Ernst Kossak
Prof. Eduard Hildebrandt's Reise um die Erde
Ernst Kossak

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XV.

Geschäftsportionen. Militärische Titel. Lauter Sand. Fahrende Photographen. Californischer Caviar. Das Musikantenkind. Feuerwehr und Turner. Die Localposse in San Francisco. Unsere schwarzen Brüder. Spielhöllen mit Fallthüren. Die Quecksilberminen von St. Jose. Mission Dolores. Tippins und Parker.

Das Wetter bleibt anhaltend schön; ich dehne folglich meine Spaziergänge bis in die Umgegend der Stadt aus, wo die reichen Einwohner sich in zierlichen kleinen Villen angesiedelt haben und ihre freien Abende und Sonntage zubringen. Die Wochentage sind ausschließlich dem Geschäft gewidmet, und nichts könnte die Ortsangehörigen veranlassen, um diese Zeit der Stadt fern zu bleiben. Der Nordamerikaner hat das englische »time is money« in um time ist every thing gewandelt, und regelt nach diesem Axiom sein ganzes Leben. In San Francisco ist Alles geschäftsmäßig eingerichtet, sogar die gelegentlichen Erfrischungen. Unsere Restaurants und Ladenbesitzer unterscheiden auf ihren Speisekarten und Preiscourants zwischen englischen und deutschen Beafsteaks, Havannah- und Bremer Cigarren, fremden und hiesigen Bieren, der Californier 210 verzeichnet unter einer besonderen Rubrik: Geschäfts-Beafsteaks, »Geschäfts-Cigarren« und Geschäfts-Seidel. Sie sind beträchtlich kleiner als die gewöhnlichen, billiger und für den hastigen Verzehr berechnet.

Von dem, zwischen den Nord- und Südstaaten wüthenden Kriege ist San Francisco unberührt geblieben. Durch Zahlung einer unglaublich hohen Summe hat sich die Stadt von der Conscription befreit, und wir leben hier, von Privathändeln abgesehen, in Ruhe und Frieden. Der kriegerische Zeitgeist offenbart sich nur in der bemerklichen Vorliebe für militärische Titel. Der Amerikaner, sobald er genöthigt ist, mit einer ihm unbekannten Person ein Gespräch anzuknüpfen, sucht, nach Art des Deutschen, bei der Anrede durch Ertheilung eines beliebigen Titels auf die Gesinnung des Fremden günstig einzuwirken. Wir begehen in unserem Vaterlande nur selten einen Irrthum, wenn wir den Unbekannten als Hofrath, Geheim-Secretair, Commissionsrath u. dergl. m. anreden; hier benutzt man gern die militärischen Grade. Je nach dem Kostüm, dem Alter, Gange und Schnitt des Haares oder Bartes wird man als »Capitän«, »Major« oder »General« angeredet. Ich darf mir wohl etwas darauf zu Gute thun, daß man mich überall »Major« titulirt, und bemühe mich eben deshalb, meinen Schnauzbart der Charge entsprechend etwas martialischer, als sich für Künstler schicken will, zuzustutzen. Vor fünfzehn Jahren, zur Zeit einer friedlicheren Strömung, oder eines minder herausfordernden Aussehens von meiner Seite, nannte man mich in Newyork mit derselben Beharrlichkeit »Doctor.« Die lange Seereise hat mich zu sehr verwildert, als daß meine Körperhaltung und 211 Physiognomie noch Anwartschaft auf diese unschuldigste und verbreitetste aller Titulaturen besäßen.

So große Mühe ich mir gebe, der Umgegend von San Francisco eine malerische Seite abzugewinnen, gelingt es mir nicht, eine lachende Landschaft, noch weniger aber einen lachenden Menschen anzutreffen. Sandberge, Sandflächen und Sandwege sind das Alpha und Omega der hiesigen Terrainbildung; ernste, gelangweilte Gesichter der Typus der gesammten männlichen Generation. »Wir freuen uns hier nie!« antwortete mir ein deutscher Kaufmann, der jung, gesund, reich, im Besitz einer liebenswürdigen Frau und wohlgebildeter Kinder, mit einem melancholischeren Gesicht aufblickte, als Shakespeare's Timon, da ich ihn aufforderte, sich doch des Lebens zu freuen. Sollte diese, den Gelddurst reizende Atmosphäre alle anderweitigen Regungen des Geistes und des Gemüths im Keime ersticken? Nur unter Frauen und Kindern bin ich heitern Gesichtern begegnet. Von Europäern in Indien, China und Japan habe ich mehrmals ähnliche Antworten erhalten. Allen diesen Ländern fehlt jenes belebende und erhaltende sociale Element, das, wie der Sauerstoff der Atmosphäre, den europäischen Culturstaaten ihre productive Kraft verleiht.

Trotz des Zudranges von Abenteurern aus allen Ländern verleugnet sich dennoch nicht die Eigenthümlichkeit des spanischen Geblüts. Am 28. April, auf einem Spaziergange, stieß ich zwar nicht auf einen fahrenden Ritter, aber doch auf einen fahrenden Photographen. Seitwärts an der Landstraße stand ein großer zweiräderiger Karren, dessen Rozinante von einem gut genährten Sancho Pansa eben 212 ihr Frühstück erhielt. Der Karren war mit einem Leinwandzelt bedeckt und glich, aus einiger Entfernung gesehen, den Fahrzeugen der Auswanderer, auf denen sie ihre kleinen Kinder und Habseligkeiten nach den Seehäfen schaffen. Aus der vorderen Oeffnung blickte jedoch ein Gesicht hervor, das eben so wenig mit dem Ritter von der traurigen Gestalt als mit einem europamüden Provinzialbewohner Aehnlichkeit hatte. Der gleichfalls mit körperlicher Fülle gesegnete Besitzer des Karrens lächelte mir so zuvorkommend entgegen, daß ich nicht der Versuchung widerstehen konnte, ein Gespräch mit ihm anzuknüpfen. Das Leinwanddach war über und über mit photographischen Blättern behangen, denn der fliegende Geschäftsmann war »View artist, Photographischer Ansichten-Künstler.« Der gute Mann schien, da ich eine Zeichenmappe unter dem Arme trug, so etwas wie einen Collegen in mir zu wittern, und wiederholte, nachdem er seinen Beruf eingestanden, mit immer heftigeren Worten: »Er fordere Jeden heraus, es mit ihm aufzunehmen, er fertige Portraits an, Ansichten von Goldminen, Sommerwohnungen und Grundstücken; er schrecke, wenn es eine Bestellung gelte, nicht vor dem weitesten Wege zurück.« Sobald ich ihn beruhigt und seine anfängliche Furcht vor Concurrenz eingeschläfert, holte er unter dem Verdeck sein photographisches Material hervor; der Karren war zugleich Salon, Atelier und Schlafcabinet für ihn und seinen Amanuensis.

Um zwölf Uhr Mittags stattete ich dem preußischen Consul, Herrn Haußmann, einen Besuch ab und zog Erkundigungen ein über die Dampferlinien zwischen San Francisco und Panama. Der Landsmann war seit vierzehn 213 Tagen mit einer schönen Engländerin verheirathet, anscheinend hoch erfreut, an mir einen Zeugen seines häuslichen Glückes zu finden, und drang so lange in mich, bis ich versprach, zwei Tage darauf das Diner bei ihm einzunehmen. Nur machte ich zur Bedingung, ein paar Stunden vor Tisch kommen und eine Aquarelle anfertigen zu dürfen. Die Lage des Hauses war äußerst vortheilhaft und gestattete einen Fernblick über die herrliche Bay von San Francisco mit dem Teufelspick und den Ziegeninseln im Hintergrunde. Auf dem Rückwege in das Hotel Ruß nahm ich das prächtige Lokal des ersten Restaurants der Stadt, eines Deutschen, in Augenschein, und gestattete mir den Genuß einer Portion californischen Caviars, deren Preis ich indeß, aus Furcht, von meinen Angehörigen nachträglich für einen Verschwender erklärt zu werden, weislich verschweige. Aber selbst hier war man nicht vor Anfechtungen sicher. Ein kleines hübsches Mädchen machte mit einem Notenblatte die Runde an allen Tischen und bat als »armes italienisches Musikantenkind« um Honorar für ihren Vater, der draußen die Drehorgel »spiele.« In meiner Nähe nahmen zwei Feuermänner zu meinem gerechten Erstaunen, sie an einem so eleganten Orte zu finden, ihr Dejeuner ein. Die Herren mochten die Ursache meiner Verwunderung durchschauen, denn der Jüngere trat an meinen Tisch und fragte, ob ich an dem bevorstehenden »Firemens Ball« theilnehmen wolle, in diesem Falle sei er mit Vergnügen bereit, mir ein Billet zu überlassen. In Betracht des desolaten Zustandes meiner Galla-Garderobe dankte ich mit wohlgesetzten Worten und erfuhr zugleich, daß die Feuerleute und Turner in dem geselligen Leben 214 von San Francisco eine wichtige Rolle spielen, wie denn auch Letztere unter dem Titel »Socialer Turnvereinsball« binnen Kurzem eine ähnliche Festlichkeit veranstalten. Wir trennten uns unter Versicherung gegenseitigen dauernden Wohlwollens, aber nur ungern verschwieg ich dem jungen Feuermann meine gerechten Bedenken gegen die nächtlichen Belustigungen grade seiner Corporation. Nach meiner Ansicht hätte diese ihren Beruf weit besser erfüllt, wäre sie mit demselben Eifer der Löschung der zahlreichen Feuersbrünste beflissen gewesen, die uns in der Woche zwei- bis dreimal bei Nacht aus den Betten schrecken.

Meine Abende bringe ich aus Mangel an Bekanntschaften meistens in einem Theater zu. Außer der großen städtischen Bühne, auf der italienische Opern und recitirende Schauspiele gegeben werden, sind mehrere kleinere Häuser vorhanden, in denen umherziehende Truppen die Lokalposse cultiviren. Der »schlimme Schilling« in dieser ist gewöhnlich ein Chinese. Das seltsame Volk hält auch in seinen Auswanderern beharrlich zusammen. Diese bewohnen einen abgegrenzten großen Stadttheil von San Francisco, das chinesische Viertel, mit den heimathlichen Blumenhäusern und Pagoden, und setzen auch diesseits des stillen Oceans ihren höchsten Stolz in die Länge des Zopfes. Es ist begreiflich, wenn sie der Gegenstand des Spottes aller Nationalitäten sind. Nicht wenig mag dazu ihre angeborene Virtuosität in allen möglichen Gaunerstreichen beitragen; in den Lokalpossen läßt man sie dagegen stets aus Haß und Rache den Kürzeren ziehen. Des besseren Verständnisses wegen führe ich eine Probe an. Das kleine Stück war nur ein theatralisches Duett, aber durch die 215 gelungene Nachahmung der Sitten und des Jargons der Chinesen sehr ergötzlich. Es spielte zwischen zwei Personen, einem Arzt und einem Patienten. Ersterer hatte auf seinem Aushängeschilde angezeigt: er kurire jede Krankheit binnen drei Tagen, ohne Anwendung von Arzneimitteln und unter Garantie für die Dauer eines Jahres. Nach einem längeren Selbstgespräch, in dem der Heilkünstler philosophisch auseinandergesetzt: die meisten Leiden der Menschheit beständen nur in krankhaften Einbildungen und ließen sich durch Selbstüberwindung und strenge Ueberwachung heilen, erscheint ein hilfesuchender Patient in des Doctors Shop. Man wird nicht recht klug daraus, ob der chinesische Kranke mehr Hypochonder oder Hanswurst ist; der Doctor jedoch faßt den Fall sehr ernstlich auf. Mit einer unglaublich großen Brille auf der plattgedrückten Nase untersucht er den lamentirenden Ankömmling auf das Gewissenhafteste. Der Puls wird geprüft, so gut wie die Zunge, der Brustkasten sowohl, wie jener Körpertheil, der niemals in Gefahr gerathen kann, durch Einathmen mephitischer Gasarten in seinem Wohlbefinden benachtheiligt zu werden; nach der Diagnose des chinesischen Heilkünstlers erregt der Zustand des Kranken nicht die geringsten Besorgnisse. »Gehen Sie nach Hause«, sagt er mit der nöthigen Feierlichkeit, »entkleiden Sie sich, gehen sie zu Bette und schlafen Sie pünktlich zwei Stunden. Sobald Sie aufwachen, bilden Sie sich ein, gesund zu sein, und kommen morgen wieder zu mir.« Der Kranke befolgt die Vorschrift genau, die Procedur wird unter unbeschreiblichen Possenreißereien drei Tage hintereinander wiederholt; der Patient ist hergestellt und denkt nicht mehr daran, 216 dem Doctor fernere Besuche abzustatten. In der letzten Scene des Stücks begegnen wir diesem vor dem Hause des Patienten, aber die Thür ist verschlossen, und erst nach langem Klopfen wird geöffnet. Der Genesene scheint außer sich vor Freude über den Besuch des Arztes, als dieser jedoch nach dem Honorar fragt, stellt der Kranke dieselben Untersuchungen an, die der Doctor mit ihm vorgenommen, und schließt unter dem schallenden Gelächter des dankbaren Publikums: »Nun gehen Sie nach Hause, entkleiden Sie sich, gehen Sie zu Bette und schlafen pünktlich zwei Stunden. Sobald Sie aufwachen, bilden Sie sich ein, bezahlt zu sein, und kommen Sie nie wieder hieher.« Wie aus Allem erhellt, übertrifft Californien an Theuerung der Lebensbedürfnisse, dafür aber auch an Wohlfeilheit der Witze alle Länder der Welt. Die entzückten Zuschauer bombardirten die beiden Künstler mit Apfelsinen, Dollars und Kautabak, der im Zwischenakt in Körben neben Südfrüchten, sauber in Staniol oder Goldpapier gewickelt, feilgeboten wird. Billig sind selbst diese Winkeltheater nicht, das Billet hatte zwei Dollars gekostet.

Meine anfängliche Lust, eine Reise nach dem Minendistrict anzutreten, vermindert sich mit jedem Tage. Das Aussehen der Goldgräber hat wirklich nichts Einladendes. In ihren rothwollenen, geflickten, vorn offenen Hemden, schmutzigen Leinwandhosen, mit einem zerdrückten Calabreser auf dem Kopfe, einem geladenen Revolver im Gürtel und einem zähnefletschenden Bullenbeißer an der Seite, verursachen sie eben so angenehme Empfindungen, wie die Briganten in den Abruzzen. Nach meinem Dafürhalten trägt 217 keiner von ihnen Bedenken, das Gold, wenn er es nicht in der Erde findet, in der Tasche seines Nächsten zu suchen und sich gewaltsam anzueignen. Gleichzeitig fange ich an, die Bildungsfähigkeit unserer schwarzen Brüder in Zweifel zu ziehen. Die erwähnten Bulldoggen betragen sich unter einander weit anständiger. Fast täglich kommt es in den Straßen zu Zweikämpfen zwischen Negern. Beim Beginn jedes Streites rennen sie, wie Stiere und Böcke, mit den dicken Schädeln gegen einander, daß die Knochen dröhnen. Ergiebt dieses Turnier kein Resultat, so tritt ihr natürlicher Bestialismus in seine Rechte. Das Raubthier erwacht in ihnen, sie bedienen sich der Zähne. Oft genug kommt es vor, daß Einer dem Andern die Nase oder ein Ohr, ja ein Stück aus dem Schulterblatt abbeißt. Engländer und Nordamerikaner bilden, wenn Händel sich entspinnen, sogleich einen Kreis, hetzen die Streitenden an und wetten auf den Sieger. Wer dem Gegner das größte Stück Fleisch aus dem Leibe reißt, ist »a brave Fellow«

Ungeachtet derartiger Rohheiten ist nach den Versicherungen einsichtiger Landsleute eine Besserung der Zustände von San Francisco unverkennbar. Der Kampf bis aufs Messer, den die Polizeibehörde gegen die Spielhöllen geführt hat, beginnt gute Früchte zu tragen. Aus den Hauptstraßen sind die Spielhäuser sämmtlich verschwunden, sie haben sich in die tiefste Verborgenheit zurückgezogen, und ihre Agenten gehen mit großer Vorsicht zu Werke, wenn sich ein vermeintlicher Neuling um Zutritt bewirbt. Wie man mir erzählte, war das häufige Verschwinden von Menschen die Ursache des energischen Vorgehens der Polizei gewesen. In jenen Spielhöllen, die auf Pfählen weit in 218 die See hinausgebaut waren, hatte man reich mit Gold versehene Spieler erst durch schöne Weiber geködert, dann abseits gelockt, durch starke Getränke bis zur Bewußtlosigkeit betäubt, ihrer Schätze beraubt, und zuletzt durch verborgene Fallthüren in die See gestürzt. Ich habe weder eine dieser Höllen, noch eine der zahllosen »Tanzakademien« aufgesucht, denen von deutschen Kaufleuten ebenfalls nicht viel Gutes nachgesagt wird.

Den ersten Mai benutzte ich zu einer Tour nach San Jose. Der kleine, vor wenigen Jahren gegründete Ort ist durch einen Schienenstrang von vierzig englischen Meilen Läge mit San Francisco verbunden und von den Besitzern und Arbeitern der dortigen Quecksilberminen bewohnt. Der Ertrag dieser Bergwerke soll weit reichlicher sein, als der aller Goldminen; demgemäß werden auch die Bergleute bezahlt. Wenn der Tagelohn für den in fremden Diensten stehenden Goldgräber und Wäscher vier Dollars beträgt, ist er hier auf fünf bis sechs Dollars gestiegen. Allerdings wird dabei der nachtheilige Einfluß des Aufenthalts in den Schachten auf die Gesundheit der Arbeiter mit in Rechnung gebracht. Aus demselben Grunde vermied ich einen Besuch des Bergwerks selber und benutzte die wenigen Stunden meines Verweilens zu einer Skizze des Städtchens, in dessen Umgebung mir einige Bäumchen, Lorbeeren und Zwergeichen, eine Augenweide gewährten. Ein anderer kleiner Ort einige Meilen von San Francisco ist die alte spanische Mission Dolores. Der Yankee, mein letzter Tischnachbar im Hotel »Ruß«, in dessen Gesellschaft ich den kleinen Ausflug am nächsten Tage machte, hatte »Mission Dollars« verstanden und war aus allen seinen 219 klingenden Himmeln gestürzt, als bei unserem Rundgange durch das alte Gebäude die armen Patres uns um eine Unterstützung ihres frommen Werkes ansprachen. Nach unserer Rückkehr war noch Zeit genug, der »Pallas«, die ich inzwischen im Hafen ermittelt, noch einen Besuch abzustatten. Capitän Hartmann hatte sich zu Vergnügungszwecken ans Land begeben, nur der erste Steuermann war anwesend und ließ mich einen Abschiedsblick in die Schlafkoje werfen, in der ich zwölf Wochen lang nicht eine glückliche Minute verlebt. Sobald der junge Mann es bis zum Capitän gebracht, hat er mir einen Besuch in Berlin versprochen. Einem Abschiedstrunk in Whiskey ging ich aus dem Wege, es brennt schon wieder in der Stadt, und der Verlust meiner Habseligkeiten wäre mir grade jetzt, da der Tag der Abfahrt heranrückt, höchst unwillkommen. Um alle Schätze der Welt möchte ich nicht verurtheilt sein, in San Francisco mein Leben zuzubringen. Obenein grassiren hier die Pocken auf eine fürchterliche Weise und in allen Doctor-Shops wird Tag und Nacht geimpft. Einer dieser Impflinge kam in der Sacramento Street im Hause eines Arztes, zu dem er sich in der Angst seines Herzens begeben, auf eine eigenthümliche Weise ums Leben. Die Operation war eben vollzogen, als Trommeln und Trompeten auf der Straße die Annäherung des Turner-Festzuges verkündeten. Der Impfling ließ sich kaum so viel Zeit, das Hemde über die Schulter zu streifen, eilte an das Fenster, riß es auf und beugte sich so unvorsichtig weit hinaus, daß er auf die Straße stürzte und das Genick brach. So sehr ich das unzeitige Ableben des Mr. 220 Tippins bedauere, fühlen sich sämmtliche Bewohner des Hotel Ruß durch seinen Tod doch einer großen Verlegenheit enthoben. Mr. Tippins und Mr. Parker (nördliche Tafelfront. Nr. 17. Emaillirtes Serviettenband) sahen einander so ähnlich, daß täglich Verwechselungen vorkamen. Nach Mr. Snapwells Behauptung – Mr. Snapwell ist Detaillist in Havannah-Cigarren, zahlt für einen zehn Kubikfuß großen Laden in der Montgommery Street monatlich 250 Dollars Miethe und speist im Hotel – vermochten die beiden Herren selber nicht mit Bestimmtheit anzugeben, wer von ihnen Tippins, wer Parker sei. Erst jetzt sind alle Zweifel gelöst.

Am 3. Mai habe ich zu einem der hiesigen Doctoren meine Zuflucht genommen, jedoch nicht in Impf-, sondern Hühneraugen-Angelegenheiten. Dr. Melzer, ein schnurrbärtiger Elegant, erscheint täglich nach dem Frühstück im Hotel und stellt sich den Herren und Damen zur Verfügung. Er operirt Leichdorn, und zieht fünf Minuten darauf Zähne aus; mit besonderer Bravour berichtigt Dr. Melzer tief ins Fleisch gewachsene Nägel. Die Flasche Essenz zur Einreibung von Ueberbeinen kostet drei Dollars, doch kurirt der Doctor, wenn es ausdrücklich verlangt wird, auch durch Sympathie. Um die Landessitte mitzumachen, benutze ich die letzten Stunden meines Aufenthalts an der Goldküste, mich photographiren zu lassen und so wenigstens ein Andenken an den kostspieligen Ort mitzunehmen. In einer Stadt, wo man jede rauchbare Cigarre durchschnittlich mit zwölf und einem halben Silbergroschen bezahlt, muß der deutsche Künstler auf den Ankauf von 221 Schnurrpfeifereien verzichten. Der Preis der photographischen Porträts ist durch die ungeheure Concurrenz herabgedrückt und zu erschwingen. Ich stehe auf der Visitenkarte neben einer gebrochenen Säule, den Hintergrund füllen – Baumwollenballen. 222


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