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20. Capitel.
Colonel Sidney Horst.

Einige Tage später, im Herzen von Nebraska. Gestern hatte Starke die Heerstrasse verlassen, mit der Begründung, einen kürzeren Weg nehmen zu wollen; auch die Vorreiter, von denen Ellen noch nichts wieder bemerkt, hätten diese Richtung eingeschlagen. Nun, ihr war es gleichgültig. Die Fahrt ging freilich über viel holperigeren Boden, aber Ellen befand sich wieder in bester Form, hatte auch schon wieder zwei ansehnliche Flüsse durchschwommen und die nassen Kleider am Leibe trocknen lassen, ohne einen Rückfall bekommen zu haben.

Seit vierundzwanzig Stunden fuhren sie durch eine äusserst dürre Gegend; das dürftige Gras gedieh wie in den australischen Steppen nur büschelweise. Es war eine ebene, trostlose Landschaft. Jetzt aber, wie Hügel kamen, wurde sie wirklich schön!

Sie fuhren, immer einem Flusse folgend, am Rande eines Urwaldes entlang – soweit man von eines Urwaldes Rande sprechen kann, doch bildete hier immerhin der Fluss eine ziemlich ausgeprägte Grenze zwischen Wald und Grasland – linker Hand immer höher werdende Hügel, zwischen denen zahlreiche klare Quellen hervorrieselten, es kamen Pflaumenbäume, Birnbäume, Apfelbäume, Pfirsichbäume, die beiden letzteren noch Früchte tragend, es wurden ganze Haine daraus, unter ihnen von Blumen Alles, was jetzt, im sogenannten indianischen Sommer, noch blühte – zuletzt einfach ein Paradies für den, welcher die traurige Einöde hinter sich hatte, eine Oase in der Wüste.

»Nicht wieder aufsteigen, hier wollen wir lagern,« sagte Starke, als sie wieder die Räder über einen silbernen Bach getragen hatten.

»Oh, hier ist es schön, hier eine Hütte bauen!« rief Ellen begeistert. »Starke, was meinen Sie dazu?«

Aber Starke schien die Frage nicht gehört zu haben, er untersuchte gerade eine der Maispflanzen, welche hier ein kleines Feld bildeten, mehr einen kleinen Wald, denn es waren colossale Exemplare, fast drei Meter hoch, wie sonst der Mais nur im heissesten Brasilien bei sorgfältigster Düngung gedeiht, und dabei erkannte das kundige Auge sofort, dass es sich hier um keine Anpflanzung von Menschenhand handelte, sie standen nicht in Reihen, viel zu dicht, es waren Wildlinge.

»Vier – fünf Kolben an einem Stengel, und sehen Sie diese von Körnern strotzenden Kolben, das sind eben so viel Pfund nahrhaftes Brod vom Quadratmeter Boden. Was sagen Sie zu solcher Fruchtbarkeit des Bodens? Dabei ist dies hier gar nicht mehr die eigentliche Region des türkischen Weizens. Der gegen die kalten Nordwinde schützende Wald ist die Hauptursache solches Gedeihens, zugleich versorgt er die Atmosphäre immer mit genügender Feuchtigkeit und des Nachts athmet er Kohlensäure aus. Nur zweitausend Quadratmeter, ein halber Acre genügten hier, um einen erwachsenen Menschen vollständig zu ernähren, ihn mit Fleisch, Milch, Eiern, Brot, Gemüsen und sogar mit Kleidung zm versehen.«

Ellen hatte schon wiederholt erfahren, wie der moderne Lederstrumpf gern Agriculturstudien trieb und wie er es besonders liebte, seine Berechnungen in den kleinsten Zahlen auszudrücken, was überhaupt ein viel deutlicheres Bild giebt, wie ja jetzt z. B. der Gelehrte auch nicht mehr nach Tonnen oder Lasten rechnet, sondern selbst die ungeheuerlichsten Gewichtsgrössen einfach in Kilogrammen angiebt. So schätzte Starke fast bei jeder Gegend mit neuer Bodenbeschaffenheit ab, was hier am besten gedeihen könne und wieviel Quadratmeter ein Mensch zu seiner Ernährung durch Ackerbau oder Viehzucht wohl gebrauche.

»Als ich vor zwei Jahren hier lagerte,« fuhr er fort, »fand ich zufällig ein Maiskorn in meiner Tasche, ich pflanzte es ein. Nun sehen Sie, was daraus geworden ist. Im ersten Jahre brachte die einzige Pflanze reife Körner hervor, Niemand erntete sie, viele mögen von Vögeln gefressen worden, verkommen sein; viele der ausfallenden Körner, vom Winde und anderen Einflüssen zerstreut, fanden doch ein sicheres Plätzchen in Mutter Erde – jetzt sind aus dem einzigen Korne ohne menschliches Zuthun mindestens hundert Pfund Brod geworden. – Kommen Sie, ich will Ihnen einen weiteren Blick geben.«

Sie liessen die Räder unter Hassan's Aufsicht zurück, Ellen folgte dem Vorausgehenden. Sie glaubte ihn doch nun schon zur Genüge zu kennen, aber immer und immer wieder wurde sie an diesem eisernen, rücksichtslosen, unbeweglichen Manne irre, der solch sinnigen Gedanken nachhing, sich so sinnig auszudrücken wusste.

Sie hatten einen hohen Hügel erklettert, der eine weite Rundschau gewährte. Auf der einen Seite Alles Wald, auf der anderen Alles Hügelland mit üppigstem Graswuchs, noch jetzt frisch, von unzähligen Bächen und Quellen bewässert, überall rieselte und sprudelte es, in der näheren Umgebung ein einziger Obstbaumgarten. Nach der Seite, von welcher sie gekommen, war noch die dürftige Prairie zu erkennen, nach der anderen nicht, die Oase in der Steppe war nicht zu überblicken und im fernen Westen erhoben sich die blauen Gipfel eines hohen Gebirges, das von Colorado.

»Die sterilen Prairien, durch welche wir gestern und noch heute gefahren sind,« erläuterte Starke, heissen die » mauvaises terres«, das schlechte Land. Der französische Name ist beibehalten worden. Dies hier ist eine Oase darin. Sie ist ungefähr 64 englische Quadratmeilen gross – oder ich kann es Ihnen auch ganz genau sagen: 206 Quadratkilometer, 40 000 Menschen könnte sie mit Leichtigkeit ernähren.«

»Und sie ist noch unbesiedelt?«

»Vollständig unbesiedelt. So gross ist die Erde! Es fehlen hier ja alle Communicationswege, also ist kein Absatz vorhanden für das, was der Mensch erntet, und mit pecuniärem Gewinn rechnet jeder Ansiedler.«

»Da könnte man hier ja Robinson spielen.«

»Sie haben Recht. Ja, es freut mich, dass Sie sofort auf diesen Gedanken kommen, denn er ist auch der meine. Warum immer an den Austausch der Frucht des Fleisses gegen Münze denken? Wenn nun das Geld schliesslich auch nur ein Tauschobject ist, ist es nicht besser, wenn man sich davon unabhängig macht, es sich ganz abgewöhnt, Alles nach Geldeswerth zu berechnen? Ist es nicht genug, wenn der Mensch satt zu essen hat, durch Obdach und Kleidung Schutz gegen die Unbilden der Witterung hat und in der Vorrathskammer noch so viel, um ein Missjahr auszuhalten? Oh, was könnte der Mensch aus dieser Oase machen! Nur hundert, nur zehn Familien brauchten sich zusammen zu thun, sie brauchen nur tausend Dollars zu besitzen, nur die Reise und die allerersten Kosten des Unterhalts zu bestreiten, für das Land giebt ihnen ja die Regierung bis zu 3O Jahren Credit, giebt ihnen baaren Vorschuss, dass sie sich Maschinen und Zugvieh anschaffen können; die Regierung will ja bei der Colonisation nichts verdienen, will ja nur das menschenleere Land mit fleissigen Ansiedlern bevölkern! – Nun malen Sie sich aus: Dort der Wald liefert ihnen das Holz zu den ersten Hütten, sie brauchen den Boden nur mit der Egge aufzulockern und die Saat auszustreuen, es wächst von selbst, im nächsten Jahre haben sie schon Ueberfluss an Brod und Gemüse. Kühe und Hühner liefern Milch und Eier, das genügt im Anfang. Die Heerden mehren sich, sie geben Fleisch und Wolle und Leder. Wenn die Baumwolle nicht gedeiht, so gedeiht der Flachs; auch die Fasern der Maispflanze können zu leichten Geweben versponnen werden. Während der Mann das Feld bestellt und die Heerden beaufsichtigt, besorgt die Frau das Haus, spinnt und webt. Sie können sich die Kleidung selbst fertigen vom Hemd bis auf die Stiefel. Ja, ich bin ein Freund der isolirten Handarbeit; Fabriken mit getheilter Arbeit sind kein Fortschritt in der Cultur. Unter ihnen ist ein Lehrer, ein echter Lehrer – dort erhebt sich die erste Schule. Die Kinder werden gross und bilden neue Familien. In der jungen Colonie werden Geister geboren werden, welche sich über die Anderen erheben. Dem Einen genügen die einfachen Wege nicht mehr, er legt bessere an; er wird der erste Strassenbauingenieur; ein Anderer beutet die Wasserkraft aus, legt Canäle an. Die Colonie wächst, man kann nicht mehr gleich zum entferntesten Nachbar laufen, ihm die neueste Neuigkeit mitzutheilen – die erste Zeitung wird gegründet. Ein phantasievoller Kopf, der hübsche Fabeln erzählen kann, benutzt sie, um seine Kameraden zu ergötzen, ohne dass sie sich um ihn versammeln müssen. Und so geht es fort und fort, auf Jahrhunderte hinaus ist die Existenz der rührigen Colonie gesichert, ohne dass eine Auswanderung nöthig wird; und sie haben keinen anderen Menschen nöthig, keine Eisenbahn soll sich hierher verirren, es ist ein Paradies des Fleisses, der Freundschaft und des Friedens, in dem das Wort, bisher ein Hohn, zur Wahrheit wird: Kinder sind ein Segen des Himmels. – Miss Howard, wissen Sie, was ich sagen will?«

Ellen blickte den Mann an, der so sprach, und sie blickte wieder um sich, und das Herz wurde ihr weit.

»Wieviel mögen diese 64 Quadratmeilen kosten?« sagte die Engländerin.

Wenn dem Engländer auch das Herz weit wird, zuerst denkt er doch immer an den Kostenpunkt, und darin hat er auch vollkommen Recht. Deshalb hat Alles, was der Engländer, nicht minder romantisch veranlagt als der Deutsche, einmal anfasst, auch Hand und Fuss.

»Wenn es Regierungsland wäre, der Acre zwei und ein halb Dollars – es würde nur wenig mehr kosten als Ihr Diamantenhalsband, für 20 000 Pfund Sterling könnten Sie die 64 Quadratmeilen kaufen. Aber die ganze Oase ist bereits Privateigenthum.«

»Ah!« sagte Ellen enttäuscht. »Wem gehört das Land?«

»Dem Colonel Sidney Horst, von dem Sie wohl schon gehört haben.«

»Was, dem Indianerhelden?!« stiess Ellen überrascht hervor.

»Demselben.«

»Existirt der denn wirklich?!«

Seit einem Jahrzehnt spielt Colonel Sidney Horst in der englischen Jugendliteratur dieselbe Rolle wie Buffalo Bill in der deutschen. Es ist behauptet worden, dass der bekannte Buffalo Bill nur der stereotype Held eines Indianerschmöker-Fabrikanten sei, und dass dann ein abenteuerlicher Hinterwäldler, wie es ja solche wirklich genug giebt, unter diesem Namen mit seinem »Wilden Westen« Europa bereist habe. Thatsache aber ist es, dass Sherlock Holmes, der berühmte Detectiv mit seinen wunderbaren Combinationen, nur die ständige Figur eines englischen Romanciers ist, was aber die meisten Engländer selbst nicht wissen; man glaubt an die Existenz von Sherlock Holmes; so ist es erst jüngst in London passirt, dass im Theater, als ein Stück »Sherlock Holmes« gegeben wurde, das Geflüster durch das Publicum ging, dort oben in der Loge sässe Sherlock Holmes selbst, und ein biederer Landjunker mochte dann nicht wenig erstaunt sein, so bewundert und sogar Sherlock Holmes angeredet zu werden.

»Colonel Sidney Horst existirt wirklich.«

»Sie kennen ihn?«

»Sehr gut«

Wieder schaute sich Ellen sinnend um.

»Ich weiss; woran Sie jetzt denken,« begann Starke von neuem. »Nein, geben Sie sich keinen Illusionen hin. Suchen Sie zehn Familien, welche dem Geiste und dem Charakter nach dazu geeignet sind, einen solchen communistischen Staat zu bilden, ich meine auf die Dauer. Sie werden sie nicht zusammenbekommen. Ich wenigstens habe allen Glauben daran verloren. Der ganze Communismus ist ein Wahn. Das lehrt die Geschichte all der kläglich gescheiterten Versuche, seitdem wir eine Weltgeschichte haben. Und auch auf andere Weise ist eine glückliche Bevölkerung dieses Paradieses unmöglich, denn dieses Paradies birgt in sich einen Fluch, welcher es unfruchtbar macht.«

»Einen Fluch?«

»Gold. Miss Howard, Sie brauchen es nicht weiter zu erzählen; es hätte auch keinen Zweck, Sidney Horst veräussert seinen Besitz nicht wieder, wenn er ihn auch nicht selbst benutzt: Sie stehen hier auf dem vielleicht goldreichsten Boden Amerikas, es ist ein zweites Californien, das Gold tritt an manchen Stellen sogar in Blöcken zu Tage.«

»Gold,« flüsterte Ellen, erst den Boden zu ihren Füssen betrachtend, dann mit ganz anderen Blicken um sich schauend.

Wenn es ihr auch nicht gehörte, das Wort »Gold« hat eben einen ganz besonderen Klang.

»Ich verstehe nicht ... ja, ich verstehe doch. Dieser Colonel Sidney Horst mag es nicht nöthig haben und er mag ein grosser Freund von wilder Naturschönheit sein. Gewiss, wenn er sein Land an Colonisten käuflich veräusserte, so würden die Obstbäume bald fallen, statt des mir vorgemalten Bildes von friedlichem Landleben würde wahrscheinlich erst ein Lager von wüsten Goldgräbern mit Mord und Todschlag entstehen, später wahrscheinlich grosse Hüttenwerke mit qualmenden Schornsteinen. Nun verstehe ich aber doch nicht. Warum macht denn Colonel Horst mit den Colonisten nicht einen Contract aus, dass sie den Boden nicht anders als durch die Pflugschar ausbeuten dürfen, oder warum legt er dann hier nicht selbst eine Colonie an, unter seiner Leitung stehend, also eine grosse Farm, die Colonisten sind seine in Lohn und Brod stehenden Arbeiter.«

»Erstens ist solch' ein Contract in dem freien Amerika ganz und gar unmöglich, und das ist wiederum schön. Hier giebt es nur selbstständige Farmer, die mit eigener Hand und mit Hülfe ihrer Kinder das Feld bestellen, auf zehn solcher Farmer kommt kaum ein bezahlter Knecht. Und das Zweite, Colonel Sidney Horst braucht ja nicht der Mann zu sein, um solch' ein Unternehmen leiten zu können, braucht ja keine Lust dazu zu haben. Ihm genügt es, ein solch' schönes Fleckchen Erde der zerstörenden Gewinnsucht und der Speculationswuth entzogen zu haben. Nein, wenn man an etwas seine Freude hat, so muss man es fest in der Tasche behalten, dann ist es sicher, besonders wenn es Gold ist, welches schon so viel Unheil angerichtet, schon so viele Contracte und Ehrenworte gebrochen hat ...«

Starke brach ab, seine Augen verschärften sich, Ellen folgte der Richtung, wohin er blickte, konnte aber nichts sehen.

»Das ist der Rauch eines Feuers. Da – – Axtschläge!

Diese vornahm Ellen jetzt auch.

»Es wäre schade, wenn sich ein friedlicher Ansiedler auf diesem Gebiete niedergelassen hätte; es ist verbotener Boden, er müsste ihn wieder verlassen. Für uns freilich wäre es jetzt recht gut, wenn er schon eine feste Hütte aufgeschlagen hätte, denn dort im Westen über dem Gebirge steigt es schwarz mit schwefelgelbem Bande auf, das giebt einen Sturm, wie Sie ihn schon einmal erlebt haben, und wir müssten ihm direct entgegen, das können wir nicht. Ich fühle auch schon die Veränderung, die in der Atmosphäre vor sich geht.«

Ellen wollte es kaum glauben. Von einer schwarzer Wolke mit schwefelgelbem Rande dort über dem Gebirgssaum bemerkte sie absolut nichts, und der Himmel war doch so blau, die Sonne lachte so freundlich und wenn auch Windstille herrschte, die Hitze des Octobertages war nicht drückend, nicht gewitterschwanger. Sie folgte ihm; sie passirten die Stelle, wo ihre Räder lagen, Starke richtete an Hassan einige Worte und drang tiefer in den Obsthain.

»Die Räder lassen wir einstweilen zurück, bis wir wissen, was für einem Axtschläger wir hier begegnen werden. Was ich Ihnen vorhin sagte, dass jeder Mensch nur immer daran dächte, wie er die Früchte seines Fleisses oder Talentes gegen Geld umsetzen könne, gilt doch nicht für Alle. Es giebt auch einige Ausnahmen, freilich sehr seltene. Zum Beispiel der Philosoph in der Dachkammer, ein Spinoza, dann der echte Hinterwäldler. Diesem genügt es, wenn der kleine Acker eben so viel trägt, um ihm und seiner Familie einiges Brod zu liefern, das andere liefert ihm seine Büchse; aus dem rohen Felle der erlegten Beute fertigt die Frau die rohe Kleidung, und der Mann ist glücklich. Aber nicht von solchen Leuten möchte ich dieses Paradies bevölkert sehen, welche zufrieden sind, wenn ihr Magen voll ist und sie Schutz vor Regen und Kälte finden. Solche Menschen unterscheiden sich doch nur wenig vom Thiere, so nützlich sie auch als Pioniere der Wildniss sein mögen. Ausserdem braucht solch' ein Hinterwäldler immer ein viele Meilen grosses Jagdgebiet, wie das Raubthier, und sobald er Nachbarschaft bekommt, wandert er weiter. – Wirklich, ein Ansiedler! Oh weh, hat schon fleissig gearbeitet, und er hat Familie!«

Zum ersten Male sah Ellen die Niederlassung eines echten Hinterwäldlers, aber nun gerade nicht mitten im Urwalde, sondern in einem lieblichen Obstgarten. Und es müsste auch ein sehr unerfahrener Backwoodsman sein, der sein Heim mitten im Walde aufschlagen wollte; er wäre bei jedem Sturm in Gefahr, von brechenden Bäumen zerschmettert zu werden. Hier gerade standen die Obstbäume sehr weit auseinander, über die Blösse schlängelte sich ein Bach, daran erhob sich eine grosse Blockhütte, zwar nur aus roh behauenen Baumstämmen, aber doch wie mit dem Lineal zusammengefügt, nett und freundlich; als Rauchabzug nicht nur ein Loch im Dache, sondern mit einem ausgehöhlten Baumstumpf als besser ziehendem Schornstein versehen. Daran noch ein Schuppen als Stall und Vorrathskammer. Etwa zwei Acres Land, mit starken und hohen Aesten dicht eingefenzt, waren mit Mais bestellt gewesen. Neben der Hütte ein kleiner, ebenfalls eingefenzter Gemüsegarten. Zwischen den Bäumen weideten in dem hohen Grase zwei Ochsen und eine Kuh mit ihrem sich fröhlich tummelnden Kalbe, auch einige Hühner gackerten. Ein vollgepackter Wagen schien das letzte Inventar des Hausstandes zu enthalten. Dass der Ansiedler auch die Jagd liebte, verriethen die zahlreichen, auf der Erde zum Trocknen ausgepflöckten Häute von Hirschen, Antilopen und anderen Thieren, darunter auch ein Büffelfell.

»Er ist eben so viel Ackerbauer als Jäger,« sagte Starke. »Er baut nicht nur Mais, um die Thiere des Waldes anzulocken, er zäunt sein Feld zum Schutze gegen sie ein. Dabei hat seine Axt dennoch die auf seinem Felde vereinzelt stehenden Obstbäume verschont. Dies Alles gefällt mir an dem Manne. Lassen Sie uns hingehen.«

»Und wenn Colonel Sidney Horst davon erfährt, und er liebt keinen Ansiedler auf seinem Besitz, muss der Mann fort?«

»Natürlich, sofort, mit Gewalt wird er fortgejagt, wenn er sich nicht fügen will, ohne jede Entschädigung.«

Schon viel hatte Starke ihr von diesen Hinterwäldlern erzählt. Der Kampf dieser unrechtmässigen Ansiedler gegen das Gesetz, gegen den rechtmässigen Besitzer, spielt in Jugendschriften eine grosse Rolle, und zum Theil ist dies auch wirklich so, zum Theil ist es auch ganz anders, wenigstens jetzt. Das Gesetz sagt: Wer herrenlosen Boden zuerst besiedelt, der hat auch das erste Recht zum Erwerb desselben. Und die Regierung der Vereinigten Staaten weiss solche Pioniere der Wildniss wohl zu würdigen; sie kommt ihnen in jeder Weise entgegen, und nach dem Gesetz von 1885, nach welchem Niemand mehr als 160 Acres Regierungsland erwerben darf, sind grössere Landspeculationen unmöglich gemacht, und das, was früher engros verkauft und verschenkt worden ist, kommt bei der ungeheuren Ausdehnung des Gebietes gar nicht in Betracht.

Wenn nun etwa ein Vermessungsbeamter solch' einen einsamen Hinterwäldler aufstöbert, so kommt man dem Manne in aller Güte entgegen. 150 Dollars freilich muss er bezahlen, um gesetzmässiger Besitzer von 60 bis 160 Acres, letzteres dürftiges Weideland, zu werden, da hilft ihm Alles nichts; doch er braucht nur 30 Jahre lang jährlich 20 Mark abzuzahlen, und das könnte er ja mit Leichtigkeit, wenn er nur wollte. Dann ist er ganz steuerfrei, und sind mindestens sechs solcher Ansiedler zusammen, so verpflichtet sich die Regierung, eine Post einzurichten, allwöchentlich kommt ein berittener Briefträger zu ihnen, wo es auch sei, die Regierung nimmt sich des neuen Staatsbürgers überhaupt in jeder Weise an. Ja, selbst die feste Forderung des Kaufpreises ist nur ein Schein, um das Recht des Gesetzes zu wahren. Bei der Wahl eines neuen Präsidenten und bei anderen ausserordentlichen Gelegenheiten wird den rückständigen Farmern in der Wildniss gewöhnlich ihre Schuld erlassen. Kann man denn mehr verlangen?

Aber der störrische Hinterwäldler will überhaupt nichts zahlen. Der herrenlose Boden, den ich mit Spaten oder Pflug bearbeite, gehört mir! Dieser Grundsatz ist aus dem dicken Kopfe dieses ganz eigenartigen Menschenschlages, der sich für sich selbst entwickelt hat, nicht so leicht wieder heraus zu bringen.

Wenn er sich freilich auf einem Grund niedergelassen hat, der schon auf einen Besitzer registrirt worden ist, dann kann keine Rücksicht mehr genommen werden. Dann muss er wieder herunter, nur seine bewegliche Habe mitnehmend, und dann kommt es allerdings häufig zum Kugelwechsel; der friedliche Mann wird schliesslich zum Desperado, der lieber Weib und Kind selbst tödtet, ehe er sein vermeintliches Recht aufgiebt. Er könnte sich, ehe er seine Hütte aufschlägt, orientiren, ob dieser Grund und Boden schon einem Anderen gehört oder noch freies Regierungsland ist. Denn der Pedlar weiss auch den einsamsten Hinterwäldler zu finden, ihm gegen Felle Pulver, Blei, Tabak, Salz und Branntwein bringend; alles Land der Vereinigten Staaten ist in Parzellen eingeteilt und nach Katasternummern geordnet, die Karten mit Registerbuch liegen in Washington, jeder Pedlar hat nur einige Parzellen unter sich, der Pedlar ist ein vereidigter Beamter, er muss Alles, wenn nicht auf eigenen Karten, so doch im Kopfe haben, und er kann bei jedem Acre Landes sagen: der ist noch frei und der hat schon seinen Eigenthümer. Aber der Mann der Wildniss will gar nichts davon wissen. Das Land, welches er von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang umschreiten kann, gehört ihm, wenn er innerhalb dieses Gebietes, das er genau durchforscht, kein Zeichen findet, dass seit einem Jahre der Boden an irgend einer Stelle bearbeitet worden ist.

In dem Gärtchen arbeitete eine Frau, zwischen zwei Bäumen in einer Hängematte aus einem Fell lag ein kleines Kind. Ein Hund schlug an, die Frau blickte auf, sah die beiden näher kommenden Gestalten, plötzlich hatte sie statt des Spatens ein Gewehr in der Hand; sie stiess einen Schrei aus, doch ehe Ellen noch abwarten konnte, was die Frau mit dem Gewehr anfangen würde, kamen aus den dichter stehenden Bäumen ein Mann und ein halbwüchsiger Junge heraus, beide mit Gewehren bewaffnet, der Mann noch eine Axt tragend.

Nur ein Blick auf die Fremden, und der ganz in Leder gekleidete Hinterwäldler ging ihnen entgegen, ein blondhaariger Mann mittleren Alters mit offenen Zügen, sonst eben ein sonnverbrannter, verwitterter Hinterwäldler. Schon unterwegs streckte er die harte Hand zum herzlichen Grusse aus.

Aber Starke nahm sie nicht. Er war stehen geblieben.

»Mann, was thut Ihr auf meinem Lande? Das ist mein Grund und Boden.«

Ellen erschrak furchtbar. Diese Worte, bei der Begegnung zweier Männer hier mit rauher Stimme als Einleitung gesagt, wirkten wirklich erschreckend, auf eine wilde Katastrophe vorbereitend.

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Des Mannes Gesicht verwandelte sich denn auch augenblicklich, der Gewehrkolben stiess dröhnend auf den Boden, finster und drohend blickte er den Anderen an.

»Was sagt Ihr, Fremder?«

»Ist das Euer Blockhaus? Ihr habt es auf meinem Lande gebaut.«

»Und Ihr seid ein blutiger Lügner. Macht, dass Ihr fortkommt, oder, bei Gottes Tod...«

»Um Gottes Willen, Starke!« flehte Ellen, als Jener mit einem Rucke die Büchse im Anschlag unter dem Arme hatte.

Aber Starke beachtete weder Ellen's Angst noch die drohende Waffe, er legte die Hand an den nächsten Apfelbaum, dorthin, wo der Stamm eine stark verdickte Stelle hatte, und plötzlich bemerkte Ellen, dass fast sämmtliche der hier stehenden Obstbäume solche Auswüchse zeigten.

»Was ist das? Seht alle die anderen Obstbäume an, und ich denke doch, Ihr seid nicht blind!«

»Was soll's?« stiess Jener nur noch drohender hervor. »Diese Obstbäume sind von mir gepflanzt und veredelt worden, hier seht Ihr die Ansätze, und überhaupt bin ich der Besitzer dieser ganzen Landschaft in den mauvaises terres im Jahre 1886 unter den Nebraskanummern 114 bis 172 auf meinen Namen registrirt zu Washington; ich habe hier eine Obstplantage angelegt.«

Hoch horchte Ellen auf. Erst jetzt kam es ihr zum Bewusstsein, dass Starke ja immer von »seinem« Besitzthume sprach.

Auf den Ansiedler schien das Wort »Obstplantage« den allergrössten Eindruck zu machen; er schrak dabei zusammen; sein Ausdruck veränderte sich, das Gewehr fiel herab, er blickte den Sprecher unsicher an, blickte hinter sich, nach der Blockhütte.

»So hatte Bessy doch Recht,« murmelte er gedrückt.

Es mochte nicht einer der schlimmsten, der halsstarrigsten Sorte sein, und die Zeiten haben sich auch unterdessen geändert.

»Lasst's gut sein, Mann,« fuhr Starke fort. »Wenn Ihr einseht, dass Ihr hier nicht im Rechte seid, weil Ihr kein Patent erworben habt, so bin ich zufrieden; Ihr gefallt mir, und wenn wir uns einigen können, sollt Ihr hier bleiben.«

Starke, ganz als Herr auftretend, ging auf das Blockhaus zu, machte erst einen Gang herum, blickte in den Schuppen und trat in den Raum. Eine gut gezimmerte Thür verschloss einen zweiten. Das Innere war ganz hübsch möblirt, ein richtiges Bett, ein richtiger Schrank, wenn auch Alles die Axt des Zimmermanns verrieth. Glasfenster und dergleichen Luxus fehlten natürlich. Auch die sehr beklommene Ellen war eingetreten, nach ihr der Mann, ihm folgte die noch jugendlich aussehende Frau, das Kind auf dem Arm, der Junge, dann gesellte sich noch ein fünfzehnjähriges rothwangiges Mädchen dazu. Schweigend und in sichtbarer Angst blickte Alles nach dem fremden Manne. Starke's Figur und ganzes Auftreten mochte bewirken, dass Alles ganz anders ablief, als es sonst wohl der Fall gewesen wäre.

»Was ist das?« fragte er sofort, von der aus dünnen Baumstämmchen zusammengefügten Tischplatte, nach Art der Gartentische, einige blitzende Steinchen nehmend.

»Wir finden's im Bache,« knurrte der Mann.

»Es ist Gold.«

»Die Kinder spielen damit.«

»Gut. Dann werden wir uns schnell einigen. Wie heisst Ihr?«

»Richard Peacook.«

Es war noch ein Junge von sechs Jahren da; schon vor zwei Jahren hatte er sich hier niedergelassen – das vorige Mal war die Ansiedelung dem Durchreisenden entgangen – er wusste, dass diese Oase in der mauvaises terres gegen 60 Quadratmeilen umfasse, wenn er auch nach ganz anderen Maassen rechnete, er kannte das ganze Land schon wie seine eigene Tasche, der Name »Peacook's Busch« war in der Familie schon gang und gäbe, kein anderer Mensch halte sich darin auf, und nun rückte Starke mit seinem Vorschlage heraus: Peacook erhielt dieses ganze Land als leasehold, d. h. als Pacht für 99 Jahre, er und seine Kinder und Kindeskinder durften darauf wirtschaften, wie sie wollten, soweit es Ackerbau und Viehzucht anbetraf, frei von Pachtzins, gegen die Bedingung, dass sie die Obstbäume pflegten, und vor allen Dingen fremden Ansiedlern das Niederlassen wehrten, wenn diese keine Erlaubniss von dem Besitzer selbst hatten. Also eine Art von Inspector.

Es dauerte ja einige Zeit, ehe der einfache Mann die Vortheile einer leasehold begriff – in England und Canada ein sehr gebräuchliches Verhältniss – aber Starke wusste es ihm klar zu machen, wie der Mensch, selbst der vorsichtige Familienvater gar nicht mit einer Zeitdauer von hundert Jahren rechnen könne – man sehe nur um sich und berechne selbst, nach der Statistik wechselt das Capital sogar alle 25 Jahre seinen Besitzer – dann leuchteten die Augen des Mannes und der ganzen Familie freudig auf, selbst das Kind hörte auf zu schreien, jetzt wurden die Hände geschüttelt und doch waren kaum zehn Minuten von da an vergangen, als sich die beiden Männer so feindlich gegenüber gestanden hatten.

Starke war nicht grob mit der Thür in's Haus gefallen, so musste solch' ein Hinterwäldler eben behandelt werden, um schnellstens mit ihm zum Ziele zu kommen.

»Von der nächsten Poststation aus werde ich die Sache in Washington auf der Registeroffice regeln lassen, und sonst ist sie schon unter uns abgemacht; hier meine Hand darauf, mein Name ist Sidney Horst, Colonel im Dienste der Vereinigten Staaten.«

»Ihr seid der bravste Mensch, den ich je gesehen habe.«

»Und ich habe Sie solch' einer Verstellung gar nicht für fähig gehalten,« sagte Ellen, bei der sich das Staunen endlich Luft machte. »Colonel Sidney Horst in eigener Person!! Auf den Indianerbüchern in den Schaufenstern sehen Sie aber ganz anders aus. Ich habe sogar welche gelesen.«

»Es ist mein Militärname, den ich annahm, als ich in die Grenztruppen eintrat,« war die gleichmütige Erklärung. »Sie haben wohl von dem Indianerkriege gehört, der vor 15 Jahren unten an den Grenzen des Indianergebietes ausbrach. Ich avanvirte schnell, war in ein paar Wochen Führer des Ganzen, wurde Colonel genannte. Der Krieg war beendet. Es haperte damals bei der Regierung sehr an Geld. Ich kannte hier schon diese Oase, hatte sie so ziemlich ausgemessen, erbat mir im dürren Nebraska die Kataster-Nummern 114 – 172 als Sold. Mit Freuden wurde es mir bewilligt. So kam ich in Besitz des fetten Landes, von dessen Vorhandensein damals noch kein Beamter eine Ahnung hatte. Ich wusste schon mehr davon. Gleich darauf kam die Landlaw heraus, dann wäre es zu spät gewesen. – Hören Sie den Wind in den Blättern rauschen ? Das ist der Vorbote des Sturmes. Da fallen schon schwere Tropfen. Ich hole die Räder.«

Er ging, auch der Mann entfernte sich, um das Vieh in Sicherheit zu bringen, die Frau entfachte das Feuer auf dem Heerd und hing den Kessel mit dem schon geschmorten Hirschrücken zum Wärmen darüber; schon jetzt erfuhr Ellen durch Fragen Alles, was bei solch einer Hinterwäldlerfamilie ihr neu und interessant sein konnte.

Eltern und vielleicht auch Grosseltern waren Farmer und Jäger in Wald und Prairie gewesen, Alles wieder in Stich lassend, sobald sie einen Nachbar bekamen, der ihnen zu nahe sass; oder auch aus einem anderen Grunde, der sich nicht definiren lässt. Der Zigeuner wechselt am liebsten jeden Tag sein Lager, der echte Hinterwäldler hält es eben nur einige Jahre auf demselben Boden aus. Sobald Alles fertig ist, ihm nichts mehr zur Bequemlichkeit fehlt, dann muss er wieder fort, muss von Neuem aus Nichts etwas entstehen lassen. Ja, es liegt dem doch ein tiefes Motiv zu Grunde.

Die Kinder der Nachbarn heirathen und zerstreuen sich. Wo die anderen Mitglieder der elterlichen Familie waren, wussten sie nicht. Was sie brauchten, fertigten sie sich selbst. Einen Hobel kannten sie nicht; nur Axt, Messer und Säge, die Bretter des Schrankes dort waren aus dünnen Baumstämmen mit dem Messer gespalten, und dennoch liess dieser Schrank nichts zu wünschen übrig, die Thür, an Lederbändern hängend, schloss ohne die geringste Fuge, es war ein Wunder von Handfertigkeit. Die Frau zeigte einen hölzernen Kamm, eine Flasche und andere hölzerne Gegenstände; Ellen mochte es kaum glauben, dass sie mit der groben Baumsäge und dem starken Messer hergestellt worden seien. So macht aber auch der Wilde in nur fünf Minuten einen Pfeil, von dem wir im Museum glauben, er arbeite daran wochenlang, und wie er den Stahl oder gar den Stein in dem Einschnitt mit einer Sehne befestigt, nur mit der Hand, dass man den Pfeil tief in festes Holz schiessen kann, ohne dass sich die Spitze im mindesten lockert, das macht ihm kein europäischer Handwerker mit all seinen Hülfsmitteln nach. In London hat der »Traveler-Club« hierüber sehr interessante Versuche angestellt.

Sie konnten schreiben, lesen und etwas rechnen und lehrten es den Kindern; das einzige Buch war die Bibel. Sonst war es mit ihren Kenntnissen natürlich sehr armselig bestellt. Im Himmel sass Gott und drehte die Sonne, und im fernen Osten war noch ein Land, welches England hiess und von dem Europa die grösste Stadt war. Von einem Meere, welches nicht zu überblicken sei, weil es doch eben sein müsse, konnten sie sich keine Vorstellung machen.

Starke, schon ganz durchnässt, brachte die Räder, und ihr Staunen war gross. Ein scalptragender Indianer konnte darauf schon fahren, diese Blassgesichter hatten noch nicht einmal davon gehört, und als Ellen einmal die paar Schritte durch die Stube fuhr, begannen sie sich sogar zu fürchten. – Die frugale Mahlzeit war vorüber. Die Familie beschäftigte sich mit Handarbeiten, den Gästen und Pachtherren den Ehrenplatz am Heerd überlassend. Ein helles Feuer war nöthig, es wurde Nacht, der Sturm tobte, den klatschenden Regen bis mitten in die Kammer wehend, bis die offenen Fenster mit Fellen verhangen wurden, und dann wurde es gemüthlich.

Ellen lauschte und träumte, den Blick auf den wie ein schweigsamer Indianer rauchenden Gefährten gerichtet.

»Es wird bald nachlassen, wir können heute doch noch weiter,« sagte er, endlich das halbstündige Schweigen brechend.

Ellen schrak aus ihren Träumen empor.

»Weiter? – Monsieur Starke,« fuhr sie auf französisch fort, weil es ihr gewesen war, als hätte sie von der Frau einige halbdeutsche Worte gehört; »Sie sind ein reicher Mann. Warum lassen Sie Ihre Macht unbenutzt liegen?«

»Sie meinen das Gold, welches dieses Land birgt und welches mir gehört. Ich habe über Gold meine eigenen Ansichten. Es hat, wenn es in Masse gefunden worden ist, einem Staate grössere Heere und mehr Kriegsschiffe gegeben, es hat, wenn es wirklich einmal in gute Hände gekommen ist, wohl auch Wittwen- und Waisenhäuser, Bibliotheken und Freischulen entstehen lassen, den Centner Brod hat es noch nie einen Cent billiger gemacht – – – – aber theuerer!! Nein. Das Gold als Tauschwerth aus der Erde zu graben halte ich für Sünde, Erze, Kohlen, selbst Diamanten als Schmuck, das ist etwas anderes. Ich will mich nicht weiter hierüber verbreiten. Kurz, ich bin nicht gewillt, dieses Gold hier zu heben. Als ich vor vierzehn Jahren mein Eigenthum besichtigte, steckte ich mehrere Scheffel Obstkerne aus, einige Jahre später veredelte ich die Bäumchen, und während dieser Arbeit träumte ich einen schönen Traum.«

Das kleine Kind schrie schon seit längerer Zeit, und die Eltern mochten das Erziehungsprinzip haben, es ausschreien zu lassen, das stärkt die Lunge und gewöhnt den Eigensinn ab, Starke stand auf und ging an die schwebende Wiege, welche auch hier von Wand zu Wand ausgespannt worden war, wechselte mit der Mutter einige freundliche Worte, er liebe Kinder, aber nur, wenn sie nicht schrieen; er nahm das mit einem groben Hemdchen bekleidete Mädchen aus der Hängematte, es wurde augenblicklich still auf seinem Arm, und er begab sich an den Feuerplatz zurück.

Der hünenhafte, eiserne, broncefarbene Mann, die Pfeife im Munde, auf seinen Knieen das zarte, lallende Kind, wie es mit den Händchen an seinen Knöpfen spielte, wie seine muskulöse Hand es liebkoste – es war ein seltsames Bild, vom rothen Feuerschein übergossen, besonders für den, welcher diesen Mann näher kannte. Aber Ellen fand dieses Bild gar nicht komisch, eine ganz eigentümliche Empfindung beschlich sie, es stieg ihr plötzlich so heiss zum Herzen, bis in die Augen.

»Was träumten Sie für einen schönen Traum?« fragte sie leise.

Wie sollte man die Zeit verkürzen? Starke erzählte. Es war fast ganz dasselbe, was er schon geschildert hatte, das Entstehen einer glücklichen Colonie, unabhängig von aller Welt, sich selbst genügend, nur der Anfang war ein anderer; er selbst begann als der erste Ansiedler, als eine Art von Robinson; mit Axt und Messer zimmerte er sich das erste Obdach; den Spaten, mit dem er das kleine Feld bestellte, schmiedete er sich selbst; er hatte hier auch Erz gefunden und wusste das Eisen daraus zu gewinnen; das Kommen von anderen Ansiedlern überliess er der Vorsehung, er konnte warten und sie würden schon kommen; er wies aber auch ab, er wählte sich seine Leute aus, denn er blieb der Besitzer des Grund und Bodens, ein souveräner Fürst der Colonie.

Und er malte weiter aus, und er verstand zu malen. Ganz besonders, mit wahrer Liebe, hielt er sich bei den ersten eigenen Anfängen auf, bei seiner Hütte und ihrer Einrichtung, und dabei schaukelte er das Kind auf seinen Knieen.

»Ich möchte fast glauben, Sie hätten diese Hütte hier schon einmal erbaut,« sagte Ellen.

»Gewiss. Habe ich mich so undeutlich ausgedrückt? Die Hütte war fertig, ein nettes Häuschen, auch der Spaten, ich grab schon den Garten um – und ich war ein glücklicher Mann. Von alledem ist jetzt nicht eine Spur mehr zu sehen; der Blitz traf mein Glück, das Häuschen äscherte ein, Samen flog an; jetzt steht eine Trauerweide auf dem mit meinem Glück gedüngten Boden am Bachesrand. Es ist ja schon dreizehn Jahre her.«

Das Unwetter tobte. Der Mann hatte das Blockhaus verlassen, die Frau sich mit den anderen Kindern in den zweiten Raum begeben. Sie waren allein. Die tiefste Stille herrschte. Nur der Sturm rüttelte an den Balken.

Er hatte mit ruhiger, tiefer Stimme, gleichmüthig wie immer, von seinem vom Blitzstrahl eingeäscherten Glücke erzählt; keine Wimper zuckte an ihm; er war nicht schwermüthig, nicht heiter, er liebkoste das Kind. War es bildlich gemeint gewesen oder war es Wirklichkeit? Ellen hatte noch etwas Anderes gehört.

»Es ist ja schon dreizehn Jahre her,« wiederholte sie langsam seine letzten Worte. »Ich entsinne mich – damals waren Sie verheirathet gewesen.«

Er neigte bejahend das Haupt.

»Und sie war hier bei Ihnen?«

»Ja. Ich lernte sie in einer von Italienern nach communistischen Principien gegründeten Colonie kennen. Als ich kam, war Alles schon total zerrüttet. Ihr Bruder, ein Genueser Advokat, war der Gründer und Leiter, hatte sein Vermögen und sich selbst einem Hirngespinst geopfert ...«

»Erzählen Sie mir von ihr, nicht von der italienischen Colonie.«

»In mir entstanden die ersten Ideen, und sie verstand mich und verbesserte meine Ideen; sie war ein geistvolles Weib und sie liebte mich; sie folgte mir hierher, und sie war das Weib, an meiner Seite den gefassten Entschluss für's ganze Leben durchzuführen, wir arbeiteten nebeneinander und waren glücklich dabei. Ja, wir beide hatten das wahre Glück gefunden; im Religionsbuche der arbeitsscheuen Juden wird es der Fluch der Menschheit genannt, deshalb schachern sie lieber. Eines Abends reinigte ich das Gewehr, ich wusste nicht, dass es geladen war, sie selbst hatte es gethan, der Schuss ging los und traf sie tödtlich. Am nächsten Tage schlug der Blitz in das Blockhaus. Da bin ich in's Wandern gekommen.«

Die Zuhörerin konnte nicht mehr erschüttert werden, sie wusste es ja bereits, und er sprach zu theilnahmlos. Mochte ihm auch das tragische Ereigniss das Lächeln geraubt haben, einem Kummer hing er nicht mehr nach.

Sie waren allein in dem kleinen Raum, nur noch dämmernd erleuchtet von der rothen Gluth, und draussen tobte der Sturm.

»Curt, würdest Du Dir noch einmal hier eine Hütte bauen? Mit mir zusammen ?«

Die Liebeserklärung war ausgesprochen. Sie erschrak nicht, noch weniger verrieth er eine Bewegung, und er gab eine Antwort, ganz seinem bisher gezeigten Charakter entsprechend.

»Nein, Miss Howard. Es ist zu spät für mich. Ich kann nicht mehr. Rastlos muss ich wandern, wandern, immer wandern ...«

Er sprach weiter, fast dieselben Worte, welche er einst zu Sir Munro gesagt. Er hatte den Fluch des ewigen Juden in einen Segen zu verwandeln gewusst, er war glücklich dabei.

Ruhig hatte Ellen ihm zugehört, bis er schwieg.

»So lass' mich mit Dir wandern, Curt,« sagte sie einfach, und doch lag eine hehre Feierlichkeit darin.

»Miss Howard, täuschen Sie sich nicht,« entgegnete er unerschütterlich. »Sie haben mich einmal erröthen sehen, ich habe Sie einmal länger in den Armen getragen, als es nöthig war. Ja, ich liebe Sie. Aber täuschen Sie sich nicht. Ich liebe Sie wie die Sonne, wie meinen Hund, wie die ganze Welt, wenn sie mir nicht feindlich ist. Ich liebe Sie mehr als jeden anderen Menschen. Aber täuschen Sie sich nicht. Sie haben es mir angethan, schwer wird es mir werden, von Ihnen zu gehen; doch ich werde dereinst von Ihnen gehen, und Sie werden mir nichts anmerken. Ich habe entsagt, und ich bleibe stark. Nein, ich liebe Sie nicht – als Weib.«

»Lassen Sie mich mit Ihnen wandern,« wiederholte sie, im Deutschen nur die Anrede wechselnd.

»Warum?«

»Weil ich nicht mehr ohne Sie sein kann, weil ich Sie liebe – als Freundin. Ich will ja nur Ihr treuer, guter Kamerad sein.«

Blitzte es nicht in seinen Augen freudig auf? Ja, das war echte Herzlichkeit, mit der er ihr schnell die Hand entgegenstreckte.

»Ja, treue Kameradschaft, das ist etwas Anderes! Und ich glaube, ich weiss, dass Sie ein guter, starker Freund sein können, zuverlässig in Noth und Tod. Dann bin ich auch der Ihre.«

Ehe die Farmer wiederkamen, war der neue Pact geschlossen. Der Sturm hatte nachgelassen, auch in Ellen's Brust. Als Freunde setzten sie im Abendsonnenscheine ihre Fahrt fort.

Ist denn die Liebe es wirklich werth, dass sie so göttlich verehrt wird und dass Dichter ihr das beste Können opfern? Diese Liebe ist doch nur ein mehr oder weniger veredelter Naturtrieb, der Venus Vulgivaga geheiligt, ist stets egoistisch, und ihre Jungen liebt die Wölfin auch. Wahrhaft göttlich aber, ein herrlich strahlender Stern am dunklen Himmel des Lebens ist die treue Freundschaft.


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