. Es waren schon sehr viele da – äh – besonders auch – äh – sehr viele Damen. Mr. Starke empfängt Niemanden.«

»Na, probiren wir's mal. Sir Munro lässt um eine Unterredung bitten. Melden Sie es.«

Der Titel und die vor dem Portale haltende Equipage verfehlten ihre Wirkung nicht, der Kellner eilte, Munro folgte ihm langsam nach. Auf der Hälfte der ersten Treppe trafen sie wieder zusammen.

»Bedauere, äh,« der Ganymed tastete an seiner Halsbinde herum, »Eure Herrlichkeit – äh – sollten sich verkehrt aufhängen lassen, mit den Beinen nach oben. Verzeihung, aber das hat Mr. Starke wirklich gesagt.«

Es war trotzdem ein starkes Stück, dass der Kellner dies wiederholte. Dabei sah das Kerlchen gar nicht so dreist aus, vielmehr recht bescheiden. Doch dieser Baronet fühlte sich nicht erhaben über den anderen Pöbel; er lachte belustigt.

»Versuchen wir es auf eine andere Weise, bei dem gestrengen Herrn eine Audienz zu erhalten. Hier,« er entnahm der Brieftasche eine Visitenkarte, schrieb unter seinen Namen eine Zeile und gab dem Kellner die Karte, »bringen Sie ihm dies, und wirkt das nicht, dann brauche ich ihn auch nicht mehr zu sprechen.«

Wieder fühlte der Garcon an seiner Halsbinde herum.

»Bedauere. – Aeh, wenn ich noch einmal käme, dann wollte er – ich – mir meinen zarten Hals umdrehen. Das ist nicht etwa ein Witz von mir, das hat er wirklich gesagt.«

Immer mehr belustigt, drückte Munro dem Aengstlichen eine halbe Krone in die Hand, und daraufhin riskirte dieser seinen Hals.

»Wenn ich ihn auch nicht gebrauchen kann...es muss doch schon interessant sein, diesen stolzen Grobian kennen zu lernen,« dachte der Baronet, und da kam der Abgesandte mit der frohen Botschaft schon zurück.

»Euere Herrlichkeit sind angenehm.«

Die Thür des comfortablen Hôtelzimmers im ersten Stock wurde von dem Kellner geöffnet, und:

Grafik4

»Sie wollen mich zu einer Radtour um die Erde engagiren? Well, was zahlen Sie mir?« klang es ihm sofort entgegen.

Munro's erster Blick war auf einen grossen, gelben, langhaarigen Windhund gefallen, welcher auf dem Plüschsopha lag, den Eintretenden nicht beachtend. Sein zweiter Blick traf den Mann, der in der Nähe des Fensters an einem Tische sass und, wie Munro erkannte, getrocknete Pflanzen in ein Herbarium klebte. Er hatte jene Worte gesprochen, ohne nach der Thür zu sehen. Erst jetzt stand er langsam auf.

Da er sich durch seinen selbstständigen Charakter von den Durchschnittsmenschen unterschied, verdient auch sein Aeusseres eine nähere Beschreibung.

Es war – um ein gewöhnliches Maass für Körpergrösse beizubehalten – eine etwas über sechs Fuss hohe Gestalt, schlank, aber mit sehr breiten Schultern, während auf dem starken muskulösen Halse ein kleiner Kopf sass. Die ungewöhnliche Körperkraft erkannte man aus den grossen und dennoch schlanken Händen, an denen Alles von Muskeln, Sehnen und Adern starrte, obschon sie jetzt wohl keine schwere Arbeit mehr verrichteten, denn die Fingernägel waren gut gepflegt. Tief braun wie diese Hände war das Gesicht mit der grossen, kräftigen Nase, und eine Stulpnase hätte auch nicht zu dieser Figur gepasst; blau das Auge, das dünne Bärtchen noch etwas heller als das lichtblonde, schlichtgescheitelte Haar. Bei einem Manne soll man nicht von »schön« und »hübsch« sprechen, ein pomadisirter Adonis mit Wachspuppengesicht mag »hübsch« sein – dies hier war ein charaktervoller Männerkopf.

Wie er so dastand, hochaufgerichtet, lag etwas Bewegungsloses in ihm, nicht nur darum, weil er sich jetzt nicht bewegte – er glich einer ehernen Statue, und auch nicht nur wegen seiner broncenen Hautfarbe. Das Gesicht wohl tiefernst, doch nicht unfreundlich – ein unbewegliches Gesicht; die blauen Augen kalt wie Eis und dennoch blitzend wie scharf geschliffener Stahl; Alles aus einem Erzguss. Er bewegte sich, er sprach, aber das Bild von der ehernen, unbeweglichen Statue wollte nicht weichen, denn auch die Stimme schien von hartem, wohlklingendem Metall erzeugt zu werden. Ruhe, eine eiserne, durch nichts zu erschütternde, über jeden Wechsel erhabene Ruhe - das war in seinem Aeusseren ausgedrückt, und diese Ruhe schien auch sein innerstes Wesen zu sein. Er sprach, wie er sich bewegte, langsam und bedächtig, und ehe er eine Antwort gab, liess er für gewöhnlich eine lange Pause eintreten, auch wenn gar keine Ueberlegung nöthig war. » Well, Sir, was zahlen Sie mir?«

Noch immer staunte Munro das broncene Standbild an. Es konnte ja sprechen? Ob denn dieses Gesicht wohl auch lachen und weinen könnte? Dann raffte er sich auf.

»Das Bezahlen ist für mich ganz Nebensache ...«

»Für mich die Hauptsache. Sie müssen erst eine Idee von meinen Forderungen bekommen. Ich verlangte und erhielt von den Globe-Fahrradwerken pro Tag ein Pfund Sterling Reisespesen und pro Tag 10 Schilling Gehalt, und dies für zwei Jahre, während welcher ich um die Erde zu kommen versuchen sollte. Verstehen Sie? Auf ein Risico, auf eine Wette und dergleichen lasse ich mich meinerseits nicht ein. Dagegen erhielt ich für jeden Tag, den ich an den 780 Tagen ersparte, eine Prämie von 5 Pfund. Das war mein Verdienst. Die Reisespesen für zwei Jahre mussten mir im Voraus bezahlt werden, damit ich sie auf die einzelnen Stationen vertheilen konnte; das Gehalt für zwei Jahre, also 365 Pfund, wurde deponirt. Dies ist Alles. Keine Lebensversicherung. Ich mache keinen schriftlichen Contract. Wem ich nicht auf sein einfaches Wort hin traue, mit dem lasse ich mich nicht ein. Das Deponiren des Geldes ist nur der geschäftlichen Wechselfälle wegen. Nun kennen Sie ungefähr meine Bedingungen, unter welchen ich solch eine Reise mache.«

»Ich finde sie sehr bescheiden,« entgegnete Munro. »Glauben Sie, ganz genau dieselbe Tour, zu welcher Sie 512 Tage gebraucht haben, in 300 Tagen machen zu können?«

Diesmal war die lange Pause begreiflich.

»Ja,« sagte dann die metallische Stimme kurz. »In diesem Falle aber beanspruche ich pro Tag 30 Schillinge Spesen und ein Pfund Gehalt, ferner für jeden Tag, den ich erspare, 20 Pfund Prämie. Doch dies letztere nur, wenn es Ihnen hierauf ankommt, sonst werde ich die 300 Tage einhalten.«

»Gestatten Sie erst noch eine Frage. Halten Sie es für möglich, dass eine junge Dame, gesund und kräftig für ihr Geschlecht, diese Tour in 300 Tagen machen kann?«

»Nein.«

»Warum nicht?«

»In Nebraska wird sie scalpirt, in Beludschistan schneidet man ihr den Kopf ab. Menschenfresser giebt es auf meiner Tour nicht, desto mehr Seelenverkäufer und Mädchenhändler. Nein, ich halte es nicht für möglich.«

»Auch nicht, wenn Sie die Dame begleiten?«

»Das haben Sie noch nicht gesagt. Wenn nur die Radfahrt als solche in Betracht kommt, dann glaube ich, dass ein gesundes, kräftiges und etwas energisches Mädchen, welches will, wirklich will, diese Strecke in 300 Tagen machen kann, denn vor den Gefahren und was sonst noch in Betracht kommt, kann ich die Dame schützen, so weit ein sterblicher Mensch versprechen darf. In diesem Falle aber verlange ich 30 Schilling pro Tag Gehalt, die Spesen bleiben dieselben, vorausgesetzt, dass die Dame ihre Kosten selbst bestreitet.«

»Also Sie halten es für möglich!« meinte Munro sinnend. »Ja, energisch ist Miss Howard zweifellos. Aber glauben Sie denn nun nicht, Mr. Starke, dass ein Mädchen, und sei es auch noch so energisch, endlich verzweifelt zusammenbrechen wird. Es ist doch eine fürchterliche Leistung; es muss ja nervenzerreibend sein.«

»Ich verstehe, was Sie meinen. Dass sie sich nicht übernimmt, nicht zusammenbricht, nicht verzweifelt; dafür bin ich eben da; ich treibe und zügele, ich kenne Mittel, um immer wieder neue Spannkraft zu verleihen, das beste ist mein Beispiel, und das ist es, was ich mir besonders honoriren lasse.«

So vernahm Munro, wie hier aus ruhigem Munde das Unternehmen, welches er für ganz sinnlos gehalten, als eine Möglichkeit besprochen wurde. Er hatte es nicht zu hören geglaubt, sich den Weltreisenden auch ganz anders vorgestellt; sein Herkommen hatte überhaupt etwas ganz anderes bezweckt.

»Nun lassen Sie noch ein Wort mit sich sprechen, Mr. Starke. Die Dame, welche ihre Tour in 300 Tagen machen will, ist Miss Ellen Howard, und ich – ich darf sie als meine Braut betrachten. Es handelt sich um eine Wette, an welcher ich jedoch nicht betheiligt bin. Miss Howard ist – etwas eigensinnig. Ob sie gewinnt oder nicht, ist mir ganz gleichgiltig; die 10 000 Pfund Einsatz bedeuten für sie auch gar keinen Verlust, ich trüge ihn gern selbst, mir liegt nur daran, sie von ihrem Eigensinn zu heilen. Sie verstehen wohl, Mr. Starke. Sie sollen Sie begleiten, beschützen, dass ihr kein Haar auf dem Haupt gekrümmt wird, es ist ja mein Theuerstes auf Erden, ich selbst werde sie begleiten, wenn auch nicht per Rad, aber – ich möchte eben gerade, dass sie unterwegs verzweifelt zusammenbricht, das Marterrad mit Abscheu von sich wirft, und dies sollen Sie herbeiführen.«

Die gewöhnliche Pause entstand; die blauen Stahlaugen blitzten den Baronet an.

»Ist denn Miss Howard hiermit einverstanden?«

Ob solch einer thörichten Frage verlor Munro beinahe die Fassung. Dieser Mann sah doch eigentlich gar nicht so dumm aus.

»Natürlich nicht!« rief jener erregt. »Sie will doch die Wette gewinnen!«

In die eherne Statue kam zum ersten Male wieder Leben, sie machte eine abwehrende Handbewegung.

»Dann suchen Sie sich einen anderen,« erklang es ruhig und kühl. »Das, was Sie von mir verlangen, ist für mich unehrliches Spiel.«

Wie niedergedonnert stand Munro einige Augenblicke da. Diese Worte, so hervorgebracht, hatten ihn wie wuchtige Schläge auf den Kopf getroffen.

»Aber ich meine es doch nur gut mit ihr!« rief er dann aus. »Was kümmern uns denn die 10 000 Pfund! Und ich bezahle Ihnen Alles, was Sie ...«

»Genug. Jedes Wort in diesem Sinne gesprochen, ist vergebens. Vor allen Dingen, verschonen Sie mich mit Geldversprechungen. Für so etwas bin ich nicht zu haben. Lieben Sie die Dame, und sind Sie ein Mann, so bitten Sie sie, dass sie die Fahrt nicht unternimmt, verbieten Sie es ihr, wenn Sie ein Recht dazu zu haben glauben, aber nicht, dass Sie sie hinterrücks zu Falle bringen wollen.«

Ei, konnte der Mann die Wahrheit sagen! Und Munro war ihm gegenüber ganz ohnmächtig, konnte sich nicht vertheidigen, nur entschuldigen, er wurde immer verlegener, purpurroth, stammelte immer mehr davon, wie er es ja nur gut meine.

Bewegungslos dastehend, liess ihn Starke ruhig reden, bis er in einer Pause einmal zu Worte kommen konnte. »Sie haben da viele Worte verschwendet. Gut, engagiren Sie mich doch, ich will die Dame begleiten, natürlich werde ich mein Möglichstes thun, dass sie die Wette gewinnt; aber ich glaube Ihnen auch die Versicherung geben zu können, dass die Dame nach Beendigung der Fahrt nicht so leicht wieder ein »Marterrad« besteigt, denn darauf, scheint mir, kommt es Ihnen doch nur an.«

Wieder erstarrte Munro, während jetzt aber ein Lächeln sein Gesicht zu verklären begann. Wahrhaftig, der Mann hatte Recht. Denn Ellen zu demüthigen, daran hätte er ja nie gedacht, und auch jetzt glaubte er noch nicht daran, dass sie die furchtbare Tour aushalten würde. Aber dieser Mann imponirte ihm immer mehr, den musste er als ihren Begleiter haben.

»Famos! Das hätten Sie mir übrigens auch eher sagen können! Sie wollen also Miss Howard begleiten?«

»Gewiss. Wird die Dame aber auch mit meiner Begleitung einverstanden sein?«

Oh, da kam schon wieder etwas dazwischen. Ellen hatte ihm die Bedingungen ganz genau geschildert, er that es jetzt Starke gegenüber. Also allein, doch wenn ihr Munro für sein Geld diesen Mann beigesellte, ohne ihre Einwilligung, so konnte ihre Gegnerin, Lady Barrilon, nichts dagegen einwenden. Aber würde sich dieser Mann, der offenbar eine gute Portion Stolz besass, auf so etwas einlassen? Er sollte sich zum Begleiter einer gebildeten Dame aufdrängen. Und da kam es auch schon.

»Wenn ich nach dem, was ich nun über die Dame gehört habe, Miss Howard beurtheile, so scheint es mir, als könne ich ihr als Begleiter nicht angenehm sein, gerade ich, Curt Starke. Die jedenfalls etwas stolze Engländerin will beweisen, dass sie, ein Mädchen, das in 300 Tagen fertig bringt, wozu ein professioneller Wanderfahrer, ein starker Mann, 512 Tage gebraucht hat. Sollte es nicht so sein?«

Munro gab es ehrlich zu, und zaghaft blickte er den Hünen an.

»Die Landstrasse ist frei wie die Prärie und die Wüste,« lautete aber dessen Antwort, welche Munro von allen Sorgen befreite, »sie kann mich nicht hindern, neben ihr zu fahren und zu halten, wenn sie hält, und ausserdem ist es ja mein Weg, den sie benutzt. Ja, ich begleite sie, empfindlich bin ich nicht, und mit der Zeit werden wir schon gute Freundschaft schliessen.«

Starke wandte sich gegen den Tisch, stopfte eine Holzpfeife aus einem Lederbeutel und zündete sie in seiner bedächtigen Weise an.

Es war noch kein Gontract gemacht. Und da fiel es dem englischen Baronet zum ersten Male ein, was dieser Contract für eine Bedeutung haben würde.

Konnte denn jener Mann Gedanken lesen? Schliesslich lag die Frage sehr nahe, er hatte sie durch seine letzten Worte selbst angeregt. Er hielt sich von Munro halb abgewendet, rauchte und betrachtete ein Oelbild, welches das alte Thema von dem Liebespaare auf der Gartenbank mit den beiden sich schnäbelnden Turteltauben behandelte.

»Wir haben noch nichts abgemacht,« sagte seine tiefe, ruhige Stimme. »Ja, Sir Munro, wissen Sie denn, wer ich bin? Ich soll also eine junge Dame, welche Ihre Braut ist, um die Erde begleiten. Ich werde für 300 Tage ihr ständiger Gesellschafter sein, von übermorgen an. An Bord werden wir noch nicht in nähere Berührung kommen. Dann aber werden wir im Hôtel unter einem Dache schlafen, jedenfalls stets Zimmer an Zimmer, dafür muss ich sorgen. Ich soll sie ja beschützen. Wir werden auch in mancher Hütte mit nur einem Raum übernachten. Oftmals werden wir am einsamen Lagerfeuer campiren. Haben Sie sich dies Alles auch recht überlegt, Sir Munro?«

Mit ausgestreckter Hand ging der junge Mann auf ihn zu.

»Eben durch diese offenen Worte haben Sie jedes Misstrauen beseitigt. Hier meine Hand.«

»Nein, ich nehme sie nicht. Sie wissen ja gar nicht, ob Sie Ihre Hand nicht einem Schurken geben. Ich nehme Ihre Hand nicht.«

Munro musste sie zurückziehen. Er stand einem Räthsel gegenüber.

»So erzählen Sie mir doch, wer Sie sind.«

»Das können Sie haben.«

Er ging an das Fenster und lehnte sich mit dem Rücken dagegen, kreuzte die Arme über der breiten Brust.

»Was ist das?« fragte Munro, als er auf der Strasse ein Stimmengewirr vernahm.

»Ich lasse etwas meinen Rücken bewundern, Tag und Nacht stehen die kleinen und die grossen Kinder unten. Nun also: Harry Curt Starke. Geboren im Dorfe Nowawes bei Potsdam. Der Geburtstag interessirt Sie doch nicht. Jetzt bin ich 34 Jahre alt. Meine Mutter war Waschfrau, mein Vater vertrank ihren Verdienst. Ich war von je ein Taugenichts und ein Vagabund. So sagte man. Thatsächlich, wenn ich nur konnte, so lief ich hinter die Schule, um im Grunewald zu wilddieben. Mit Grashüpfern und Eidechsen fing ich an, mit Wildschweinen und Sechszehnendern hörte ich auf. Aber ich war damals noch ein Kind, dachte mir nichts dabei. Eines Tages, in meinem zwölften Jahre, wurde ich dabei erwischt, lief immer geradeaus, kam nach Hamburg, kroch in ein Schiff, auf hoher See tauchte ich wieder auf. Da war ich Schiffsjunge auf einem amerikanischen Schooner. Sie sehen, ich habe etwas früh angefangen. Der Capitain war eigentlich Walfischjäger, ging in New-York zum alten Beruf, nahm mich mit. Ich lernte etwas. Hatte schon damals Knochen und Schultern. Mit fünfzehn Jahren, in einem Alter, wenn sich andere Jungen erst nach einem Berufe umsehen, war ich schon erster Harpunier, liess in New-York auf meine Kunst bieten, harpunirte nicht unter 50 Dollar Fangprämie. Kurz, Geld verdiente ich wie Heu. Ich erwähne dies nur, damit Sie nicht glauben, ich bummelte in der Welt herum, weil ich nichts gelernt hätte. Ausserdem bin ich ein vermögender Mann. Nun, ich wollte noch mehr sehen als nur Eismeere und Schneefelder. So trieb ich mich in der ganzen Welt herum, bin ziemlich Alles gewesen, habe Kriege mitgemacht, mich auch sonst in allen Erdtheilen herumgeprügelt ...«

Der Erzähler brannte die ausgegangene Pfeife wieder an und fuhr in demselben ruhigen Tone fort:

»Einmal erinnerte ich mich, dass ich noch eine Heimath hatte, der ich Pflichten schuldig war. Ich ging nach Deutschland, stellte mich der Militärbehörde. Nein, man kannte mich nicht mehr. Heimathlos. – Heimathlos. – Ein schlimmes Wort. Ich hatte den Fluch selbst beschworen. Denn ein Fluch lastet auf mir. Rastlos wie der ewige Jude muss ich wandern, wandern, immer wandern. Ich muss, ich muss. Warum? Fragen Sie den Zigeuner, fragen Sie den Wandervogel nach dem Warum. Wenn mir die Kleider in Fetzen vom Leibe fallen, fühle ich mich am allerwohlsten. Keine Heimath, keine Hütte, keine Höhle, kein Nest. Kaum kann ich es noch unter einem Dache aushalten, in keinem Bette, dort auf der nackten Diele schlaf ich jede Nacht ... –«

Forschend blickte Munro den Sprecher an. Vergebens. Keine Bewegung, keine Wehmuth, kein Zittern der Stimme, sie war unerschütterlich wie das broncene Gesicht.

Es war nur eine Pause im Zuhören, nicht im Erzählen gewesen.

»... und ich habe mich daran gewöhnt, habe den Fluch in Segen zu verwandeln gewusst, bin zufrieden. So wandere ich umher und suche das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden, bin Führer von Jagd- und Forschungsexpeditionen, jetzt habe ich Reclame für eine Fahrradfabrik gemacht. Das heisst, sie macht Reclame mit mir, ich nicht für sie. – Das war in kurzen Worten ein langes Leben. – Vorbestraft bin ich, habe schon oft hinter Kerkermauern gesessen, bin aber immer wieder ausgebrochen. Sie verstehen wohl, da kommt es oft vor, dass Einen ein Pascha in's Loch wirft. Sonst, abgesehen von meiner frühesten Jugend, da ich wilddiebte, wie der Jugend gemauste Aepfel ja überhaupt am besten schmecken, habe ich noch nie betrogen oder gestohlen. Nun entscheiden Sie sich kurz, ob Sie mich engagiren wollen oder nicht.«

Gern hätte Munro noch mehr über diesen seltsamen Mann erfahren, zunächst aber musste er antworten.

»So engagire ich Sie hiermit zu Ihren mir gegebenen Bedingungen.«

»Gut. Ihr Wort genügt mir. Lassen Sie uns das Weitere besprechen.«

Starke stopfte sich eine neue Pfeife. Hinter Munro gähnte es, und wie er sich schnell umdrehte, sah er eben noch das furchtbare Gebiss in dem kleinen, aber sehr langen Kopfe des persischen Windhundes.

»Ein prachtvolles Exemplar.«

»Es ist Hassan el Seba, Sohn des Jussuf ben Nadir und der Fatime.«

Munro blickte sich um, ob auf dem Tische vielleicht das Bild eines Arabers lag, von welchem jener sprechen könnte.

»Ich meine diesen persischen Windhund.«

»Ich auch. Es ist aber kein persischer Windhund, auch kein russischer, wie man hier immer sagt, sondern es ist ein arabischer Antilopenjäger aus der lybischen Wüste.«

»So, so,« brummte Munro. »Ein herrliches Thier. Wieviel haben Sie dafür bezahlt? Oder wie sind Sie sonst dazu gekommen?«

Starke war zu ihm an das Sopha getreten.

»Diesen Hund kann man nicht kaufen, er lässt sich auch gar nicht verkaufen, nicht verschenken. Der Scheich der Beni-Surfs hat ihn mir zur Erziehung gegeben.«

Wieder durfte Munro von dieser Antwort denken, was er wollte. Er blickte den Hund an, und dieser ihn.

»Seit drei Jahren begleitet er mich,« fuhr Starke fort, »hat schon manche Meile zurückgelegt, auch jetzt wird er meinem Rade wieder folgen. Neulich, als ich Rad fuhr, hielt mich ein Schutzmann an, ob dies mein Hund sei, und ich musste wegen Thierquälerei eine ganz gehörige Strafe zahlen. Wer dieses englische Gesetz, dass ein Radfahrer keinen Hund mit sich nehmen darf, gemacht hat, das muss aber ein Hundekenner gewesen sein!«

»Kann ich ihn streicheln?«

»Beissen würde er nicht. Aber thun Sie es nicht, ich liebe es auch nicht, wenn mir ein Fremder am Körper herumgreift, Sie doch auch nicht.«

»Na, Mr. Starke,« lachte jetzt Munro, »bitte, nun erklären Sie mir endlich, was es mit diesem Wesen für eine Bewandtniss hat. Ist das auch wirklich ein Hund oder etwas Höherentwickeltes.«

»Wie ich Ihnen sagte, es ist ein arabischer Windhund. Ich sehe, Sie kennen die Verhältnisse nicht, Sir Munro, Sie sind Baronet. Es giebt keinen englischen Lord und Peer, keinen Fürsten in Europa, dessen Stammbaum so alt und so rein ist wie der von diesem Thiere; überhaupt wie alle dieser Wüstenhunde. Bekannter ist nur der Adel der arabischen Pferde geworden. Sie wissen, der Prophet Muhamed hatte fünf Stuten – Tayes, Manekeye, Koheye, Saklawy und Djulf – von diesen gingen die ersten Stammbäume ab; die dieser Hunde sind noch um viele Jahrhunderte älter, und sie haben wirkliche Stammbäume, auf Pergament gezeichnet, und wie Ihnen jeder Araber, wenn ihm Pferde seiner Heimath vorgeführt werden, sagen kann: das ist eine Koheye, das dort ist eineDjulf - so wird er sofort, wenn er diesen Hund hier sieht, sagen: das ist ein Enkel von Nadir el Seba - und er wird sich vor ihm bis an die Erde verneigen.«

Dies that Munro zwar nicht, aber er betrachtete den Hund, gegen dessen Adel der seine ein ganz frischbackener war, jetzt doch mit etwas mehr Ehrfurcht. Hassan der Löwe seufzte tief auf, warf ihm einen verächtlichen Blick zu, drehte sich herum und steckte die Schnauze zwischen die Hinterbeine – und das brachte der englische Baronet auch nicht fertig.

Ehe die Reise selbst besprochen wurde, fiel Munro noch etwas Anderes ein. Auch er wollte sich ja anschliessen, wollte immer von Station zu Station mit der Eisenbahn oder mit sonstigen Gelegenheiten vorausreisen, immer für Räder sorgen u. s. w., kurz, er wollte den Beiden die Wege ebenen, so viel er konnte, und hierbei würde Ellen auch seine ergebene Treue erkennen. Aber er wünschte nicht, dass Ellen sofort erführe, wie er diesen Begleiter für sie engagirt habe. Denn er kannte die selbstständige Ellen, konnte sich recht lebhaft vorstellen, wie sie – anfangs wenigstens – die Sache auffassen würde. Was, einen Vormund? Einen Beschützer? Den brauchte sie nicht. – Starke sollte also seinen Auftraggeber verleugnen. Später machte sich ja das Alles von selbst.

Geduldig wie immer hatte ihn Starke ausreden lassen.

»Das kann ich nicht,« entgegnete er aber dann. »Wenn sie mich fragt: hat Sie Sir Munro als meinen Schatten angestellt? so werde ich mit einem Ja antworten. Denn ich lüge nicht. Allerdings täusche ich meinen Feind, und dem Räuber zeige ich einen falschen Weg, um meinen Freund zu retten. So weit treibe ich den kategorischen Imperativ nicht. Aber sonst lüge ich nicht. Warum ich wandre, warum ich auf der nackten Erde schlafe? Nein, fragen Sie nicht den Zigeuner, ich selbst kann Ihnen eine bessere Antwort geben. Weil ich frei sein will, damit ich nicht zu lügen brauche. Das ist die Antwort. Es mag Menschen geben, welche stets die Wahrheit sagen – doch ich bin noch keinem begegnet, und ich glaube, heutzutage darf man nicht mehr das Fass des Diogenes zur Wohnung haben, um schadlos die Wahrheit sprechen zu können. Ich darf es – denn ich habe nichts mehr zu verlieren, nachdem ich die Heimath verlor. Sir Munro, vernehmen Sie von mir ein grosses Wort, welches sonst vermessen klingt, aber nicht von mir, denn ich spreche es aus mit kühler Ueberlegung: Sie sehen vor sich einen zufriedenen Mann, dessen Glück durch nichts, durch gar nichts zu erschüttern ist. Ich habe der Welt entsagt, und deshalb gehört mir die ganze Welt. Ich lüge nicht, ich brauche nicht zu lügen, denn ich habe mir das Recht, die Wahrheit sagen zu dürfen, durch schweren Kampf errungen. – Ich lüge nicht.«

Diesmal war es wirklich ehrerbietiges Staunen, mit welchem Munro zu dem hünenhaften Sprecher emporblickte. Ich lüge nicht! Aus meinem Munde kommt kein unwahres Wort! Wo ist der Mensch, der so sprechen darf. Er wäre gesellschaftlich eine Unmöglichkeit. Er müsste als Einsiedler in die Wüste gehen oder ungefähr so leben, wie dieser Mann lebte.

Schon längst war Munro einem geheimnissvollen Zauber unterlegen. Er fühlte förmlich den kühlen Hauch von Ruhe, Kraft und Wahrheit, der von diesem Manne ausging. Solch' einen Mann zu seinem Freunde zu haben! Und dieser Hauch wirkte nervenstärkend.

Ja, richtig – seltsamerweise dachte Munro in diesem Augenblick daran – der kleine Zimmerkellner, der war auch von diesem Hauche getroffen, angesteckt worden, dass er so unverfroren wiederholen konnte: Eure Herrlichkeit sollen sich verkehrt aufhängen lassen – das hat er gesagt.

»Kein Wort weiter, Mr. Starke, ich bin mit Allem einverstanden.«

»Dann wollen wir die Reise, die Stationen besprechen, wie wir uns immer verständigen können, und bedenken Sie, dass, wenn ich morgen Abend schon nach Liverpool reisen soll, wir kaum noch 30 Stunden Zeit haben, und ich muss auch noch einige Vorbereitungen treffen, mein Rad nachsehen.«

»Sie werden wieder ein Globe-Rad fahren?«

»Ich werde mich hüten! Die Werkzeuge sammelten sich nach and nach zu einem halben Centner an, den ich mitschleppen musste, jeden Tag hatte ich fünf Stunden an der Jammermaschine zu doctorn. Doch was geht's mich an, wenn sie mit mir Reclame machen, ich halte mich nicht verpflichtet, dagegen zu eifern, und Thatsache ist es, dass ich nur die eine Maschine benutzt habe. Nein, ich habe in London noch ein Rad stehen, welches ich mir vor zwei Jahren selbst gebaut habe, das werde ich für's Erste gebrauchen.«

Er sprach durchaus nicht immer so ernst, wie er aussah; manchmal recht humoristisch, nur dass sich sein Aeusseres nie dabei veränderte, dass er nie lachte.

Munro öffnete das Fenster. Unten hielt ja noch seine Equipage.

»Dick,« rief er hinab, »fahr nach Hause und packe die beiden Seekoffer reisefertig.«

Dann wurden auch hier Landkarten ausgebreitet. 8500 Meilen sollten in kurze Strecken von Station zu Station eingetheilt werden. Es wurde Nacht, sie assen und arbeiteten bei Lampenlicht weiter. Sie waren erst im Lande der Mormonen am grossen Salzsee, und Starke wollte wenigstens noch bis nach San Francisco kommen, Munro erklärte, nicht mehr zu können; die Augen fielen ihm zu. Er legte sich gleich hier in's Bett, in diesem Zimmer, und als er am anderen Morgen ziemlich spät erwachte, sass Starke noch immer am Tisch neben dem offenen Fenster, im Coursbuche blätternd, schreibend und rauchend, und schon nach seiner geleisteten Arbeit konnte Munro beurtheilen, dass er nicht geschlafen hatte. Er schien keines Schlafes zu bedürfen.


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