Ernst Kossak
Prof. Eduard Hildebrandt's Reise um die Erde
Ernst Kossak

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XVIII.

Der Geburtstag der »Constitution«. Ein Schiffsball. Neue Toilette für Tänzerinnen. Das Priemchen des Admirals. Complot zwischen Küche und Keller. Bratensauce als Haaröl. Das Liebespaar und Herr Birkenzweig. Die Fraction Meyer Rosenthal. Fliegende Füchse. In der Bay von Panama. Ohne Hut. Hotel Aspinwall. Vier Mann in einem Zimmer. Vormittagsschlaf der Mosquito's.

Am Morgen, als ich unsere Kabine verließ, glaubte ich auf dem Zauberteppich des orientalischen Mährchens an das Land und in die Wunder der Tropen-Vegetation zurückversetzt zu sein. Sobald ich das Verdeck betrat, war freilich Angesichts der unermeßlichen blauem Meeresfläche eine fernere Täuschung nicht länger möglich, allein der süß betäubende Duft von Südfrüchten verlieh selbst dem frischen Morgenwinde ein eigenthümliches Pflanzen-Arom. Und doch war, so weit das Auge reichte, kein Land zu entdecken. Unsere sonst stark mit Theer und Kautabak parfümirte »Constitution« athmete diese holden Wohlgerüche aus. Nicht nur die Oeconomie-Verwaltung des Dampfers, sondern auch die Passagiere aller Klassen haben sich in Acapulco mit Ananas, Orangen und Citronen reichlich versehen und 249 alle Winkel ihrer Lagerstätten vollgepfropft; auf dem Vorderdeck allein hängen an fest ausgespannten Seilen über tausend Stück Ananas. Sie werden hier nicht theurer, als unsere Borstorfer Aepfel oder Reinetten bezahlt. Im Genuß der mit solchen Aromen gemischten Morgenluft verzichtet man gern auf die übliche Cigarre.

Die Zahl der Passagiere erster Klasse hat sich um zwei französische Officiere vermehrt. Beide sind vom Wechselfieber, das sie seit dem Tage ihrer Ankunft auf mexikanischem Boden nicht mehr verlassen, so hart mitgenommen, daß sie als Beurlaubte nach Europa zurückkehren müssen. Liebenswürdige und gebildete Militärs sparen sie nicht ihre bitteren Bemerkungen über die transatlantische Expedition ihres Kaisers. Der zwölfte Mai, den wir heute schreiben, ist der Geburtstag der »Constitution«, der Capitän nach altem Herkommen mithin verpflichtet, seiner Mannschaft ein Vergnügen zu bereiten. Das Wetter war günstig, und nichts verhinderte in den späteren Nachmittagsstunden das Arrangement eines Balles auf dem Vordercastell. Bei dem gänzlichen Mangel an Tänzerinnen theilte sich die Matrosenschaar in zwei gleiche Hälften, Herren und Damen. Von der luxuriösen Toilette der schönen Amerikanerinnen, die ohne Intervention der Seekrankheit zuweilen viermal im Laufe eines Tages verändert wird, habe ich schon gesprochen, und die Mannschaft theilt augenscheinlich meine Ansicht, daß hier von einer Concurrenz der fingirten Damen nicht die Rede sein könne. Zudem gebietet die steigende Hitze in Bezug auf anhaltende körperliche Anstrengung eine mögliche Vereinfachung des Costüms. Die Galatracht der tanzenden Herren besteht nur in Hosen und Hemde, die 250 Damen haben, wie ich vermuthe, in dem ästhetischen Bestreben, an die beliebte Decolletirung des schönen Geschlechts auf Bällen zu erinnern, letzteres ganz abgelegt. Beide Geschlechter tanzen baarfüßig, und alle Tänze, von denen ich nur »Hornpipe und Schuffle« nennen will, wurden höchst ehrbar und ernsthaft ausgeführt. Sehr gesucht waren mehrere Damen, die sich im Besitz weißer baumwollener Taschentücher befanden und diese herausfordernd wehen ließen. Die zum Tanz spielende Kapelle gebehrdete sich glimpflicher, als ich erwartet hatte. Größtentheils aus den bei Tische aufwartenden Negern bestehend, handhabte sie Flöte, Horn, Trompete, Trommel, Triangel und Tamtam wenigstens im Tact, gelegentlich gelang es mir sogar, etwas einer Melodie Aehnliches herauszuhören. Der Kastenunterschiede eingedenk, betrugen sich die Passagiere sehr zurückhaltend, und man ließ mich bei meiner Rückkehr vom Vorderdeck in das für »Tabu« erklärte Staatsgemach absichtlich merken, daß ich einen Verstoß wider die gute Sitte begangen habe. Dem Tanzvergnügen folgte ein maritimer Commers im Zwischendeck. Nach den vielfarbigen Flecken in den Gesichtern der Zecher, die uns am nächsten Morgen begegneten, mußte es mehr als lustig hergegangen sein. Die einzige Ausbeute meines Besuches auf dem Vorderdeck war eine Anekdote, die ich einem mir Gesellschaft leistenden jungen Steuermann verdanke, und die zugleich eine endgiltige Probe von der Feinheit der Unterhaltung auf hoher See liefern wird. Ein englischer Admiral, erzählte mein Freund, besuchte einen amerikanischen Collegen an Bord seines Schiffes. Der Engländer nimmt in der Vorkajüte sein »Priemchen« (Kautabak) aus dem Munde und legt es 251 auf den Tisch, neben dem ein Wachtposten steht. Nach einer Stunde kehrt der Admiral zurück, nimmt das Priemchen von Neuem in den Mund, schüttelt den Kopf und sagt zu dem das Gewehr anziehenden Seesoldaten: »Ihr seid mir auch keine rechten Seesoldaten! bei uns zu Lande würde kein Mann das Priemchen eines Admirals liegen lassen!« »Halten zu Gnaden, Excellenz«, murmelte der Soldat und präsentirte: »ich hab's die ganze Zeit über gekaut

Wir sind unter dem 14. Grad nördlicher Breite angelangt und der nächste Morgen zeigte einen so hohen Stand des Thermometers, daß uns Allen ganz unheimlich zu Muthe ward. Die Officiere steckten die Köpfe zusammen, der Capitän betrachtete mit gerunzelter Stirn fortwährend den Horizont, unter den Matrosen zeigte sich eine erhöhte Regsamkeit; man wollte wissen, der Chef habe die Annäherung eines Orkanes vorausgesagt. Ein Theil der Passagiere zog sich sogleich in die Kabinen zurück, und wurde – ein Beweis von der Macht der Einbildungskraft – seekrank, wir übrigen blieben, wie ein Schwarm eingeschüchterter Vögel, beisammen und harrten resignirt der Dinge, die da kommen sollten. Eine Stunde nach der andern verging, ohne daß der Orkan sich anmeldete, als um 9 Uhr Abends ganz unerwartet die, Mark und Bein erschütternde Doppelpfeife erschallte; die Mannschaft wurde abermals durch Feuerlärm alarmirt. Der Capitän hatte ihr eine Strafe für die Ausschreitungen beim gestrigen Trinkgelage zugedacht, ohne unsere Mitleidenschaft weiter in Betracht zu ziehen. Ich enthalte mich jeglichen Protestes gegen dergleichen Improvisationen zur Prüfung der Disciplin, aber 252 wenn man weiß, daß auf unserer Linie vor Jahr und Tag der Dampfer »Golden Gate« mit 900 Menschen ein Raub der Flammen geworden ist, sind alle jene Krampfzufälle, an denen unsere Touristinnen die Nacht hindurch litten, nur zu erklärlich. Dessenungeachtet machte ich meinem Unmuth über die Verkürzung der nächtlichen Ruhe einer stolzen, aber schönen Spanierin gegenüber, mit der ich seit der Abfahrt von Acapulco bekannt geworden bin, nachdrücklich Luft. Durch die Huldigungen ihres Gatten und dienstthuenden Cicisbeo verwöhnt, schenkt die stattliche Dame allen Personen, die mit ihr ein Gespräch anknüpfen, nur halb Gehör, und läßt auf jeden, eben vollendeten Satz regelmäßig die Worte folgen: »Wie sagten Sie?« Heute hatte sie einen besonders nachlässigen Ton angenommen, der Faden meiner Geduld riß und ich erklärte rund heraus ihr Fragesystem für eine schlechte Angewohnheit und Unart, der ich mich schlechterdings nicht mehr fügen werde. Kaum waren diese Worte dem Gehege meiner Zähne entflohen, als der Gatte so gut, wie der Cicisbeo, von ihren Stühlen aufsprangen. Anfangs glaubte ich, sie beabsichtigten mich für dieses mündliche Attentat auf ihre Donna niederzustoßen, allein Beide schüttelten entzückt meine Hände und sprachen ihren tiefgefühlten Dank für den ihnen geleisteten Dienst aus. Seit zehn Jahren hatten sie dasselbe sagen wollen, aber noch nie den dazu erforderlichen Muth aufgebracht. Die Spanierin benahm sich vortrefflich, gestand ihren Fehler ein und versprach fortan nach Kräften dagegen anzukämpfen.

Unsere Naturalverpflegung, die Anfangs der sonstigen Eleganz aller Einrichtungen entsprach, geht mit dem 253 sinkenden Appetit der Passagiere Hand in Hand. Ellenlange Beafsteaks tauchen auf, von denen nicht ein Zoll genießbar ist, und alle Gerichte sind versalzen. Die schöne Spanierin behauptet in ihrem naiven Französisch: Eis-, Soda- und Weinhändler hätten sich mit dem Schiffskoch in ein Complot zur Ausbeutung des Durstes der Passagiere eingelassen. Bei einem Thermometerstand von 30 Grad Reaumur ist die Sache nicht ganz unglaubhaft. Viele Speisen kehren unberührt vom Tische in die Küche zurück, und ich überraschte, als ich etwas früher aufstand, einen Schwarzen, der seine Pranken in einen, mit Bratensauce gefüllten Napf tauchte und damit seine krausen Wollenhare salbte. Nach der Versicherung meiner Kabinengefährten ist die beliebteste Pomade der Nigger ein Gemisch von Schweinefett und – Syrup.

Je mehr wir uns dem Süden nähern, desto größer wird unsere Besorgniß vor einem Zusammentreffen mit der »Alabama« oder irgend einem andern Dampfkaper der Insurgenten. Am 14. Mai, um 11 Uhr Vormittags, kam es zu einem förmlichen Auflauf. Pfeilgeschwind näherte sich der »Constitution« ein flüchtiger Steamer, und in jedem Augenblick erwarteten wir, eine Rauchwolke aufsteigen und eine Kugel in unsern Bug schlagen zu sehen; wir hatten uns umsonst gefürchtet. Fünf Minuten später flatterte von der Gaffel des Unbekannten das Banner der Vereinigten Staaten, wir erwiderten seinen Gruß und setzten beiderseits ohne fernere Erörterungen unseren Weg fort. Alle Herzen fühlten sich erleichtert. Die Causerie wird wieder aufgenommen. Gegenstand allseitiger Beobachtung ist ein veruneinigtes Liebespaar. Er hat sich in ein Buch vertieft; 254 sie sucht vergebens durch unaufhörlichen Wechsel der Toilette seine Aufmerksamkeit zu erregen. Endlich sollte es ihr mit einem weißseidenen Gewande, auf dem schwarze und goldene Arabesken prangten, gelingen. Um vier Uhr lustwandelte sie am Arm des ausgesöhnten Geliebten auf der Promenade. Der launische Master ist ein reicher Grundbesitzer, dem die gesammte Flora an Bord der »Constitution« nachstellt. »Und er heirathet sie doch nicht!« sagte Herr Birkenzweig, als das glückliche Paar an uns vorüberging. Der menschenkundige Landsmann, Besitzer eines Möbel-Magazins in San Francisco, beabsichtigt, seinen Verwandten in einem kleinen pommerschen Flecken einen Besuch abzustatten, um sich an ihrem Erstaunen über seine Herrlichkeit zu weiden und dann für immer in das Goldland zurückzukehren. Herr Birkenzweig hat sich gleich mir der Fraction Meyer Rosenthal angeschlossen. Zu meinem Leidwesen spiele ich bei unseren gemeinschaftlichen Spaziergängen nur eine untergeordnete Rolle. Ich habe nämlich in San Francisco nicht daran gedacht, mich mit einem langen erbsengrünen Ueberrock aus waschbarem Zeuge zu versehen, den jeder Mann comme il faut bei einem gewissen Stande des Thermometers anlegt. Die Farbe ihrer Sommerröcke contrastirt so prächtig mit den schwarzbraunen Physiognomien der drei Reisegefährten, wie die jungen Erbsen selber mit den dazu gehörigen Cotelettes.

Das anderthalbstündige Intermezzo eines tropischen Platzregens abgerechnet, bleibt das Wetter anhaltend schön und die See ruhig. Am 15. Mai, dem zweiten Sonntage unserer Seefahrt, näherten wir uns der Küste, und ein großes Fischerboot gerieth in Sicht, aber aufsteigende leichte 255 Dünste verschleierten uns bald die malerischen Umrisse des Festlandes, zerklüftete Bergzacken. Ein Schlag auf den Gong rief uns, wie zum Diner, so auch zum Gottesdienst. Der Capitän behauptet hinsichtlich seines Platzes dem Vorrang, hinter ihm sitzen die Damen; die Herren bilden eine Art Stehparterre. Den Altar stellt ein mit dem Sternenbanner bedeckter Tisch vor, darauf liegt ein reich vergoldetes Prachtexemplar der Bibel neben einigen Gebetbüchern. Alle Damen waren in weißen Gewändern erschienen, auch der geistliche Herr trug einen weißen Ueberwurf und grün und roth gestickte Pantoffeln. Vermuthlich hatte der Matrosenball der verflossenen Woche dem Knecht des Herrn Veranlassung gegeben, einen Text zu wählen, an den sich moralische Betrachtungen über den verführerischen Einfluß der Tanzkunst auf das männliche Gemüth, und die unberechenbaren Folgen einer allzugroßen Nachgiebigkeit gegen schöne Tänzerinnen, knüpfen ließen. Dafür war unstreitig kein passenderes Thema vorhanden, als die ersten zwölf Verse im vierzehnten Capitel des Evangeliums Matthäi. Der Prediger schrieb die Enthauptung Johannis des Täufers lediglich der Schwäche des Vierfürsten für Herodias zu und erging sich in einer donnernden Philippika gegen leichtfertige Weiber und gewaltthätige Männer. Die Fraction hätte die Vermeidung des Gottesdienstes für einen Verstoß gegen die Pflichten jedes Gentlemans angesehen und stand in ihren erbsengrünen Röcken hinter mir. Als der Redner nun den Moment schilderte, wo das Haupt des Täufers dem Vierfürsten überbracht wird, fixirte er, wie es schien, ungemein scharf die Mitglieder der Fraction, als mache er sie noch heute für die Grausamkeit des 256 Vierfürsten verantwortlich. Es beruhigte mich, daß meine Reisegefährten die anzüglichen Blicke des Eiferers nicht zu bemerken schienen. Die unbeschreibliche Schönheit des Spätnachmittags und Sonnenuntergangs versammelte alle Damen auf dem Verdeck und veranlaßte sie zu Bemerkungen, aus denen erhellte, wie wenig sie sich die Warnungen des Seelsorges vor den Gefahren der Tanzkunst zu Herzen genommen hatten. So oft über der phantastischen Wolkenbank, hinter der das Tagesgestirn versank, eine neue Farbennuance auftauchte, wünschte irgend eine der Grazien grad ein solches Ballkleid zu haben. Meine Frage, ob das Colorit der Natur den Forderungen einer geschmackvollen Toilette entspreche, wurde huldreich bejaht, nur in Betreff der himmelblauen Tinten hielten die Schönen die chinesischen Färber der Natur für weit überlegen; ein tadelloses Blau, wie das Ihrige, gebe es selbst nicht am Firmament. Nach Einbruch der Dunkelheit sprach der Geistliche noch ein kurzes Gebet, in dem er nachdrücklich an die Schrecken der Hölle erinnerte; dann sangen die jungen Amerikanerinnen sehr wohllautend einige Choräle, denen Mannschaft und Passagiere andächtig lauschten.

Die gewaltige Maschine der »Constitution« schafft uns rasch vorwärts; am 16. Mai hatten wir schon den siebenten Grad nördlicher Breite und mit ihm eine winzige, über und über bewaldete Insel erreicht; in der Ferne des Horizonts verdämmern hohe, aus der Tiefe des Oceans hervorragende Berggipfel. Zugleich zeigen sich sporadische Fälle der schon in den chinesischen Gewässern angeführten Ausschlagskrankheit »der rothe Hund.« Die ferne Küste wird von den Schiffsofficieren für Costa Rica ausgegeben, 257 die Bäume des namenlosen Eilands wimmeln von Papageien und Meerkatzen. Weithin ist die Oberfläche des Oceans mit seltsamen lebenden Creaturen bedeckt, und eine fünf Fuß lange Schildkröte war so tief in ihre Träume versunken, daß sie von dem Schaufelrade erfaßt und in die Tiefe gewirbelt wurde. Gegen Abend waren wir Zeugen einer Treibjagd, die ein großer Hai mit einer Heerde Schweinefische anstellte. Die geängstigten Thiere suchten immer das Kielwasser des Dampfers zu erreichen, dessen Schaum sie dem Auge des gefräßigen Ungeheuers entzog.

Wir sind aus mir unbekannten Gründen über Panama hinausgedampft und steuern in den neunten Breitegrad in nordöstlicher Richtung zurück. Die Nachbarschaft des Landes geht aus manchen unerwarteten Besuchen hervor. So hatten sich spät Abends auf Deck mehrere »Vampyre«, oder »Fliegende Füchse« eingefunden. Die armen Geschöpfe mochten ihre Excursionen zu weit ausgedehnt haben, sie saßen bis zum Sterben erschöpft auf dem Glasdach des Speisesalons und fächelten einander mit ihren weiten Fledermausflügeln. Es war ein Glück für die müden Reisenden, daß außer mir nur noch ein Passagier auf Deck verweilte, man hätte sich in dem hilflosen Zustande sonst sicher ihrer bemächtigt. Noch waren wir in Betrachtung dieser phantastischen Naturgebilde versunken, als dicht neben uns eine mit Leuchtkugeln gefüllte Rakete laut prasselnd in die Höhe stieg und uns durch den Schreck fast von den Stühlen warf.

Man hatte nur einen andern Dampfer durch ein Signal von besonderem Nachdruck zu warnen gesucht. Als ich mich am 17. Mai von meinem Lager erhob und im Freien 258 umsah, schwamm die »Constitution« zwischen kleinen üppig bewaldeten Inseln, auf denen das bewaffnete Auge Häuschen und Hütten unterschied. Schon um neun Uhr Morgens gelangten wir in die Bai von Panama. Bei der Einfahrt ist die äußerste Vorsicht erforderlich, denn die Gewässer sind mit einer Menge von Sandbänken angefüllt, die während der Ebbe drei bis vier Fuß hohe Inseln bilden, bei hohem Wasserstande aber verschwinden und jedem nachlässig geführten Schiffe den Untergang bereiten. Das Panorama von Panama kann sich an malerischer Mannigfaltigkeit und Großartigkeit der landschaftlichen Umgebung nicht mit Acapulco messen. Die Stadt liegt an den Abdachungen eines Ausläufers der Andeskette und ist nur mit dicht bewaldeten Vorbergen umgeben, deren saftiges Grün und gerundete Formen das Auge nicht spannen, sondern nur beruhigen.

Kaum waren die Anker der »Constitution« gefallen, als sich uns auch schon ein kleiner Dampfer näherte, um Passagiere und Effecten an Land zu befördern. Die tiefgehende »Constitution« hatte bei der Seichtheit der Gewässer ziemlich fern vom Strande Anker geworfen, und zwei Stunden vergingen, ehe die letzten Reisenden ausgeschifft waren. Grundsätzlich übereile ich mich niemals bei solchen Gelegenheiten. Auf meinen Gepäckstücken sitzend, wartete ich die letzte Fahrt des Dampf-Omnibus ab und ergötzte mich bis dahin mit den Handelsleuten, die unseren Postdampfer in kleinen Böten erwartet hatten und uns Papageien in allen Farben, Meerkatzen, kleine Faulthiere und junge Jaguare in Käfigen zu Schleuderpreisen anboten.

Ich muß mich zu angelegentlich in diese Curiositäten vertieft haben, denn als ich aufblickte, war mein auf einem 259 Koffer liegender Hut verschwunden, und ich fühlte mich sogleich nach meiner Landung veranlaßt, einen der localen Panamahüte anzukaufen. Der Verlust schärfte mir Vorsicht ein; sie war wirklich dringend geboten. Der Dampfer setzte uns an dem Bollwerk der, über die Landenge führenden Eisenbahn ab, und hier waren in der That hundert Augen und Arme nothwendig, um die Habseligkeiten vor der Zudringlichkeit der schwarzbraunen Langfinger zu schützen. Ohne die Unterstützung mehrerer eingeborenen barfüßigen Soldaten wäre ich noch kurz vor dem Ende meiner Reise um Hab und Gut gekommen. Diese Vertheidiger des Eigenthumsrechtes machten indeß mit den Hallunken kurzen Prozeß. Leichtere Exemplare wurden über das hölzerne Geländer geworfen, schwerere mit derben Fußstößen unten durch befördert. Ein mit Eseln bespannter Omnibus stand bereit, diejenigen, welche nicht gleich die Küste des Stillen mit der des Atlantischen Oceans, oder vielmehr des mexikanischen Meerbusens, vertauschen wollten, nach Hotel Aspinwall zu führen. In Gesellschaft der beiden fieberkranken Officiere stieg ich ein, aber die Bespannung unseres Reserve-Omnibus verrieth nur geringe Neigung, sich ernstlich in das Geschirr zu legen. Vor einem ziemlich steilen Hügel blieb die langohrige Quadriga trotzig stehen, und uns blieb nichts Anderes übrig, als im Schweiße unseres Angesichts zu Fuß das Hotel zu erreichen. Wenn die Dampfschiffe aus dem Norden und Süden Amerika's und Eisenbahnzüge aus dem Osten ankommen, sind alle Hotels überfüllt, und der Reisende hat dem Himmel zu danken, wenn er nur ein leidliches Unterkommen findet. Uns wurde ein mit vier sauberen Betten, aber nicht mit 260 Fenstern ausgestattetes Zimmer angewiesen, das wir mit unzähligen Mosquito's, die bis auf Weiteres schlummernd an den Wänden hingen, und einem reichen deutschen Herrn zu theilen hatten. Der Gentleman sah scheel drein, aber was kümmerte das uns, die wir hoffen durften, in drei bis vier Wochen die geliebte Heimath zu erreichen. Fünf Minuten darauf befanden sich die gleichfalls mit schlafenden Mosquitos bedeckten poste-restante-Briefe aus Preußen in meinen Händen; ich überlasse dem garstigen Brummbär vorläufig das bestrittene Terrain, den tapferen Franzosen die Vertheidigung desselben und ziehe mich in die schattige Veranda des nächsten Kaffeehauses zurück, um mich unbehelligt der Lectüre der Briefe meiner Lieben zu widmen. 261


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