Ernst Kossak
Prof. Eduard Hildebrandt's Reise um die Erde
Ernst Kossak

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XII.

Rencontre. Sa ne ke tau. Das Ende des Opiumschmuggels. Zöllner mit weißen Glacéhandschuhen. Der Seeweg der Verlorenen. Hotel Ruß. Neun Thaler für eine Droschkenfahrt. Dead letters. Land- und Seebeine. Die Bauart von Zisco. Die goldene Pforte. Grünhorn. Der Polizeistern. Die Minenbörse. Wilder Kroll. Spuckgeschichten.

Die letzten zehn Minuten vor unserer Ankunft hatten nach meinen Gefühlen die Dauer einer Ewigkeit; endlich vernahm ich das tröstliche Klirren der Ankerkette, aber noch einmal sollte uns das Schicksal an seine oft bewährte Tücke erinnern. Grade in dem Moment, als wir den Anker gehen lassen wollten, rannte mit Strömung, Fluth und Segeln ein gleichfalls ankommendes, viel größeres Schiff, als unsere »Pallas«, gegen ihren Bauch. Bei dem taghellen Vollmondschein konnte nur die äußerste Unachtsamkeit der Mannschaft jenes Schiffes das Unglück verschulden. Wir kamen mit dem bloßen Schrecken davon. Noch hatte die »Pallas« etwas Fahrt, Capitän Hartmann griff hastig in das Steuerrad, und der Bauch der vielduldenden »Pallas« wurde nur gehörig geschrammt. Es blieb bei einem gellenden Aufschrei der Besatzung beider Fahrzeuge, dann trennten 170 wir uns. So nahe dem Lande, fühlten wir uns nicht mehr geneigt, über die möglichen Folgen des Rencontre's Betrachtungen anzustellen. Am ausgelassensten, nachdem sie den ersten Schreck verwunden, waren die Chinesen. Sie schienen nicht geneigt, sich zur Nachtruhe niederzulegen und benutzten das Licht des Vollmondes zu Domino- und Kartenspiel. Noch niemals sonst hatte ich ihren Lieblingsruf Sa ne ke tau! d. h. »ich schneide Dir den Kopf ab«, so oft und so laut gehört. Sie bedienen sich dieser Redensart in Augenblicken freudiger Erwartung, wie die Römer des herkömmlichen: Sia ammazzato! am letzten Tage des Carnevals, wenn das Anzünden und Ausblasen der Moccoli beginnt. Immerhin eine wunderliche Uebereinstimmung in den primitiven Gefühlen beider Völker, wo es darauf ankommt, einen Ausdruck des höchsten Frohsinns aufzufinden.

Meine Vermuthung: die Chinesen wollten die Nacht durchwachen, wurde am nächsten Morgen bestätigt. Die ganze Sippschaft hatte sich um ein Uhr auf gut polnisch empfohlen. Nach meiner Landung erfuhr ich das Nähere. Obgleich von neun Uhr an ein scharfer Wind blies, die See gewaltig hoch ging und die»Pallas« einen zweiten Anker ausgeworfen hatte, langte eine Stunde nach Mitternacht ein großer Kutter auf der Rhede an, den sämmtliche Chinesen, mit ihren Opiumvorräthen beladen, bestiegen. Die Weiber hatten die Packete unter den Kleidern, die Männer in ihren weiten Beinkleidern verborgen. Eine Meile nordwärts von San Francisco waren sie in der Hoffnung, die verbotene Waare von hier aus leichter einschmuggeln zu können, an Land gegangen, aber den achtsamen Zollwächtern in die Hände gerathen und verhaftet worden. Sie verfielen 171 Alle verhältnißmäßigen Geldstrafen, der höchsten mein seltsamer Cabinennachbar, der Particulier. Noch am andern Morgen wurde unter seiner bodenlos verschmutzten Bettstatt eine Opiumkiste von fünfzig Pfund Gewicht gefunden und von den nordamerikanischen Zöllnern mit Beschlag belegt. Sie hatte in der Nacht nicht mehr fortgeschafft werden können.

Die Beamten des Steuer-Bureau's statteten uns ihren Besuch schon um 6 Uhr Morgens ab. Die Herren waren echt gentlemännisch mit schwarzen Fracks und weißen Glacé-Handschuhen angethan und benahmen sich dem entsprechend. Ich erinnere mich nicht, trotz aller kalten Höflichkeit, jemals von Zöllnern glimpflicher behandelt zu sein. Die Stunde des Abschieds von unserer Schönen rückt heran, sie hat ihre umfangreichste Crinoline und spanisches Costüm angelegt und empfängt die letzten Huldigungen, mit denen wir jetzt freigebiger sind, als während der ganzen Reise. Der erste Steuermann und der Schiffsschreiber, die sie ersuchte, ihrer eingedenk bleiben zu wollen, hatten noch im letzten Augenblick das Unglück, der Schönen äußersten Unwillen zu erregen. Ersterer hatte einen Knoten in den Zipfel seines Taschentuchs geknüpft, Letzterer einen Vermerk in seiner abgenutzten Brieftasche gemacht; ich verabschiedete mich von ihr mit einem biederen Händedruck. Der Anblick, als die kokette Wittwe die Schiffstreppe hinab in das Boot stieg und der Wind ihre Crinoline wie einen Ballon aufblies, war äußerst pittoresk. Das arme Wesen stieß einen schrillen Jammerschrei aus, als einer der Bootsleute, der Aufrechthaltung des Decorums beflissen, das nasse Ruder ergriff und die aufgebauschten Gewänder damit an der 172 Schiffswand plattdrückte. Mein Abschied von Capitän Hartmann, dem Schiffsschreiber und den Steuerleuten war kurz für die lange Freundschaft. Der Chef verspricht mir zur dauernden Erinnerung an unsere gemeinsamen Erlebnisse die Photographie seines Hundes Nelson. Ehe ich meinen Effecten in die Schaluppe folge, die letzte Aufzeichnung in meinem Tagebuche! Die Wasserstraße zwischen China und Californien, gleichviel ob von Osten oder Westen her, befördert überwiegend den Abschaum der Menschheit; ich möchte sie den Seeweg der Verlorenen nennen. Hongkong und San Francisco sind Fontanelle für die Entfernung der nichtsnutzigen Elemente von Asien und Amerika.

Am 22. Apri1, um zehn Uhr, verließ ich nach dreimonatlicher Gefangenschaft das Unglücksschiff und betrat zwanzig Minuten darauf den Landungsplatz. Die Gesellschaft von Dienstmännern, die dem Ankömmlinge hier ihre Handleistungen anbot, war nicht Zutrauen erweckend. In den geflickten und verschossenen Hemden, mit verworrenen, tief in die Stirn hängenden Haaren und in Wasserstiefeln mit durchgescheuerten Sohlen, glichen ihre Mitglieder Straßenräubern, Strauchdieben oder Landstreichern, die den Händen der Sicherheitsbehörden kaum entwischt waren. Das saubere Corps brüllte mich in allen Sprachen Europas an und suchte sich ohne Weiteres meiner Effecten zu bemächtigen. Es war für mich ein lehrreicher Vorgeschmack des tollen Völkergemisches im Goldlande. Gefährlicher als diese zweideutigen Persönlichkeiten erschien mir ein Rudel Bulldoggs, das knurrend und die Zähne fletschend in das Gebrüll seiner Gebieter miteinstimmte und Lust haben mochte, über mich herzufallen. Jeder der verunglückten Goldgräber war von 173 einem dieser Hunde begleitet, dem einzigen Freunde, der ihm im Leben geblieben war und noch jetzt im Paradiese der Kehlabschneider seine nächtliche Ruhe überwachte. Der Bootsführer gewahrte meinen Widerwillen, mich und meine Habseligkeiten einem dieser verdächtigen Kerle anzuvertrauen, er schaffte einen Fiaker herbei, und eine halbe Stunde nach dem Abschiede von der »Pallas« standen meine Koffer in einem eleganten Zimmer des Hotels Ruß. Für die Boots- und Fiakerfahrt zusammen hatte ich den californischen Preis von neun Thalern erlegt. Unter stillen Betrachtungen über das unbedingt richtige Princip der Nordamerikaner: jeden aus Asien oder Europa anlangenden Fremdling so lange für einen Hallunken zu halten, bis er durch sein Betragen das Gegentheil bewiesen, genoß ich nach vier Monaten zum ersten Mal wieder den Comfort eines wohleingerichteten Waschtisches, krystallhellen Wassers und blendend weißer Handtücher. Die köstlichen Güter der Civilisation lernen wir erst in barbarischer Gesellschaft schätzen. Noch vor der Thür des Hotels hatte mich ein Kerl in zerschlissenen Kleidern, dem die rothen Haare zolllang aus dem baufälligen Filz, die Zehen aus den Stiefeln hervorguckten, mit frecher Stirn gefragt, ob unser Schiff heirathsfähige Frauenzimmer an Bord habe, er sei bereit, sie in den Goldminen auf der Stelle an den Mann zu bringen.

Der Himmel hatte sich gegen Mittag verfinstert, es wehte vom stillen Ocean heftig in die Bay, das Wetter hielt mich nicht ab, nach der Post zu gehen und nach poste restante-Briefen von den Meinigen in Europa zu fragen. Schon vor geraumer Zeit hatte ich sie gebeten, alle ihre Mittheilungen nach San Francisco zu adressiren. Sie 174 kamen dergestalt auf dem kürzesten Wege in meine Hände. Wie erschrak ich, als der Postbeamte mir auf meine Frage entgegnete: es seien keine Briefe vorhanden! In meiner Betrübniß und geschwächt durch die Entbehrungen der langen Seereise mußte ich mich an dem Thürpfosten festhalten, um frische Kräfte zu sammeln. Was war in der Heimath geschehen? welches Unglück hatte die sonst so gewissenhaften Correspondenten, Mutter und Geschwister zu gleicher Zeit betroffen? Einige ruhige Erwägung belehrte mich, daß hier ein Irrthum obwalten müsse, ich wandte mich mit eindringlichen Bitten an einen zweiten, dritten und vierten Postbeamten und endlich, nach anderthalbstündigen Nachsuchungen wurden wirklich in dem Fach der todten Briefe (dead letters) fünf Schreiben mit den Poststempeln Danzig und Stettin gefunden. Die hiesige Postbehörde hat die unsinnige, und für einen so wichtigen Knotenpunkt des Weltverkehrs verderbliche Angewohnheit, alle poste restante-Briefe, die nach sechs Wochen nicht abgeholt werden, für todt zu erklären.

Ich kehrte beruhigt nach Ruß' Hotel zurück, vertiefte mich nach einem trefflichen Diner in die Briefe meiner Lieben, und legte mich zeitig zu Bette. Eine unwiderstehliche Sehnsucht nach einem feststehenden Lager ließ mich nicht die Nacht erwarten; zudem empfand ich eine mir unerklärliche Müdigkeit. Mir war zu Muthe, als hätte ich sechs deutsche Meilen zu Fuß zurückgelegt, und doch lag das Postgebäude höchstens zehn Minuten vom Hotel entfernt. Die einzige Ursache konnte die verlorene Uebung sein, auf dem festen Erdboden sicher aufzutreten. Im Gebrauch der »Seebeine«, wie das Schiffsvolk sich ausdrückt, 175 hatte ich eine seltene Virtuosität erlangt. Mochte das Schiff noch so gewaltig schlengern oder stampfen, meine tägliche Promenade auf Deck war dadurch niemals verhindert worden; hier auf dem Festlande hatte mich schon nach den ersten zehn Schritten ein Schwindel, ein den Anfängen der Seekrankheit ähnliches Gefühl überfallen. Der Boden unter meinen Füßen erschien mir unsicher, das dem Menschen angeborene Bewußtsein des Gleichgewichts in seiner aufrechten Haltung war mir abhanden gekommen oder doch verwirrt; ich mußte erst allmählich wieder in den Besitz der »Landbeine« gelangen. Eine Besserung des unbehaglichen Zustandes trat selbst nicht ein, als ich mich auf dem Lager ausstreckte und die Augen schloß. Ich hatte auf einen erquicklichen Schlaf gerechnet, aber von fünf zu fünf Minuten fuhr ich empor, die Fundamente des Hauses schienen zu schwanken, und in fieberhafter Aufregung griff ich um mich. Zuweilen glaubte ich das Knarren der Raaen, das Klatschen der Segel zu hören. Erst nach mehreren Tagen, als auch meine Gangart ihre frühere Festigkeit wiedergewonnen hatte, verloren sich diese Nachwehen. Sehr viel trug dazu große Mäßigkeit in Speise und Trank bei.

Am nächsten Morgen machte ich mich langsam auf den Weg und nahm die Stadt in Augenschein. Wie die nordamerikanischen Freistaaten die »Staaten«, wird San Francisco schlechtweg von den Einwohnern »Zisco« genannt. Der Ort liegt amphitheatralisch ansteigend auf mehreren beträchtlichen, aber rattenkahlen, sonnverbrannten Anhöhen und in malerischen, bis an die Bay reichenden Schluchten. Die letzten Hütten stehen schon auf Pfählen einige Fuß hoch über dem Seewasser. Die Zahl der Einwohner 176 betrug im Jahre meiner Anwesenheit viermal hunderttausend, ist aber seitdem nach übereinstimmenden Meldungen auf eine halbe Million gestiegen. Die Bauart Zisco's ist das bunteste Gemisch aller Architekturen, die es auf Erden geben mag. Die Häuser scheinen, wie die hier wohnenden Menschen, aus allen Weltgegenden zusammengelaufen zu sein. Neben tempel- und palastartigen Gebäuden stehen Strohhütten und Schweineställe, hier glaubt man die Erdhöhle eines Grönländers, dort eine italienische Villa, ein Chalet oder eine Pension des Berner Oberlandes vor sich zu haben. Wären die meisten Häuser nicht durch allerlei Ungeheuerlichkeiten und die crassesten Abschweifungen in's Phantastische verunstaltet; ein angehender Architekt fände hier ein Album der Baustile, wie keine Kunsthandlung ihm ein gleiches bietet. Ueberall begegnet man Anläufen in's Byzantinische, Gothische, Griechische oder Aegyptische. Der architektonische Eindruck ähnelt dem eines Narrenhauses. So fand ich rechts und links von einer beinahe im chinesischen Geschmack erbauten katholischen Kapelle eine Grog-Spelunke und ein offenes Atelier, in dem Neger Schuhe und Stiefel putzten. In einem solchen Wirrwarr der Racen und Individuen macht sich das Bedürfniß fühlbar, stets handgreiflich an die eigene Nationalität erinnert zu werden. Auf jedem Dache steckt eine Flaggenstange, und selten vergeht ein Tag, an dem nicht das Banner mit den Nationalfarben des Wirthes im Winde flattert. Aehnlich verhält es sich im Hafen. Nach den von den Masten herabhängenden Flaggen ließe sich ein Verzeichniß aller seefahrenden Völker anfertigen. Nur die von den Mannschaften der Goldgräberei wegen verlassenen Schiffe liegen abgetakelt und unbewimpelt am 177 Gestade. Der Anblick dieses Ensembles mit den dahinter hervorblickenden, in der Bay zerstreuten, spärlich bewachsenen Inselchen und nackten Felsen ist von einem erhöhten Punkte aus gar malerisch. Letztere werden von Myriaden von Seevögeln bewohnt, die hier für Guano-Niederlagen der Zukunft sorgen. Durch die massenhaften weißen Ausscheidungen der gefräßigen Thiere hat das Gestein ein kreideartiges Ansehen gewonnen. Das Panorama schließt mit den Klippen der sogenannten goldenen Pforte, der Einfahrt in die weit ausgedehnte Bay von San Francisco. Dem Namen der Schwelle Californiens entsprechen auch die Namen der Straßen. Ich nenne nur die Goldminen-, Silberminen-, Handels-, Kaufmanns-, Geschäfts- und Stille Oceansstraße, nebst den Inschriften folgender Schilder: »J. W. Stevens, Doctor für Privatkrankheiten« – »Auguste Köhler giebt Unterricht im Tanzen und Singen« – »Ladewig Kielmeyer, deutscher Schuster, bessert auch aus« – »Polka-Kaffeehaus« – »Pacific-Bierhalle« – »Isidor Hirsch, lederner Handschuhfabrikant« – wenn man in den Straßen stille stehen bleibt, wird man sogleich von Bettlern angesprochen. »Sie werden entschuldigen,« sagte ein schäbig gentiler Deutscher zu mir, ohne eine Miene zu verziehen, »wenn ich Sie um eine Unterstützung ersuche, aber ich habe seit zwei Monaten nichts gegessen.« Diese Behauptung erschien keineswegs unglaubhaft, wenn man den penetranten Alkoholgeruch, den der darbende Landsmann ausdünstete, in Anschlag brachte; in Bezug auf die Stillung seines Durstes hatte er gewiß nicht so lange unter gleichen Entbehrungen zu leiden gehabt. Ich verabreichte 178 ihm die kleinste hiesige Münze, ein Bit, ihrem Werthe nach unserem Fünf-Silbergroschen-Stück gleich; der Unbekannte hielt nicht der Mühe für werth, mir für die geringe Gabe zu danken.

Am Frühstückstisch des Hotels machte ich eine interessante Bekanntschaft. Meine Nachbaren waren ein Hamburger Schiffscapitän in Begleitung seiner Frau und Kinder. Die Familie hatte sieben Jahre in den Gewässern zwischen Calcutta, Australien, Hongkong und San Francisco zugebracht, und alle sechs Kinder waren auf hoher See geboren worden. Der noch junge Seemann bildete eine seltene Ausnahme von der Regel. Die Gesellschaft der Frau hatte veredelnd auf seine Sitten eingewirkt, und zum ersten Male seit geraumer Zeit wurde die Morgenunterhaltung nicht durch Flüche gewürzt. Noch mehr überraschte mich der Anblick der Mutter und ihrer Kinder, wenn sie einander in die Arme fielen und zärtlich liebkosten. Anderthalb Jahre hatte ich nicht mehr gesehen, wie eine Mutter ihr Kind küßt. Den Chinesen und Japanesen ist der Kuß vollkommen unbekannt. Unser trauliches Gespräch wurde durch einen Kellner des Hotels unterbrochen, der die Dienste eines Lotterie-Collecteurs versieht und Loose zur Ausspielung eines an der Hauptwand des Saales hängenden Gemälde's ausbietet. Das Bild ist, wie die seltensten Meisterwerke des Mittelalters, durch eine Glasplatte geschützt und stellt ein Stillleben vor: die »in Umfang, Farbe und Dauerhaftigkeit garantirte Copie des unsterblichen Preisbildes von T. Brown u. Comp. in Sacramento.« So drückte sich wenigstens der Lotterie-Collecteur aus. Ich lehnte den Ankauf eines Looses ab. Die Copie war so tief im Ton gehalten, daß sie meinen 179 farbenfreudigen Sinn beleidigte. Man glaubte in einen glänzenden Lackstiefel zu blicken.

Unser Hotel selber ist über alles Lob erhaben. Gleich dem Hotel »Louvre« in Paris, bildet es ein selbstständiges Geviert, dessen Erdgeschoß aus stattlichen Läden und Officinen besteht. In allen Dingen herrscht die größte Sauberkeit, und das mit Spitzen besetzte Bett wird täglich frisch überzogen. Dennoch habe ich nie billiger gewohnt, niemals eine bessere Verpflegung genossen. Die Tagespension für ein Zimmer mit Schlafcabinet und vier Mahlzeiten excl. Wein beträgt nur vier Dollars, ein im Vergleich mit dem geringen Werthe des Geldes in San Francisco unglaublich niedriger Satz. Die Küche war im »Café anglais« oder im »Maison doré« zu Paris nicht feiner. Den Priestern des Gambrinus kann ich nicht gleich Gutes nachsagen. Ich war der Versuchung erlegen und in ein deutsches Bierhaus getreten. Das mir kredenzte Gefäß glich einer Tulpenknospe, war aber nur zu zwei Dritteln gefüllt. Als ich dem Wirth dafür ein Stück Geld im Werthe von 10 Sgr. reichte, gab er, obgleich das Getränk nur die Hälfte kostete, nichts heraus; der wackere Landsmann hatte mich für ein »Grünhorn« (Neuling) gehalten! Auf meine englische Anrede griff er unter vielen Entschuldigungen in die Tasche; er wollte die Münze verkannt haben. Die hiesigen hohen Miethen mögen den armen Landsmann nöthigen, jeden kleinen Nebengewinn wahrzunehmen. So zahlt z. B. der Pächter des »Hotel Ruß« pränumerando monatlich 2500 Dollars Miethe.

Das Tragen von Ordensdecorationen ist in den Vereinigten Staaten nicht üblich, ich wurde daher in gerechtes 180 Erstaunen versetzt, als ich, immer an lebhaft besuchten Straßenecken, Gentlemen von rüstiger Haltung bemerkte, auf deren linker Brust ein Stern schimmerte. In einiger Entfernung glich das Ordenszeichen dem Stern des rothen Adlerordens erster Klasse, und ich griff mehrmals in dem Glauben, mit einem hochgestellten Mitbürger, den der Wechsel der Ereignisse nach Californien geführt, in Berührung zu kommen, und eifrig daraus bedacht, keinen Verstoß gegen die gute Sitte zu begehen, nach dem Hute, als ich meinen Irrthum entdeckte. Der Stern ist hier zu Lande nur das Abzeichen des Polizeibeamten in Dienst. Verzeihlicher war ein anderer Irrthum. Vor einem umfangreichen Gebäude wimmelte eine unübersehbare Menschenmenge und verhandelte unter einander in den verschiedensten Sprachen der Welt mit einer solchen Leidenschaftlichkeit, daß ich einen der Einstellung der Bauthätigkeit am babylonischen Thurm ähnlichen Vorgang zu erkennen glaubte. Einer der strolchartigen Loafer und Runner belehrte mich eines Besseren; das Gebäude war die Minenbörse, das Publikum bestand aus Goldgräbern und den Abnehmern der kostbaren Waare.

In Gesellschaft des Hauptverwalters von »Hotel Ruß« unternahm ich eine Spazierfahrt nach der alten spanischen Mission Dolores. Die Kirche ist am Anfange des siebenzehnten Jahrhunderts im bekannten Styl der Jesuiten erbaut, enthält aber weiter nichts Sehenswürdiges. San Francisco wird mit der Mission durch einen Dampf-Omnibus verbunden, denn unweit der Kirche befindet sich ein beliebter Vergnügungsort. Hier traf ich die ersten Bäume in Californien, einige verkommene Weiden, und das Local 181 hat dieser Merkwürdigkeit wegen den Namen »willows« erhalten. Uebrigens herrscht diese Sterilität der Vegetation nur am Küstenstrich, einige Meilen weiter landein wächst gigantisches Nadelholz in seltener Fülle. Das Willows-Etablissement war ein »wilder Kroll« mit Fontainen, Carroussel, einem kleinen Theater und Schießplatz; wir verließen es nach einer flüchtigen Besichtigung und erkletterten einige Sandberge, aus deren höchstem ein Franzose eine Bierhalle angelegt hatte. Der Besuch der Mission und des Vergnügungslocals muß sehr stark sein, denn einige Hundert Schritte weiter lag das Brauhaus und die Kneipe eines Original-Baiern. Die Corpulenz des Wirthes, seiner Frau und Tochter legte Zeugniß ab für den Gehalt seines Getränks. Mein Begleiter hatte eine beträchtliche Quantität desselben zu sich genommen und hielt deshalb nach unserer Rückfahrt für nothwendig, als niederschlagendes Mittel eine Flasche alten Rheinweins darauf zu setzen. Der gute Yankee, ein geborener New-Yorker, war ein Schwärmer für deutsche Weiber und deutschen Wein; ich warnte ihn vergeblich vor einem ferneren Exceß. Der Preis der von uns geleerten Flaschen betrug acht Thaler, aber die Sorte war wirklich ausgezeichnet, nur überwältigend stark. Ich hatte auf der Excursion Feldstuhl, Mappe und Handwerkszeug mitgenommen, kam indessen ohne die geringste Ausbeute nach Hause zurück. Abends besuchte ich ein Concert in Minstrels Hall, in dem sich ein Violinspieler und Fräulein Simonsohn, eine fertige Coloratursängerin, beide Deutsche, hören ließen. Die anwesenden Yankee's benahmen sich im Ganzen anständig, nur ihre zwanglose Art, um sich zu spucken, war empörend. Hätten sich die Herren durch jahrelange 182 Uebung nicht eine so außerordentliche Fertigkeit in diesem Sport angeeignet, Niemand vermöchte in ihrer Gesellschaft auszuhalten. Der Yankee legt sich zu Bett, liest sein Abendblatt und – spuckt zuletzt das Licht aus. In den Gastzimmern ist das Ausspucken des Lichts sogar ein beliebter Gegenstand von Wetten. Mehrere der Zuhörer im Concert zogen Messer und Holzstücke aus der Tasche und vertrieben sich die Zeit mit Schnitzereien. Ein bedenklicher Mangel an Taschentüchern befremdete mich auch in dieser Gesellschaft. In San Francisco fand ich nur Personen, die in Europa gewesen waren, im Besitz dieses Toilettengegenstandes. Ich erkannte sie stets an dem demonstrativ aus ihrer Rocktasche herabhängenden Zipfel.

Am Sonntag weidete ich mich an dem Anblick der wunderlieblichen amerikanischen Kirchengängerinnen, der Frauen und Töchter reicher Einwanderer aus den Hauptstädten der Vereinigten Staaten. Minder erbaulich waren die Gotteshäuser, scheunenartige, aus Holz errichtete Räume oder liederliche Constructe aus Backsteinen im Baukastenstyl; ein dringendes Bedürfniß nach Kirchen scheint im Goldlande noch nicht vorhanden zu sein. Die Sonntagsfeier selber wird nicht mit englischer Rigorosität aufrecht erhalten. Der Koch im Hotel hatte sich alle ordentliche Mühe gegeben, die zahlreichen Gäste zufrieden zu stellen, die Promenaden waren bei dem frischen Hauch der nervenstärkenden Seeluft sehr besucht, und ich machte mir kein Gewissen daraus, den ganzen Tag müssig im Freien zuzubringen und mich im Gebrauch der »Landbeine« zu vervollkommnen. 183


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